Christian Stöcker, Nerd Attack!

Samstag, 14. Januar 2012 um 14:30

Selbstverständlich ordne ich ein Buch zunächst nach seinem Umschlag ein, und so erwartete ich hinter dem Titel und der Titelillustration von Christian Stöckers Nerd Attack! ein weiteres launiges Generation-XY-Buch. Das mich überhaupt nicht interessierte. Doch gleich die ersten Besprechungen aus vertrauenswürdigen Quellen lobten das Buch fundiert; ich setzte es auf meine Wunschliste und nun habe ich es gelesen: Dicke Empfehlung. Nerd Attack! ist nicht nur nicht launig, wenn auch durchaus pointiert und witzig, sondern das Beste, was ich je auf Deutsch über die Wechselwirkung zwischen Computertechnik und Gesellschaft gesehen, gehört, gelesen habe.

Stöcker beschreibt, wie diese neue Technik aus seiner Sicht das gesellschaftliche Bewusstsein und politische Prozesse verändert hat, weltweit im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen. Er spielt sehr nachvollziehbar seine Thesen durch, woher die eigenartige breite und fast schon apokalyptische Abwehr in Deutschland gegen dieses Computerdings kommt – endlich mal nicht beschränkt auf das Nationalstereotyp „die Deutschen sehen halt immer eher Risiken als Chancen“ (was Deutschland wohl kaum zur führenden Ingenieursnation gemacht hätte). Das ist unter anderem deshalb so spannend zu lesen, weil es seine persönlichen Erlebnisse, sein eigenes Großwerden mit dieser Technik einwebt, (ohne in die Falle schlechter Argumentierer zu tappen, seine Einzelerlebnisse als Beweise zu verwenden). Stöcker bringt viele Fakten als Belege unter und enthält sich ganz des polemischen Tonfalls, der mich in der Mediendiskussion um die Auswirkungen von Computer- und Internettechnik so nervt.

Selbst habe ich die Zeit vor dem World Wide Web nicht so erlebt, kenne als Nerd-Groupie aber viele dieser Erlebnisse aus Erzählungen (was zur Folge hatte, dass ich alle Naslang zu meinem Haus-Nerd rannte und ihm Passagen aus Stöckers Buch vorlas, die ich fast wortgleich von ihm gehört hatte – allein schon „ Hermkes Romanboutique“!). Sehr gefiel mir, wie viele Frauen in Nerd Attack! vorkommen, angefangen en passant bei den beiden Schwestern, mit denen Stöcker seine C64-Spiele spielte. Auch das kenne ich aus Erzählungen und durch Bekanntschaft mit Nerdinnen und habe mich schon immer gewundert, dass sie so selten Teil der Berichterstattung sind. Stöcker aber kennt Informatikerinnen genauso wie technik-versierte Journalistinnen und zitiert Computerhistorikerinnen.

Eine kleine Vergnatzung bleibt dennoch: Wieder wird die Altersgrenze der digitalen Einwohner bei den Unter-40-jährigen gezogen. Ist das denn wirklich, wirklich so? Ist meine persönliche Wahrnehmung tatsächlich die Ausnahme, die ich zahlreiche C64-Nerds mit Mitte 40 und älter kenne? Sind sie, die unter anderem die ersten Generation Bloggerinnen waren1 wirklich eine zu vernachlässigen kleine Avantgarde?

  1. Da ich relativ früh dran war, aber bereits vorgefertigte Blog-CMS nutzte, zähle ich mich zur zweiten Generation. []
die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Christian Stöcker, Nerd Attack!

  1. Naekubi meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

    *******************************************************

  2. uvo meint:

    Liebe Kaltmamsell, der Autor scheint der Sohn meines ersten PR-Chefs in Würzburg zu sein. Wenn auch stets umstritten, war / ist er zweifellos ein sehr kluger Kopf. Der Sohn offensichtlich auch! Nun bin ich neugierig auf das Buch :-) Danke für die Rezession!

  3. uvo meint:

    Rezension natürlich :-)

  4. Alessa meint:

    Schon als das Buch unter Ihrem “Ich lese gerade” erstmals angezeigt wurde, war mein Interesse geweckt und ich hoffte, dass Sie nach der Lektüre noch ein paar Zeilen dazu schreiben würden – danke dafür. Wird gekauft.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Mensch klar, uvo – er schreibt ja auch, dass er in Würzburg groß geworden ist! Solche Zufälle…

  6. Gudrun meint:

    Für die Altersgruppe jenseits der 40 muß man woanders suchen, denke ich. Da gibt es dann jenseits C64 etc. Frauen, die Mainframes programmiert haben, dort Projekte durchgeführt haben. Ist aber vielleicht nicht so populär.

    lg gudrun

  7. Alicja meint:

    40 ist eine sehr nette Grenze, weil mit “0” hört sich immer gut an. Tatsächlich ist es eher 45. Die erste Welle der PCs, “IBM-kompatibel”, begann etwa vor 25 Jahren. Die 40-Jährigen sollten daher selbst in der Oberstufe schon irgendwie mit einem Computer in Berührung gekommen sein. Ich bin 47 und habe als Studentin noch Lochkarten gelocht, Mit Zeileneditoren an Mainframes programmiert und die Ausdrucke im Postfach beim Rechenzentrum eine halbe Stunde später abgeholt. Also ein ganz anderer Schnack. Das war eine Zeit, in dem Abschlussarbeiten noch per Hand geschrieben worden sind und dann professionell abgetippt. Erstes Semester “Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten”: Karteikarten anlegen lernen. Alles Dinge, die 40-Jährige nicht mehr derartig erfahren haben sollten.

  8. AnkeD meint:

    ich bin jetzt 48, habe 1987 angefangen, mit “Compugrafic” schriftzusetzen, irgendwann kam der Mac, seit 1994 bin ich privat online, arbeite jetzt seit 8 Jahren in einer Schule, wo ich unter dem ganzen weiblichen Lehr- und Betreuungspersonal die einzige bin, der Computer geheuer sind.

  9. Frau-Irgendwas-ist-immer meint:

    Ja, schön was über das Buch zu lesen, auch ich habe darauf gehofft, das Sie uns einweihen und neugierig machen.
    Danke dafür!

  10. Dentaku meint:

    40 bis 45 ist realistisch die Grenze der Leute, die schon als Kinder mit dem Computer rumspielen konnten. Dass das weder notwendige noch hinreichende Vorraussetzung ist, um ein Nerd zu werden, war doch auf genau dieser Seite schon überzeugend dargelegt.

    (wowardasnochgleich … ach ja: da)

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