Journal 16. Februar 2010

Mittwoch, 17. Februar 2010 um 6:38

Es ist und bleibt ein Unglück, dass genau in meine morgendliche Radiohörzeit (ca. 6.15 bis 6.55 Uhr) die Kurzpredigt „Wort zum Tage“ im Deutschlandradio Kultur fällt. Die Qualität schwankt zwischen Bullshitbingo aus dem Baukasten, der schon in meiner Kindheit die Bestandteile zu Sonntagspredigten lieferte, und gewollt origineller Erbaulichkeit. Am entspanntesten sind die wenigen Wochen (die Prediger und Predigerinnen treten immer wochenweise auf), in denen ein Vertreter des Judentums spricht (Muslime kamen bislang nicht vor): In deren Wort zum Tage geht es am wenigsten um Religion. Hier ein paar Zitate aus Momenten, in denen ich nicht konzentriert genug weghörte:

„Wir sind also unterwegs zur ewigen Fröhligkeit.“
„Eine tiefsinnige theologische Wahrheit aus dem Mund eines Achtjährigen!“
„Und ich höre in mir das Nachklingen eines Bibelverses.“

Jaja, ich weiß: Gott will uns prüfen. Doch wie bemerkte einst Woody Allen: „Wenn er das will – könnte man die Prüfung nicht schriftlich machen?”

Dazu passt ganz wunderbar die Aufnahme einer Rede von Stephen Fry, die er im Oktober 2009 Jahr bei Intelligence Squared hielt und in der er rhetorisch vorbildlich die These vertritt, dass die Katholische Kirche ausgesprochen schädlich ist. Mir gefällt besonders, dass Herr Fry zunächst ausführlich deutlich macht, dass sich sein Beitrag nicht gegen Individuen richtet, die gläubig sind und aus diesem Glauben großen Trost ziehen – sondern gegen die Ausrichtung der Katholischen Kirche und ihrer offiziellen Vertreter. Geschickt entkräftet er auch das Argument (das offensichtlich ein Vorredner oder eine Vorrednerin angeführt hat), die Katholische Kirche tue Gutes für die Armen der Welt. Sehr zu empfehlen.


The Intelligence² Debate – Stephen Fry (Unedited)
(via nerdcore)

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In meiner kleinen Ecke des Internets sind es unter den Deutschsprachigen die Vetreter traditioneller Medien, die aus verschiedenen Gründen auf Blogs eindreschen, meist ausgehend von dem Grundirrtum, Blogs sähen sich als ihre Konkurrenten.

Währenddessen wird in einem anderen Teil des Internets unter deutschsprachigem Bildungspersonal über die Auswirkungen der Webmedien auf Bildung und Ausbildung gestritten. Die extremen Befürworter sehen in Blogs (z.B. „Edu-Blogs“), Wikis etc. die einzige Zukunft der Bildung (Schule und Hochschule), die extremen Gegner sehen darin auf verschiedene Weise den Untergang des Abendlandes.

Derzeit geht ein Sturm durch diese Szene, der mit dem Hegemann-Gehackel in meiner Ecke des Internets vergleichbar ist. Er wurde verursacht durch einen Aufsatz „Ansichten zur Kommentarkultur in Weblogs“ (PDF) von Rolf Schulmeister (keine Witze über Namen).

Das Blog von Herrn Larbig fasst die Diskussion zusammen, beurteilt sie und verlinkt Beiträge. (Falls jemand aus meiner Internetecke mal Lust hat, in eine andere Ecke des Internets zu schauen.)
(via Adventures in the Tulgey Wood)

Interessante Diskussionsüberschneidung: Auch Pädagogikprofessor Rolf Schulmeister ist der Ansicht, dass es keine Generation von digital natives gibt.

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Ich kann mich noch an Jahre erinnern, in denen am Faschingsdienstag ab Mittag alle Büros ausgestorben waren. Die sind wohl vorbei – zumindest bei uns war dieser Dienstag ein ganz normaler Arbeitstag. An dem in der Teeküche ein großer Teller mit Krapfen stand. (Die Mangos von gestern schmeckten übrigens vorzüglich – ich werde nie wieder behaupten, asiatische Mangos seien grundsätzlich besser als lateinamerikanische.)

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Doch meine Arbeitslast hat sich so weit normalisiert, dass ich nach vier Wochen Zwangspause endlich wieder in meine dienstagsabendliche Stepstunde gehen konnte. Noch dazu war die vertretende Vorturnerin eine meiner Lieblinge: Diese Dame ist nicht nur ein sehr angenehmer Anblick (Typus Langstreckenschwimmerin gemischt mit Pallas Athene), sie legt auch Choreographien hin, die sich gewaschen haben. Und in einer Fortestgeschrittenenstunde nimmt sie zudem keine Gefangenen: Sie wünscht nicht, wie ihre Kolleginnen, „viel Spaß!“, sondern „viel Glück!“ – das (und ordentlich Konzentration) braucht man auch, um ihre sauber aufgebauten, perfekt durchgezählten, aber halt originellen und sehr off-beatigen Choreographien mitzuturnen. Sind sie zu schwer – bist du in der falschen Stunde. Was diese Dame allerdings unwiderstehlich macht: Sie amüsiert sich von Herzen über uns Turnerinnen. Hin und wieder treibt sie ihre Choreographien auf die Spitze, indem sie noch abgefahrenere Variationen oder zusätzliche Armchoreographien vorschlägt; und wenn wir Turnerinnen dann kläglich am Versuch der Nachahmung scheitern, lacht sie herzhaft. Das ist kein Auslachen, sondern echtes, mitreißendes Vergnügen, ganz unten aus dem Bauch. Oh Mann, hatte ich das vermisst!
(An Musik gab es dazu Klänge, die im Tatort immer in verruchten Großstadtdiskotheken mit flackerndem bunten Licht gespielt werden, die zu verschwitzten Leibern passen sollen.)

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Der Mitbewohner erfüllte meinen am Vorabend geäußerten Wunsch nach Cocktails (Singapore Sling sowie MaiTai) und Guacamole, zudem gab es gebratene Kartoffel- und Knollenselleriewürfel.

Wetter: Verschneit aber sonnig mit wolkenlos blauem Himmel – nein wirklich!

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal 16. Februar 2010“

  1. ilse meint:

    mmhm – Cocktails könnten ja auch ein kreativer Beitrag zu einem Kochclub sein!
    und Stephen Fry sieht immer mehr aus wie Miss Marple – bless.

  2. Nicky meint:

    Bullshitbingo – mein Wort des Tages ;)

  3. fressack meint:

    Simply brilliant.

  4. Mareike meint:

    Danke für die Links – sehr spannend!

  5. peppinella meint:

    ähm…..das les ich morgen mit klarer birne nochmal. und: erwähnte ich eigentlich schon, dass ich gerne steppen können würde?

  6. Elbnymphe meint:

    Such wit! Such compassion! Man darf (als eh schon am Katholizismus Verzagende) Herrn Fry nicht allzu aufmerksam lauschen, sonst fällt man wirklich bald vom Glauben ab. Was er sagt, klingt leider allzu plausibel.

  7. Angel meint:

    Ist schon ein Weilchen her, der Eintrag, aber diese Episode von Tales of Mere Existence passt trotzdem dazu:
    http://talesofmereexistence.com/wp/?p=102

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