Keine Chance, dass ich diese fast sechs Tage Berlin in einem übersichtlichen Text zusammenkriege: Zu dicht, zu emotional, zu reich und wundervoll. In meiner Twitter-Timeline tauchte die ganze re:publica über kein einziger Nöl-Tweet auf: Entweder war die Veranstaltung also wirklich so hochklassig und gut organisiert, wie ich sie erlebt habe. Oder es war eine gute Idee, die Nöler letztes Jahr kurzerhand und dauerhaft wegen Vermiesung aus meiner Timeline zu schmeißen.
Einige Fragmente will ich zusammenwerfen, vor allem für mich als Erinnerung. Erst mal zur re:publica selbst.
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Der Mensch ist einfach nicht besonders gut in Prognosen – das war ein Fazit, das Kathrin Passig im Abschlussvortrag der re:publica 2012 zog, in „Standardsituationen der Technologiebegeisterung“. Wäre mir das vorher so klar gewesen, hätte ich wahrscheinlich die Klappe gehalten, als ich am ersten re:publica-Tag um halb neunzehn, eine halbe Stunde vor Start, Johnny Häusler traf. Er fragte mich, wie die Leute wohl die neue Location aufnehmen würden. Unbesehen prognostizierte ich da nämlich drauf los: „Sie werden sie hassen. Menschen mögen keine Veränderung. Vorher war’s zwar scheiße, aber es war eine Scheiße, die sie kannten. Das hier kennen sie nicht.“
Ich hätte nicht falscher liegen können: Niemand, den und die ich traf, war nicht begeistert von der Station (die ich im Kopf immer noch deutsch ausspreche, auch wenn sie wohl wie das englische Wort für Bahnhof ausgesprochen wird).
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Zunächst setzte ich mich zur Podiumsdiskussion „Unerhört: Digitale Barrierefreiheit und Partizipation im Netz“. Dort lernte ich unter anderem, in welchem neuen Maß das Web Behinderten ermöglicht, Kontakte zu schließen, in denen ihre Behinderung keine Rolle spielt. Dass allerdings schriftliche Sprachkompetenz eine Voraussetzung ist – für Gehörlose keine Selbstverständlichkeit.

Um mal das Beispiel des Podiumsdiskutanten Not quite like Beethoven zu nehmen: Dass Bloggerinnen bei einer persönlichen Begegnung mit dem Herrn tendenziell so reagieren

hat ganz sicher nichts mit dem Grad seiner Hörkraft zu tun.
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Von Udo Vetter ließ ich mir erzählen: „Spielregeln für das Netz – sicher publizieren in Blogs, Foren und Sozialen Netzwerken“ – unter anderem, weil ich ihn noch nie persönlich gesehen hatte. Viele schöne Beispiele, viele Informationen.
Seinen Vortrag gibt es bereits bei Spiegel online zu sehen: Teil 1 und Teil 2.
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Cindy Gallop hatte ich mit ihrem Thema „Make love not porn“ schon letztes Jahr in München gesehen, allerdings hatte sie nur 10 Minuten gesprochen. Diesmal holte ich mir die Langfassung ihrer Ausführungen: Gerade weil immer mehr Menschen mit Pornografie als Hauptinformation über Sex aufwachsen, müssen wir über echten Sex sprechen – mehr oder überhaupt. Ich empfehle ihre Website Make love not porn, auf der Porno-Stereotypen der „real world“ gegenübergestellt werden.
Cindy Gallops Vortrag auf der re:publica können Sie ebenfalls bei Spiegel online nachholen.
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Abends sprach Sascha Lobo vor knallvoller Bude zum Stand des Internets. Nachdem er vergangenes Jahr sein Publikum beschimpft hatte, weil es nichts bewegt, bekam es diesmal die ganze Flausch-Breitseite ab. Holen Sie sich die Details und Lobos kluge Bestandsaufnahme (u.a. Was machen Ihre Kinder eigentlich da auf YouTube?) bitte bei Spiegel online.

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Den zweiten Tag der Konferenz hatte ich ja eher selbst bestritten, am dritten konnte ich wieder anderen zuhören.
In der Podiumsdiskussion „Copyriots! Der Kampf der Kulturen“ gab es zwar nicht viel Neues zum Thema Urheberrecht (das Publikum wollte über die Gema sprechen, die hatte aber schon wieder abgesagt), doch ich hörte ein paar interessante Details und freute mich an Johnny Häuslers Moderation.
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Felix Schwenzel belegte in „soylent green, äh, the internet is people!“ unterhaltsam, dass die Dichotomie virtuell/real gar nicht existiert.

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Spannend fand ich „Social Media Nutzung der Bundesregierung – Ein Interview mit @RegSprecher“. Steffen Seibert war unterhaltsam und informativ. Was ich lernte: Wenn ein Medienmensch nur freundlich und sympathisch genug wirkt, darf er sogar konsequent von „Netzgemeinde“ sprechen, ohne dass ihn die Angesprochenen dafür ausbuhen. Der Mann ist halt Fernseh- und Medienprofi – und diese Erfahrung stellt er derzeit in den Dienst der Regierung. Ich habe schon ein paar Spitzenjournalisten auf die Unternehmenssprecherseite wechseln gesehen: Der Mechanismus ist derselbe.

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Kathrin Passig sprach den Rausschmeißer „Standardsituationen der Technologiebegeisterung“ – das Gegenstück zu ihrem „Standardsituationen der Technologiekritik“. Gemerkt habe ich mir, wie eingangs zitiert, dass Leute, die nicht beruflich dazu gezwungen sind, das mit den Prognosen besser sein lassen, wenn sie nicht kurz darauf dumm dastehen wollen.

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Ich empfehle die Zusammenfassungen von Anke Gröner und dasnuf.
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Übrigens: Auf der letzten Folie unseres Auftritts „Poetry Spam“ (in der ZDF-Mediathek gibt es die Schlussnummer zu sehen) zeichneten wir mit unseren Twitter-Accounts. Das war irreführend, denn nun bekomme ich dort Dutzende Follow-Anfragen. Mein Twitter-Account ist aber nicht öffentlich, und das möchte ich vorerst so beibehalten. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich nur die Anfragen von Menschen freischalte, vor denen ich mich ganz subjektiv in keiner Hinsicht fürchte.