Jetzt muss ich doch nochmal auf meine persönliche Krimi-Entdeckung dieses Jahrtausends kommen: Wolf Haas.
Mit Krimis habe ich es seit vielen Jahren, festgebissen hatte ich mich vor allem an Krimi-Serien. So ein Krimi kommt ja selten allein; wenn sich der Schreiber schon mal die schöne Staffage und das Personal ausgedacht hat, liegt es nahe, die beim nächsten Buch wieder zu verwenden.
Ich behaupte halt zum einen, dass sich an Krimis im Hintergrund mehr Zeitgeschichte ablesen lässt als in den meisten Romanen, die sich die Verarbeitung der Zeitgeschichte vorgenommen haben. Authentischer, weil implizit. Mein Lieblingsbeispiel ist die spanische Detektivfigur Pepe Carvalho vom Vazquez Montalbán selig (ganz schlimme Fernseh-Verfilmungen, übrigens): An den 20 Romanen der Serie* (außer vielleicht an den beiden formal durchgeknallten Yo maté a Kennedy und El premio) kann man die gesellschaftliche Entwicklung Spaniens nach Franco wunderbar ablesen, inklusive den immer noch schwärenden Wunden des Bürgergkriegs.
Egal. Ein weiterer Aspekt, der mich an Krimis interessiert, ist die Ent-wicklung des Falles. Da gibt es unter anderem das klassische Modell (Leser ist immer auf dem selben Kenntnisstand wie der Ermittler), das Modell Agatha Christie (Ermittler weiß mehr als Leser, enthüllt dieses auf den letzten Seiten), und dann Columbo (Zuschauer sieht erst mal das Verbrechen und weiß, wer es war, sieht dann dem Ermittler dabei zu, wie er es rausfindet). Eine berühmte Sonderform ist The murder of Roger Ackroyd, in der sich herausstellt, dass die erzählende Figur selbst der Täter ist. Ich träume immer noch von einer Krimi-Konstruktion, in der die letzten Seiten den Leser als Mörder entlarven. Mir ist noch nichts Elegantes eingefallen.
Insofern gehören die Brenner-Krimis von Wolf Haas am ehesten in die erste Kategorie: Der Leser wird vom Erzähler immer auf der Höhe von Brenners Erkenntnisstand gehalten. Bis kurz vor der Enthüllung, die der Erzähler dann dem Brenner selbst überlässt.
Wunderschön sind die Set-ups der Brenner-Fälle: Zum Beispiel ein Touristenpaar, das über Nacht im Sessellift erfroren ist (Auferstehung der Toten). Die Leiche, deren Knochen im sehr spezifisch zusammengesetzten Müllhaufen einer Hendl-Braterei auftauchen (Der Knochenmann). Oder mein neuester Liebling: Der Ermittler, der im Krankenhaus aufwacht und des Selbstmords beschuldigt wird (Das ewige Leben). Seine Ermittlung besteht zunächst darin, das zu widerlegen. Das ist so großartig! Noch dazu und weiterhin mit diesem österreichisch auktorialen Erzähler, der für mich zu den erzähltechnisch besten Erfindungen seit der Herausgeberfiktion gehört. In diesen Erzählduktus packt Haas wieder feine Beobachtungen (die mir diesmal auch deshalb aufgefallen ist, weil sie zur Jahreszeit passt):
Jetzt ist dem Brenner vorgekommen, die ganze Stadt hat ein Medikament genommen, so ein stiller Hauch ist über den Straßen gelegen. Möchte man glauben, Fasching lautes Fest, aber das stimmt nicht. Fasching leises Fest, weil wenn du auf der falschen Stadtseite bist, lautes Fest immer leise. Von diesem Fasching ist eine Stille ausgegangen, unglaublich.
Ich fürchte, gerade diese Qualitäten stehen dem Weltbestsellertum im Weg: Es lässt sich nicht übersetzen. Weil es dann nicht mehr österreichisch wäre, klar, oder?
*Die offizielle spanische Reihe zählt die Kurzgeschichtensammlungen mit. (Beim Überprüfen der Zahl habe ich festgestellt, dass ich vier davon noch nicht gelesen habe, wie wunderbar!)