Die Miniratsche in meinem Mund (und erster Schnee)

Freitag, 11. Oktober 2013 um 8:57

Zum ersten Mal wurde mir etwas in den Kiefer geschraubt, und zum ersten Mal nach dem Sommer schneite es in München – so dicke und nasse Flocken in den Regen gemischt, dass ihr Landen auf der Fensterscheibe wie Vogelschiss klang.

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Der letzte Schnee im April ist ja auch schon ein halbes Jahr her, und die eine oder der andere wird gejubelt haben. Vielleicht. Aber zurück zu meinem Kiefer.

Im zweiten Anlauf klappte es: Diesmal war die Zahnärztin auf die Operation vorbereitet. Wieder erstaunlich geschickt setzt sie die Betäubungsspritze. Während wir auf die Wirkung warteten, plauderten wir über die Rolle, die ein Job im Leben einnehmen kann und ob es wirklich bedenklich ist, wenn Job und Leben sich fast völlig decken (sie: Das macht kaputt. ich: Ein möglicher Lebensentwurf von vielen, bei Künstlerinnen ist das sogar allgemein akzeptiert.).

Wie erwartet, wurde es dann sehr handwerklich. Mit immer dickeren Bohraufsätzen in beeindruckende Länge (aus meiner Perspektive 5 cm) grub Frau Doktor ein senkrechtes Loch in meinen Unterkiefer. Das Röntgenbild hatte gezeigt, dass mein Kieferknochen dick und massiv ist und dass der zugehörige Nerv ganz weit weg vom Knochen verläuft, böse Überraschungen waren also nicht zu befürchten. In das Loch schraubte die Ärztin den Haltestift für das Implantat, der über die nächsten Wochen einwachsen soll. Zum Festziehen nahm sie eine ganz kleine Ratsche zu Hilfe – als deren Betriebsgeräusch aus meinem Mund erklang, musste ich ob der Niedlichkeit dann doch sehr lachen. Die Haut wurde an drei Stellen um den Stift genäht, eine Röntgenaufnahme versicherte uns, dass er richtig saß: “Der wird Ihnen definitiv länger halten als das wurzelbehandelte Exemplar davor.” Ich bekam ein kleines Kühlkissen für die Wange mit, das ein Anschwellen verhindern sollte.

Ärztliche Anweisung für die nächsten Tage: Kein Alkohol, kein Kaffee, kein Schwarztee, kein Nikotin, kein Sport. Wie schon nach dem Ziehen des Backenzahns (wo die englische Alltagssprache sonst bei Körper und Medizin sehr oft nach Lateinischem oder Griechischem greift, bietet sie dafür ein wunderschönes schlichtes Wort, das vom Mühlstein abgeleitete molar – viel schöner als das deutsche) nahm ich schweigend an, dass ich mir aus der Reihe eine Ausnahme aussuchen darf. Ein Morgen ohne Milchkaffee ist dann doch zu traurig. Von heftigem Kardiosport riet Frau Doktor umso deutlicher ab. Yoga hingegen darf ich ausdrücklich.

Nachdem ich im Frühsommer nach dem Zahnziehen durch geschickte Schmerzmedikation gar keine Schmerzen erleiden musste, war ich diesmal erstaunt, dass die Wunde samt linker Gesichtshälfte mit Nachlassen der Betäubung ordentlich weh tat. Obwohl ich auch diesmal rechtzeitig den 600-mg-Bomber Ibuprofen eingenommen hatte, den ich sonst heftigen Menstruationsschmerzen vorbehalte. Ich fühlte mich erbärmlich und legte mich mit Mimimi ins Bett. Dort fiel mir mein Weisheitszahnabenteuer ein: Als ich 16 war, wurden mir alle viere völlig unkompliziert entfernt, doch danach hatte ich die Schmerzen meines Lebens. Selbst die starken Dolomo-Tabletten, die der Arzt verschrieben hatte, zeigten keinerlei Wirkung, und ich erlebte eine Höllennacht. Das würde sich doch hoffentlich nicht wiederholen! Ich beriet mit dem Mitbewohner, ob ich schon zwei Stunden nach der ersten eine zweite Ibu nehmen konnte. Wir einigten uns auf: “Was soll schon passieren?” Als ich den Blister in die Hand nahm, fiel mir auf, dass die Rückseite mit “Ortoton” beschriftet war: Ich hatte wohl vor vier Wochen die Reste des Muskelrelaxans’ gegen die Rückenschmerzen in die falsche Packung geschoben, nämlich in die des Schmerzmittels. Und somit noch gar kein Ibu eingenommen.

Das Schmerzmittel wirkte schnell, und an der resultierenden Euphorie merkte ich mal wieder, wie schlecht ich starke Schmerzen aushalte. Abends hatte ich nicht nur Hunger, sondern auch Appetit (Nudelsuppe, Griesbrei, Schokolade), nachts bekämpfte ich die zurückkehrenden Schmerzen mit einer weiteren Tablette, heute Morgen ist die linke Wange unten nur mittelgeschwollen.

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Die Miniratsche in meinem Mund (und erster Schnee)“

  1. adelhaid meint:

    ach, schön. dann ging’s ja.
    bei mir tat vor allem das zahnfleisch um die schraube drumrum (hihi, die ratsche, ja, sehr witzig!) sehr weh. dass mein zahnarzt dann bei der gleichen gelegenheit eine paradontosevorsorge machte, wo lustig unter das zahnfleisch geprokelt wird, war vielleicht keine gute idee.
    schmerztabletten, auch in doppelter höhe, sind in solchen fällen völlig in ordnung, so lang man nicht allein auf weiter flur ist und jemand da ist, der sich kümmern kann.

  2. Trude meint:

    Gute Besserung und Sie haben mein Mitgefühl! Habe es auch schon hinter mir und man vergisst es doch “irgendwann” wieder, zum Glück. Lassen Sie sich pflegen….
    VG

  3. Trulla meint:

    Implantate bauen steht wahrscheinlich auch bei mir als Zukunftsprojekt an. Gerade hatte ich eine Wurzelspitzenresektion wegen Vereiterung am zweiten Frontzahn, der nach einem Unfall Anfang des Jahres traumatisiert ist (wie auch seine beiden Nachbarn). Ob die auf Dauer zu retten sind, steht momentan noch in den Sternen. Kann man diesen Eingriff vom Aufwand und Schmerz vergleichen mit dem Schrauben des Stiftes?
    Das wäre beruhigend für mich, denn ich fand das alles nicht so schlimm, besonders da ein fähiger Chirurg am Werkeln war. Für die Nacht Ibuprofen eingeworfen, gekühlt und dann abgewartet, bis die Schwellung sich verzieht. Es gibt wahrhaftig Schlimmeres.

    Da ich anders als Sie, Frau Kaltmamsell, wohl doch ein Feigling bin, habe ich möglicher Komplikationen wegen auf den Morgenkaffee verzichtet. Und das war sehr schwer.

    Ich freue mich für Sie, dass alles glatt gegangen ist und Sie in guten Händen sind bei der Ärztin – weiterhin gute Besserung!

  4. Buchfink meint:

    Ich erfreue mich schon seit 22 Jahren an meinem Zahnimplantat. Damals war das in München noch unüblich, es wurde in der Zahnklinik gemacht und kostete mich keinen Pennig, da ich ein Versuchskaninchen war. Die OP und die Heilung habe ich gar nicht mehr in Erinnerung, also war das alles nur marginal. Gute Besserung für Sie!

  5. Susann meint:

    Wie schön, dass Sie es nun doch relativ problemlos geschafft haben – an dem Tag, an dem die Zahnärztin Ihren Termin versabbelt hat, haben Sie mir unbekannterweise und so auf die Entfernung sehr leid getan – da schleppt man sich voll unterschwelliger Panik zur Schlachtbank und das medizinische Personal sagt dann: “Wie? Sie jetzt? Ach…” – und der ganze Stress war umsonst!

    Das Schlimmste haben Sie jedenfalls hinter sich, den Zahn auf das Implantat packen ist ein Klacks, Sie werden’s sehen!

    Viel Spaß noch mit Grießbrei & Co!

    …und ja, der Schnee gestern, völlig unglaublich! Und das am 10. 10.!

  6. Angel meint:

    “… und die eine oder der andere wird gejubelt haben.”

    Nicht laut, das versteht ja immer niemand. Aber so still und leise in mir drin: Ja :-)

  7. kid37 meint:

    Vertauschte Medikamente! Da sind schon ganze Kriminalromane drumherum geschrieben worden. Gute Besserung! Das Gröbste ist überstanden, der Einbau des Implantats ist dann ein Klacks.

  8. adelhaid meint:

    @Trulla die schmerzen bei der wurzelspitzenresektion sind größer als beim implantat. das implantant wird in den knochen geschraubt, das kann nicht weh tun, weil kein nerv angebohrt wird. die rezektion kann hingegen viel schmerzhafter sein, besonders, wenn an ohnehin traumatisierten stellen rumgeschnippelt wird.
    das einzige, was vielleicht zu untersuchen sein könnte, ist die kieferdicke beim schneidezahn. an den molaren ist der knochen ja ordentlich dick, da kann man schon einiges reindrehen. weiter vorn ist das aber, meines wissens, nicht unbedingt immer der fall.
    viel glück, auf jeden fall. traumatisierte zähne sind keine schöne sache.

  9. kid37 meint:

    Apropos Zahnärztin. Sie haben uns den Bericht über den summer zephyr vorenthalten!

  10. Sebastian meint:

    Wenn Du mal einen Arztroman schreibst – brauchste mir nicht zu schicken. So Bohr- und Schraubgeschichten mag ich nicht lesen, auch wenn sie noch so wahr sind… Umso mehr hoffe ich, dass es weiter gut gegangen ist.

  11. die Kaltmamsell meint:

    Was adelhaid schreibt, Trulla: Auch mein Zahn, der jetzt ersetzt wird, hatte eine Vorgeschichte mit Wurzelbehandlung – die war erheblich anstrengender als das Einschrauben des Imlpantats (nicht eigentlich schmerzhafter, da, wie ich jetzt weiß, der Nerv sehr weit entfernt verläuft). Im Zuge der Wurzelei hat Ihr Chirurg ja sicher Röntgenaufnahmen gemacht; die müssten schon jetzt eine Prognose zulassen, ob bei Ihnen ein Implantat möglich und ratsam ist.

    Meine Frau Dokter, kid37, würde Sie ultmativ von Ihrem Hang zum dentalen Küchenpersonal abbringen: Sie wirkt, als könne man mit ihr auch mal Ovid diskutieren – während man gemeinsam den Kuhstall einer Alm ausmistet.

    Ha, Sebastian, deswegen lasse ich das ja hier raus – seltsamerweise findet in meiner direkten Umgebung niemand die Details so spannend wie ich.

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