Jean Genet, Die Zofen in den Münchner Kammerspielen

Donnerstag, 24. Juli 2014 um 10:51

Dienerschaft ist etwas Eigentümliches. Nur auf den ersten Blick ist in einer ähnlichen Position, wer im Service arbeitet, in der Gastronomie: Zwar werden auch von der Kellnerin Aufmerksamkeit erwartet, Ausrichtung auf das Wohlbefinden und die Wünsche von Gästen. Aber Gäste, daher der Name, gehen wieder.
Eine Dienerin, ein Dienstmädchen, eine Zofe, ist immer auf dieselbe Person ausgerichtet. Sie übernimmt große Teile der Selbständigkeit, sogar der Selbstbestimmung, muss diese Person in vielen Dingen eigentlich wie ein unmündiges Wesen behandeln: Körperpflege, Bekleidung, Ernährung, Mobilität. Doch gleichzeitig ist sie die Untergebene, die Angestellte, Abhängige. Diese Gleichzeitigkeit von Herabschauen und Aufschauen ist eine paradoxe Situation, die immer neu Spannung erzeugt.

In einer Welt1, in der Hierarchien nicht mehr angeboren, gottgegeben, unveränderlich sind, konnte Jean Genet aus dieser Spannung ein abendfüllendes Theaterstück machen, Stefan Pucher hat es für die Münchner Kammerspiele inszeniert, gestern Abend war ich drin (ausverkauftes Haus, die Inszenierung kommt an).

Ich sah drei sensationelle Schauspielerinnen (Brigitte Hobmeier, Annette Paulmann, Wiebke Puls), die alle Facetten dieser aufgezwungenen, verabscheuten, genossenen Unterwürfigkeitsmechanik durchspielten – auf mehreren Ebenen. Die beiden Zofen des Titels spielen in Abwesenheit ihrer “gnädigen Frau” Dienerin und Herrin, malen sich Details der vertauschten Rollen aus. Allerdings auf einen tödlichen Showdown ausgerichtet. Die gnädige Frau selbst gibt sich als überzogene Variation ihrer Rolle, als Karikatur (mit diesem Changieren war Wiebke Puls schon als Blanche beeindruckend).

Das Bühnenbild war der Salon als riesiger Tunnel. Die Zofen wurden zunächst als Stummfilm eingeführt, wie auch im Stück bis zur Unkenntlichkeit geschminkt in einer Mischung aus Clown und Metropolis, die Armseligkeit ihrer Figuren unterstrichen durch Schminke und Perücken in Auflösung. Dadurch hatten die Schauspielerinnen kaum Mimik zur Verfügung, doch Hobmeier und Paulmann holten aus dem Instrument ihrer Stimmen Tonlagen und Färbungen für ein Dutzend Figuren heraus – eben genau so irrlichternd wie die Stellung ihrer Figuren zueinander und zur Herrschaft.

Der ganze Abend drehte sich um dieses Unterwerfen und Aufrichten, um den gegenseitigen Einfluss aufs Fühlen, und immer wieder ließ Genets Text die Figuren sich selbst beim Fühlen zusehen. Es war eine Show mit allen Mitteln: Musik (Christopher Uhe hatte fürs Stück komponiert, alle drei Frauen sangen), Film sowohl aus der Konserve als auch in Echtzeit übertragen (Kameramann/Kamerafrau beim Theater ist mittlerweile ein etablierter Beruf, nehme ich an). Sehr gruslig und sehr stark.

Besprechungen der Inszenierung:
Nachtkritik
Spiegel
Abendzeitung
Deutschlandfunk
Münchner Merkur

  1. Oh mein Gott! Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass aus dem running gag der immer gleichen Off-Stimme, die den immer gleichen Textanfang von Filmtrailern spricht, ein eigener Film gemacht wurde! []
die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Jean Genet, Die Zofen in den Münchner Kammerspielen“

  1. Kitty Koma meint:

    Ähem, es heißt chargieren.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Genau das tat sie nicht, Kitty Koma, die wunderbare Frau Puls.

  3. marie_sophie meint:

    Das klingt nach einem sehr intensiven Theaterabend.
    Obwohl Sie es sicher bereits kennen, finde ich immer noch Peter Burkes Studie auf sehr unterhaltliche Art erhellend, welche die komplexen Figurationen von Dienerschaft erarbeitet. Peter Burke, The Fabrication of Louis XIV,Yale 1992.

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