Bachmannpreis 2011, der Sonntag

Montag, 11. Juli 2011 um 11:13

Nachmittags, im Schatten, den die Eiscafé-Sonnenschirme aus der brutalen Hochsommersonne schnitten (‘schulligung, in mir bachmannpreist es noch), sage ich: „Noch freue ich mich, dass ich nicht schon heute Morgen abgereist bin.“ Und unke1: „Aber das könnte sich geändert haben, wenn ich spät nachts mit zwei Stunden Verspätung am Münchner Bahnhof ankomme, haha.“

Es waren dann knapp vier Stunden Verspätung, ich habe es dennoch nicht bereut, die Preisverleihung gesehen und erst den Zug um 16.29 Uhr von Klagenfurt nach München gebucht zu haben. Zum einen hätte mich auch eine frühere Buchung nicht vor der SMS meiner Eltern bewahrt, in der sie mich informierten, dass ein gemeinsamer Freund in Spanien tödlich verunglückt sei und sie sich derzeit zur Beerdigung in seinem andalusischen Geburtsort aufhielten. Zum anderen wäre ich um ein Abenteuer mit anderen Klagenfurt-Schlachtenbummlerinnen gebracht worden.

Manche sagen, Burkhard Spinnen werde zu Beginn der Tage der deutschsprachigen Literatur auf seinem Sessel im ORF-Studio festgeklebt und erst nach Überreichung der Preise davon gelöst. Das kann zwar nicht stimmen, weil er jeden Tag andere Kleidung trug, doch er schien tatsächlich jeden Morgen als erster im Studio zu sitzen und es als letzter zu verlassen.

Die Bestimmung der Preisträger und Preisträgerinnen sah ich nun doch vom Presse-Café aus: Die Sitzplätze im Studio waren nachvollziehbarerweise fast alle für die Beteiligten reserviert. Weder Shortlist noch Votum überraschten mich, machten mich aber auch nicht glücklich.

Die Mittagshitze, durch die ich mit einem weiteren verbliebenen Bachmannpreis-Schlachtenbummler zu einem Innenstadt-Café schlenderte, tendierte Richtung brüllend. Darin im Interview: die Bachmannpreisträgerin 2011, Maja Haderlap – Gratulation.

Beim Abholen des Koffers aus dem Hotel erreichte mich die oben erwähnte Todesnachricht. In der folgenden Erschütterung wollte mir nicht mehr einfallen, wozu ich für die übersichtliche Bahnfahrt von fünf Stunden Proviant einkaufen sollte: Appetit würde ich so schnell nicht mehr bekommen, zwei Flaschen Wasser würden reichen. Vor dem Zugfenster ungerührtes Hochsommeridyll.

Es war ein Unwetter in Südbayern, das die Strecke zwischen Prien und Rosenheim unpassierbar machte. Die Folge: Über eine Stunde Stehen in Freilassing, umsteigen in Busse zwischen Prien und Rosenheim – alles erwartbar zögerlich, langsam und von Warterei unterbrochen, dazwischen sehr wenige Informationen. Proviant wäre dann doch eine gute Idee gewesen.

Der EC war nicht nur mit Bachmannvolk bestückt (meist erkennbar an grellgrünen Taschen), sondern auch mit zahlreichen Touristen aus ganz weit weg. Ich möchte nicht wissen, was die später daheim erzählen. (Im Fall der indisch oder pakistanisch aussehenden und klingenden Gruppe stelle ich mir vor, dass sie künftig darauf verweisen, in Europa funktioniere der Bahnverkehr auch nicht besser als bei ihnen – wobei auch noch verantwortungslos ineffizient mit Platz umgegangen werde, bei ihnen hätte man doppelt so viele Leute in die Busse bekommen). In Rosenheim warteten wir auf einen Zug nach München. Das war dann derselbe EC 110, aus dem wir in Prien in Busse gewechselt hatten: Die Strecke war mittlerweile geräumt.

Ankunft in München um 1.20 Uhr statt um 21.33 Uhr. Zumindest gehörte ich zu den wenigen aus der Bachmannpreis-Fankurve, die somit daheim waren und nicht auch noch nach Weiterfahrten oder Übernachtungsmöglichkeiten suchen mussten.

Jetzt Übelkeit vor lauter Gefühlssalat: Freude und überströmendes Herz mit neuen Gedanken und menschlichen Verbindungen / Sinken von Fassungslosigkeit in Weh und Trauer über den Tod eines besonderen und guten Menschen, der mich und meinen Lebenslauf geprägt hat. (Dass ich bloß nicht in dieser übermüdeten Wackligkeit anfange zu weinen.)

(Lesehinweis: Klagenfurtkandidatin Antonia Baum schreibt in der FAZ, wie es ist, in Klagenfurt vorzulesen. via der Freitag)

  1. sehr schönes und besonderes deutsches Wort: unken []
die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Bachmannpreis 2011, der Sonntag“

  1. Liisa meint:

    Mein Beileid zum plötzlichen Verlust Ihres Freundes!

    … und danke für die – wie immer kompetente – Berichterstattung aus Klagenfurt, die ich mit großem Interesse auch dieses Jahr bei Ihnen verfolgt habe.

  2. Angela Leinen meint:

    Danke, Frau Kaltmamsell, alles war wunderbar!

  3. Sammelmappe meint:

    Weinen im Trauerfall erscheint mir ein passendes Verhalten zu sein – auch wenn es nicht zwanghaft immer zusammen gehört.

    Das waren jedenfalls aufregende Tage und ich wünsche dir, dass der Gefühlssalat sich etwas lichtet.

  4. philine meint:

    Liebe kaltmamsell, das tut mir leid für Sie. Bericht wie immer wunderbar und nächstes Jahr werde ich mit von der Partie sein, denn das Schwimmen dort möchte ich nicht missen, wiewohl ich ein Foto von der oragenen Badehose vermisse. Das mach dann ich nächstes Jahr.

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