Berlin im Frühling 2014 – 4, re:publica

Mittwoch, 7. Mai 2014 um 8:25

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Die re:publica bereits von den Vortagen durchfeiert anzutreten, war für mich neu. Doch ich stellte überrascht fest, dass die Menschen und die Verabredungen an den Tagen davor meine soziale Energie nicht aufgebraucht haben, sondern mich möglicherweise sogar entspannt.

Das Registrierungsprozedere war dieses Jahr aufs Nebengebäude ausgelagert, gut durchdacht und flüssig. Unter anderem druckten die Helferlein (einer freundlicher und hilfsbereiter als die nächste) die Namensschilder erst bei der Registrierung aus: Die Teilnehmer konnten die Aufschrift also noch beeinflussen. So laufe ich dieses Jahr sowohl als die Kaltmamsell als auch unter bürgerlichem Namen durch die Station.

Erste bekannte Gesichter und Haarfarben traf ich bereits auf dem Weg zur Begrüßung in der riesigen Halle 1; schon hier wurde klar, dass die Teilnehmerinnenzahl im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen war. Das führte auch dazu, dass ich im Lauf des Tages mehrfach an meine erste re:publica denken musste, 2011 noch in Kalkscheune/Friedrichstadtpalast: Zwei meiner Wunschvorträge bekam ich nicht mit, weil der Saal überfüllt war und ich nicht mehr reinkam. Genau das war vor drei Jahren durch den Umzug in die Station behoben worden, hielt aber gerade mal zwei Jahre.

Doch schon nach der Begrüßung saß ich auf dem Affenfelsen innerhalb kürzester Zeit in einem kleinen Rudel von Internetbekanntschaften; dort wurde ich von weiteren solchen erkannt und angesprochen, griff mir Passantinnen, die wiederum ich erkannte.

Vor der ersten Session Frühstück im re:staurant: Mozzarellasalat (reife Avocado, Papayastückchen, Mangodressing mit einem Hauch Ingwer – köstlich).

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Das erste Panel sah ich mir auf dem Boden sitzend an (und auf einer wattierten Anorakhälfte sitzend, die mir eine neue Bekanntschaft netterweise anbot; später stellten wir fest, dass wir natürlich eine Menge gemeinsamer Internetbekannter hatten): “Stone age minds in a digital world – Evolutionspsychologische Perspektive auf die digitale Welt“. Dass ausgerechnet Psychologen Verhalten in “logisch” und “nicht logisch” unterteilen, wunderte mich schon sehr (der Vortrag begann mit der Feststellung, Nutzung von und Verhalten vor Computern sei nicht logisch). Bereits an diesem Punkt wäre ich gerne eingeschritten und hätte Prämissen erfragt und hinterfragt. Als dann Astrid Carolus auch noch die Gaming-Szene mit “also die Jungs” definierte, hatte ich Mühe, sie richtig ernst zu nehmen. Doch ich lernte, dass Evolutionspsychologie sich auf Fortpflanzungserfolg von Verhalten konzentriert (dass also das Überleben des Individuums und sein individuelles Zurechtfinden in der Welt sie nicht wirklich interessiert). Möglicherweise saß ich hier genau den Menschen gegenüber, die für die Zeitungsartikel über “Frauen müssen sich von Natur aus für Schuhe interessieren, sonst hätten sie in der Steinzeit keinen Partner bekommen” verantwortlich sind.

Die nächste Wunschveranstaltung verpasste ich, weil ich zu doof war, den Tagesplan zu lesen (ZACK! hätte mich in der Steinzeit der Säbelzahntiger gehabt und Schluss wäre es gewesen mit der Fortpflanzung). Nachdem mir aber am Helpdesk ein Helfer erklärt hatte, dass die Buchstaben unter den Veranstaltungen keineswegs die Veranstaltungsorte bezeichneten, schaffte ich es ins Panel “Sind bloggende Väter eine Nischenerscheinung?”. Das wollte ich vor allem wegen der Teilnehmerin dasnuf sehen, und sie sah ich auch.

Mein Highlight des Tages war der Vortrag “Geschichte twittern: Wie, was, wann?”. Ein Historiker und eine Historikerin hinter @9Nov38 erzählten, welche Gedanken und welche Arbeit hinter ihrem Projekt standen, die Ereignisse der Reichsprogromnacht in Echtzeit zu twittern. Ich lernte das Forschungsgebiet public history und Geschichtsvermittlung kennen und war sehr beeindruckt von der Gründlichkeit und Umsicht, mit denen die Historikergruppe vorging.
Nachtrag: Hier der Vortrag zum Anschauen.

Spaßig war es bei Johnny Häuslers “Sie werden nicht glauben, was Sie hier sehen!”. (Johnny von Spreeblick klingt wie ein ernst zu nehmender Adelstitel.)

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In erster Linie machte er mit dem Publikum live Online-Umfragen, die in keinem Fall überraschende Ergebnisse erbrachte (über die Antwortverteilung auf die Frage zum Pinkeln unter der Dusche will ich jetzt einfach nicht nachdenken).

Sascha Lobo hielt in der riesigen und dennoch berstenden Halle 1 (hier traf ich gleich nochmal einen ganzen Schwung meiner kleinen Internetfreundinnen und -freunde) seine Rede zur Lage der Nation.

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http://youtu.be/3hbEWOTI5MI

Darin enthalten viel leidenschaftliche Empörung über die Totalüberwachung mittels Internet, die Snowdens Enthüllungen offengelegt haben, nachvollziehbare Wut auf die Trägheit seiner Interessensgenossinen und -genossen (also auf uns), viel brauchbare Argumentationshilfe – aber möglicherweise ein kontraproduktiver Ansatz, die Missstände zu ändern. Patricia Cammarata erklärt diese Kritik genauer, und ich stimme ihr in ihrer Argumentation zu.

Nach weiterem Geplausch auf dem Hof der Station (und Lesen von Nachrichten, denen ich entnahm, mit wem ich gerade nicht plauschte) völliger Szenenwechsel: Ich war mit einer nicht-re:publica-Bloggerin zum Nachtmahl im wunderschönen Paulysaal verabredet.

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Glasierte dicke Rippe vom Pommerschen Ochsen – löffelweiches Fleisch. Außerdem lernte ich bei dieser Gelegenheit Bröselbohnen kennen: Die grünen Bohnen waren in gerösteten Semmelbröseln gewendet, sehr schöne Idee. Das Grüne links unten sind Grie-Soss-Kräuter, die sich ganz hervorragend zum durchwachsenen Fleisch machten.

Das Tischgespräch war mindestens so reichhaltig wie die Speisen; meine Tischdame schenkte mir sogar eine konkrete Idee für die Zukunft.

die Kaltmamsell

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