Bei manchen Themen verschätze ich mich in der Reaktion der betroffenen Bevölkerungsgruppen sehr. Zum Beispiel als es erstmals ernsthaft um die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten ging: Oh, dachte ich mir, da werden sich die Verkäuferinnen und Verkäufer aber freuen, dass sie endlich ihre Arbeitszeiten mit andere Interessen abstimmen können. Ich war wirklich völlig verdutzt, als die Gewerkschaften lauthals protestierten.
Oder als seinerzeit die Möglichkeit der Genveränderung an Pflanzen publik wurde: Oh, dachte ich mir, da werden sich die Umweltschützer aber freuen, dass man endlich eine Möglichkeit gefunden hat, Pestizide und Herbizide zu umgehen, die sich bewiesenermaßen so nachhaltig schädlich auf Fauna und Flora auswirken. Und so bin ich bis heute ehrlich verdutzt, dass Umweltschützer die grüne Gentechnik als höchstwahrscheinliche Apokalypse bekämpfen.
Ja, einiges an den Konsequenzen der Genmanipulation ist noch nicht absehbar. Wir wissen ja auch noch nicht, welche Konsequenzen langfristig die Kreuzung von Pflaumen und Pfirsichen zur neuen Obstart Nektarine im ökologischen Gesamtsystem haben wird. Wo man früher über Jahrzehnte mit Hilfe von trial and error gezüchtet hat, um eine gewünschte Eigenschaft einer Pflanze zu etablieren, knöpft man sich jetzt ohne Umwege das verantwortliche Gen vor.
Ich sehe in dem Protest auch das diffuse Unwohlsein gegenüber allem, was aus einem Labor kommt. Dieses Unwohlsein entwickelt sich zu einer Abwehr, die sich sogar vor dem Fleisch von Tieren ängstigt, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden – nimmt also eine Übertragung von Genveränderung durch orale Infektion an?
Dazu kommt ein paradoxes Naturverständnis, das den Menschen und sein Handeln außerhalb des Systems „Natur“ sieht und flugs Gentechnik als „unnatürlich“ deklariert – was automatisch negativ besetzt ist. Aber Flugreisen, Kühlschränke, Wettersatelliten, pasteurisierte Milch oder elektronisch gesteuerte Bewässerungsanlagen sind natürlich?
Ein Einwand, der mir die Abwehr zum ersten Mal nachvollziehbar machte, war der Hinweis auf die Macht, die Saatgut-Unternehmen mit erfolgreicher Gentechnik bekommen würden: Die entsprechenden krankheitsresistenten Pflanzen gäbe es natürlich nur bei ihnen und nur gegen Geld. Schließlich haben sie große Summen in die Entwicklung gesteckt und wollen das wiederhaben. Nur: Verbreitet sich technischer Fortschritt nicht meist durch marktwirtschaftliches Gewinnstreben? Und reicht das, um jedem erfolgreich forschenden Unternehmen das Ziel Weltherrschaft, Monopolismus und Unterdrückung zu unterstellen?
Auch vor der Zulassung des Fleisches geklonter Tiere zum Verzehr habe ich keine Angst. Wie hoch ist denn noch der Anteil von Tieren, die durch zwischentierliche Begattung gezeugt wurden, an unserem derzeitigen Fleischkonsum, selbst wenn wir Supermarktfleisch meiden? Zumal es unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet aufwändig und teuer geklonte Tiere zum Metzger kommen sollen, wo die übliche ungeklonte In-Vitrio-Fertilisation immer preisgünstiger bleiben wird. (Hintergrund hier bei Heise.)
Vielleicht setze ich einfach andere Schwerpunkte in der Sicht auf Forschungsergebnisse. Weil mir ganz persönlich als erstes fast immer die neuen Möglichkeiten einfallen, die sich dadurch ergeben und nicht die Apokalypse. In Umberto Ecos Einteilung in Apokalyptiker und Integrierte (hier eine Anwendung des Begriffspaars in der Zeit) bin ich wohl ziemlich klar in der zweiten Gruppe.
Deshalb ist es ein exzellenter Service für beide Reaktionssorten, Genveränderungen am Produkt zu vermerken. In ein paar Jahrzehnten schaun mer mal, ob ich als Verzehrerin von genveränderten Pflanzen einen Schaden davongetragen habe – oder vielleicht sogar dadurch immun gegen Grippeviren geworden bin. (Scherz.)