Journal 18. März 2010

Freitag, 19. März 2010 um 6:40

Dass Schönheit leiden muss, macht uns ja bereits das Sprichwort klar. Das gilt auch für Geschirr. Weil nämlich: Die Tassen, die meine arbeitgebende Firma ihren Mitarbeitern stellt, sind mir zu klein. Also habe ich mir zwei Stück des abgebildeten Rosenthal-Modells gekauft, denn, wie eine der großen Denkerinnen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts so schön sagte: „Wie soll ich schöne Gedanken haben, wenn ich von hässlichen Dingen umgeben bin?“

Auch meine Kollegen und Kolleginnen bevorzugen größere Tassen als die vom Arbeitgeber gestellten. Die meisten bringen also welche mit, gerne mit humorvoll gemeinter Aufschrift, jahreszeitlichen Emblemen oder mit Werbebeklebung. Meine beiden Exemplare sind die mit Abstand schönsten. Was wiederum zur Folge hat, dass sie von denjenigen der ca. 50 Nutzer der einzigen Teeküche auf dem Stockwerk bevorzugt werden, die keine eigenen Tassen haben. Stelle ich sie abends benutzt in die Geschirrspülmaschine, hat sie sich am nächsten Morgen meist schon jemand geholt. Die Folge: Will ich meine eigenen Tassen auch selbst benutzen, muss ich sie abends von Hand spülen und an meinem Arbeitsplatz lagern.

Sie begreifen jetzt hoffentlich die monumentale und problematische Komplexität meines berufstätigen Daseins.

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Solange bestimmte Bevölkerungsgruppen in Machtpositionen rare Einzelfälle sind, wird nicht nur jegliches Fehlverhalten schnell in Zusammenhang mit ihrer Gruppezugehörigkeit gebracht, sondern auch Kritik an ihnen allzu leicht mit Vorbehalten der Bevölkerungsgruppe gegenüber erklärt. Siehe: unfähige Abteilungsleiterin. Siehe: fragwürdiger schwuler Außenminister.

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Over the last few years, fat people have become scapegoats for all manner of cultural ills. “There’s an atmosphere now where it’s O.K. to blame everything on weight,” said Dr. Linda Bacon, a nutrition researcher and the author of “Health at Every Size: The Surprising Truth About Your Weight” (Benbella, 2008). “If we’re worried about climate change, someone comes out with an article about how heavier people weigh more, so they require more fuel, and they blame the climate change crisis on fatter people. We have this strong belief system that it’s their fault, that it’s all about gluttony or lack of exercise.”

(…)

Some of the most blatant fat discrimination comes from medical professionals. Rebecca Puhl, a clinical psychologist and director of research at the Rudd Center for Food Policy and Obesity at Yale, has been studying the stigma of obesity for more than a decade. More than half of the 620 primary care doctors questioned for one study described obese patients as “awkward, unattractive, ugly, and unlikely to comply with treatment.” (This last is significant, because doctors who think patients won’t follow their instructions treat and prescribe for them differently.)

Dr. Puhl said she was especially disturbed at how openly the doctors expressed their biases. “If I was trying to study gender or racial bias, I couldn’t use the assessment tools I’m using, because people wouldn’t be truthful,” she said. “They’d want to be more politically correct.”

Despite the abundance of research showing that most people are unable to make significant long-term changes in their weight, it’s clear that doctors tend to view obesity as a matter of personal responsibility.

Die New York Time stellt fest, dass Diskriminierung adipöse Menschen krank macht.

Es verschlägt mir immer wieder die Sprache, mit welch bodenloser Verachtung dicke Menschen für alles Übel, das ihnen widerfährt, selbst verantwortlich gemacht werden. Und welche Übel ihnen zunächst mal unterstellt werden.

via La Gröner

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Kleine Katastrophe in einem meiner Projektergebnisse wirbelt die Abteilung durcheinander. Schaden ungewiss.

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Große Freude über Zusammenarbeit mit einem Kollegen im Tochterunternehmen, der nicht nur ausgesprochen kompetent, begeistert und unkompliziert ist, sondern auch überhaupt keine Pfründe verteidigt.

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Abendlicher Weg zur Muckibude gibt mir dann doch noch Gelegenheit, eindeutige Frühlingslüfte um die Nase wehen zu lassen.

die Kaltmamsell

25 Kommentare zu „Journal 18. März 2010“

  1. Nathalie meint:

    Ich habe meine Tasse jeden Abend von Hand gespült und in meinen Schreibtisch gestellt. Kam mir völlig bescheuert vor.
    Als ich es einmal nicht tat, mein Mitarbeiter (!) sie nahm, daraus Kaffee trank, in der Nachbarabteilung in die Spülmaschine stellte und sie dann verschwand – traf ihn die ganze disziplinarische Macht der Chefin. Er ging – nach mehrfacher Mahnung, meine Tasse wieder aufzutreiben – zu Kustermann und kaufte mir eine neue.
    Manchmal muß man Prinzipien haben.

  2. Sebastian meint:

    Und was kommt in die Tasse rein?

  3. Marqueee meint:

    Ich finde es eine höchst reizvolle Vorstellung, dass viele der klassischen “Bürotassen” vor allem deswegen so hässlich sind, um sicherzustellen, dass sie nur vom Mitbringenden benutzt werden.

    Überhaupt: Das wäre mal eine schöne Bildstrecke für das SZ- oder auch Zeitmagazin. Bürotassen-Schränke bzw. deren Inhalt. Ob es wohl je nach Branche signifikante Abweichungen gibt?

  4. Bolliskitchen meint:

    ich geh zum café schnell rüber ins Deux Magots oder Flore…..also keine Probleme mit den Tassen…..

  5. Hande meint:

    Ich bin gerade in einer Phase wo ich am liebsten alles um mich herum in weiss haben möchte (design sponge und remodalista sei dank) und diese Tasse könnte der Anfang sein. Allerdings trinke ich nie Kaffee zu Hause (runter zu Antonini!) und Tee schmeckt mir in letzter zeit auch nicht…..
    PS: wie wär’s mit Namen eingravieren? Am Boden (innen)?

  6. die Kaltmamsell meint:

    Ich komme mir ja auch bescheuert anal vor, dass ich auf diesen meinen eigenen Tassen beharre. Den Tag über, Sebastian, trinke ich aus der einen Kräuter- oder Früchtetee. Und ein oder zweimal am Tag hole ich mir mit der anderen in der Cafeteria des Hauses Latte Macchiato.

    Bürotassenschränke fände ich auch eine sehr interessante Fotostrecke, Marqueee. In der ersten, sehr durchdesignten Agentur, in der ich gearbeitet habe, herrschte ein audrückliches Verbot, eigenes Geschirr mitzubringen. Die Geschäftsleitung stellte aber auch sehr schönes und gutes in ausreichener Menge zur Verfügung (Walküre).

  7. Sus meint:

    Da ich morgens verhältnismäßig früh zur Arbeit gehe, finde ich meine Tasse (fast) immer frisch gespült an ihrem angestammten Platz im Bürotassenschrank. Nur wenn ich in Urlaub gehe, sperre ich sie in meinen Schreibtisch.

  8. kelef meint:

    pruust.

    nach einer übersiedlung der firma war noch kein geschirr in den stockswerksküchen. netter mensch, der ich bin, latschte ich in den keller und packte zwei grosse KÜBEL voll mit den tellern, die eigentlich für diverse veranstaltungen, zum ausleihen etc. gedacht waren – hatte ich aus der entrümpelung eines restaurants gekauft: unkaputtbares weisses gastrogeschirr, tassen, unterteller, teller, servierplatten. packte also alles in ein taxi und lud es in der eigenen stockwerksküche ab.

    was soll ich sagen: nach zwei wochen begab ich mich jeden zweiten tag auf die jagd nach meinem geschirr – in neun verschiedenen stockwerksküchen.

    nach zwei monaten war kaum mehr etwas auffindbar.

    dann nahm ich mir EIN häferl mit – ungarische keramik, passte genau in die schreibtischlade. vor dem nachhausegehen abgewaschen.

    mehrfach festgestellt, dass das format sehr beliebt war …

    dann dazu übergegangen, das ungewaschene häferl abends in die schreibtischschublade zu stellen, und erst in der früh für den ersten kaffee händisch zu spülen.

    nicht dass ich das aus hygienischen gründen geschätzt hätte: aber dann war ruhe.

    einmal vor dem urlaub vergessen, kollegin meinte es gut und tat das häferl in den geschirrspüler. ich brachte dann ein neues von zu hause mit …

  9. togibu meint:

    32 Jahre Tätigkeit in Büros mit täglichem zweimaligem Kaffee- und Teetrinken (und gemeinschaftlichem Von-Hand-Abspülen) hat mich von der Gültigkeit des Naturgesetzes überzeugt, dass wahre Hässlichkeit praktisch unzerstörbar ist: Während die Tassen, die mir entweder meine werte Gattin oder wohlmeinende Kollegen (z.B. zum Geburtstag) schenkten, selten länger als 1 Monat überlebt haben, sind Tassen mit gräßlichem Werbeaufdruck praktisch unverwüstlich und überleben sogar mehrere Abstürze ins Spülbecken, auch wenn der Henkel manchmal etwas leidet (aber dennoch nicht abbricht).

    Ich habe mich jetzt damit abgefunden, dass ich halt keine schöne Tasse haben soll/darf.

    (Vielleicht sollte ich mal via Sheng-Fui eine entsprechende Bestellung beim Universum aufgeben).

  10. togibu meint:

    P.S. @Frau Kaltmamsell:

    Sehr schöne Tasse.

  11. marion meint:

    wow, Arbeitsplatz mit Büro-Geschirrspülmaschine.

    Im 25. Berufsjahr bin ich inzwischen soweit, mir Kaffee in der Heißhaltekanne sowie 1 Tasse von zu Hause mitzubringen und nach Feierabend auch wieder mit nach Hause zu nehmen und dort in die Maschine zu stellen (die Tasse).

    Ja zu dem was Sie über Diskriminierung sagen/zitieren.

    Meiner Verschwörungstheorie nach ist es auch so: soll jemand aus seiner Position geschubst werden, wird gegen die Person alles an Geschütz aufgeboten, was vermeintlich zu finden ist, auch Sachverhalte, die in anderen Fällen oder bei anderen Personen zumindest stillschweigend geduldet würden. Da muss ich nur mal an einen Verteidigungsminister denken, der vom Fahrrad gefallen war oder eine wehrhafte Gesundheitsministerin oder eine Dame die Ihren Gatten mit dem Dienstwagen zum einkaufen schickte. Was man ihnen damals vorwarf ist vermutlich sehr weit verbreitetes Verhalten, und dem einen oder der anderen wird es dann zum Strick gedreht. Aus ganz anderen Gründen.

  12. die Kaltmamsell meint:

    Achja, mariong, die Stelle in der Zentrale eines Großkonzerns bringt einige Bequemlichkeiten mit sich, darunter VIP-Behandlung bei Computerproblemen und Geschirrspülmaschinen. (Leider sind sich die meisten Kollegen und Kolleginnen dieser Privilegien gar nicht bewusst.)

    Tassen-Sheng-Fui, togibu, halte ich für eine großartige Geschäftsidee.

  13. adelhaid meint:

    meine ‘the truth is out there’ tasse ist auch immer unterwegs. hängt vielleicht auch mit der firma selbst zusammen…

  14. Mareike meint:

    Meine (wenig hübsche) Tasse lagert im Rollschrank unterm Schreibtisch. Spätestens seit aus der Stockwerksküche das von mir gekaufte Spüli und die zugehörigen Schwämme (auf Vorat im Schrank deponiert) verschwunden sind, find ich das auch richtig. Schade, dass das schmutzige Geschirrhandtuch nicht ähnlich regelmäßig verschwindet…

  15. Alice meint:

    Geschirrspuelmaschine gibt es bei meinem Arbeitgeber auch. Aber es ist in einer Vereinbarung festgelegt, dass keine eigenen Tassen den Schreibtisch zieren dürfen, sondern nur Tassen des Arbeitgebers, mit Werbedruck für die Produkte.

  16. dulsberg-nord meint:

    Komisch, meine Kaffetasse hat noch nie jemand benutzen wollen.

  17. croco meint:

    Wie beim Staat so üblich, bringt man seine Sachen selbst mir, die man braucht.
    So hatten wir lange eben die gesammelten studentischen Haushaltsüberreste des pädagogischen Peronals. Bis einer die Nerven velor und den Beschluß anstrengte, aus der Kaffeekasse Hotelporzellan zu kaufen. Diese Tassen haben schnell Beinchen bekommen, man kaufte nach. Langsam tauchen aber wieder diese Studententassen aus der Versenkung auf. Übrigens sind meine Tchibotassen, braun mit beigem Rand immer noch dabei: 80iger Jahre

  18. nik meint:

    Wie wärs mit nem Vorhängeschloss durch den Henkel? :)

  19. Ms K meint:

    Bin ich froh, dass wir dieses Problem nicht haben. Bei uns gibt es einige haessliche Tassen, meist ungeliebte geschenke. Jeder verwendet die, die er will. Ich wuerde nie auf die Idee kommen, eine eigene tasse mitzunehmen – dann muesste ich mich ja dauernd aergern, wenn sie weg ist…
    Und wenn ich mal selber etwas in den geschirrschrank stelle, dann weiss ich, dass ich das moeglicerweise nicht mehr lange sehen werde. dementsprechend suche ich aus, was hineinkommt ;)

  20. Anne meint:

    Im Bastelbedarf gibt es Porzellanmalstifte, die neueste Generation angeblich auch ohne Einbrennen spülmaschinenfest. In Gold außen die Unterschrift kalligraphieren? Innen in Warn-Rot ein “Pfoten weg, meine?” (Ja, das verträgt sich nicht mit dem Design. Aber…)

  21. Indica meint:

    Frau Kaltmamsell, haben Sie die “Bürotassengalerie” bei Herrn Markus anno 2006 verpasst? Ich glaube, damals waren schwerpunktmäßig Freiberufler beim “Zeigt-her-eure-Bürotassen”-Spiel involviert. Meine damals gezeigte “Ich-gehe-meinen-eigenen-Weg”-(Porzellan)-Tassse habe ich immer noch im Schrank.

    Auch ich bin heute weißer Porzellantassen-Radikalist. Schließlich kann immer mal Besuch ins Kabäuschen einkehren, dem ich keine Lila-Kuh- oder Braune-Töpferwerkstätten-Tassen zumuten möchte. Ich habe mir deshalb – privat- drei China-Bone-Tassen zugegelegt. Im großen Büro tummelt sich das große Sammelsurium der Ausgemusterten sowie ein Satz Weißes, Gutes, das eigentlich zu Meetings und Kundengesprächen benutzt werden sollte. Dieses Abteilungsgeschirr wiederum wird so unerbittlich von unserem Bestände-Zerberus, der unsere Abteilungsschätze mit Hausfrauen-Argusaugen bewacht, dass ich kürzlich ein Machtwort aussprechen musste, damit wir den Abschiedskuchen unserer Premiumpraktikantin davon verspeisen durften…

    Anschließend: Eine Spülmaschinenladung in der Gemeinschaftsteeküche für uns allein. Alles, was Sie dort hineinstellen, bekommt sonst schneller Beine als Sie gucken können. Deshalb wird im Normalfall händisch gespült oder wenn eine Kollegin Chefsekretärinnen-Vertretung ist, die chefliche Spülmaschine mitbenutzt.

    Merkwürdig, ich habe schon super funktionierende Teeküchen erlebt, selbst firmenübergreifend. Aber in der jetzigen Firma funktioniert das überhaupt nicht.

  22. Indica meint:

    Verzeihen Sie bitte den missglückten Versuch, einen Link auf Herrn Markus zu setzen. Bin halt Textpattern-Benutzerin und im Eifer des Geschehens ist mir das durchgegangen. Ob Sie das vielleicht korrigieren könnten…? Denn die Kollektion dort ist wirklich sehenswert.

  23. die Kaltmamsell meint:

    Vielen Dank für den Hinweis auf Herrn Markus (Link repariert), Indica, das ist ja großartig! Auf genau diese Idee war ich eben beim Schwimmen gekommen.

    Dass Büropersonal zu rücksichtlosem Diebstahl neigt (lassen wir doch einfach mal die Verniedlichung “bekommt Beine”), höre ich auch von unserem Kantinenchef: Er kauft wohl jeden Monat Dutzende neue Macchiato-Gläser und Capuccino-Tassen. Und ich lege meine Hand ins Feuer, dass niemand der Kollegen und Kolleginnen im Hause bedürftig ist.

  24. Markus meint:

    Sehr schöne weiße Tasse, Frau Kaltmamsell; da hat jemand Geschmack bewiesen.

    Und danke schön, liebe Frau Indica, für den Hinweis auf unsere Bürotassen-Galerie aus alten Tagen. Beinahe vier Jahre ist das nun schon her. Schade nur, dass die Verweise von den einzelnen Tassen hinüber in das Exit’sche Blog ins Leere laufen (obwohl die Artikel mit allen Kommentaren dort noch existieren, aber man muss das geheime Zauberwort kennen, um URL-konfigurierend Einlass in den Salon zu bekommen). Wenigstens hatte ich mir damals bei Erstellung der Galerie die Mühe gemacht, die Tassen-Beschreibungen zu übernehmen, so dass sie nun auch der Nachwelt, die nicht zum Leserkreis des Herrn Exit gehört, noch zur Verfügung stehen.

  25. Sebastian meint:

    @kaltmamsell
    Äh, sollte das wirklich heißen „bescheuert anal, dass ich auf diesen meinen eigenen Tassen beharre”? In dem Fall würde ich als Kollege sogar darauf bestehen!

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