Journal Sonntag, 25. Mai 2025 – Berlin Tag 2: Heldin vormittags, Freundin nachmittags

Montag, 26. Mai 2025 um 8:00

Sensationell gut und sehr lang geschlafen: Mein Hotelzimmer ist so ruhig, dass ich die Ohrstöpsel weglassen konnte, das Bett offensichtlich genau das richtige für mich.

Als Allererstes Morgenkaffee aus mitgebrachter elektrischer Cafetera und Milchschäumer, das war schön.

Verabredet war ich erst am Nachmittag mit einer in Berlin ansässigen Freundin, das düstere Nieselwetter machte die Entscheidung zwischen Ausflug ins Berliner Umgebungsgrün und Kino-Matinee einfach: Den Film Heldin hatte ich eh sehr gern sehen wollen, wie praktisch, dass er gestern zehn Minuten zu Fuß entfernt um 11 Uhr im Kino Hackesche Höfe gezeigt wurde.

Wand mit vergitterten Altbaufenstern in einem Innenhof, daran unendlich viele Reste von Aufklebern und Plakaten, davor abgenutzte Bierbänke und -tische

Einer der Hackeschen Höfe konserviert ein längst vergangenes Berlin museal, zwischen gruslig und rührend.

Gemauertes Jugendstil-Treppenhaus in Creme-Tönen und schwarzem Metall

In einem weiten Altbau-Treppenhaus Blick auf die niedrigere Halbebene mit großen Sprossenfenstern, durch die man über den Innenhof eine Klinker-Fassade sieht

Erhöhter Blick in Altbau-Innenhof mit verschiedenförmigen großen Fenstern

Große, Blumenstrauß-artige Wandlampe an Holz

Das Kino liegt im 3. Stock eines sehr schönen Gebäudes.

Der Film gefiel mir ganz ausgezeichnet mit seiner Darstellung eines einzigen Spätdienstes einer Schweizer Krankenpflegerin (Leonie Benesch ganz beeindruckend als diese Figur). Meine eigenen fünf Tage als Hüft-TEP-Patientin im Klinikum Garmisch hatten einen tiefen Eindruck von der Bedeutung des Pflegepersonals für das Befinden der Patient*innen hinterlassen: Ja, für die hochmedizinische Seite sind die Ärzt*innen zuständig, aber es waren die Krankenschwestern, die mir Sicherheit gegeben hatten, Zuversicht, die diese existenzielle Hilflosigkeit erträglich machten. Gleich zu Anfang gibt es im Film einen Dialog, der das transportiert: Ein Patient erzählt, dass er hier im Krankenhaus fern seiner Heimat niemanden hat, keine Familie, keine Freunde. Die Hauptfigur, Krankenpflegerin Floria Lind, antwortet ein wenig scherzend: “Aber Sie haben ja mich.” So war es für mich: Ich bin ja nun wirklich gerne allein und für mich. Aber in dieser Situation als Patientin vor und nach einer größeren Operation erleichterte es mich wie selten, dass da jemanden für mich da war.

Sehr gutes Drehbuch, genau die richtige Kamera für den Stoff (fast ununerbrochen am Gesicht der Hauptfigur), der Schnitt sorgte für einen stimmigen Rhythmus. Da alles sehr realistisch gezeigt wurde, half die durchgehende (immer leicht aufgeregte, aber nie dramatisierende) Musik, den Spielfilmcharakter präsent zu halten.

Theke vor Ladenfenster, darauf ein Sandwich und ein Glas Cappuccino, vorm Fenster nasse Großstadtstraße

Für mein Frühstück setzte ich mich um eins in ein Stehcafé auf einen Barhocker, es gab ein Sandwich mit Sprossen, Karotten, Tofu und einen Cappuccino. Es regnete. Die Zeit bis zur Verabredung an der Neuen Nationalgalerie verbrachte ich im Hotel.

Auf diesem Berlin-Urlaub fühle ich mich schlecht vorbereitet. Nicht nur konnte mich der Fußball-Tsunami kalt erwischen: Ich habe auch keinen Schirm dabei. Gestern regnete es ganz normal, so dass man davon halt nass wird. Mit Schirm wäre ich dennoch zu Fuß zu meiner Verabredung gegangen, hätte Bewegung und Frischluft bekommen. Doch ohne wäre ich nach einer Stunde nass eingetroffen, ich musste die U-Bahn nehmen.

Regennasse Pflasteroberfläche, darauf spiegeln sich zwei große dunkle Skulpturen, im Hintergrund Großstadtsilhouette und düsterwolkiger Himmel

Eigentlich hatten wir uns rechtzeitig für eine der Inszenierungen von Fujiko Nakayas Nebelskulpturen verabredet, doch nach herzlichen Begrüßungsumarmungen und Bekanntmachen mit Begleitung erfuhren wir: Fiel gestern wegen technischer Probleme aus. Na gut, schritten wir gleich zum zweiten Programmpunkt: Die Yoko-Ono-Ausstellung “Dream Together”.

Die war dann recht kompakt in einem Raum, mir gefiel die notwendige Beteiligung der (vielen) Besucher*innen – die meiner Überzeugung nach immer ein Teil von Kunst ist (existiert Kunst ohne Rezeption überhaupt?), in diesem Fall aber auch physisch von ihr gestaltet wird.

Auf einer weißen Tischoberfläche liegen weiße Keramikscherben, Paketschnur, Tesafilm, drei Menschen sitzen daran

An weißen Regalbrettern hängen zwei Klumpen aus Keramikfragmenten, Schnur und These, man sieht den Schatten der Fotografin

Mein Anteil mal wieder das fotografische Festhalten inklusive meiner selbst.

Blick durch Menschen auf einen langen weißen Tisch, auf dem Schachbretter mit nur weißen Figuren stehen, daran Menschen sitzen, die Schach spielen

Wir waren schnell durch, die paareinhalb Exponate hinterließen mich eher ratlos. Plan: Am Donnerstag der andere Teil der Yoko-Ono-Ausstellung im Gropiusbau.

Beim Verlassen des Raums begegnete ich einem meiner ältesten Blogkontakte, @ruhepuls. Auch Berlin ist ein Dorf, ich freute mich sehr.

Nach Hause zu meiner Freundin fuhren wir im Auto – so kenne ich Berlin überhaupt nicht, wahrscheinlich habe die Stadt zuletzt vor über zwölf Jahren durch ein Autofenster gesehen.

Es folgten wundervolle Stunden mit Freundin, Partner, ihren fast erwachsenen Kindern (die sich an mich nicht mehr erinnern konnten, aber ich verfolge sie zwischen den wenigen Begegnungen seit ihren Kindertagen halt auch über vereinzelte Urlaubsfotos ihrer Mutter), Hund. Auf der regnerischen Terrasse wurde gegrillt, ich bekam unter anderem herrliche ausgelöste Hühnerschenkel, abgefahrenen Gurkensalat, Kartoffelsalat. Und zu all dem Kontakt und Gespräche (unter anderem die nachgeholte Erzählung eines Japan-Urlaubs im Vorjahr), wohliges Menschenkuscheln.

Kulinarische Entdeckung war ein Tee, den die Freundin in einem japanischen Mitte-Laden bekommen hatte.

Stehende helle Verpackungstüte, darauf groß

Der Laden liegt nicht weit entfernt vom Hotel, mal sehen, ob ich diese Woche zu Öffnungszeiten hinkomme.

Abschied im letzten Abendlicht, meine Schirm-Lücke wurde durch einen geschenkten aus dem Freundinnen-Haushalt geschlossen. Den brauchte ich dann zwar auf dem Heimweg zu Fuß nicht (keine halbe Stunde – Berlin wird immer kleiner), aber jetzt fühle ich mich besser für die kommenden Tage gerüstet.

Im Bett Start neuer Lektüre: Chloe Dalton, Raising Hare.

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Sonntag, 25. Mai 2025 – Berlin Tag 2: Heldin vormittags, Freundin nachmittags“

  1. rum meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

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  2. Regina meint:

    Danke, den Tee habe ich eben bestellt. Bin sehr gespannt wie er schmeckt!

  3. Sabine meint:

    Jetzt möchte ich wissen, ob das „meine“ digitale Kopie von Raising Hare ist, die ich gestern Abend an die Münchner Stadtbibliothek zurückgegeben habe.

    Der Gedanke an den liebenswürdigen Hasen hat mich letzten Montag durch eine recht nervige Theateraufführung von Sartres Die Fliegen gerettet. Schönes Buch!

  4. N. Aunyn meint:

    Danke für den Filmtipp. Das erste Foto zeigt keinen der Hackeschen Höfe, sondern gleich daneben den Komplex von Haus Schwarzenberg – einen der wenigen Orte, an dem man sich, wenn man die Graffiti wegdenkt – noch vorstellen kann, wie die Ecke kurz nach der Wende aussah. Es ist “Haus Schwarzenberg” – mindestens so interessant wie die Hackeschen Höfe:
    https://haus-schwarzenberg.org/das-haus/haeugig-gestellten-fragen/

    Da diese Ecke “europäisches Flächendenkmal” ist, hat der Denkmalschutz im Detail die Restaurierungen auch für die Hackeschen Höfe vorgegeben. Das war für die Erbengemeinschaft ein wesentlicher Grund, nach der Restitution das Ensemble zu verkaufen, denn Denkmalschutz muß man sich leisten können. Der Investor Roland Ernst – inzwischen auch insolvent – hat dann mit viel öffentlichem Fördergeld die Höfe restariert. Ich kannte sie noch, als dort eine Autowerkstatt war und Menschen vorwiegend deshalb durchliefen, weil es eine Abkürzung zwischen Sophienstraße und S-Bahn war. Diejenigen, die in den 1990iger Jahren die Menschen anzogen (alternative Läden, Kunsthandwerk, künstlerische Initiativen …) sind inzwischen fast alle rausgentrifiziert.

    Berliner Treppenhäuser erzählen viel Sozialgeschichte. Volker Hübner hat dazu Führungen gegeben und ein Buch “Berliner Treppen” geschrieben. Sehr empfehlenswert.

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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