Archiv für September 2007

You had to be there

Mittwoch, 19. September 2007

Mal wieder ein schöner gemeinsamer Abend mit dem Mitbewohner. Wir erzählen einander von diesem und jenem, ich unter anderem von einem Artikel, den ich in einer Ausgabe von Granta gelesen hatte.

Ich: „…und aus dieser abstrusen Geschichte von zwei englischen Opernfans, die deutsche Juden aus Deutschland rausschmuggelten, wurde mir klar, dass nicht nur in jedem von uns ein potenzieller Folterter, wenn nicht gar Mörder steckt; sondern auch, dass in jedem von uns ein potenzieller Lebensretter steckt.“
Er: „Aber zurück zu XML.“

Als ich vor Lachen schier vom Sofa falle, erklärt er:
„Das Gegenteil von Reden ist nicht Zuhören; das Gegenteil von Reden ist Abwarten.“
Gut, er hat zugegeben dass er damit lediglich eine gewisse Fran Lebowitz zitiert hat. Die er aus dem Penguin Dictionary of Humorous Quotations kennt. Dazu sollten Sie wissen, dass der Mann, den ich liebe, auch Lexika liest. Von vorne bis hinten.

(Diese Frau Lebowitz scheint oft Zitierbares von sich zu geben. Hier eine kleine Auswahl.)

Für’s Oktoberfest unbedingt beachten – SONST!

Dienstag, 18. September 2007

Martina Kink, die es wissen muss, weist auf die Essenzialien des weiblichen Oktoberfest-Dresscodes hin.

Es heisst Oktoberfest oder Wiesn, meine Damen, es heisst nicht ‘die Wiese’ und es heisst vor allem und schon gar nicht Fasching oder Karneval. Ich möchte zu gerne heute schon die Mehrheit der weiblichen Oktoberfestbesucher dazu verdonnern, obigen Satz dreihundertmal mit Kreide an eine Tafel zu quietschen. Weil aber selten jemand macht, was ich sage, erkläre ich es kurz hier und umständlich aber trotzdem ein für allemal.

Das Oktoberfest heisst Oktoberfest weil es im September in München stattfindet, und nicht im Februar in Köln oder Düsseldorf. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Menschen ‘ein Prosit!’ plärren und nicht etwa ‘Alaaf!’ Ein Dirndl ist kein Clownkostüm sondern eine Tracht und steht für Bayern Berge Brauchtum. Wer davon nichts versteht ziehe sich bitte an wie sonst auch, es ist genug Bier für alle da, versprochen, man muss sich nicht als Bayer verkleiden. Ganz Australien stünde ja draussen vorm Zelt, ausserdem bekommt man im T-Shirt weit leichter die Hände zum Himmel als in einer doch sehr engen Dirndlbluse.

Bitte ganz lesen.

Wo München doch sonst die Stadt der Türsteher ist: Ich sehe da eine wundervolle und fruchtbare Karrieremöglichkeit für Frau Kink. Dann, aber nur dann, gehe ich vielleicht auch mal hin.

Rettet die Prinzregententorte – 2

Montag, 17. September 2007

Als Herr Exit zu „Rettet die Prinzregententorte!“ aufrief, wusste er vermutlich gar nicht, wie nötig diese Aktion ist. Auch mir wurde das erst an diesem Wochenende klar.
Nach dem missglückten ersten Versuch, selbst eine richtige Prinzregententorte zu fertigen, ging ich die ganze Sache systematisch an. Ich recherchierte ausführlich zur Genesis dieses Backwerks und wollte die Torte am Wochenende bei zwei Münchener Konditoreien testen, die Anspruch auf die Entwicklung des Rezepts erheben: Am Samstag beim Rottenhöfer, am Sonntag beim Erbshäuser, der sogar einen eigenen Geschäftszweig aus der Vermarktung der Prinzregententorte gemacht hat (der dritte mögliche Urheber, Anton Seidl, hinterließ in München keine Konditorei seines Namens; ob es eine Verbindung zur Münchener Pralinenmarke Elly Seidl gibt, ist noch nicht geklärt).

Doch als ich Samstag kurz vor 14 Uhr, also sogar noch vor der tortenzehrenden Kaffeestunde, beim Rottenhöfer nach Prinzregententorte fragte, gab es keine! Zwar bot mir die freundliche und angemessen rüschbeschürzte Verkäuferin als Alternative eine Baumkuchentorte an, die der Prinzregententorte ihrer Aussage zufolge am nächsten kommt. Doch ich war schließlich nicht zum Vergnügen da, sondern im Auftrag der Wissenschaft. Die streng wissenschaftliche Enttäuschung tröstete ich lieber mit einer großen Portion der dortigen Pralinen.

Am Sonntagmittag beim Erbshäuser, einer kleinen und unscheinbaren Konditorei samt Café gleich hinter der Siemens-Zentrale, bekam ich die letzten Stücke Prinzregententorte. Ich nahm sie zum Verzehr mit auf meinen Balkon.

erbshaeuser_prinzregenten.jpg

Doch das Ergebnis der Verkostung durch Mitbewohner und mich: Wenn das state-of-the-art in Sachen Prinzregententorte ist, sollten wir das Verbraucherministerium hinzuziehen (Herr Exit, das ist doch bei Ihnen gleich ums Eck, nein?): Die Torte schmeckte vorvorgestrig, die Böden waren gummig, Füllung und Glasur in erster Linie süß, in der Buttercreme fanden sich sogar Zuckerkristalle. Wenn das das Original ist, verfälsche ich lieber. Nächstes Wochenende mache ich einen neuen Anlauf.

Rettet die Prinzregententorte – 1

Familienalbum – 26: Unbegabung

Sonntag, 16. September 2007

mehrfarb_linoleumdruck.jpg

Mich verblüfft immer wieder, welche Ausdruckskraft in Kinderzeichnungen liegt. Schaun Sie zum Beispiel mal rüber zu Frau Lisa9. Die Verblüffung liegt aber auch daran, dass sich diese Ausdruckskraft in der Familie Kaltmamsell nie entdecken ließ, bei keinem Mitglied. (Mein Bruder hat seinen Genpool mit dem einer sehr begabten Malerin und Zeichnerin zusammengeworfen, die aus einer Architektin-Kunstlehrer-Verbindung stammt. Ich bin sehr gespannt, welches Erbe bei den drei Kindern dominiert.) Unter anderem deshalb wollte ich vor einigen Jahren, als meine Eltern ihren Keller ausräumte, alle Zeugnisse meiner mangelnden Kinderkunst wegwerfen. Der Mitbewohner fiel mir in die Arme und bewahrte ein paar Blätter auf. Unter anderem das da oben, A3 groß, das ich als Zwölfjährige für die Schule anfertigen musste, um mehrfarbigen Linoleumdruck zu lernen. Den Stier habe ich wohl irgendwo abgepaust, oder eine Klassenkameradin (vielleicht sogar der Kunstlehrer?) hat ihn mir auf das Linoleum vorgezeichnet. Doch seltsam: Ohne den Kontext Kinderzeichnung finde ich das Bild recht dekorativ – gerade wegen seiner handwerklichen Misslungenheit und seiner Statik, die in spannendem Gegensatz zum Thema Stierkampf steht.

Seasonal Signs

Samstag, 15. September 2007

In der Arbeit kann man sich seit drei Wochen in eine Liste für den Firmenbesuch dortselbst eintragen.

Das Werbemodel für den lokalen Internetanbieter trägt auf den Plakaten Dirndl.

Basitsch bietet Lebkuchenherzen mit Zuckeraufschrift zum Umhängen an.

In jeder zweiten Schwabinger Boutique hängt Kleidung im Schaufenster, die die Welt für typisch bayerisch hält.

Der Lokalteil der Süddeutschen Zeitung stellt seit Wochen „Stammgäste“ vor.

Der Beate-Uhse-Laden in der Sendlinger Straße hat eine Schaufensterpuppe mit einer Unterhose angetan, auf der „Wies’n-Souvenir“ eingestickt ist.

Ich muss mich wohl damit abfinden, dass hier in einer Woche das Oktoberfest beginnt.

Zeitlang nach Brighton

Freitag, 14. September 2007

Frau affectionista treibt sich derzeit in Brighton herum und berichtet in Wort und Bild. Hach.

HACH!

(Während meines jüngsten Aufenthalts dort im August habe ich überlegt, warum ich gerade da immer wieder gar so gern bin. Erstes Teilergebnis: Es hat damit zu tun, dass die Vertrautheit ganz einseitig ist. Ich kenne mich inzwischen richtig gut aus, bin mit vielen wundervollen Anblicken, Gegenden, Örtlichkeiten vertraut – aber umgekehrt engt mich niemand durch Kennen ein. Ich darf fremd und frei bleiben.)

Das erste Mal Fabrik

Donnerstag, 13. September 2007

Das erste Mal landete ich in der Fabrik, als ich 17 war. Ich war zwar noch unter dem Mindestalter von 18 Jahren, das die große, große Fabrik für Ferienjobber gesetzt hatte; doch ich kam bei der DIW unter, Deutsche Industriewartung, die als so genannte Fremdfirma mit der Reinigung der Fabrik beauftragt war (und die das Büro putzt, in dem ich heute sitze – man begegnet sich wirklich, wirklich immer zweimal).

Vier Wochen meiner Sommerferien ging ich also Putzen, ich glaube 7 bis 4 Uhr. Ich war nicht die einzige Ferienjobberin bei der DIW: Die männlichen Aushilfen meiner Altersklasse mussten mit den DIW-Männern Lackierwannen reinigen oder Dächer von Werkshallen schrubben; wir beiden Mädchen wurden der Frauenriege eingegliedert, die für Umkleiden, Sanitärräume und Büros zuständig war.

Am stärksten in Erinnerung geblieben ist mir die Warmherzigkeit, mit der die fest angestellten Frauen uns umsorgten, und ihre Freundlichkeit. Es war völlig klar, dass wir Gymnasiastinnen eine andere berufliche Zukunft anpeilten; ich hatte deshalb ein bisschen Angst, dass die Damens uns besonders triezen würden. Doch wir waren einfach ihre Küken, auf die man aufpassen musste. So schoben sie uns die allerleichtesten Aufgaben zu; weder mussten wir die Umkleideräume der Arbeiter sauber machen, schon gleich gar nicht Klos.

Jeden Morgen kam ein Kleinbus an die Sammelstelle bei den Umkleiden der Zentrale und fuhr uns auf dem sehr weitläufigen Werksgelände an das Gebäude, in dem wir putzen sollten. Die andere Schülerin hieß Linde („genau, wie der Kühlschrank“) und war eine winzige Elfe mit Porzellanhaut, kurzen schwarzen Locken, schwarzumrandeten Augen im Gesichtchen, dramatischen Gesten und einer bösen Gosche, die Bäume hätte fällen können. Ich war sofort in sie verliebt.

Die erste Woche wurden wir allmorgentlich zur „Jahresreinigung“ in ein entlegenes Verwaltungsgebäude im Stil einer 70er-Amststube geschafft. Die Männer darin waren so begeistert, dass hier endlich mal jemand gründlich putzte, dass sie uns wie Gäste behandelten, uns Kaffee kochten und Kuchen brachten. Eine weitere Woche waren wir im Ärztezentrum der Fabrik beschäftigt, auch dort mit einer über das alltägliche hinausgehende Reinigung. Hier wurde uns erheblich genauer auf die Finger geschaut: Abends fuhr eine streng dreinschauende Ärztin mit einem Taschentuch über obere Türrahmen – die wir ab dem zweiten Tag auch tatsächlich sauber machten.
In all diesen Aufträgen waren Linde und ich kolossal unterbeschäftigt und widmeten uns seligem Jungmädchengetratsche.

Danach beschränkte sich unser Austausch auf die Mittagspause: Wir waren mit der Grundreiningung eines Neubaus betraut, Linde an einem Ende, ich am anderen. Ich erinnere mich, dass ich dazu unter anderem einen mächtigen Industriestaubsauger zur Verfügung hatte, der auch kleinere Säugetiere verschluckt hätte. Und dessen Motorgeräusch im Kammerton A gestimmt war – das nutzte ich, indem ich in den einsamen Fluren und Treppenhäusern (Akkustik!) mit Staubsaugerbegleitung lauthals das ganze Repertoire meines damaligen Chores rauf und runter sang.

Zur Brotzeit wurden wir wieder abgeholt und machten mit den fest angestellten Putzfrauen zusammen Pause. Derb und einfach waren sie alle, aber mir fällt nicht eine ein, die unsympatisch gewesen wäre. Die Gesprächsthemen waren mir eher fremd, unter anderem, weil die Damen einer deutlich anderen Altersklasse angehörten. An eine Unterhaltung erinnere ich mich bis heute besonders deutlich: Das Gespräch drehte sich gerade um das Bedauern, dass nichts mehr so wie früher sei. Eine der älteren Putzkolonnendamen ließ sich darüber aus, wie viel aufgeklärter heute die jungen Frauen seien als zu ihrer Jugendzeit. Einerseits begrüßte sie das, doch äußerte sie sich bedauernd, dass es heute halt in der Sexualität gar keine Geheimnisse mehr gebe: „Wo i as erste Moi schwanger war,“ erzählte sie als Beispiel, „hab i net amal gwusst, wo des Kind nacha rauskummt.“ Der Kindsvater habe das geklärt: „‚Do wo’s neikumma is!’, hat mei Mo gsagt!” Dröhnendes Gelächter in der Frauentruppe.

Bleibende Erinnerungen hinterließ auch nicht nur der Supersauger, sondern das weitere Arbeitsmaterial, das zur Verfügung gestellt wurde. Da gab es zum Beispiel dieses sensationelle rosarote Putzmittel, das sehr sauber roch: Ein Tropfen davon auf einem Schreibtisch genügte, und ich bekam ihn mit einem weichen Tuch sauber wie neu. Dieses Zaubermittel vermisse ich bis heute, wenn ich mal wieder vergeblich an einem Flecken herumrubble. Dass mir im Lauf des Tages vom Hantieren mit dem Zeug sämliche Schleimhäute zuschwollen, wird schon nicht so schlimm gewesen sein.


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