Journal Mittwoch, 31. Mai 2017 – Bei der Schusterin

Donnerstag, 1. Juni 2017 um 6:36

Sehr früh aufgestanden, um endlich in sommerlicher Morgendämmerung an der Isar zu laufen. Doch gerade als ich mich nach Kaffee ins Bad aufmachte, begann es ordentlich zu regnen – Wolken hätten mir nichts ausgemacht, aber im Regen wollte ich nicht radeln und laufen.
Also seufzend statt dessen eine Stunde auf den Crosstrainer gestiegen, zumindest erfreute mich ein Eichhörnchen vorm Fenster.

Auf dem Heimweg bei der Schusterin Sommerschuhe mit neuer Absatzunterlage abgeholt – am Samstag wäre sie schon im Urlaub gewesen. Ihr kleiner Sohn war auch im Laden, der hinter zum Opa geschickt wurde, Wechselgeld holen – ich freute mich an diesem lebendigen, generationenübergreifenden Geschäft. Beim Abgeben der Schuhe am vergangenen Samstag war ich in eine Kundenberatung geplatzt: Ein Herr ließ gerade seinem Buben (ca. 12 Jahre alt) von der Schusterin (Orthopädieschuhmachermeisterin) Einlagen anpassen. Das könnte eine positive Seite der Reichtumsentwicklung im Glockenbachviertel sein: Einwohner mit genug Geld, solches Handwerk am Leben zu erhalten. Denn dass ich mir wieder die Absätze an den Sommerschuhen machen lassen, die hier bereits neue Sohlenspitzen und mindestens bereits einmal Absatzunterlagen bekamen, statt sie wegzuwerfen, ist heutzutage paradoxerweise Symptom für die Zugehörigkeit zur wohlhabenden Klasse.

Beim Einbiegen in unserem Hauseingang einen Buchfinken bewundert, der auf der Mauer aus voller Lunge zwitscherte – ich wunderte mich mal wieder, wie eine solche Lautstärke aus einem solch kleinen Resonanzkörper kommen kann.
Zum Nachtmahl bestand der Abitur-geplagte Herr Kaltmamsell wieder auf Selberkochen: Es gab asiatisch gewürzte Nudeln mit getrockneten Shrimps.

§

Aus Anlass reichte mir gestern Feather McGraw eine Erklärung weiter, warum im United Kingdom bis vor Kurzem die getrennten Wasserhähne für kaltes und warmes Wasser Standard waren:
“Here’s Why Britain Uses Hot And Cold Taps”.
Der Vormarsch der Mischbatterie scheint also nicht in erster Linie auf die Durchsetzungskraft polnischer Installateure zurückzuführen. Sondern auf technischen Fortschritt und generelle Zivilisierung des Landes.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 31. Mai 2017 – Bei der Schusterin“

  1. Joe meint:

    Der Nutzen von orthopädischen Einlagen ist zweifelhaft.

    http://www.sueddeutsche.de/leben/orthopaedie-gute-geschaefte-mit-plattfuessen-1.923998

  2. U. meint:

    Oh, das mit den englischen Wasserhähnen fragte ich mich ja erst seit 24 Jahren! Danke!

  3. Julia meint:

    Danke. Das mit den Reparaturen ging mir neulich auch mal durch den Kopf. Ich hatte beim Schuster mehrere Paare reparieren lassen. Für den Preis hätte man im Schuh-Discounter vermutlich 2 Paar neue bekommen. Auch jede geflickte oder umgenähte Hose ist teurer als ein neues Billig-Teil aus den günstigen Modeketten. So wie auch das “Einfache” bei Manufactum ein Vielfaches kostet von dem Glitzer-Geraffel im 1€-Shop. Diese Recycling-Upcycling-Manufaktur-Attitüde muss man sich wohl auch erst einmal leisten können. Was mich aber fasziniert: Ich habe noch nie eine SchusterIN getroffen. Ist sie jung oder schon älter? Hat sie den Laden schon lange oder im Zug der allgemeinen Gentrifizierung gerade eröffnet? Spannend!

  4. die Kaltmamsell meint:

    Das ist sogar die zweite Schusterin, die ich näher kennengelernt habe, Julia: Die erste lernte ich vor 15 Jahren übers brandeins-Diskussionsforum kennen, eine Hessin, die das Geschäft ihres Vaters übernahm. Von ihr habe ich viele Hintergrundinfos, zum Beispiel, dass man ohne die Zusatzqualifikation einer Orthopädieschuhmacherin heute nicht mehr überleben kann. Meine aktuelle Schuhmacherin ist ebenfalls eine nächste Generation, ihr Vater ist trotz weißer Haare noch im Laden und in der Werkstatt aktiv – man sieht ihn hier auf dem mittleren Bild:
    http://www.schuh-huber.de/

  5. Julia meint:

    Hezrlichen Dank. Das ist wirklich schön. Überhaupt: Würde ich heute noch mal vor der Entscheidung stehen, würde ich ein Handwerk erlernen. Dann fiele auch das Auswandern leichter…

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