Archiv für Oktober 2005

KEINE KETTENBRIEFE!

Donnerstag, 13. Oktober 2005

Es hat seinerzeit fast zwei Jahre gedauert, bis ich meine persönliche Umgebung dazu gebracht habe, mich nicht mehr mit Kettenbriefen in Form von angeblichen UNO-Petitionen, humorigen ppt-Shows und elaborierten Kalendersprüchen zu behelligen.
Doch: Neue Kontakte, neue Deppen – diese Woche gleich dreifach.
Am schwersten tat ich mir mit dem ersten Kettenbrief, denn er kam per Post, auf offiziellem Briefpapier und aus einer Stadtverwaltung. Leidtragender ist das arme Landeskrankenhaus Tulln.
Meine E-Mail an die Absenderin mit Hinweis auf den tatsächlichen Hintergrund erzeugte keine Reaktion.

Der Anhang des zweiten Kettenbriefs, der von einem Bekannten kam, wurde von unserem Firmen-Mailsystem abgefangen, weil er ein Videofilmchen war. Das geht glücklicherweise hier nicht durch. Der Absender hatte zudem die gesamte Adressatenliste seiner Massenmail offen ins CC geschrieben; ich fürchte, ich habe ihn in meiner Antwortmail derart rüde angeblafft, dass er kein Bekannter von mir mehr sein möchte.

Und dann erschien in meiner Mailbox eben einer dieser Bring-jemanden-zum-Lächeln-Listen-Kettenbriefe von der philosophischen Tiefe einer Coelho-Novelle. In diesem Fall kommt der Absender um einen bösartigen Rüffel herum, weil er ein beruflicher Kontakt ist und ich ihn lieber mal persönlich in ein Gespräch darüber verwickle, ob besinnliche Massenmails für den Einzelnen wirklich erfreulich sind.

Aufklärung scheint also weiterhin nötig, deshalb: Kettenbriefe sind NIE (nie, nie nie) seriös. Sollte jemand dieser allgemeinen Regel nicht vertrauen, weil doch wohl zumindest dieses eine ganz bestimmte Anliegen auf dem ganz konkreten Kettenbrief vor ihm echt sein muss: Einfach mit dieser Liste der TU Berlin abgleichen. Im unwahrscheinlichen Fall, dass das ganz bestimmte Anliegen dort noch nicht erfasst ist, bitte beim angeblich Bedürftigen nachrecherchieren.

Der große Kneipptest

Mittwoch, 12. Oktober 2005

Hielte HH* Herr Kneipp meinen Lebenswandel für gesund?
Tante Dokta Pepa listet die Kneippschen Regeln für Gesundheit und Wohlergehen auf.

Regel 1
Den Tag mit fröhlichem Herzen beginnen, Gelassenheit und Zufriedenheit bewahren.

Etwa im Gegensatz zu den sonst üblichen Ratschlägen, den Tag am besten in übelster Laune, das Herz voll Wut und Gemeinheit zu beginnen? Da muss man erst mal draufkommen.
An dem meisten Tagen komme ich erst zu Bewusstsein, wenn ich bereits im Zug zur Arbeit sitze. Dann ist mein Herz oft fröhlich, gerade wenn ich eine schöne Geschichte in der Zeitung lese oder die Bäume vorm Zugfenster mal wieder ein lustiges Fußbad im Nebel nehmen. Ich bekenne mich aber schuldig, jede Spur von Gelassenheit und Zufriedenheit fahren zu lassen, wenn sich ein übellauniger Mitpassagier mit einer Schaffnerin anlegt.

Regel 2
Täglich für Bewegung sorgen – auf einfachste Weise durch Gehen und Wandern oder Dauerlauf, Radfahren, Gymnastik und Schwimmen. Stets unverkrampft und nicht in Hetze üben.

Ich verlasse meine Wohnung um 6.15 Uhr, komme zwischen 20 und 21 Uhr heim. Deshalb nehme ich mir das Recht heraus, allein schon stolz darauf zu sein, dass ich es ein- bis zweimal unter der Arbeitswoche in die Muckibude schaffe.
Die g’spaßige Work-Live-Balance-Trainerin, die kürzlich in einer Schulung empfahl, doch hin und wieder einfach eine Stunde früher aufzustehen und sich vor der Arbeit noch ein wenig zu bewegen, hätte ich gerne ein wenig gewürgt. Rückenschonend aus den Knien heraus.
Habe allerdings in letzter Zeit wieder Lust zu laufen, mal sehen, wie lange das hält.

Regel 3
Abhärten durch regelmäßige und einfache Anwendungen: Luftbäder, Wasseranwendungen.

Luft gönne ich mir praktisch durchgehend, aber ich fürchte, das ist nicht gemeint.
Zudem habe ich vor Jahren aufgehört, durch Radfahren bei jedem Wetter an meiner Abhärtung zu arbeiten. Seither bin ich besonders selten erkältet.

Regel 4
Gesundheitspflege mit Hilfe von Heilpflanzen: Tees, Säfte und Arzneien aus milden Heilpflanzen.

Ich schwöre auf Heilchemie (Ausnahme: Salbeisud gurgeln bei Halsschmerzen). Ich kenne sogar eine ganze Menge Leute, die schon praktisch alles an Heilpflanzen versucht hatten, was Apotheker, Mundpropaganda, Nachbarinnen und Frauenzeitschriften empfehlen – vergeblich. Als sie es dann mal mit Chemie versuchten, wurden sie endlich gesund.
Tees und Säfte gibt es bei mir nur zwengs lecker.

Regel 5
Mäßige Ernährung, so natürlich und vollwertig wie möglich. Reichlich pflanzliche Frischkost (Salate, Gemüse, Obst) und Vollkornprodukte (Vollkornbrot, Schrotgerichte). Reichlich trinken: Wasser, Säfte und Kräutertees.

Oh ja, alles da oben, Hauptsache lecker und viel. Plus Fleisch und Schokolade, wegen Ausgewogenheit. „Mäßige“? Nie so viel, dass mir schlecht wird.

Regel 6
Wenig Eier, Fett, Fleisch und Fleischprodukte. Möglichst wenig Kochsalz, Zucker, Süßigkeiten und Alkohol. Nicht Rauchen.

Ich zieh hier einfach ein Stück von Regel 2 herüber: „Stets unverkrampft und nicht in Hetze üben.
Meine hohen Ansprüche an die Qualität von Fleisch sorgen von selbst für seltenen Einsatz, Alkohol vergesse ich gerne mal ein paar Wochen lang völlig, Rauchen ist Vergangenheit. Aber Zucker und Süßigkeiten sind NICHT verhandelbar.

Regel 7
Bewusste Arbeit und Aktivität mit Eifer und Freude.

Protestantische Arbeitsethik trifft auf Buddhismus? Nee, tut mir leid: Eifer und Freude krieg ich wohl hin, aber „bewusst“ hört sich zu anstrengend an.

Regel 8
Auf ausgewogenen Wechsel zwischen körperlicher Aktivität und Ruhe, Wachsein und Schlafen achten, sinnvolle Freizeit- und Urlaubsgestaltung.

„Ausgewogen“? „Sinnvoll“? Gehen’S mer weg, sie wollen mich ja doch bloß in ein Benediktinnerinnenkloster stecken.

Regel 9
Übung des Geistes durch besinnliche Gespräche, Schreiben und Lesen guter Literatur; Pflege von Hobbies

Da, wusst’ ich’s doch: kontemplatives Klosterleben. Vor meinem inneren Auge sehe mich umringt von sanften Menschen mit stets leicht zur Seite geneigtem Kopf und milder Sprechweise. Es gibt wenig, was mich so schnell so aggressiv macht.
Zudem, HH Herr Kneipp: Was wetten, dass wir uns nie über eine Definition von „guter Literatur“ einig würden?

Regel 10
Übernahme von Aufgaben in Familie und Umwelt. Natürliches und bescheidenes Leben unter Rücksichtnahme auf Mitmenschen und die natürliche Umwelt.

Reicht es, wenn ich ein bisschen Familienchronistin bin, aus möglichst großem Abstand?
Und das mit der Natur: Ich nehme mir heraus, eine Menge Ausnahmen zu machen. Zivilisation finde ich nämlich ganz besonders klasse.

Tut mir leid, HH Herr Kneipp: Nach ihren Regeln ist mein Leben durch und durch ungesund. Bitte petzen Sie’s nicht meiner Krankenkasse.

* Hochwürdiger Herr. Habe ich seinerzeit in der Lokalredaktion aus Berichten freier Mitarbeiter vom Dorfe gelernt.

Frau Bundeskanzlerin

Dienstag, 11. Oktober 2005

Schöner Service der Süddeutschen Zeitung: Die heutigen Titelseiten von 16 deutschsprachigen Tageszeitungen. Mein Favorit ist die Rheinische Post.

Woanders lesen

Montag, 10. Oktober 2005

1. Geschichten um weibliche Augenfarben:
bei Herrn Paulsen
bei banana

2. Herr Rau probiert gerade mit Spamfiltern für seine Kommentare rum, derzeit eine Art Turing-Test.

John Irving, Until I Find You

Freitag, 7. Oktober 2005



Achtung (kleinere) Spoiler!

Dass sein neuester Roman Until I Find You über 800 Seiten lang ist, scheint auch John Irving ein schlechtes Gewissen bereitet zu haben (davor war der dickste A Son of the Circus mit gut 600 Seiten): Ungewöhnlich dünnes Papier verschleiert den Umfang; bin schon gespannt, wie die Paperback-Ausgabe mit normal dickem Papier aussehen wird.

An sich hat mich die Seitenzahl erst mal erleichtert; denn dass der Vorgänger, The Fourth Hand, so kolossal in die Hose ging, schiebe ich zu einem großen Teil auf die Magerkeit des Romans. Irving kann Kurzgeschichten (einige gesammelt in Trying to Save Piggy Sneed, einige eingebaut in Romane), Irving kann riesige Romane gewebt aus viele Handlungsfäden. Was er mit The Fourth Hand versucht hat, kann er nicht.

Until I Find You dreht sich um den Hollywood-Schauspieler Jack Burns, der als Vierjähriger mit seiner schottischen Mutter Alice (eine Tätowiererin) in Nordeuropa auf die Suche nach Jacks Vater William, einem Organisten, gegangen war – ohne Erfolg. Jack wächst in Kanada und an der US-amerikanischen Ostküste auf und wird von frühester Kindheit an von Mädchen und Frauen sexuell missbraucht. Erst als erwachsener Mann und Hollywoodstar beginnt er seine Erinnerungen an die damalige Europareise zu hinterfragen und macht sich erneut auf die Suche.

Viele Schauplätze, einige interessante Frauengestalten (die meisten davon Monster, aber endlich mal eine Ringerin), einige überraschende Wendungen – aber ich sah ständig die Mechanik hinter der Geschichte. Zum Beispiel: In dem Moment, in dem mich die zahlreichen foreshadowings zu nerven begannen, tritt eine Psychologin auf, die Jack bittet, beim Erzählen in den Therapiesitzungen nicht zu viel foreshadowing zu verwenden. Das ist lustig, aber erzählerisch hilflos.

Bevor ich Until I Find You anpackte, hatte ich A Widow for one Year ein drittes Mal gelesen (ich habe die Hauptperson darin, Ruth Cole, sehr gern). Deshalb riss es mich ein wenig, als ich zwei Bestandteile daraus gleich auf den ersten 200 Seiten von Until I Find You wieder fand: „Be always nice twice“ und ein bestimmtes Zitat aus Adam Bede von George Eliot. Irving spielt ja gerne in seinen Romanen auf andere seiner Romane an, aber bislang nie so platt.

Hübsch fand ich die Beschreibung des Academy-Award-Abends, an dem Jack Burns einen Drehbuch-Oscar bekommt. Es ist das Jahr, in dem Irving in der non-fiktionalen Welt selbst den Drehbuch-Oscar für The Cider House Rules bekam, es kommt sogar der Oscar für Michael Caine vor, allerdings verschweigt die Beschreibung in Until I Find You natürlich, dass er ihn für die Rolle des Dr. Wilbur Larch bekam.

Ebenso lehrreich wie die Schilderung der Vorbereitungen auf die Oscarnacht, des Ablaufs und der diversen Partys sind die Hintergrundinformationen zum Tätowieren und zu Orgeln und Orgelmusik. Nur dass mich die Handlung selbst zu wenig fesselte, als dass ich mich nicht ein wenig belehrt gefühlt hätte. Auffallend diesmal das indirekte Thema Essstörungen: Ständig ist jemand zu dünn oder kämpft mit seinem Gewicht oder verliert den Kampf und wird abenteuerlich dick oder isst eigentlich nicht oder treibt aus Figurgründen wie bescheuert Sport oder ist anorektisch und fällt irgendwann vom Trimmrad.

Unterm Strich: Gern gelesen, hin und wieder gelacht, immer noch besser als vieles, was ich in den letzten Jahren sonst gelesen habe – aber kein Spitzen-Irving.

Dank an Frau Julie, ohne deren Hinweis ich diesmal nicht mal mitbekommen hätte, dass es einen neuen Irving gibt.

(Übrigens beginnt Irvings offizielle Biografie seit einigen Jahren nicht mehr mit seinem Geburtsjahr, sondern mit dem Alter, in dem er seinen ersten Roman veröffentlicht hat, 26. Simmer a bissl eitel, hm? Herr Irving ist Jahrgang 1942, das blieb mir hängen, weil er wenige Wochen jünger ist als mein Vater.)

Keine Provokation, ehrlich

Donnerstag, 6. Oktober 2005

Also los: Wer war das?

Da bin ich mal einen Vormittag zu Hause, und schon ruft der Bund für Kinderhilfe an.

Irgend jemand muss mich gestern im Flieger beobachtet haben, wie ich mir verzweifelt die Ohren zuhielt, als das etwa zweijährige Mädchen vor mir einen zwanzigminütigen Tobsuchtsanfall hatte, und wie ich ihr hin und wieder aufrichtig tödliche Blicke zuwarf. (Ich bin immer wieder überrascht, dass Baby- und Kleinkindbrüllen in mir schlagartig eine Aggression hervorruft, die mir ansonsten fremd ist. Meine biologische Programmierung ist eindeutig fehlgeschlagen.) Das blonde Monster wiederholte seine Vorstellung im letzten Drittel des Fluges, und ich war schon stolz darauf, dass ich noch Energie hatte mich zu wundern, dass es nicht heiser wurde. Ausgefeilte Atemtechnik, schätze ich.

Der Bund für Kinderhilfe war eine Frau, die mir am Telefon erzählte: „Vielleicht haben Sie es schon mitbekommen: Wir suchen Menschen, die ein Herz für Kinder haben.“
Vermutlich dachte die Dame, ich wolle sie provozieren, doch ich hätte es nicht ehrlicher meinen können, als ich inbrünstig antwortete: „Ich habe kein Herz für Kinder.“

Office with a view – Büro mit Aussicht

Donnerstag, 6. Oktober 2005

Thanks, Joe, for arranging everything perfectly (again) and for sharing the breathtaking view from your office with me. The apples “ananas” from your colleague’s garden keep amazing me, they might be the most delicious apples I’ve had in years. Please make sure to inform me when the Royal Danish Orchard has its next open day; I wouldn’t want to miss it.

(Will anybody at home believe that I saw somebody swim past this window during my visit in July?)