Kim

Dienstag, 7. Oktober 2003 um 17:17

Erst ist mir das Rezept eingefallen, dann sie selbst: Kim, die unglaublichste aller Engländerinnen.

Anfang der 90er begann ich ein Studienjahr in Swansea, Wales. Ich war mit dem Zug aus Süddeutschland angereist, schwer bepackt mit Gepäck für ein Jahr. Den Taxifahrer am Bahnhof verstand ich nicht, obwohl mir klar war, dass er nicht etwa Walisisch sprach, sondern lediglich einen starken Akzent hatte. Bis ich im nächtlichen Student Village das Haus gefunden hatte, in dem ich untergebracht sein sollte, war ich völlig aufgelöst und am Ende.

Zwei von den drei Studentinnen, mit denen ich die Wohnung teilen sollte, waren bereits eingetroffen: Nadine, frisch zurück von einem Jahr als Lehrerin im subarktischen Kanada, öffnete mir dir Tür. An sie muss ich immer denken, wenn ich das englische (!) Wort “petite” höre. Nadine zeigte mir mein Zimmer, ich entlud mich meines Gepäcks, ließ mich in die Küche führen.
Dort saß eine junge Frau mit langem honigblonden Schnittlauch-Haar, die endlosen Beine in Strumphosen unter sich auf dem Sitz verknotet. Sommersprossen, riesige blaue Augen, in den langen Fingern eine Zigarette. Und sie sprach gerade Russisch mit dem jungen Mann ihr gegenüber, lachte dazwischen herzhaft und heiser.
Ich beschloss umgehend, dass sie ein ekliger Mensch sein musste: So schön und auch noch nett – nee, ging nicht.

Kim war gerade von einem Jahr im prä-perestroika russischen Hinterland zurückgekommen und hatte ihren russischen Lover zu Besuch. Eigentlich war sie aber mit Marcus zusammen, einem Meeresgeologe aus Guernsey. (Sah aus, wie ich später feststellen durfte, wie eine Mischung aus dem jungen Jack Nicholson und Sex&theCity’s Mr. Big.) Nur war Marcus halt viel auf See.

Und schon in dieser ersten Nacht musste ich feststellen, dass Kim auch noch sympathisch war. Das war mir bereits klar, bevor sie mir Wodkatrinken auf russische Art beibrachte. Bevor sie mich nach meinem überraschenden Wodka-Flash aus dem Bad schleifte und ins Bett brachte.

Kim wurde zu einem Highlight meines Studienjahres im hässlichen Swansea.

Kim – wie sie in dicken Socken und Leggins an den dünnen Beinen zu James Brown über den billigen Linoleum-Boden groovt.

Kim – wie sie sich für den Club-Abend stylt, “let’s go sharking!” ruft, die Musik von Der weiße Hai singt (“dundundundundun”) und mit der Hand auf dem Kopf eine Haifischflosse mimt.

Kim – die auch von den leckersten Gerichten nur zwei Gabeln aß, bevor sie sich eine Zigarette anzündete und sich für satt erklärte. Um eine halbe Stunde später zu murmeln “I fancy something – nice”, zum Küchenschrank zu gehen und sich an den Frosties gütlich zu tun.

Erst vor kurzem habe ich sie nach längerer Kontaktlosigkeit wieder aufgespürt, in Moskau. Mit Umzugsplänen ins türkische Izmir.

die Kaltmamsell

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