Archiv für März 2021

Journal Dienstag, 2. März 2021 – Kino-Erinnerungen

Mittwoch, 3. März 2021

Nochmal eine Nacht Schlaf nachholen können, mit nur wenigen kurzen Löchern.

In der Arbeit kurz vor Mittag ein kurzer Ausbruch in Aktionismus, weil scheinbar akute Notlage – entpuppte sich dann doch als Missverständnis.

Nochmal ein sonniger Tag, mittags gab’s eine Breze sowie Blutorangen mit Hüttenkäse, außerdem einen Hofgang mit milder Frischluft.

Nach Feierabend kurze Einkaufsrunde für Milch, Brotzeit, Drogeriemarkt. Daheim traf ich auf einen erschöpften Herrn Kaltmamsell, der den Tag über in Arbeitspausen gepackt und geschleppt hatte. Eine gute Stunde packte auch ich noch: Gläser aus Geschirrschränken. Die Versuchung ist groß, den Inhalt der Geschirrschränke Tablett für Tablett einfach so nach oben zu tragen – aber wohin dann damit? Es muss also alles in Kisten, damit die Schränke vom Umzugsunternehmen transportiert werden können, dafür sammle ich ja seit vielen Wochen meine Zeitungen.

Abendessen gab’s nochmal von Servus Habibi, ich holte es ab und freute mich über die kurze Draußenrunde. Wir wurden mit Genuss satt.

Chris Kurbjuhn verlinkt einen Artikel über die 50 Kinos, die Time out für die schönsten der Welt hält (in dreien davon war ich schon). Doch die schönsten Kinoerlebnisse waren für mich andere, meine drei schönsten Kinos der Welt werde sicher nie in irgendwelchen Rankings auftauchen.

Das erste schöne Kino meines Lebens war der Zeichensaal des Gymnasiums, das ich neun Jahre lang besuchte und in dem mit einem Betttuch als Leinwand eines heißen Sommernachmittags Kino gespielt wurde. Ich habe das Erlebnis hier erzählt.

Das zweite schönste Kino meines Lebens war ebenfalls improvisiert, aber unter freiem Himmel. Es lag in der Ferienhaussiedlung bei Madrid, in der meine tíos Felix und Rosi ihre parcela hatten. Im Sommerurlaub, als ich 15 (?) war, wurde eines Nachts mit dem Frontón als Projektionsfläche (den wir tagsüber mit Tennisspielen bearbeiteten) der Superman von 1978 mit Christopher Reeve gezeigt – unvergesslich.

Das dritte schönste Kino lag auf Malta. Ich machte dort über Weihnachten und Silvester 1994 mit einer Freundin nach meinen Magisterprüfungen Urlaub, zwei verregnete Wochen lang. Wir waren in Sliema untergekommen und hatten dort ein altes Kino entdeckt, das wir eines Abends besuchten. Es war in ernsthaftem Verfall begriffen, hatte ein Loch in der Decke, durch das es hereintröpfelte, die Sitze waren so schmutzig und zerschlissen, dass wir auch ohne fehlende Heizung unsere Mäntel nicht ausgezogen hätten. Ich weiß nicht mal mehr, welchen Film wir sahen – so sehr ist meine Erinnerung von Bildern der Schlussszenen von Cinema Paradiso überlagert.

(Supermärkte, Kinos, Schwimmbäder gehören zu den untouristischen Orten, die ich auf Reisen sehr gerne besuche. Egal in welcher Sprache.)

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Bei Croco entdeckt und amüsiert mit aufgerissenen Augen angesehen: Die großartige Mai Thi Nguyen-Kim erklärte 2017, warum Asiaten kein Alkohol vertragen und führte den Effekt mit einem Gläschen Weißwein an sich selbst vor.

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https://youtu.be/XTMIomsXxKM

Journal Montag, 1. März 2021 – Umzugsberuhigung

Dienstag, 2. März 2021

Fast durch und fast gut geschlafen – welch ein Unterschied! Auch der abgeschlossene Küchenumzug erleichterte mich (Zucker für Milchkaffee und Müesli für das Frühstück von Herrn Kaltmamsell musste ich flugs im Schlafanzug von oben holen), draußen zog ein blauhimmliger Sonnentag herauf, beim morgentlichen Seitstütz sah ich einen aufgeplusterten Sperber vorm untergehenden Mond sitzen – mich ergriff sowas wie Zuversicht.

Bild: Herr Kaltmamsell.

Kalter, sonniger Arbeitsweg, ich ging eine Ecke lang, durch die ich dabei noch nie gekommen war.

Vormittags merkte ich doch noch den Schlafmangel vom Wochenende, doch zum Glück hatte ich nichts allzu Forderndes auf dem Tisch.

Mittags ein Laugenzöpferl und eine große Avocado, jetzt sind von den vier Kilo aus Málaga nur noch drei kleine Exemplare üblich – ohne dass wir damit groß experimentiert hätten, all die gesammelten Rezepte blieben ungenutzt, weil die Avocados einfach so aus der Schale schon so gut schmeckten.

Erkenntnis, warum mich die Pandemie derzeit besonders schafft: Bislang bedeutete Mitarbeit am Schutz für alle in erster Linie, Dinge nicht zu tun, also nicht verreisen, keine Treffen, nicht Rausgehen, keine Restaurant-/Theater-/Kinobesuche. Man konnte aber nichts aktiv tun, wenn man nicht gerade medizinisches Personal oder Forscherin in relevanten Fächern war (außer Maskentragen). Jetzt gibt es einen Impfstoff und ich könnte durch Zum-Impfen-gehen aktiv werden, denn je schneller möglichst viele Menschen geimpft sind, desto langsamer verbreitet sich das Virus (siehe Infektionskurven in Israel, UK und USA). Aber ich darf noch nicht! Und die schlechte Organisation der Impfkampagne verlangsamt sie auch noch! Das stresst mich wirklich.

Nach Feierabend ging ich direkt nach Hause, daheim holte ich Bügeln nach und eine Einheit Yoga.

Herr Kaltmamsell hatte weiter am Umzug gearbeitet: Erste Bücherkisten in Regale geräumt, Kruscht aus alter in die neue Wohnung getragen. (Außerdem hatte er schon vor einiger Zeit den Stadtwerke- und Internet-Teil des Umzugs organisiert.) Ich besprach telefonisch die Unterstützung durch meine Eltern, die am Wochenende nach Umzug zu uns kommen werden.

Nachtmahl war die zweite Hälfte Rübeneintopf vom Sonntagabend.

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Eva Menasse schwärmt in der NZZam Sonntag, dass Wissenschaftler wie Christian Drosten gegen eine dauererregte Öffentlichkeit auf Tugenden wie Besonnenheit, Präzision, Reflexion, Selbstkritik, begründeten Zweifel setzen:
“Eine Form geistiger Rettung”.

Sie haben sich manchmal innerhalb eines Tages drastisch korrigiert. Ohne jedes schlechte Gewissen: «Ich habe gestern Nacht noch ein paar Studien gelesen, und daher …» Die Arbeit eines Wissenschafters strebt nicht danach, die eigenen Annahmen einzubetonieren, sondern sie hart zu überprüfen. Wie ein Schachspieler, der gegen sich selbst spielt, wie ein Hacker, der die eigene Firewall attackiert: Wie kommt man rein, wo ist mein Leck?

Ausgesiebt wird, was fehlerhaft oder nicht gut genug ist; das Übrige ist vorläufig richtig. Schon am nächsten Tag kann es falsch sein. Und das ist die kühle Schönheit und zwingende Sinnhaftigkeit wissenschaftlichen Denkens, maximal entfernt von all dem entsicherten Meinen, grundlosen Schreien und Beleidigtsein, das die Welt erfüllt. Wir schauen der Wissenschaft so gespannt zu wie früher den Läufern und Kugelstossern all der vielen Sportveranstaltungen, die inzwischen abgesagt sind. Sport und Wissenschaft sind Disziplinen, die im Nachhinein überprüfbar sind, aber daher auch Vorhersagen erlauben: Wie weit ist die Kugel geflogen? Wie viele Geimpfte sind an Covid-19 erkrankt?

Journal Sonntag, 28. Februar 2021 – Ein Tag Küchenumzug

Montag, 1. März 2021

3.30 Uhr: Klogang.
4.30 Uhr: Es ist klar, dass ich nicht mehr einschlafen kann, Küchensorgen treiben mich um, weil die neue Küche höchstens 60 Prozent des Stauraums unserer jetzigen bietet. Ich mache das Licht an und lese Anke Stellings Bodentiefe Fenster aus.
5.30 Uhr: Zum Glück ist Sonntag und ich kann noch eine Runde schlafen, wochentags wäre ich aufgestanden.

Den Vormittag verbrachte ich allerdings mit dem Gefühl eines fetten Katers (Erinnerung an Zeiten mit Dinner Parties, lautem Gelächter mit lustigen Menschen, Alkohol und einer so späten U-Bahn heim, dass ich die einzige im ganzen Wagen bin), nur halt ohne den vorhergehenden Spaß. Und ohne die Ruhe für ein paar Stunden Blödschauen, weil Umzug.

Gestern gehörte zum Umzug die Tiefenreinigung des Kühl-/Gefrierschranks, wir merken uns fürs nächste Mal: Dauert gut zwei Stunden. Auch diesmal dachte ich daran, die Inneneinteilung des Kühlschranks vor dem Ausbau zu fotografieren, und wieder war ich beim Zurückbauen froh um die Aufnahmen. Praktischerweise war es nach den warmen Tagen recht frisch geworden, ich konnte kühlbedürftige Lebensmittel auf dem Balkon aufbewahren (Gefriere war gezielt leergegessen worden).

Duschen und Anziehen, gestern machte ich mir geläutert keine Illusionen über irgendeine Sportmöglichkeit. Semmelholen, Semmelfrühstück.

Das Nachmittagsprogramm bestand aus Leerräumen der alten Küche und Umziehen der Inhalte in die neue, damit der Putzmann am Montag die alte Küche lagerfertig putzen kann. Das machte ich gemeinsam mit Herrn Kaltmamsell, was eine wirklich gute Sache war. Zwar hätte wir beide die Ordnungs-Entscheidungen des/der anderen akzeptiert, aber zusammen waren sie leichter. Die wichtigste Entscheidung: Wir übernehmen dann doch die bestehenden Kühlschrank/Gefriere und bauen sie nicht samt Nebenschrank zu Gunsten unseres Einzelteils aus der Einbauküche aus. Dazu besprachen wir uns ungewohnt eingehend und systematisch, inklusive der gegenseitigen Ermahnung, die Wünsche des/der anderen nicht vorwegzunehmen (dazu neigen wir beide), sondern wirklich die eigenen Pros und Contras vorzubringen. Ergebnis: Wir stellen den frisch geputzten großen Kühlschrank zusammen mit der restlichen Küche unter und bieten ihn den Nachmietern an.

Schublade für Schublade für Schrankfach räumten wir die alte Küche aus und suchten nach passenden neuen Plätzen für den Inhalt. Wir brachten dann doch fast alles unter, weil wir die wirklich selten gebrauchten Geräte (Fleischwolf, Sandwichtoaster, Nudelmaschine etc.) in ihren Kartons auf die Hängeschränke stellten. Und nochmal ein Menge Zeug aussortierten.

Freude über den neuen Küchenbalkon.

Kurz vor sechs brauchten wir aber eine Pause: Herr Kaltmamsell musste das Abendessen kochen, außerdem hatte ich beim Bäcker Himbeerschnitten für Kuchenpause gekauft.

Der Rest war schnell erledigt: Mehlschrank ausräumen – den nehmen wir mit, da er nach der Sanierung keinen Platz mehr hat – und Töpfe (mit Abschied von den beiden größten, die nicht Induktions-geeignet sind). Anschließend entspannte Herr Kaltmamsell mit Kochen, ich damit, die Lieblingstweets des Februars zusammenzustellen.

Das Abendessen war dann ein englischer Sellerie-Eintopf mit Rotwein (und weiteren Rüben), obendrauf Sellerie-Knödel.

Was neben Sport noch flach fiel an diesem Umzugswochenende: Zeitunglesen, Bügeln, Sonne draußen genießen.

Früh ins Bett mit neuem Buch: Amitava Kumar, Immigrant, Montana.

Zum vorherigen Roman:

Ich fand Anke Stellings Bodentiefe Fenster sehr gut geschrieben, die Not der Ich-Erzählerin nachvollziehbar. Die Beschreibung des Alltags im Mehrgenerationenhaus und in welchen ständigen Konflikten die Hauptperson Sandra darin lebt, sind gar nicht mit Wertungen verbunden (die ich anfangs meinte finden zu müssen). Menschen sind halt so, Sandra kann den Hintergrund und die Motivation von jedem und jeder nachvollziehen. Ihre Biografie entspricht dem Westberlin-Klischee meiner Generation: Kinderladenkind, ihre Mutter ist die beste Freundin der Kinderladen-Betreiberin. Sandra wächst auf mit Liedern und Spielen, die eine gerechtere Gesellschaft zum Ziel haben, die alle Kinder zu freien, solidarischen und engagierten Menschen machen wollen und fest davon ausgehen, alle gleich zu behandeln. Doch sie merkt mit ihrer angeborenen besonders großen Empathie von klein auf, dass auch in dieser Gesellschaft Menschen ausgeschlossen werden, dass Glück, Veranlagung und Zeitgeist den einen bevorzugen, die andere hängen lassen. Und sie leidet darunter, auch als Erwachsene, weil sie einerseits keine Lösung dagegen hat, sich aber dazu verpflichtet fühlt (Kinderladen-Erziehung), etwas zu tun. Ebenso wenig wird uns Leserinnen am Ende eine Lösung geboten, so ist das Leben, so sind die Menschen halt. Da muss man durch, selig diejenigen, die sich ihre Illusionen erhalten.