Berlin im Frühling – dritter Tag re:publica 2013
Donnerstag, 9. Mai 2013 um 8:23Gemein: Das leichte Kopfweh, mit dem ich aufwachte, steigerte sich bis zu meinem Spaziergang hinüber auf die re:publica dermaßen, dass ich eine für mich völlig untypische Migräneattacke befürchtete. Doch Espresso und Aspirin dämmten den Schmerz, übrig blieb eine wattige Benommenheit, durch die ich die ersten Vorträge wahrnahm.
https://youtube.com/watch?v=3ON3cSuW4Bs
In “1 Million Petitionen – Protestieren wir richtig im Netz?” vermittelten mir Profis vom WWF, von Oxfam, von compact.de und aus der Politikwissenschaft in einem hochinteressanten Gespräch, was man derzeit über Online-Petitionen weiß. Hängengeblieben ist bei mir:
– Jede Online-Aktion braucht für Erfolg Offline-Sichbarkeit (Demos, Gespräche mit Politikern) und muss in eine Gesamtkampagne eingebettet sein.
– Petitionen müssen für Politiker Zusatzinformationen enthalten – wie halt im klassischen Lobbying.
– Online-Petitionen zeigen Politikern, was Menschen zu einem Thema denken, aber nicht, wie wichtig ihnen dieses Thema ist. (Auch deshalb Offline-Sichtbarkeit nötig.)
In der Fragerunde meldete sich ein CDU-MdB – und schon hörte ich zum ersten und einzigen Mal in diesen drei Tagen “Netz-Community” (die sich entscheiden müsse, an einem Strang ziehen, endlich mal sagen, was sie will etc.) – der Mann KANN ja nur enttäuscht werden.
https://youtube.com/watch?v=5f_JiFfI9Ts
“Im Schatten des Rechts – Wie informelle Normen das Urheberrecht unterlaufen oder auch auf den Kopf stellen” stand im Gesamtplan abgekürzt als “Informelles Urheberrecht” und klang deshalb interessant – war es auch. Beim Blick auf die Bühne war ich verwirrt: “Die kenne ich doch.” War ja auch Jeanette Hofmann, die Gründungsdirektorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft. Sie und Christian Katzenbach stellten wunderbare Beispiele vor, wo das Urheberrecht traditionell innerhalb der Community verhandelt wird: Zaubertricks, Comedy, Kochrezepte. Im Detail gingen sie auch auf TV-Formate ein, die ebensowenig rechtlich abgedeckt sind, wo das Lizenzwesen aber trotzdem funktioniert. Nicht auf Urheberrecht zu bestehen, zahlt sich nach ihren Erhebungen für manche Onlinespiele sogar aus. Doch sie gab zu, dass ihre Untersuchungen noch lange nicht abgeschlossen sind (“Mehr Empirie statt Moral!”).
https://youtube.com/watch?v=ZTejUqHLQXE
Felix Schwenzel behauptete dieses Jahr, er werde “10 Vorschläge um die Welt zu verbessern” vorstellen. Das Ergebnis war wieder ein kurzweiliger und kluger Vortrag. Und wie jedes Jahr wünsche ich mir Herrn wirres als Folien-Coach in den meisten Großunternehmen: Er nützt die Technik meisterlich.
Die beiden Militärblogger Thomas Wiegold und Sascha Stoltenow präsentierten “Die Digital Natives ziehen in den Krieg”. Sie zeigten, wie Soldatinnen und Soldaten dieser Generation sich selbst im Web präsentieren, verglichen die Ästhetik von deren selbst gebastelten Videos mit der offiziellen Materials und der Darstellung im Journalismus, gaben Beispiele für die Visualisierung von Kriegsdaten, gingen auf heutige Kriegsberichterstattung ein, berichteten über Social-Media-PR von Armeen. Kurz: Ein Einblick in Welten, in die ich von selbst nie komme.
(Der Vortrag ist eigentlich auch online, aber im deutschen YouTube wegen befürchteter Verfolgung durch die Gema gesperrt. Wer weiß, wie man seine IP als nicht deutsche ausgibt, kann den sehr empfehlenswerten Vortrag dennoch sehen.)
Nachtrag 10.5.: Jetzt gibt es den Vortrag auf vimeo.
Die Inhalte des Vortrags “”Das meld ich dem Rundfunkrat!” – Neues aus der öffentlich-rechtlichen Kommentarambulanz” hatte ich zwar schon in diesem Interview gelesen, freute mich aber, Deef Pirmasens endlich mal live zu erleben (was ich in München regelmäßig könnte, aber noch nie geschafft habe). Er und Simone Stoffers vom NDR präsentierten ihr Thema sehr unterhaltsam, hinterlegt mit vielen Beispielen aus Kommentaren zu den Sendungen, deren Internetdiskussionen sie betreuen, aus quer und extra 3.
https://youtube.com/watch?v=B3c4UMnX7ig
Bewegend war für mich die Stunde, in der Anne Wizorek #aufschrei zusammenfasste: Wie es anfing, wie es sich entwickelte, welche Konsequenzen es hatte, auch für sie persönlich. Und danach habe ich Anne endlich persönlich kennengelernt und konnte ihr sagen, wie sehr ich sie dafür bewundere, dass sie sich mit dem Thema immer wieder in die Öffentlichkeit stellt.
Was Anne nicht erwähnt hatte: Einen Versuch, das Thema Feminismus auf die re:publica zu bringen, hatte es ja vor wenigen Jahren gegeben. Er endete in einem Desaster und bewies genau den Sexismus, gegen den wir jetzt aufschreien. Dass es auf der re:publica 2013 sogar mehrere Veranstaltungen zum Thema gab (und das nicht mal thematisiert werden musste) ist eine Folge von #aufschrei.
Und ganz zum Schluss haben wir alle gesungen.
§
Sehr großen Dank an alle Macherinnen und Macher der re:publica 13. Die Organisation erlebte ich als reibungslos. Am ersten Tag gab es zwar eine sehr lange Schlange am Restaurant, doch am zweiten Tag nicht mehr – ob das Restaurant gelernt hat (mehr Ausgabestellen) oder die Hungrigen (Stullen mitgebracht) weiß ich nicht.
Vor allem aber, und das wird in die Geschichte eingehen: Es gab ein funktionierendes, starkes und stabiles WLAN. Letztes Jahr hatte mir noch ein Techniker erklärt, bei so vielen Zugriffen aufs Internet müsse man dafür für scheißviel Geld eine eigene Leitung legen. Das haben diese Verrückten wohl dann tatsächlich getan. Danke.
Viele Menschen aus dem Internet zum ersten Mal in Echt gesehen.
Viele Menschen aus dem Internet wiedergetroffen.
Freundinnen und Freunde wiedergetroffen, die ich im Internet kennengelernt habe.
Zum ersten Mal jemanden persönlich getroffen, die ich nur über Instagram kenne.
Sogar über Berufliches gesprochen.
Mich wieder sehr entspannt unter “my people” gefühlt, aber nicht mehr so überrascht davon gewesen wie beim ersten Mal.
Mindestens drei Ideen für eigene Panels auf der re:publica 14 (wird an drei Tagen zwischen 5. und 9. Mai 2014 stattfinden).
12 Kommentare zu „Berlin im Frühling – dritter Tag re:publica 2013“
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9. Mai 2013 um 9:00
Ich bewundere Ihre Aufnahmefähigkeit! Machen Sie sich Notizen oder wie bewahren Sie sich Ihre Eindrücke in dieser Fülle an Informationen?
9. Mai 2013 um 9:09
Zum einen prägen sich gute Vorträge ein, Micha, zum anderen mache ich viele Fotos. (Und Sie kennen ja nur meinen Bericht – vielleicht würden die Referentinnen protestieren, ich schilderte das ganz falsch.)
9. Mai 2013 um 9:51
Muss es denn wirklich an Sexismus liegen, dass ein Thema auf einem Kongress nicht ankommt? Kann es nicht auch an der Vermittlung gelegen haben? Oder an der Organisation? Oder am falschen Zeitpunkt?
Es gab auf der re:publica zu vielen Themen schon sehr gute Vorträge, aber auch es gab auch wirklich gruselige. Ein gruseliger Vortrag wird nicht dadurch gut, weil er gut gemeint ist.
Anders gefragt: Woraus schließen Sie, dass das Publikum und/oder die Anbieter dieser Konferenz vor einigen Jahren sexistisch gewesen seien?
9. Mai 2013 um 10:38
Ich schließe das aus den damaligen Berichten, stefanolix, die eindeutig waren. Sitze gerade an keinem Gerät, mit dem ich Ihnen diese einfach recherchieren könnte, vielleicht mögen Sie selbst?
9. Mai 2013 um 11:23
Bei Youtube gibt es zumindest seit dem Jahr 2010 viele Stunden Mitschnitte zum Thema Feminismus von der re:publica. Ich kann mir diese Videos jetzt nicht alle anschauen, um nach einem Desaster oder nach Sexismus zu suchen ;-)
In meiner Stichprobe sah es zumindest so aus, dass alle Speakerinnen sehr freundlich aufgenommen wurden (Begrüßung, Einführung, Beifall …).
Ich habe am Rande anderswo mitbekommen, dass es innerhalb der netz-feministischen Szene immer mal wieder Konflikte gibt, dass Mannschaften auseinandergehen und sich neu finden, dass es Streit um die Ausrichtung gibt etc. Ich weiß nicht, ob solche Konflikte auch auf der re:publica ausgetragen wurden. Aber das hat ja wohl nichts mit Sexismus zu tun?
9. Mai 2013 um 12:40
Deine Berichte machen mir große Lust, die nächste re:publica selbst zu besuchen!
9. Mai 2013 um 21:47
Vielen Dank für Ihre interessanten Berichte.
Ihr Outfit des Tages finde ich besonders schick, Sie sehen damit sehr sehr gut aus.
10. Mai 2013 um 11:55
Liebe Frau Kaltmamsell,
im Rückblick von mir – ich fand Sie, immer wenn Sie in meinem Augenwinkel auftauchten, die genzen drei Tage immer wunderbarst gekleidet – wohingegen ich wegen akuter Unorganisiertheit aufgrund völliger Erschöpftheit vor der Abreise sehr bereut habe viel zu dick und zu schwarz und nicht dem Berliner Frühling angemessen gekleidet unterwegs gewesen zu sein… Da haltf der Sommerkleidkauf am Mittwoch Abend auch nicht mehr.
lG
antje
10. Mai 2013 um 14:05
Die Eskalation, stefanolix, gab es 2010 in und nach dem Panel “Das andere Geschlecht – Seximus im Internet”. Zusammenfassendes ist zu lesen auf annalist Teil 1, Teil 2.
Die Mädchenmannschaft verlinkt in diesem Post weitere Berichte über die Vorfälle.
Vielen Dank für Lob und Komplimente, meine Damen!
10. Mai 2013 um 18:27
Danke für die Berichte. Alles anzuhören, zu verarbeiten und für die Blogleser wieder aufzubereiten braucht doch doch viel Hingabe und Begeisterung. Diese Leserin weiss das zu schätzen.
11. Mai 2013 um 21:17
Du liebe Güte. Die Netzcommunity soll sich überlegen, was sie will und an einem Strang ziehen?
*lmao
*rofl
Hat den mal sanft jemand darüber aufgeklärt, dass es DIE Netzcommunity nicht gibt?
15. Mai 2013 um 0:04
Vielen vielen Dank für die tollen Berichte mit Videos! =) Habe auch Lust bekommen, mal dahin zu fahren und vor Ihren Berichten hätte ich nicht gedacht, dass es da so interessant sein könnte.