Diätterror – die Serie (11): Kotz dich ins Wachkoma

Sonntag, 3. April 2005 um 11:53

Die Serie ist ein wenig eingeschlafen (mehr ein Nickerchen als so richtiger Tiefschlaf), weil der Ekel vor meinen eigenen Formen ein solch unrealistisches Maß angenommen hat, dass ich jeden Gedanken an Diätterror bereits am Horizont abblocke – noch bevor er zu Empörung werden kann. Ich hoffe ja mal, dass ich bald die Talsohle erreiche und endlich einen Weg aus dieser Selbstwahrnehmungsstörung finde.

Auf jeden Fall weitergeben will ich diesen Hinweis auf feministing.com:
Die Ursache für Terry Schiavos Herzattacke 1990 waren demnach jahrelange Brutaldiäten und letztlich Bulimie.
Warum spielte das in den Diskussionen um ihre Zukunft keine Rolle?

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die Kaltmamsell

20 Kommentare zu „Diätterror – die Serie (11): Kotz dich ins Wachkoma“

  1. Lyssa meint:

    Und warum wird so selten erwähnt, wie unglaublich gefährlich Eßstörungen wirklich sind? In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie viel zu oft so eine Art jugendlicher Diätwahn, über den man irgendwann dank der Hilfe netter Therapeuten hinauswächst. Dabei überleben nach Einschätzung der meisten Experten bis zu 20% der Betroffenen diesen “jugendlichen Leichtsinn” nicht und der Weg bis zum Tod ist lang.
    Grausame Ironie des Schicksals, daß Terry Schiavo letztlich nun doch verhungert ist.

  2. Arztgatte meint:

    Vielleicht spielte das keine Rolle weil sich niemand wirklich für das Schicksal von Frau Schiavo interessierte. Ich habe keine wirklich ernste Auseinandersetzung mit dem Thema beobachtet. Einzig deutlich wurde nur der Versuch die US-Regierung für Ihre Position zu kritisieren. Ein Blick in das deutsche Gesetzbuch hätte jedem klar gemacht, dass man in D-Land die Frau hätte nicht killen dürfen.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Die Langzeitfolgen, liebe Lyssa, werden ja erst noch erforscht. Und hoffentlich besser publik gemacht. Mir fällt mit Grausen eine Mitturnerin aus dem Fitness-Studio ein, die den Ausfall einer jungen Frau wegen Anorexie lebensgefährlichen Ausmaßes gelassen kommentierte: “Ach, das eine oder andere Jahr Magersucht haben wir ja wohl alle hinter uns.”

  4. Lila meint:

    Ich hoffe, du hast ihr geantwortet, “nimms dir nicht so zu Herzen”.

    Was ist bloß mit dieser Welt los???? Besser gesagt: mit uns Menschen.

    Kaltmamsell, wenn ich Deine Serie lese, habe ich das Gefühl, wir sind gleichzeitig re-inkarniert, hm, geht nicht, aber jedenfalls kennst Du mich sehr gut… oder hast Du geglaubt, Du erzählst von Dir selbst??

  5. typ.o meint:

    Wenn man dann bei der eigenen Tochter bemerkt, *wie* unausgeglichen das sich entwickelnde Körper- und Selbstwertgefühl ist, dann hofft man, daß dies vergeht, und nicht durch Dauerberieselung mit tanzenden Silikon – Springmäusen in MTV zementiert wird. Und wenn dann die Mutter, sobald das Kind mal nichts essen will – weil es keinen Hunger hat – kreischt “Werd mir bloß nicht Magersüchtig”, dann hat man das Gefühl, wenig gute Einflußmöglichkeiten zu haben.

    Das ist ein Elend.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Oh Mann, typ.o, das ist ja das Schlimme: Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie Eltern das verhindern können. Schließlich habe ich eine Freundin, die dem selben mütterlichen Diätterror ausgesetzt war wie ich (musste sich z.B. in der Pizzeria mit ihren beiden Schwestern eine Pizza teilen, damit sie nicht dick wurde; wurde in Ballettunterricht geschickt etc.). Sie erzählt, dass ihr größter Triumph war, als sie nach ihrem Auszug gemeinsam mit ihrer Mutter im Supermarkt einkaufte und vor den Augen der Mutter (!) Vollfett-Milch in den Einkaufswagen legte. Was soll ich sagen: Diese Freundin hatte nie Ess-Störungen (wenn auch einen Leistungs-Hau), ist dünn, isst gerne, macht selten Sport.

  7. blue sky meint:

    Hm. Ich verstehe gerade nicht, inwiefern die Diskussion um eine Beendigung von Fr. Schiavos Leben hätte anders sein sollen, wenn ihr Kreislaufstillstand mit anschließendem Wachkoma nach Wiederbelebung z. B. durch eine angeborene Herzschwäche ausgelöst worden wäre anstatt durch die Folgen der Bulimie?

    Dass den Voraussetzungen von Essstörungen und deren Lebensgefährlichkeit zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, steht außer Frage. (Sie kennen dieses wunderbare Interview?) Die zentrale Frage ist doch, wie man sich bzw. seine Kinder gegen die Fremdbilder und vermeintlichen oder tatsächlichen Schönheitsideale immun machen kann. Wie man den Druck wegnimmt, nach dem inzwischen jeder zu normgerechtem Aussehen verpflichtet ist, und sei es durch lebensgefährliches Fasten oder Skalpell. Wie man den Blick von den Symptomen auf die wirklichen Ursachen einer Unzufriedenheit mit sich selbst lenken kann. (“Lieb dich halt selbst, so wie du bist” ist zwar im Kern nicht falsch, aber wenig hilfreich; es verstärkt ja beim Betroffenen nur das Gefühl, gleich mehrfach zu versagen.) Auf die Frage wüsste ich gerne die Antwort…

  8. der Haltungsturner meint:

    Wobei es ja doch in gewisser Weise Hoffnung macht, dass die Dove-Werbung (also jetzt die Körperpflege-Dings, nicht die Schokolade) angeblich richtig erfolgreich sein soll. Trotzdem hat mich der letztwöchige Stern-Titel auf dem eine der Frauen abgebildet ist über der Zeile, dass Abnehmen im Kopf beginne oder so ähnlich, irritiert, weil ich nicht sofort wusste, ob die nach Meinung der Titelmacher abnehmen solle oder gut aussehe (letzteres war der Fall, stellte sich bei Lektüre raus)…

  9. kid37 meint:

    Gemessen an der medialen “Wirklichkeit” muß man die Dove-Werbung schon radikal nennen. Und sie kommt wohl bei Männern besonders gut an (das würde ich gerne belegen können, gibt es eine Martkanalyse oder einen Belege?)

    Ich frage mich, warum sind Frauen eigentlich die schärfsten Kritiker von Frauen? (“Hast du zehn Gramm zugenommen? Sieht ja schlimm aus!”) Da scheint mir auch so ein gegenseitiges neidgetriebenes Kontrollsystem am Werk, ähnlich wie in Cliquen.

    (Aber ich kenne womöglich auch zu wenig Männer und weiß nicht, was die am Stammtisch so reden.)

  10. die Kaltmamsell meint:

    Ich gestehe, dass die PR um die Dove-Kampagne bei mir den gegenteiligen Effekt als den beabsichtigten hatte: Drölfzehntausenmillionen nicht-schlanke Frauen wurde in ganz Europa (?) gecastet, bis Geeignete gefunden waren? Eben, dachte ich mir selbstzerfleischend, so lange muss man eben suchen, um attraktive Nicht-Dünne zu finden.

    Dass Dünnheit und das Streben danach bei vielen Frauen als größte Erfolge gelten, hat komplexe Gründe. Vielleicht, nur als Idee, bündelt sich hier der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Leistungserwartung und dem Unweiblichkeits-Ruch von Leistung.

  11. der Haltungsturner meint:

    @kid: Ich habe von der PR-Agentur gehört, dass es a Markt gut funktioniert habe. Und jetzt mal von mir auf andere geschlossen: Ich schätze, dass Frauen ihre Kosmetiksachen und so schon überwiegend selbst kaufen, oder?

    @kaltmamsell: Spannend, deine Reaktion. Aber wird nicht genauso lange gecastet, um attraktive Dünne zu finden?

  12. kid37 meint:

    @Haltungsturner: Ich meinte eher die mediale/gesellschaftliche Aufmerksamkeit. (Ausgehend von dem Vor-/Urteil, daß Männer angeblich/eigentlich ein ganz anderes Frauenbild bevorzugen. Ich denke nämlich, daß das mehrfach gebrochen ist – und erst einmal FRAUEN ein anderes Frauenbild bevorzugen. Dieses extrem androgyne Frauenbild in der Mode existiert ja noch nicht so lange – und es gibt ja die Theorie, daß nicht zufällig schwule Modemacher dahinter stehen…)

    Die Kritik, daß die Dove-Frauen ja auch wieder nur eine ästhetische Auswahl seien, habe ich auch schon gehört (von Frauen). Mir doch egal, ich find die toll. ;-)

  13. typ.o meint:

    vielleicht, nur als Idee, bündelt sich hier der Konflikt zwischen gesellschaftlicher Leistungserwartung und dem Unweiblichkeits-Ruch von Leistung

    Der Leistungsbegriff, den lohnt es sich genauer anzusehen, ja. Kleiner Nebenstrang: In Litauen, so war mein Eindruck, gibt es nur durchtrainierte Männer und Frauen. Das ist kein Zufall, die Zahl der Kraftsportbuden und Nahrungsergänzungs – Shops war enorm.
    Ich hatte die (ad hoc) Theorie, daß in schlechter wirtschaftlicher Situation und bei starkem und steigendem Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt auf den Eindruck “ich bin stark, gesund, leistungsfähig und belastbar” Wert gelegt wird.

    So. Und jetzt sehe man sich mal die Atribute an, mit denen “Dicke” unterschwellig belegt werden. Das widerspricht nahezu allen Anforderungen von protestantischem Arbeitsethos und erst recht von new economy, denke ich.

    Ich glaube, da mischen sich mehrere Attributierungen und Zuweisungen aufs Schlechteste, und Frauen, die ihre Leistungsfähigkeit signalisieren wollen, haben da wenig Chancen, diesem körperlichen Ideal zu entgehen…

  14. Stefan meint:

    Ich habe einfach mal http://www.dove.de/ aufgerufen und meine, dass die drei Frauen perfekt auf das Bild der jungen Muttis aus der Nachbarschaft passen, die ich sonntags mit ihren Kindern auf dem Spielplatz sehe. Sicher steckt dahinter ein professionelles Casting. Wer wollte es der Werbeagentur und dem Auftraggeber verdenken?

  15. Stefan meint:

    In der new economy und auch in der old economy ist/war es völlig egal, welche Figur jemand hat, der im Hintergrund die Leistung bringt. Bestes Beispiel sind die vielen Programmierer und Administratoren, denen man in der Mehrheit ja nun alles nachsagen kann, aber sicher keine Modellfigur :-)
    Anders sieht es in Marketing und PR aus, also in den Abteilungen, die in der Öffentlichkeit stehen. Aber das hat nun weniger mit dem protestantischem Arbeitsethos zu tun, um so mehr mit Vermarktung und Verkauf.

  16. Anke meint:

    Es ist leider nirgends egal, welche Figur man hat. Wenn du einen Job erstmal hast, kannst du beweisen, dass du gut bist, aber bis du ihn hast, musst du dich erstmal vorstellen, und da kommt ganz automatisch der kleine Vorurteilsteufel “Dick = langsam, doof, zu lange Mittagspausen”.

    Ich rege mich immer noch über die schon etwas ältere Story einer Opernsängerin in London auf, die gefeuert wurde, weil sie stark zugenommen hatte und nun ungefähr so aussah wie Montserrat Caballe (das würde ich gerne mal sehen, ob sich jemand traut, die zu feuern, weil sie keine Modelmaße hat). Die Begründung des Opernhauses war, dass das Publikum es nicht ernst nehmen würde, wenn im Libretto Zeilen wie “begehrenswerte Frau” oder ähnlich vorkommen und man dann so eine Dicke sehen würde.

    Bei der Story habe ich mich gerne an eine uralte Carmen-Aufführung in Hannover erinnert, wo der damalige Haupttenor ein ziemlich dicker Blonder war, der auch eine Zeile à la “begehrenswerter Mann” abgekriegt hat. Da hat das Publikum auch gekichert, aber er ist deswegen noch lange nicht gefeuert worden.

    (Wieso sind Männer eigentlich stattlich und Frauen fett? Ach egal, ich reg mich schon wieder auf. Nebenbei: Ich mag die Dove-Kampagne.)

  17. typ.o meint:

    Hm, hm. Mein Eindruck ist, daß bei der AUSWAHL der Bewerber auf diese Punkte schon gesehen wird. Marathonläufern wird dann auch gerne gleich mal unterstellt, sie seien stahlhart und durchhaltefähig (und nicht nur ggf. autistische Laufsüchtige). Und ganz besonders in der Leitungsebene ist der dicke, gemütliche Manager, und ganz besonders die ebensolche Managerin, nicht wirklich häufig – oder täusche ich mich da?

  18. Stefan meint:

    @Anke: Die Opernsängerin steht im Rampenlicht.
    @typ.o: Es gibt eine Studie, die Marathonläufern mangelnde Teamfähigkeit und Egoismus unterstellt :-)

    Fachkräfte für Jobs in der EDV werden aber nicht (oder nicht sehr) nach Aussehen ausgewählt. In meinem Bekanntenkreis (Linux, OpenSource) gibt es viele Programmierer und Admins, die als Angestellte in Lohn und Brot sind und von denen hat die Mehrheit einen sehr blassen Teint und ein paar Kilo zu viel um die Hüften. Ähnlich ist es mit Kunden und Bekannten aus Ingenieurberufen.

    Ich kann es persönlich nur als Freiberufler sehen. Ich bekomme die meisten Anfragen per E-Mail von Leuten, die mich nie zuvor gesehen haben. Ich hatte schon Aufträge, die von der Anfrage bis zur Rechnungslegung nicht nur ohne persönlichen Kontakt, sondern sogar ohne Telefonat und ohne ein Blatt echtes Papier abliefen (Angebot, Zuschlag, Rechnung per PDF, die Leistung waren LaTeX-Quelltexte). Gut, ich arbeite auf sehr abgegrenzten Gebieten. Ich wollte nur sagen, dass die Äußerlichkeiten auch überschätzt werden können :-)

  19. Anke meint:

    Stefan: Dürfen Menschen im Rampenlicht nicht dick sein?

  20. Stefan meint:

    Selbstverständlich dürfen sie. Wenn sie nach Meinung des Publikums und ihrer Auftraggeber das leisten, was von ihnen erwartet wird.

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