Zadie Smith, On Beauty

Freitag, 28. Oktober 2005 um 11:29

Achtung, (kleinere) Spoiler!

Eine richtige university novel hat sie als dritten Roman veröffentlicht, die wundervolle Zadie Smith.* So richtig in der Tradition von Kingsley Amis, Malcolm Bradbury und – am deutlichsten – David Lodge. Das fängt mit dem Schauplatz an, einer Universität Wellington in New England, setzt sich mit der Gegenüberstellung Großbritannien / USA fort und hört mit der satirischen Beschreibung des akademischen Alltags noch lange nicht auf. Als zentrale Figuren in On Beauty haben wir zwei Professoren aus demselben Fachgebiet (Kunstgeschichte, Rembrandt), aber mit grundsätzlich verschiedenen Ansätzen. Einer davon ist laut und populistisch, anerkannt und erfolgreich (siehe David Loges Morris Zapp), der andere ist verkopft, intellektuell verquast und schreibt seit Jahren an seinem fachlichen Opus Magnum (siehe Phillipp Swallow). Unterschiedliche Bildungsideale treffen aufeinander, (selbstverständlich verschrobene) Assistenten werden ausgenutzt, Studentinnen vernascht, politische Protestaktionen organisiert. So weit, so traditionell.

Doch eigentlich ist alles anders. Denn der rote Faden der Geschichte spinnt sich um die Familie des weißen, englischen Professors Howard Belsey. Und wiederum in deren Zentrum steht seine schwarze Frau Kiki, Amerikanerin aus Florida. Diese Konstellation bildet die Bühne für die alltäglichen Auswirkungen von Stereotypen. Am deutlichsten – und komischsten – wirken sich die mit Hautfarbe verbundenen Stereotypen aus. In der Familie Belsey gibt es drei Kinder, alle dunkelhäutig, alle jugendlich. Da sie in einem noblen Haus in einer noblen Gegend der Universitätsstadt wohnen, muss Tochter Zora vom Vorgarten aus schon mal eine weiße Passantin beruhigen, die ihren jüngeren und als Rapper gekleideten Bruder Levi anstarrt:

„Thank you! Yes, move along now – he lives here – yes, that’s right – no crime is taking place – thank you for your interest!”

Hautfarbe spielt in On Beauty eine so entscheidende Rolle, dass ich bei der Einführung einer neuen Figur immer auf die Information wartete, ob er oder sie nun schwarz oder weiß ist – weil alles Weitere davon abhängen würde. Die drei Belsey-Kinder gehen ganz unterschiedlich mit ihrer Schwarzheit um (und dass sie gezwungen sind, sich damit auseinanderzusetzen, daran lässt die Geschichte keinen Zweifel): Zora ist die liberale und politisch aktive Intellektuelle (die zudem auch noch durch ihr Geschlecht the other ist), Levi, der noch zur Schule geht, wendet sich der separatistischen Rapper-Kultur zu, der älteste Sohn Jerome ist fundamentalistischer Christ geworden. Für ihre Mutter Kiki wiederum kommen die (fremdem und schuldbeladenen eigenen) Stereotypen von Klassenzugehörigkeit und Körperformen dazu.

Die wichtigsten Nebenrollen übernimmt die andere Professorenfamilie, die des schwarzen, britischen und vehement anti-liberalen Monty Kipps. Zwischen seinen Angehörigen und der Familie Belsey entstehen viele, auch unvermutete Verbindungen auf geistiger und menschlicher Ebene.

Das Ganze ist fesselndes Lesefutter auf oberem Niveau. Zadie Smith kann glücklich machen; bei mir reicht dazu schon ein Kapiteleinstieg wie dieser:

Summer left Wellington abruptly and slammed the door on the way out. The shudder sent the leaves to the ground all at once, …

Sie ist für mich eine Geschichtenerzählerin in der Tradition des 19. Jahrhunderts, zu der ich auch Salman Rushdie und John Irving zähle. Noch weniger als schon in ihrem zweiten Roman The Autograph Man tauchen aber in On Beauty die Elemente auf, die White Teeth für mich zu einem Meilenstein machten: das unbefangene, freche Spiel mit Erzählformen, Vorbildern, Traditionen, Kulturen, Topoi. Ich hoffe sehr, dass Zadie Smith das nicht für immer aufgehört hat.

*Romanautoren als Personen interessieren mich ja sonst nur am Rande, aber dieser Frau Smith bin ich verfallen. Vielleicht nachvollziehbar nach der Lektüre des Artikels “Touching up Zadie Smith”, in dem sie über die Verfilmung ihres ersten und brillanten Romans White Teeth erzählt? Da gibt’s auch ein schönes Foto von ihr.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Zadie Smith, On Beauty

  1. kecks meint:

    Dein “Summer left Wellington abruptly”-Quote hat gerade dazu geführt, daß mein leerer Geldbeutel jetzt nach einer oneclick-Bestellung bei bekanntem Onlinebuchundsonstallerleitandgroßbuchhändler wieder mal noch leerer als leer geworden ist. Danke =)!

  2. Ubique meint:

    Zadie Smith’s Fabuliertalent in ‘On Beauty’ granted – an “eine Geschichtenerzählerin in der Tradition des 19. Jahrhunderts” fühle ich mich NICHT erinnert. Dafür scheint es mir für die wunderbar individuell gezeichneten Charaktere mit ihren persönlichen Idiosynkrasien an “Fallhöhe” und der Plotline an “Wucht” zu fehlen.
    Was den Roman für mich auszeichnet, ist, dass es Zadie Smith gelingt, aus den sich vielfältig sich ergebenden Begegnungen ihrer Figuren mit all ihren Schwächen wie auch Stärken (Kiki, Howard, Victoria, …) “Funken” absurder Komik bis hin zum Tragi-Komischen “zu schlagen”. Ihre Figurenwelt ist sehr ausgewogen, die Sympathielenkung wohltuend ausbalanciert, ohne bias gegen, wie so häufig, die männlichen Haupt- und Nebenfiguren. Meine Favoritin wäre die bewundernswerte Mrs Carlene Kipps.
    Es ist schon erstaunlich, wie sehr die britische Zadie Smith als gegenwärtiger Radcliffe Fellow at Harvard University in die akademische Ostküstenwelt eingedrungen ist.

  3. liljan98 meint:

    Ich lese “On Beauty” gerade und kenne (noch) keinen anderen Roman von Zadie Smith, aber von diesem bin ich schon sehr begeistert. Insbesondere wegen Zeilen wie “Summer left Wellington…”, die ich einfach grandios finde. Ich bin gespannt wie’s jetzt nach ca. de, 1. Drittel weitergeht

  4. Andi meint:

    Ich hätte mal ne Frage: Ich habe das Buch auch vor ein paar Wochen gelesen, aber irgendwie da wohl was nicht mitbekommen. Woher weiss man, dass die Familie Kipps schwarz ist bzw.: Ab wann?
    Ich kann mich erinnern, das mal ein Haus einer der beiden Families beschreiben wird mit den Bildern entlang den Treppen, aber das war doch von den Belseys oder? und dann gibt es die Szene, in der der Jüngste von den Beelseys der Frau von Kipps nach deren Umzug in die Nachbarschaft auf dem Heimweg von der Arbeit begegnet – o.k., da ist ssie als schwarz beschrieben, aber nicht als die Frau von Kipps – die Frau von Belsey sagt sspäter zu ihrem Jüngsten, dass das die Frau von Kipps ist, ich dachte, das ist ein Denkfehler von ihr, weil die Kipps mir so weiß vorkamen (zumal aus Englaand =;-) Ich habe das Buch leider im Moment nicht auftreiben können, vielleicht könnt ihr mir helfen – wäre super. (Und ab wann weiss man, dass der Kollege von Belsey schwarz ist – erst ab der Beerdigung von Kipps Frau? Der kam mir auch so weiss vor =;-)

    Zadie Smith soll auch einen Blog haben, wisst ihr wo (England, AAmerika, Internet)

  5. die Kaltmamsell meint:

    Sie könnten Ihrer Erinnerung durch Nachschlagen im Buch auf die Sprünge helfen, Andi – oder erwarten Sie von mir, dass ich das für Sie erledige?

  6. Andi meint:

    nö, war ja nur ne Frage, vielleicht hättenses noch gewusst – kommt nimmer vor =;-)

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