Introverts, Teil 2

Montag, 26. März 2012 um 8:45

Das Posting über introverts zieht Kreise, und ich freue mich sehr über all die Informationen, Gegenargumente, Querverweise, die ich dazu bekomme, als Kommentare, E-Mails, via Twitter, über Tortenstücke auf einem Kaffeehaustisch hinweg. Im Moment bin ich unsicher, ob die Beschreibung aus The Atlantic überhaupt nützt. Zumal all diese Zusatzinformationen den Verdacht nahelegen, dass ich mich zu voreilig in die Gruppe der introverts eingereiht habe. Meine daraus resultierenden Gedanken bekomme ich nicht in eine argumentative Linie, deswegen hier fragmentarisch.

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Extrovertierte und Introvertierte verstehen die Lebenshaltung des anderen kaum. So ist die Empfehlung einer Extrovertierten gerne: „Du solltest mehr rausgehen, verkriech dich nicht immer.“
Die Introvertierte hingegen empfiehlt: „Du musst erst mal lernen, mit dir selbst klarzukommen.“
Ich zucke definitiv bei erster Aufforderung zusammen und wehre ab (außer es geht ganz wörtlich um das Draußen, das mit Blumen und Flüssen und Wetter).

Gleichzeitig fühle ich mich eher von Introvertierten angezogen. Diese „10 Myths About Introverts“ habe ich nie geglaubt.

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Doch ansonsten: Meine Wahrnehmung ist die einer Extrovertierten. Ich habe große Antennen, nehme sehr viele Impulse auf, ständig von überall (und selbst, wenn ich gar nicht will und erschöpft bin). In der Abteilung, in der ich arbeite, bin ich die einzige, die das Großraumbüro großartig findet – weil ich ohne Anstrengung viel mitbekomme. Die Jahre, in denen ich als Privileg in einem Einzelbüro saß, waren für mich schrecklich.

Ich lerne auch am liebsten von Menschen, habe während meines Studiums am meisten von Seminaren und dem dort stattfindenden Austausch profitiert, bin in Vorlesungen gegangen, war von Dozenten zu motivieren. Der Mitbewohner hingegen, wahrscheinlich ein echter introvert, hätte sein gesamtes Studium daheim absolvieren können, weil er am liebsten aus Büchern lernt – das hätte meinen Hunger nach Impulsen nicht gestillt.

Und obwohl meine Ideen sich immer formen, wenn ich allein bin, habe ich sehr schnell das Bedürfnis, sie jemandem zu erzählen und sie anhand von Reaktionen und Reflexion anderer feinzuschleifen (meine Kolleginnen können ein Lied davon singen, wenn ich sie mal wieder mit kürzester Vorwarnung von ihrem Schreibtisch pflücke, in die Teeküche schiebe und sie um ihre Meinung zu etwas frisch Ausgebrütetem bitte).

Diesen Austausch brauche ich zum Arbeiten, um vorwärts zu kommen. Sein Fehlen gehörte zu den Gründen, aus denen ich meine Dissertation abbrach (und damit, wie mir jetzt erst aufgeht, das letzte Ziel aufgab, das ich wirklich selbst und echt ehrlich wollte: Professorin für Englische Literaturwissenschaft werden). Es gab niemanden, der mich ermutigte, niemanden, mit denen ich mit meinen Ideen und Erkenntnissen spielen konnte. In den Seminaren, die ich selbst gab, blühte ich noch mehr auf als davor in den Seminaren, die ich belegt hatte – doch für meine Diss gab es diese fruchtbare Umgebung nicht.

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Dann wiederum: Ich brauche Zeit allein viel leidenschaftlicher als Zeit mit anderen – und schon gleich gar nicht mit „jemandem“. Einen Partner nur um der Zweisamkeit willen wünschte ich mir nie. Es war ein sehr besonderer und konkreter Mensch, mit dem ich zu zweit für mich sein konnte.

So, wie es stille Menschen gibt, die am liebsten in Gesellschaft sind, gibt es halt auch Laute (mich zum Beispiel), die lieber für sich sind. Dieses „für sich“ kann aber durchaus unter vielen Menschen sein: An freien Tagen frühstücke ich sehr gerne in einem Café, und ich genieße es, fremde Menschen um mich zu haben, die ich aus dem Augenwinkel sehe und mit einem Teil meines Bewusstseins wahrnehme, während ich meinen Obstsalat löffle und Zeitung lese. Ganz entspannt, weil ich ja mit niemandem interagieren muss. Das genau macht für mich den Reiz der Großstadt aus.

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Ich kann also dieses vita activa. Aus welchen Gründen nur mag ich mich schon früh verpflichtet gefühlt haben, es zur bestimmenden Lebensart zu machen?

Zum einen bemerkte ich schon als Kind, dass die aktive Geselligkeit anderen viel schwerer fiel als mir. Klassische Situation der kleinen Kaltmamsell: In einer Gruppe wird jemand gesucht, der in einem Projekt vorangeht oder es sogar leitet. Sekundenlanges Schweigen, alle versuchen sich unsichtbar zu machen. Klein Kaltmamsell hat zwar keine Lust auf diese Funktion, ist aber ungeduldig, möchte, dass es weitergeht, kann den Stillstand nicht ertragen – und sie ärgert sich: Mein Gott, was stellen die sich alle so an. So hebt sie den Finger.

Dieser Mechanismus funktionierte bis vor wenigen Jahren. Bis mich die Konsequenzen dieses Fingerhebens immer stärker belasteten und sehr unglücklich machten.

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Als kleines Kind war ich fast immer mit anderen Kindern unterwegs, gehörte keineswegs zu den still vor sich hin spielenden. Doch sobald ich lesen konnte, versank ich in Büchern – allerdings fiel das zusammen mit dem Wegzug aus dem Wohnblock mit den vielen Kindern. Ob ich eine so leidenschaftliche Leserin geworden wäre, hätte ich weiterhin viele Spielkameraden gehabt, weiß ich nicht. So saß ich am liebsten irgendwo herum und las. Die Folge war die fortwährende Aufforderung meiner Eltern: „Geh raus an die frische Luft!“ „Beweg dich!“ („Kein Wunder, dass du so dick bist.“ – Aber das ist ein anderes, oft erzähltes Kapitel.) Oder im Urlaub die Rüge meiner Mutter: „Schau doch raus!“ (Aus dem fahrenden Auto nämlich.) „Lesen kannst du auch daheim.“

Das kann auch damit zu tun gehabt haben, dass meine Familie mein Bedürfnis nach vita contemplativa immer bekämpfte: „Romane lesen“ galt meinen Eltern als schlimmste Form des Nichtstuns, als Flucht vor dem wirklichen Leben. Wer las, war faul. (Ist vielleicht im Arbeiterhintergrund verwurzelt. Eben las ich in Lorenzo Carcaterras Sleepers über das New Yorker Stadtviertel Hell‘s Kirchen in den 60ern: „People thought reading to be a waste of time. If they saw you reading they figured you had nothing better to do and wrote you off as lazy.“)

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Das rein gesellige Zusammentreffen mit echten Menschen wurde in den vergangenen zehn Jahren immer anstrengender für mich. Vor 15 Jahren war ich definitiv geselliger als heute. Der Mitbewohner hingegen war damals bedeutend weniger gesellig – vielleicht eine innerpartnerschaftliche Verschiebung? Mittlerweile muss ich mir oft sogar für die Einhaltung lange herbeigefreuter Verabredungen einen inneren Stoß geben (um sie dann sehr zu genießen und lange von ihnen zu profitieren) – möglicherweise weil ich zu lange gegen meine Veranlagung gelebt habe. Ein bisschen wünsche ich mir die Geselligkeit der Kaltmamsell vor 15 Jahren zurück, als ich noch gerne Feste gab und neugierig auf gesellige Veranstaltungen war.

Redselig bin ich allerdings weiterhin, und zwar nicht nur über inhaltlich Tiefes – ich höre mich durchaus auch plappern. Noch etwas, das nicht zu introvert passt. Dann wiederum habe ich es bis vor wenigen Jahren selbst auf der oberflächlichsten Party geschafft, jemanden in ein auch für mich interessantes Gespräch zu verwickeln (ich erinnere mich mit Vergnügen an den gegelten Anzugträger mit Networking-Blick, dessen Großvater ihn als Bub in die Vogelkunde eingewiesen hatte und der von vielen aufregenden Ausflügen erzählen konnte).

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Susan Cain: The Power of Introverts

via @hanneli und regina

Sehr bereichernde Ausführungen, auch deshalb, weil Susan Cain gesellschaftlichen Veränderungen großen Raum gibt: Was hat dazu geführt, dass heutzutage nur extroverts als Führungspersönlichkeiten gelten und was sind die Konsequenzen? Zudem lerne ich von ihr die Bezeichnung ambiverts. Vielleicht mag ich mir ja dieses Schild umhängen.

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Und jetzt wieder Sie?

die Kaltmamsell

28 Kommentare zu „Introverts, Teil 2“

  1. Hande meint:

    ist ja nicht das hauptthema hier, aber nur so nebenbei: Professorin für Englische Literaturwissenschaft? Professorin für Englische Literaturwissenschaft! (kenne die formalitaeten zu wenig – ist das noch moeglich? weil, das ist genau das, wie ich mir Dich vorstellen kann.)

  2. danliea meint:

    Danke, gern gelesen! (Human Kommtaromat…). Habe mich in der Beschreibung Ihres Wesens in Teilen wieder gefunden und direkt ein bisschen verstandener gefühlt.

    Ich finde es zum Thema Extraversion/Introversion durchaus erhellend, sich ein wenig in die Beschreibungen und Kategories von Myers-Briggs Tests einzulesen. Ich hatte dadurch ein paar echte Einsichten, wie andere Leute – und auch ich selbst – so ‘ticken’ (können).

    Ausserdem: . Lesenswert. Man muss ja nicht 100% zustimmen.

  3. frauziefle meint:

    was ist mit Hochsensibilität?
    Das geht in meinen Augen nochmal über das Gegensatzpaar extro/intro hinaus.
    Den Zwiespalt zwischen “Anführer” und “Rückzug” kenne ich nämlich auch sehr gut und fand in der HSP Sache, über die ich aus ganz anderen Gründen gestolpert bin, einige sehr gute Beantwortungen.
    (vor allem den Rat, in den Familienurlaub immer genug Geld mitzunehmen, damit man früher nach Hause fliegen kann, wenns einem zuviel ist – mein Spezialgebiet…).

    Und ja! Professorin! Das geht doch immer und zu jeder Zeit.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Ich meinte das mit der Professorin damals als Lebensunterhalt, Hande, frauziefle, also: Promotion (es gab an meiner Uni keine Stellen, ich hatte lediglich Lehraufträge gegen Taschengeld und gab zum Überleben Managern Englischunterricht), wenigstens Assi-Stelle (in den zwei Jahren, in denen ich suchte, gab es genau vier Stellen im deutschsprachigen Raum, auf die ich mich auch nur bewerben konnte), neben der Lehrtätigkeit Forschen und möglichst viel Publizieren inkl. auf Konferenzen präsent sein, Habilitation, dann mit Mitte 40 bei viel Glück, Geduld und Spucke ein Lehrstuhl. Ich schaffte schon nicht mal die Einsamkeit und Armut der Promotion.

    Nun bin ich seit 15 Jahren aus dem Forschungs- und Lehrbetrieb draußen. Promotion und Habilitation stünden mir theoretisch weiter offen, doch meinen Lebensunterhalt müsste ich parallel anderweitig verdienen. Die Kraft habe ich nicht.

  5. anne meint:

    diese erwägungen sind für mich alle sehr sehr interessant. danke!
    und ich erlaube mir, einen ganz anderen aspekt anzusprechen, zumal Sie das thema depression hier zuweilen erwähnen.
    ich persönlich kenne das phänomen, mich über jahre von den greifbaren sozialen kontakten (festen, etc.) verstärkt zurückzuziehen, bzw. mich sehr für solche überwinden zu müssen, von meinem krankheitsbild der depression. klinisch gesprochen hatte/habe ich mit einer atypischen (nicht bipolaren!) depression zutun, bei der ein aufrechterhalten gewisser fassaden und konventionen noch möglich ist, obwohl innerlich nichts mehr geht. und ich mich weder mir noch anderen zumuten will. und kann.
    so ist für mich meine depression erklärung für meinen rückzug, auch wenn ich in akuten depressionsphasen für meine umgebung immer noch gesellig und extrovertiert rüberkam. wenn ich denn mal wo erschien.
    auch nach akuten depressionsphasen ist der rückzug weiterhin viel stärker da als vor 10/15 jahren. ich nehme ihn jetzt aber als selbstschutz wahr gegen überforderungen meiner selbst. frei nach dem etwas abzuwandelnden bonmot “ich leide nicht unter realitätsverlust, ich genieße ihn”.

  6. Ulf meint:

    Ambivert. Kannte ich bisher auch noch nicht. Dürfte aber, so empfinde ich es zumindest, auf drei Viertel der Menschheit zutreffen. Vielleicht sogar auf Sie? Sicher aber auf mich. (Und das mit dem Finger-Aufzeigen, nur weil es wieder mal kein anderer tun will, kenne ich nur zu gut.)

  7. Regina Burbach meint:

    Großartig! Der Blogeintrag ist es wert, mich auf dies Thema zu konzentrieren, und auch noch das ganze Video zu sehen, und mich nicht dabei stören zu lassen durch Arbeit, die auf dem Schreibtisch überall HIER schreit. Der Beitrag ist eine notwendige Erinnerung daran, die ‘andere Seite’ von sich auch leben zu lassen. Und schon indem ich schreibe: die ‘andere Seite’, ist klar, welche Seite ich meine. Das ist doch bezeichnend! Als Kind dachte ich, ich sei schüchtern und würde irgendwie falsch funktionieren. Später war ich selbst überrascht, mich in einem Job wiederzufinden, wo ich vor Publikum redete. Aber bitte nur 3 Tage im Stück. Danach will ich nur noch mit mir selbst reden.

  8. kecks meint:

    Oh my. Ein sehr schöner Text, sehr nachvollziehbar. Literaturwissenschaftlerin. Ein sehr schöner Beruf. Ein sehr prekäres Dasein.

  9. adelhaid meint:

    zum einen – eine dissertation kann man quasi nebenbei verfassen. und das ist gar nicht so gemeint, dass das etwas ist, was nur so nebenbei passiert und was nicht viel arbeit ist oder sonstwas – keinesfalls. ha! da möge mich doch sofort der blitz treffen!!
    wenn man das als lebensunterhalt/-inhalt macht, dann ist das durchaus eine zeitintensive geschichte. ein bekannter von mir hat allerdings neben seinem job als lehrer (vater dreier kinder, vorsitzender des örtlichen fußballvereins, trainer dort usw.usf) seine dissertation am frühen morgen (jeden tag eine seite) geschrieben und kam irgendwann mit der im copy shop gebundenen fassung bei einer passenden professorin in die sprechstunde gelaufen und hat dann als externer promoviert. (und ist nun professor an einer universität in der nähe münchens). professorin werden ist aber eine andere geschichte als zu promovieren oder zu habilitieren. aber das wissen sie ja.
    insgesamt möchte ich aber dazu ermuntern, dieses buchprojekt anzugehen. nichtsdestotrotz.
    zum anderen haben ich mich zu hause ein bisschen ausgelassen, weil ich das kommentarfeld nicht so voll schreiben wollte…

  10. Tommdidomm meint:

    Warum so viel Begriffe oder Begriffserklärungen?

    Ich selbst bin Lehrer und habe Spaß am Vormittag und man hat Spaß mit mir, denke ich. Ich bin gern mit den Kindern da unterwegs und rede viel und lache und mache und so.

    Und dennoch: ich sage oft, dass das Geräusch der zuschlagenden Autotür nach 13.00 Uhr eines der schönsten Geräusche ist, was ich kenne.

    Und nachmittags bin ich daheim, mit einer ähnlich veranlagten Frau (im gleichen Beruf, mit der gleichen Einstellung) und wir sind froh, dass wir nicht viel reden müssen.

    Und Partys, Treffen mit Freunden, Familienfeiern – die gibt es auch, aber eben in Abständen, und daher manches eben auch nicht.

    Ihre beiden Artikel haben mir von daher sehr gefallen – ich selbst nenne das, freundlich gemeint, eher meine eigene “Asozialität”.

    Einen Höhepunkt erreicht das übrigens, wenn meine Frau in den Ferien mal für ein paar Tage ihre Eltern besucht o.ä. und ich bei ihrer Rückkunft merke, dass ich mehr als 48 Stunden mit niemandem geredet habe.

  11. PatschBella meint:

    Vielleicht brauchen wir tatsächlich eine Skala, wie bei Kinsey. Bzw. ist der bereits erwähnte Myers-Briggs wohl ein guter Anfang uns Introverts nochmal in unterschiedliche Strömungen zu teilen.

    Grade die Sache mit dem Lernen ist dabei doch sehr spannend. Ich habe während des Studiums auch unbedingt Vorlesungen und Diskussionen gebraucht, sonst wäre nichts hängen geblieben. Aber ausarbeiten, Pläne machen, über Ideen brüten? Dafür muss ich meine Ruhe haben.

    Das hängt vielleicht weniger generell damit zusammen, ob man ein Introvert ist, sondern wie gern man lernt. Weil das erlernen neuer Dinge für mich eine hohe Priorität hat, fällt es mir leichter meine Energie dafür aufzubringen und mich dabei mit anderen auszutauschen. Während der Smalltalk auf Parties für mich unendlich langweilig ist – entsprechend anstrengend finde ich dann mich mit anderen auszutauschen.

    Eines der interessantesten Merkmale von Extroverts ist ja, dass sie ihre Energie aus dem Zusammensein mit anderen ziehen. So wie manche Leute halsbrecherische Sportarten betreiben, um dann zu sagen das würde sie “entspannen”. Das wirkt dann auf mich vollkommen absurd, funktioniert aber für sie.

    Vielleicht sind Introverts und Extroverts keine Grundverschiedenen Menschen, sondern haben nur unterschiedliche Methoden.

  12. Lila meint:

    Ich glaube, es liegt viel daran, wo jeder von uns auf der Skala sitzt – was sich auch im Laufe des Lebens verändern kann. Die Übergänge zwischen den Typen sind gleitend. Deswegen fand ich ja diesen Myers-Briggs oder Keirsey oder wie er heißt-Test so interessant. Er teilt einen eben nicht in eine feste Kategorie ein (obwohl das Endergebnis natürlich so eine schöne Abkürzung ist), sondern zeigt einem, wo man sich auf den jeweiligen Skalen befindet.

    Ich habe diesen Test im Laufe der Jahre regelmäßig gemacht, und die Ergebnisse sind konsistent – auch ein Zeichen dafür, daß es ein ernstzunehmender Test ist. Ich finde die Kategorien auch ganz interessant. Immer diese hübsch symmetrische Vierer-Einteilung, die ja ein Grundthema der westlichen Kultur ist, von der Temperamentlehre bis Hogwarts.

    Ich bin übrigens weniger extrem introvertiert als mein Mann. Den Unterschied merkt man.

    Grundverschiedene Menschen sind Intro- und Extrovertierte nicht. Aber sie geben ihre Energien anders aus und nehmen anders Energie auf, wenn man das so krude sagen kann. Sie benutzen eine verschiedene Energiewährung.

    Ich denke dabei immer an Lady Russell, die ins lärmende London fährt, um sich dort zu erholen und zu entspannen. Anne Elliot amüsiert sich darüber nicht weniger als über Mrs. Musgrove, die ebensolche Entspannung im Kreis ihrer ungezogenen Enkelkinder findet. Anne ist eine introvertierte Heldin. Jane Fairfax übrigens auch. Kein Wunder, daß sie sich mit der extrovertierten Emma nicht leichttut…

  13. Allabouteve meint:

    “Kein Mensch ist eine Insel” – “Doch! Ich bin eine Insel! Ich bin Ibiza!” Das stammt, glaube ich, aus “About a Boy”. Ich bin nicht Ibiza, eher eine kleine unscheinbare Insel, irgendwo in der Nordsee. Da ist es ruhig und kuschelig, es gibt Bücher, Musik und Essen….nur für mich. Manchmal rudere ich ans Festland oder besuche Freunde auf Nachbarinseln. Ab und an darf mich sogar jemand auf meiner Insel besuchen. Mag sein, dass mich das zu einer Introvert macht. Wenn in solchen Begrifflichkeiten denken mag. Das Problem ist doch: Ich habe den Eindruck, dass Introverts sich ständig rechtfertigen, sich erklären müssen, während das Extrovertierte als positiv und erstrebenswert gilt. Inzwischen ist es mir aber egal, ob andere mich für eine merkwürdige Schrulle halten. So. Einen ganzen Kommentar geschrieben. Das reicht an Extrovertiertheit für diese Woche.

  14. Sebastian meint:

    Ach Mann, kaum weiss ich, was ich sagen will, geht das hier schon wieder weiter. Und ich sag wieder nix. Oder doch, gleich a la minute @allabouteve:

    “Ich habe den Eindruck, dass Introverts sich ständig rechtfertigen, sich erklären müssen, während das Extrovertierte als positiv und erstrebenswert gilt.”

    Aber nicht von hier und all den Verweisen – da ist es eher umgekehrt. Was nicht ungerecht sein muss.

  15. Foodfreak meint:

    Ich fand den Artikel im Atlantic seinerzeit auch sehr interessant, Nur kurz; große Antennen zu haben ist kein Zeichen von Extrovertiertheit — im Gegenteil, Es ist symptomatisch für AD/ADHD/Aspergerautismus, und ich habe schon als 14jährig festgestellt, das mir reines Beobachten am Rande sehr viel mehr liegt als Partizipieren, und ich große Strecken meines Daseins gern allein bin (im Gegensatz zu Leuten die ständig andere um sich brauchen, und sei es co.workend…) Der Overload an Info aus der Umgebung ist daran teilweise schuld.

  16. Ilse meint:

    Ich finde diese Kategorisiererungen von Menschen, die Etikettierung ganz allgemein nicht besonders hilfreich, vielleicht sogar gefährlich. Die Welt besteht nicht nur aus Dichotomien wie Extro- vs. Introvertierten, verklemmten Schuhausziehern vs. lockeren Hundekackereinträgern, technophoben vs. technophilen, Kinderhassern vs. Kinderverstehern. Solche polarisierenden Beiträge machen mich irgendwie ratlos und deshalb ungewohnt introvertiert.

  17. barbara meint:

    bin nicht die einzige, die sich nach der lektüre beider posts wie der nickende wackeldackel vorkommt, wie tröstlich.

  18. die Kaltmamsell meint:

    Vermutlich, Ilse, hast du einfach ähnliche Zweifel wie ich an der Wissenschaftlichkeit von Psychologie. Denn in den Diskussionen hier geht es ja keineswegs nur um die Extreme und Pole, sondern um Muster und Neigungen, und die interessieren dich ja auch.
    Psychologie filtert immer wieder aus Mustern Thesen – der Haken ist nur immer die methodische saubere Überprüfung.
    Kategorien und Modelle können Denkimpulse sein, die dem Selbst-Verständnis dienen und dem Verständnis anderer Menschen. Manchen helfen dabei schon Sternzeichen.

  19. Preißndirndl meint:

    Meiner Erfahrung nach sind Menschen in sich unglaublich vielschichtig. Ich halte mich zum Beispiel für flexibel, bin es aber nicht immer und auch nicht immer gerne (Das herauszufinden, hat auch ein wenig länger gedauert). Als “introvertiert” etikettierte Schülerin liebte ich es Theater zu spielen und mit verschiedenen Bands Auftritte hinzulegen, mit viel Lampenfieber zwar, aber auch mit viel Freude und Lust. Eine im Alltag eher extrovertierte Freundin sackte auf der Bühne hingegen vollkommen in sich zusammen, was mir bis heute ein Rätsel ist. Inzwischen glaube ich, es gibt bestimmte Grundtöne, auf denen ich gerne spiele, weil ich sie gut kenne, weil ich in einer bestimmten Umgebung gerne in sie hineinfalle, weil ich mich mit und in ihnen am wohlsten fühle. Das bedeutet aber nicht, ich bin immer und überall so und darf nicht über die festgezurrten Grenzen (meine eigenen, die von außen aufgedrückten) hinausgehen oder -wachsen. Sich neu auszuprobieren ist doch der ganze Spaß am Leben, oder?

  20. Musiker meint:

    Das Etikettieren ist so lange fragwürdig, bis einem ein Ereignis das Etikett “Freak” von der Stirn reisst und durch “völlig normal, mach dir keine Sorgen” ersetzt.

    Wer die Einsamkeit des Andersseins nicht kennt, darf auch mal die Klappe halten, wenn jemand über Ideen stolpert, die das Leben erträglicher machen.

    Ich selbst bin über diese Intro/Extrovertiertheit vor ein paar Jahren gestolpert, ich habe ähnlich reagiert wie Frau Kaltmamsell, und es tut mir ehrlich leid, dass ich die ganze Zeit in den Kommentaren nicht mal mit ein paar hilfreichen Links rübergekommen bin. Andererseits wirken Erkenntnisse auch nur, wenn man selbst drauf kommt. Trotzdem doof. Ich dachte, das wäre inzwischen Allgemeinbildung?

    (Im gleichen bösen Atemzug hätte ich übrigens auch noch einen Mensa-Testgutschein abzugeben.)

  21. Nina meint:

    @ Ilse: Danke.

    Apropos gefährlich: Wenn ich mal eben auf den guten alten Foucault verweisen darf, der die Psy-Wissenschaften und ihre Institutionen (also Psychiatrie, Psychologie etc.) als Disziplinierungsinstrumente charakterisierte.
    Diese sind besonders wirksam, da wir ihre Kategorisierungen in “normal” und “anormal” und ihre Etikettierungen – die ja auf gesellschaftlichen Normen und Werten beruhen und nicht etwa auf irgendwas Objektivem, Natürlichem, was unabhängig von Kultur und Gesellschaft besteht – verinnerlichen und uns damit selbst disziplinieren.
    Der Fluch der Selbstreflexion in den sogenannten “modernen” Gesellschaften….

  22. Ilse meint:

    Übrigens – @ Musiker – Klappe halten ist keine gültige Kategorie. Vor allem, weil Einsamkeit und Anderssein zum Menschsein gehören.

  23. Kitty Koma meint:

    Schönes Thema, wir haben uns gestern abend die Köpfe heiß diskutiert darüber. Sind wir doch zwei Introverts mit völlig gegenläufigen extroverierten Ausflügen: Ich als Rampensau auf der Bühne des Lebens und er als Taucher in der Masse.
    BTW. In manchen Tests werden Introvertiertheit und Extrovertiertheit nicht als Gegensatzpaar, sondern als sparate Werte betrachtet. Das enthebt der Fragen, warum man sich dann ggf. doch gern unterhält oder im Team arbeitet etc.
    Ich habe viele Schauspieler getroffen, die extrem introvertiert und extrovertiert zugleich sind. Und es gibt Menschen, die sind wie zubetoniert, nach innen und nach außen. Da äußert sich allerhöchstens ein rudimentärer Gehirnteil in archaischen Phantasien und irgendwann nehmen greifen sie zur Pumpgun…

  24. Modeste meint:

    Das ist interessant: Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob ich eigentlich introvertiert oder extrovertiert bin, und könnte auch nach einigem Nachdenken keine Einschätzung abgeben.

  25. Anne meint:

    Dass mit der Ungeduld kenne ich, auch noch aus späteren Zeiten, in der Berufsschule oder während irgendwelche Teamgeschichten. Mir ist das dann einfach zu albern, dass keiner sich traut, in einer erwachsenen Runde nach vorne zu gehen oder die Führung zu übernehmen oder was auch immer und anscheinend reißt mir immer am schnellsten der Geduldsfaden, und dann mach ich es halt.

    Ich bin auch generell nicht antisozial, rede sehr (manchmal zu) viel, aber dann möchte ich auch gerne mal einen ganzen Tag lang allein sein und ich brauche nicht zwingend viele Menschen um mich rum, um glücklich zu sein. Beruhigend, dass es noch andere Menschen gibt, denen es ähnlich geht.

  26. Sebastian meint:

    Geschaetzte Intros,

    eigentlich wollte ich hier ganz viel sagen und am besten zu jedem, wie das so Extro-Art ist, aber das habt ja Ihr jetzt schon alles gemacht. Ausserdem war ich weg, eine Woche mit der Extro-Selbsterfahrungsgruppe in Tokios Shibuya-Station, damit wir uns mal in aller Unruhe austauschen und vom derzeit grassierenden Extro-Bashing erholen koennen.

    Dort haben wir uns zur Motivation auf einem der Wolkenkratzergrossbildschirme “Ziemlich beste Freunde” angeschaut und die Japaner interessiert mit, auch wenn die an den falschen Stellen gelacht haben – sind halt alles Intros. Die fanden dann auch alle den Phillipe klasse, so beherrscht wie der immer war. Der Driss war natuerlich unser Mann, ich meine wenn der schon lacht, da geht einem doch das Herz auf, ob Extro oder Intro. Trotzdem gehen fuer uns bloss die Augenbrauen rauf, wenn wir mal so richtig driss sind – nix Earth, Wind & Fire im Thronsaal.

    “Jahrelang waren wir die Helden”, hat der Ernst danach gesagt, “und jetzt ploetzlich sind wir die Aliens. Ich komm mir vor wie unser Golden-Retriever-Ruede, den die Freundinnen meiner Frau immer alle abgeknuddelt haben – bis er einer mal auf den Knoechel… naja, Ihr wisst schon.” “Maenner sind doch eh alle Extros”, hat Ilse da gesagt, unsere Dolmetscherin fuer Japanisch und Intronesisch.

    “Intros und Extros stehen sich wie Aliens gegenueber”, stand mal sinngemaess in einem interessanten Artikel in Psychologie Heute, der hier ein wenig zusammgefasst ist.. Wobei es mir zumindest hier in meinem Netz derzeit so vorkommt, dass nur die Extrovertierten die Ausserirdischen sind. An einer Stelle war zum Beispiel von zwei Bildern in einem Persoenlichkeitstest zu lesen: der Intro liegt auf dem Bett und liest, der Extro steckt einem anderen koerperfresserartig eine Stecker in den Bauch. Kein Wunder, dass es fuer Schrecken sorgte, als am Ende des Tests “extro” rauskam.

    Klar, so ein bisschen Haue haben die Extros schon verdient mit ihrem ewigen Gemache und Gerede, das zu so wenig fuehrt – auch im Job, wie man liest. Aber dass sie die neuen Proleten sind und die Intros der Adel, der mal eben kurz auf der Chaiselounge die Augenbrauen uebers Buch oder den Laptop hebt, um ueber unser sinnloses Ackern draussen im Garten wissend den Kopf zu schuetteln, das macht den Extro schon ein bisschen verrueckt. Auch deswegen, weil er selbst oft nur am Schwanzwedeln ist, wenn die Intros ihm ab und zu ein paar Brocken aus ihrem Inneren hinwerfen, die stets handverlesen und edel sind, also nicht so wie das hier von mir gerade.

    So.

    Was jetzt nur so gar nicht passt, ist das Ergebnis meiner persoenlichen Umfrage, nachdem ich eher introvertiert bin, sagt sogar die Verfasserin hier. (Wobei ja schon so eine Umfrage eher extro…, nein?) Wobei ich beim Ueberfliegen (auch typisch extro, oder?) der Kommentare hier und dort immer mehr gemerkt habe, dass das ja alles nicht so gemeint sein muss und diese ganze Kategoriesierung sowieso… jaja, typisch intro halt.

    Aber gesagt war gesagt, und offenbar hat die Kaltmamsell ja hier einen Nerv getroffen. Auch bei mir, wie man liest. Ich kenne Leute, die ruhig und weise am Rand stehen und es auch sind. Tolle Leute, so lang das nicht zur Monstranz wird. Bei manchen brodelt und gruebelt es aber auch unentwegt im stillen tiefen Wasser, und wenn die dann mal nach innen aus sich herausgehen, kann einem Angst werden um sich und um sie – ein bisschen mehr extro waere da wirklich gesuender. Weil diese Leute sind oft auch toll und ehraltenswert. Und dann sind da noch die, bei denen einfach nicht viel drin ist, was extrovertiert werden koennte. Was dann grad gern gemacht wird. Was nicht gut fuer den Umweltschutz ist.

    Mir gefaellt die Formel, die ich nach laengerem Nachdenken ueber all das fuer mich als Ideal gefunden habe: “Nach aussen bin ich eher extrovertiert, nach innen eher introvertiert.”

    Der Intro in mir haette die ja am liebsten einfach nur so fuer sich hier reingeschrieben. Er moechte sich daher fuer den Extro in (an? auf?) mir entschuldigen, dass er mal wieder das Wort uebernommen und hier alles vollgemacht hat, ohne sich um Um und Laute zu kuemmern.

    So. Und jetzt geh ich raus. In die Sonne, unter Leute und vielleicht auch aus mir.

  27. die Kaltmamsell meint:

    Sieh es doch so, Sebastian: Hier kuscheln sich all die Introverts zusammen, die sich Gruppenkuscheln bei zu vielen Extroverts in der Nähe nicht trauen – die könnten in sie dringen wollen. Mir gefällt die Szene sehr gut, mit der Susan Cain die Familie beschreibt, in der sie aufwuchs: Alle saßen in einem Raum zusammen und lasen. Nicht jeder für sich in einem Zimmer, denn sie sehnten sich nach “animal warmth”. (Die Neuropool-Zusammenfassung allerdings beschreibt Intro- und Extrovertiertheit genau so, wie ich sie vor all den neuen Artikeln kannte: Extrovertierte stehen gern im Mittelpunkt, Introvertierte leben zurückgezogen und wenig sichtbar. Mir ging erst ein Licht auf, als ein introvert als jemand beschrieben wurde, der durchaus mit Freude eine mitreißende Präsentation vor vielen Leuten halten kann. Im Anschluss allerdings nicht mit all den Menschen zurecht kommt, die sich persönlich bei ihm dafür bedanken wollen.)
    Mit “Extro-Bashing” fühle ich mich paradoxerweise ja auch immer betroffen, sehe meine Selbstsicht bestätigt: Durch meine Impulsivität und meine raumgreifende Mimik fühle ich mich ohnehin immer wieder wie ein Bulldozer im Rosenthal-Studio.
    Die Beschreibung deines Ideals gefällt mir sehr gut – vielleicht ist das die perfekte Beschreibung des “ambiverts”?

  28. Sebastian meint:

    Dann danke fuer den gewaehrten Einblick, kaltmamsell und allen anderen. Ambivertiert, hm. Klingt irgendwie nach vegetierendem Bambi. Eigentlich steckt es ja schon im Substantiv drin, das dass beides nur Versionen sind, keine Grundprogramme. Oder wie Wikipedia reimt:
    “Introversion und Extraversion sind zwei Pole einer Persönlichkeitseigenschaft.”

    Wie waere es mit “zentrovertiert”? Fuer die einen klingt das schoen nach Zen und in seiner Mitte stehen, fuer die anderen zentral und im Mittelpunkt sein.

    Oder halt doch: weitermachen ohne Etikett. Ich glaub, ich brauch noch nen Blog.

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