Englisches 2016

Samstag, 4. Juni 2016 um 13:18

Zum Aufräumen des Urlaubs noch gesammelte Englandeindrücke:

– Kein Handschlag bei Begrüßung
Das ist natürlich keine neue Entwicklung, sondern gehört zum ersten Kapitel “Einführung in die Kulturunterschiede D – GB”. So sehr, dass das ständige Händeschütteln für Briten zum komischen Stereotyp des Deutschen gehört. Doch erst während dieses Englandurlaubs wurde mir bewusst, welchen emotionalen Stellenwert das Händeschütteln bei erster Begrüßung für mich hat: Keiner unsere B&B-Gastgeberinnen und -Gastgeber gaben uns nämlich die Hand – und ich spürte, wie mich das irritierte, fast ein wenig verletzte.
Dabei hätte ich vorher auf Nachfrage behauptet, dass ich zu einer Generation Deutscher gehöre, die das Händeschütteln ohnehin fast hinter sich gelassen hat. Doch wenn ich nachdenke, gehört die Begrüßung per Handschlag (beruflicher Zusammenhang wie Besprechung zwischen Menschen, die sich vorher am Tag oder gar schon seit Längerem nicht gesehen haben / erste Begegnung überhaupt beruflich oder privat) oder Umarmung bis runtergebrochen auf kurze Berührung des Oberarms (privates Aufeinandertreffen) schon sehr zu meiner Kultur.

– Mischbatterien
Mit einer Ausnahme verfügten die Waschbecken und Badewannen aller unsere Unterkünfte, selbst der privaten, über Mischbatterien statt der bescheuerten Einzelwasserhähne für kaltes und warmes Wasser. Ein enormer evolutionärer Sprung. Sofort klöppelte ich die These, dass dahinter der wahre Grund für den Brexit zu suchen ist: Die Briten haben jetzt endgültig den Vorsprung des europäischen Technik-Know-hows aufgeholt und glauben, die EU nicht mehr zu brauchen. (Oder all die Polen im britischen Bauwesen haben die ihnen einfach ungefragt eingebaut.)

– Adiletten
Bei jedem Besuch schaffte es England, mich mit einer Mode-Entwicklung zu überraschen. Diesmal stellte ich fest, dass DIE hippe Fußbekleidung für junge Frauen im Sommer die Plastikadilette ist, die für mich immer noch eng mit massivem Bierbauch, kurzer Hose und auch sonst dem Gegenteil von Hippness verbunden ist.

– E-Zigaretten
Werbung für E-Zigaretten auf Plakaten, Fernsehwerbung für E-Zigarretten, Läden für E-Zigaretten, wo eben noch Handys verkauft wurden – ich erlebte einen Boom.

Britain’s got talent
In unserer zweiten Urlaubswoche lief jeden Abend eine Halbfinalfolge von Britain’s got talent, und aus Bildungsgründen sah ich zu. Ich brauchte eine Weile, um über die Stepford-Wive-haftigkeit der beiden Frauen in der Jury hinwegsehen zu können, und dann lernte ich viel darüber, wie stark die Vaudeville-Vergangenheit England bis heute prägt – und dass Militärthemen in Großbritannien bis heute nicht Abwehr, sondern ein gemeinsames “Awwww!” auslösen:

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https://youtu.be/K786WSkT0xU

2016 gewann deshalb dieser junge Mann mit einem Anfänger-Kartentrick – eingebettet in eine Nummer, die für jemanden aus meiner Kultur schwer erträglich ist.

– Nölender Bahnreisender
Großbritannien ist für mich die Kultur der stiff upper lip – gerne auch mal, wo sie nicht angebracht wäre, sensationell erholsam aber, wenn sie komplette Abwesenheit von Nölerei bewirkt. Bis ich dieses Jahr erlebte, wie im unplanmäßig herumstehenden Zug ein älterer Herr im vollen Großraumabteil nicht aufhören wollte herumzunölen, dass das ja wohl typisch sei, eine Unerhörtheit, wann es denn endlich weitergehe, ob er wohl ewig hier herumsitzen solle, und jetzt sei schon wieder ein Zug an uns vorbeigefahren. Wie bei mir daheim.

– Flechtfrisuren
Mit Interesse statt Schock sah ich, dass junge, schicke Frauen ihre langen Haare flechten und hochstecken, vom Schulmädchen über die Businessfrau bis zur Partygeherin. Wie in meinen 80ern!

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Englisches 2016“

  1. Christine meint:

    In meiner Kindheit war mir das Händeschütteln immer sehr unangenehm. Zum Glück musste ich es auch nur sehr selten tun und bin ihm auch als Erwachsener nur selten begegnet. Höchstens bei sehr formellen Anlässen.

    Kurz nach der Jahrtausendwende arbeitete ich in einer Firma, die auch eine Niederlassung in Chemnitz hatte. Mich erstaunte damals, dass sich dort die Leute in meinem Alter jeden Morgen per Handschlag begrüßten. Wir Wessis hingegen steckten höchstens den Kopf ins Büro um “Hallo!” zu rufen.
    Scheint also auch ein Ding mit Nod-Süd-Ost-West-Gefälle zu sein.

    Flechtfrisueren sind doch hier schon fast wieder durch… aber ich habe in der letzten Zeit häufiger Mädchen bis Mitte Zwanzig gesehen, die sich französische oder niederländische Zöpfe haben professionell flechten lassen. Also jeweils zwei davon. (Ich trage seit gut 30 Jahren fast täglich meine taillenlangen Haare zu _einem_ niederländischen Zopf geflochten)

  2. die Kaltmamsell meint:

    Wie sieht es mit Meetings aus, Christine, an denen Dienstleister teilnehmen oder Kunden oder Kolleginnen von anderen Standorten? Wird da auch nur “Hallo” gesagt? Auch wenn das ein erstes Treffen ist und man sich mit Name vorstellt? (Das beschäftigt mich gerade.)

  3. KochSchlampe meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

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  4. Feathers McGraw meint:

    Ich hatte neulich in London irgendein Meeting mit jemand neuem bei dem ich mich mit Handschlag verabschiedet habe und ich mich erinnern kann dass das irgendwie komisch ankam, war aber nur ein kurzer Moment. Ich versuche mich grad an Details zu erinnern…

  5. Christine meint:

    Wenn mein Chef Besuch eines Dienstleisters bekommt und der Chef es für notwendig erachtet uns vorzustellen, bevor er sich mit den Dienstleistern in Klausur zurückzieht, dann meistens mit Handschlag.
    Abteilungs- oder Amtsleiter begrüßen uns zu ~2/3 der Gelegenheiten mit Handschlag. Sie sind nur sporadisch zugegen, weil sie selten in der Nähe sind.
    Gleichrangige Kollegen grüßen per “Hallo!”-sagen.
    [Situation im öffentlichen Dienst in NRW.]

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