Archiv für Februar 2008

Prüde

Sonntag, 10. Februar 2008

Wissen Sie: Vielleicht stimmt ja tatsächlich etwas mit meiner Sexualität nicht. Diesen Verdacht hatte ich zum ersten Mal, als ich 1986 im Kino 9 1/2 Wochen sah; ich fand den Film peinlich und ein wenig gruslig, schien aber die einzige im Kino zu sein, die die ganzen 9 1/2 Wochen hindurch die Schultern hochgezogen und eine unangenehme Gänsehaut hatte. Dabei hatte ich damals bereits mehrfach Sex gehabt und großen Gefallen daran gefunden.

Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war mein 22. Geburtstag, zu dem mir mein damaliger Freund eine große Flasche des Parfüms Loulou schenkte, weil er „das so erotisch“ fand. Mir roch es nach Opernklo, und ich machte mir um meine Erotik Sorgen.

Dann wieder forderte mich letzthin ein Freund auf – in Zusammenhang -, ich solle auf‘s Ganze gehen: „Lass deine innere Schlampe raus!“ Ich schwöre, da drinnen ist eine Menge Anrüchiges, aber sicher keine Schlampe.

Und jetzt erinnert mich eine Geschichte in der Wochenendbeilage der SZ an eine weitere Prüderie: Irgendwann schrie ich meinen Fernseher an, wenn man mir noch ein-mal ein Kosmetikum mit einem nackten Männeroberkörper verkaufen wolle, würde ich nie wieder eine Drogerie betreten. (Eine leere Drohung, ich gestehe.)

Für mich der erotischste Film? Sex, Lies and Videotape. Unbedingt mal wieder anschaun.

Regression?

Sonntag, 10. Februar 2008

Ich bin auf dem besten Weg, mich zu dem quietschenden Teenager zurückzuentwickeln, der ich niemals war. Nur wegen Kathrin Passig.

Als sie sich den Bachmannpreis holte, gefiel mir die Gewinnergeschichte ja schon mal ausgezeichnet. Den ersten Stein zum Fantum aber legte der Vorstellungsfilm, den ich mittlerweile mitsprechen kann. Schnell stellte ich fest, dass ich ihre Autorenschaft in der Riesenmaschine bereits nach wenigen Wörtern erkenne – allein schon am inneren Juchzen „die Passig hat wieder was geschrieben!“.

Möglicherweise ist alles höchst lesenswert, was aus Passigs Fingern kommt (unwahrscheinlich, deswegen Symptom von Fantum). Zum Beispiel die Presseseite über ihren Bachmannpreis, auf der sie gelassen, aber sorgfältig den Blödsinn korrigiert, den die Medien über sie schreiben oder senden.

Von ihrem mit Aleks Scholz geschriebenen Lexikon des Unwissens habe ich schon an anderer Stelle geschwärmt.

Kurz und brilliant der jüngste Text, den ich von ihr gefunden habe:
Welche Unterhaltungsformen demnächst aussterben werden und warum

Und dann hat sie auch noch am Tough Guy-Rennen teilgenommen!

Quiiiiiiietsch!

To keep the cake and eat it

Samstag, 9. Februar 2008

Jeder selbst gemachte Marmorkuchen birgt in sich einen tragischen Konflikt: Am besten schmeckt er mit ordentlich Schokoladenüberzug. Und am besten schmeckt er ganz frisch und noch warm. Doch beides zusammen geht nicht.

Heute habe ich beides zumindest hintereinander geschaltet. Erst ein je ein Stück frisch und warm für Mitbewohner und mich. Nach dem Abkühlen schokoliert.

marmorkuchen_teilschokoliert.jpg

(Foto von Mitbewohner, habe meinen Apparat vor einer Woche bei meinem Bruder vergessen. Schlimme Entzugserscheinungen.)

Lernen von den Alten, heute: Weibliche Arbeitswelt

Mittwoch, 6. Februar 2008

Ist ja wieder ganz aktuell in der Diskussion: Wie kann man das weibliche Potenzial unter Akademikerinnen und Facharbeiterinnen ausschöpfen? Während die meisten Unternehmen in Richtung Studentinnenförderung und familienfreundliche Arbeitswelten denken, lassen sie eine bewährte Quelle ungenutzt. Denn es gab ja schon mal eine Zeit, in der mangels Männer Frauen in ganz unfemininen Berufen gebraucht wurden: im Krieg. Und selbstverständlich machte sich das damals fortschrittlichste Wirtschaftsland der Welt, die Vereinigten Staaten, strukturiert Gedanken, wie mit dieser neuen Situation umzugehen sei.

Der folgende Leitfaden aus dem Jahr 1943 richtet sich an die männlichen Vorgesetzten der Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges beschäftigt wurden, und wurde im Transportation Magazine veröffentlicht.

Meine Favoriten mit großem Abstand sind Nummer 3 (lasst dicke Frauen um mich sein!) und 8.

Eleven Tips on Getting More Efficiency Out of Women Employees

There’s no longer any question whether transit companies should hire women for jobs formerly held by men. The draft and manpower shortage has settled that point. The important things now are to select the most efficient women available and how to use them to the best advantage. Here are eleven helpful tips on the subject from western properties:

1. If you can get them, pick young married women. They have these advantages, according to the reports of western companies: they usually have more of a sense of responsibility than do their unmarried sisters; they’re less likely to be flirtatious; as a rule, they need the work or they wouldn’t be doing it – maybe a sick husband or one who’s in the army; they still have the pep and interest to work hard and to deal with the public efficiently.

2. When you have to use older women, try to get ones who have worked outside the home at some time in their lives. Most transportation companies have found that older women who have never contacted the public, have a hard time adapting themselves, are inclined to be cantankerous and fussy. It’s always well to impress upon older women the importance of friendliness and courtesy.

3. While there are exceptions, of course, to this rule, general experience indicates that “husky” girls – those who are just a little on the heavy side – are likely to be more even-tempered and efficient than their underweight sisters.

4. Retain a physician to give each woman you hire a special physical examination – one covering female conditions. This step not only protects the property against the possibilities of lawsuit but also reveals whether the employee-to-be has any female weaknesses which would make her mentally or physically unfit for the job. Transit companies that follow this practice report a surprising number of women turned down for nervous disorders.

5. In breaking in women who haven’t previously done outside work, stress at the outset the importance of time – the fact that a minute or two lost here and there makes serious inroads on schedules. Until this point is gotten across, service is likely to be slowed up.

6. Give the female employee in garage or office a definite day-long schedule of duties so that she’ll keep busy without bothering the management for instructions every few minutes. Numerous properties say that women make excellent workers when they have their jobs cut out for them but that they lack initiative in finding work themselves.

7. Whenever possible, let the inside employee change from one job to another at some time during the day. Women are inclined to be nervous and they’re happier with change.

8. Give every girl an adequate number of rest periods during the day. Companies that are already using large numbers of women stress the fact that you have to make some allowances for feminine psychology. A girl has more confidence and consequently is more efficient if she can keep her hair tidied, apply fresh lipstick and wash her hands several times a day.

9. Be tactful in issuing instructions or in making criticisms. Women are often sensitive; they can’t shrug off harsh words the way that men do. Never ridicule a woman – it breaks her spirit and cuts her efficiency.

10. Be reasonably considerate about using strong language around women. Even though a girl’s husband or father may swear vociferously, she’ll grow to dislike a place of business where she hears too much of this.

11. Get enough size variety in operator uniforms that each girl can have a proper fit. This point can’t be stressed too strongly as a means of keeping women happy, according to western properties.

von feministing

Und jetzt schicke ich das an die Leiterin unserer Personalentwicklung.

Hadern mit dem Nichtbegreifen

Mittwoch, 6. Februar 2008

Da kriegt also jemand ein gewünschtes Baby, leidet nach der Entbindung unter schwerer postnataler Depression, die sie sogar zu einem längeren stationären Klinikaufenthalt zwingt. Das Kind stellt sich als unglückliches, essgestörtes Monster heraus, das seine ersten vier Lebensjahre hauptsächlich mit Tobsuchtsanfällen und Gebrüll verbringt. Das Familienleben ist beherrscht von Prognosen, was in der näheren Zukunft wohl welche Art von Kinderzorn hervorrufen wird – und doch wünscht sich die Mutter noch ein Kind! Obwohl ihr klar sein MUSS, dass sie selbst bei besserem Gelingen das Monster nicht etwa gegen das zweite eintauschen können wird. Ich fühle mich so allein in meinem absoluten Nicht-Begreifen dieses Mechanismus’.

Doch ich arbeite weiterhin hartnäckig daran, ihn auf irgendeine Weise zu verstehen. Vielleicht könnte ich die Mutter mit einem leidenschaftlichen Formel-Eins-Rennfahrer vergleichen, der bei einem Unfall fast gestorben wäre? Und der dennoch – gerade mal verheilt, doch verbrannt und ohrenlos – wieder Rennen fährt? Oder mit dem enthusiastischen Extrembergsteiger, der im Eis bereits alle Zehen verloren hat und doch immer neue extreme Bergtouren plant?

Familienalbum – 27: Wieder Kinderfasching

Montag, 4. Februar 2008

kinderfasching_1972.jpg

Ganz rechts Klein-Kaltmamsell als Pipi Langstrumpf, ich schätze fünfjährig, also muss das 1972 gewesen sein.

Neben mir steht der Berndi, der böse Bub des Wohnblocks, den alle Kinder fürchteten. Er war zerstörerisch und aggressiv, die etwa 15 weiteren Kinder im Block gingen ihm aus dem Weg. Meine Mutter erzählt, sie habe mir erklärt, dass er vielleicht deshalb so böse war, weil wir ihn nie mitspielen ließen (sie hatte außerdem mitbekommen, dass Berndi von seinem Vater regelmäßig durchgeprügelt wurde, aber das erzählte sie mir erst viel später). Ihre Erklärung habe mir eingeleuchtet. Da die anderen Kinder sich davon aber nicht hätten beeindrucken lassen, habe ich halt als einzige mit ihm gespielt. Das war, ein wenig erinnere ich mich, immer recht aufregend, denn der Berndi war wild und komplett furchtlos, kletterte auf die höchsten Bäume, radelte über die buckligsten Wege, traute sich in die dunkelsten Bunker (gab es damals noch einige in der Nähe) – ich immer mit. Dass ich eines Sommers beim Mitfahren auf dem Gepäckständer seines Kinderrades die nackten Zehen in die Speichen brachte, war wirklich nicht seine Schuld. Als wir in einen anderen Wohnblock zogen, trennten sich unsere Wege.

Der zweite Indianer ist der Sohn einer Freundin meiner Mutter, ich erinnere mich nicht mal an seinen Namen. Das Mädchen im Hintergrund erkenne ich nicht. Doch die kleine Piroschka ganz links im Eck (gibt es heute noch als Ungarin verkleidete Kinder?) war die zarte, vorsichtige Heike, ein Nachbarmädchen.

Über das Balkongitter hinweg erkennt man neben zertrampeltem Schnee (wir spielten halt wirklich viel draußen) die Rohbauten einer Reihenhaussiedlung.

Nachtrag: Erst jetzt bemerke ich den Topf auf dem Fensterbrett: Das Glas Senf daneben weist darauf hin, dass es sich um einen Topf voll Würschtl handelt – neben Krapfen die Standard-Verköstigung auf einem Kinderfasching.

Gentechnik und Lebensmittel

Freitag, 1. Februar 2008

Bei manchen Themen verschätze ich mich in der Reaktion der betroffenen Bevölkerungsgruppen sehr. Zum Beispiel als es erstmals ernsthaft um die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten ging: Oh, dachte ich mir, da werden sich die Verkäuferinnen und Verkäufer aber freuen, dass sie endlich ihre Arbeitszeiten mit andere Interessen abstimmen können. Ich war wirklich völlig verdutzt, als die Gewerkschaften lauthals protestierten.

Oder als seinerzeit die Möglichkeit der Genveränderung an Pflanzen publik wurde: Oh, dachte ich mir, da werden sich die Umweltschützer aber freuen, dass man endlich eine Möglichkeit gefunden hat, Pestizide und Herbizide zu umgehen, die sich bewiesenermaßen so nachhaltig schädlich auf Fauna und Flora auswirken. Und so bin ich bis heute ehrlich verdutzt, dass Umweltschützer die grüne Gentechnik als höchstwahrscheinliche Apokalypse bekämpfen.

Ja, einiges an den Konsequenzen der Genmanipulation ist noch nicht absehbar. Wir wissen ja auch noch nicht, welche Konsequenzen langfristig die Kreuzung von Pflaumen und Pfirsichen zur neuen Obstart Nektarine im ökologischen Gesamtsystem haben wird. Wo man früher über Jahrzehnte mit Hilfe von trial and error gezüchtet hat, um eine gewünschte Eigenschaft einer Pflanze zu etablieren, knöpft man sich jetzt ohne Umwege das verantwortliche Gen vor.

Ich sehe in dem Protest auch das diffuse Unwohlsein gegenüber allem, was aus einem Labor kommt. Dieses Unwohlsein entwickelt sich zu einer Abwehr, die sich sogar vor dem Fleisch von Tieren ängstigt, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden – nimmt also eine Übertragung von Genveränderung durch orale Infektion an?

Dazu kommt ein paradoxes Naturverständnis, das den Menschen und sein Handeln außerhalb des Systems „Natur“ sieht und flugs Gentechnik als „unnatürlich“ deklariert – was automatisch negativ besetzt ist. Aber Flugreisen, Kühlschränke, Wettersatelliten, pasteurisierte Milch oder elektronisch gesteuerte Bewässerungsanlagen sind natürlich?

Ein Einwand, der mir die Abwehr zum ersten Mal nachvollziehbar machte, war der Hinweis auf die Macht, die Saatgut-Unternehmen mit erfolgreicher Gentechnik bekommen würden: Die entsprechenden krankheitsresistenten Pflanzen gäbe es natürlich nur bei ihnen und nur gegen Geld. Schließlich haben sie große Summen in die Entwicklung gesteckt und wollen das wiederhaben. Nur: Verbreitet sich technischer Fortschritt nicht meist durch marktwirtschaftliches Gewinnstreben? Und reicht das, um jedem erfolgreich forschenden Unternehmen das Ziel Weltherrschaft, Monopolismus und Unterdrückung zu unterstellen?

Auch vor der Zulassung des Fleisches geklonter Tiere zum Verzehr habe ich keine Angst. Wie hoch ist denn noch der Anteil von Tieren, die durch zwischentierliche Begattung gezeugt wurden, an unserem derzeitigen Fleischkonsum, selbst wenn wir Supermarktfleisch meiden? Zumal es unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet aufwändig und teuer geklonte Tiere zum Metzger kommen sollen, wo die übliche ungeklonte In-Vitrio-Fertilisation immer preisgünstiger bleiben wird. (Hintergrund hier bei Heise.)

Vielleicht setze ich einfach andere Schwerpunkte in der Sicht auf Forschungsergebnisse. Weil mir ganz persönlich als erstes fast immer die neuen Möglichkeiten einfallen, die sich dadurch ergeben und nicht die Apokalypse. In Umberto Ecos Einteilung in Apokalyptiker und Integrierte (hier eine Anwendung des Begriffspaars in der Zeit) bin ich wohl ziemlich klar in der zweiten Gruppe.

Deshalb ist es ein exzellenter Service für beide Reaktionssorten, Genveränderungen am Produkt zu vermerken. In ein paar Jahrzehnten schaun mer mal, ob ich als Verzehrerin von genveränderten Pflanzen einen Schaden davongetragen habe – oder vielleicht sogar dadurch immun gegen Grippeviren geworden bin. (Scherz.)