Archiv für März 2021

Journal Dienstag, 9. März 2021 – Mal wieder geschöfft

Mittwoch, 10. März 2021

Weil Umzug noch nicht Abwechslung genug war, folgte ich gestern einer Ladung als Schöffin ans Amtsgericht, zum ersten Mal für zwei Verhandlungen hintereinander.

Schöner Morgenausblick.

Die erste Verhandlung begann um 9 Uhr, so konnte ich vorher ein Rezept bei meiner Hausärztin abholen. Allerdings verkalkulierte ich mich zeitlich ein wenig, in der neuen Umgebung brauchen die sonst so routinierten Handgriffe am Morgen dann doch mehr Zeit: Statt zu Fuß durch die Morgenluft zu gehen, nahm ich eine U-Bahn an den Stiglmaierplatz.

Die Richterin setzte beide Verhandlungen mit FFP2-Maskenpflicht an: Es gibt Bequemeres, aber es war zu machen. Wieder lernte ich sehr viel, unter anderem, wie man als drogensüchtige Touristin in fremden Städten Kaufmöglichkeiten findet (über Google) (kein Scheiß). Und dass man dabei mit Bitcoins zahlt.

Im zweiten Fall gab es einige Königlich-Bayerisches-Amtgericht-Momente, aber sonst wenig Erfreuliches. Ich erlebte einen Pflichtverteidiger in etwas, das ich als Zwickmühle empfinden würde, und eine Richterin inmitten hoher Stapel Akten, sah viele Zeuginnen und Zeugen. Zum ersten Mal las ich DNA-Analysen und lernte unter anderem: Wenn jemand mit einer gestohlenen Bankkarte am Automaten Geld abhebt oder das versucht, lautet das Vergehen Computerbetrug.

Eine Mittagspause gab es erst kurz vor zwei, bei Gericht muss man Hungerkünstlerin sein. (Wobei mir einfällt, dass alle Richterinnen und Richter, mit denen ich bislang als Schöffin zu tun hatte, dünn waren. Korrelation oder Kausalität?) Ich holte mir in der Cafeteria die größte angebotene Käsesemmel, aß sie unter großer Bröselei verboten maskenlos vorm Sitzungssaal.

Um drei waren wir durch (und ich erschöpft, das Aufpassen strengt bei so fremden Inhalten ganz schön an), ich ging zu Fuß ins Büro. Dort noch heftiges Arbeiten bis halb sieben, dabei genug übrig für den nächsten Tag.

Auf dem Heimweg über die Theresienwiese war es ganz dunkel, wieder biss ein böser Wind, diesmal hatte ich eine Mütze dabei.

Herr Kaltmamsell hatte tagsüber in Arbeitspausen weiter die alte Wohnung ausgeräumt. Er servierte als Nachtmahl Palak Paneer nach einem Rezept im Guardian: Ganz anders als meine cremige Version, nämlich gröber, interessant gewürzt und mit sehr knusprigem Paneer. Schmeckte sehr gut.

Journal Montag, 8. März 2021 – Arbeitstag mit neuem Rahmen

Dienstag, 9. März 2021

Nacht mit ein wenig Unruhe, aber nicht allzu belastend.

Erstmals Aufbruch in die Arbeit aus der neuen Wohnung, fühlte sich durchaus anders an.

Ich genoss den Fußmarsch ins Büro in kalter Luft, dachte dabei weiter an der Illusion von Meritokratie herum. Kommt daher vielleicht die Anziehungskraft von Zuguck-Sport (abseits von Mannschaftssportarten)? Weil sportliche Höchstleistung ganz sicher nicht aus guten Verbindungen der Eltern resultiert? Und ist das zeitgenössische Influencer-tum im Web eine Nische, in der zumindest jetzt noch junge Menschen jeder Herkunft ganz groß rauskommen können?

Turbulenter Arbeitstag. Das sollte ich mir für Anfälle von Faulheits-Selbstbezichtigung im Büro merken: Wenn ich mal zwei Tage nicht da bin, sehe ich doch eigentlich am Liegenbleibenden und an der Hektik beim Wiederkommen, dass ich normalerweilse ziemlich was wegschaffe. Ich fürchte inzwischen, dass ich selbst dann mein Imposter-Syndrom behalten würde, wenn meine einzige berufliche Aufgabe Rumstehen wäre (andere stehen viel effizienter rum und die verdienen wahrscheinlich nur die Hälfte).
Im Grunde sollte ich Stolz auf meine Imposter-Syndrom-Spitzenleistung entwickeln.

Positive Überraschung des Tages: Die Bio-Blutorange, die ich Mittwochabend in meiner Schreibtischschublade vergessen hatte, also vier Tage zuvor, lag nicht wie erwartet in einem flauschigen Bett aus Schimmel und Matsch, sondern war nur ein wenig angetrocknet und durchwegs essbar. Mittags also Laugenzopf, rote Paprika sowie Orange mit Hüttenkäse.

Nachmittags nochmal einiges geklärt und strukturiert, nicht zu später Feierabend. Heimweg über die Post am Goetheplatz (beim Kreuzen der Theresienwiese biss mich eisiger Wind, eine Mütze wäre schön gewesen) um Pakete zum Buchversand zu kaufen.

Daheim nochmal vier Kilo spanische Bio-Avocados bei Crowdfarming bestellt, wir waren uns einig, dass sie uns nicht zu viel werden würden.

Zum Nachtmahl hatte ich mir Linsen gewünscht, Herr Kaltmamsell servierte sie als Eintopf mit Würschtln und mit Rösti aus den restlichen Pellkartoffeln vom Vorabend.

§

Ich weiß, Sie gucken alle das Interview mit den Ex-Royals (was völlig in Ordnung ist), aber vielleicht darf ich Sie für das Portrait von Stacey Abrams in der Marie Claire interessieren, von der Frau, die mit ihrer zehnjährigen Kampagne zur Wähler*innen-Mobilisation maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass der stockkonservative US-Bundesstaat Georgia an die Demokratie ging?
“The Stacey Abrams Effect”.

Being the daughter of working-class, sometimes working-poor, pastors prepared Abrams for a life of service, ingrained in her a sense of duty, and made her understand this fundamental thing about humans: We have to work together because we need one another. Nothing magic about that. Just math.

Und zur Erholung schreibt sie Romane.

Journal Sonntag, 7. März 2021 – Zwischen-Ausruhen

Montag, 8. März 2021

Von gestern gibt es erfreulich wenig zu erzählen, es war Zeit für Ausruhen.

Nochmal eine gute Nacht, wieder grüßte morgens ein Halbmond über den Bäumen vorm Fenster, allerdings deutlich weiter links.

In aller Ruhe Morgenkaffee, nach Duschen und Anziehen ging es weiter mit Umzug: Das Kammerl in der alten Wohnung musste ausgeräumt, ein Platz für Putzmittel und -gerät gefunden werden, ebenso eine vorübergehende Heimat für meine Schuhe. Ich fegte ein wenig in der alten Wohnung herum, gründliches Saugen gibt es erst, wenn wirklich alles leer ist. Eine große Erleichterung für uns: Da die Wohnung grundsaniert wird, müssen wir keine Löcher in den Wänden verspachteln.

Ich ging raus und holte Frühstücksemmeln, es war kalt und trocken. Zwei Semmeln, Birne und Mandarine (ziemlich trocken, die Saison ist vorbei) zum Frühstück.

In der neuen Wohnung bestückte ich einen weiteren Schrank – vorläufig, der kommt bei verfügbarem Einbauschrank in meinem Zimmer woanders hin mit neuer Funktion. Dann war genug umgezogen für einen Sonntag, ich las die Wochenendzeitung auf einem Sessel am Fenster zwischen Bücherkisten.

Erste Möbel bestellt (neue Bücherschränke mit Glastüren fürs Wohnzimmer), Lieferzeit fünf bis sieben Wochen.

Ein Stündchen gebügelt; ich bin gespannt, wo sich in der dann eingerichteten Wohnung mein Bügelplatz ergeben wird. Liegengebliebene Zeitungen gelesen.

Nachtmahl wurde ein Kartoffelauflauf aus Ernteanteilkartoffeln, Zubereitung arbeitsgeteilt: Ich kochte und pellte die Kartoffeln, Herr Kaltmamsell stapelte, übergoss und buk (neuer Ofen noch verwirrend) sie zu Auflauf. Schmeckte in Ordnung, Nachtisch Schokolade.

§

Lange dachte ich, dass Meritokratie demokratisch sei, weil sie nach meiner Auffassung Aufstieg durch Anstrengung, Fleiß und Engagement bedeutete – mit dem Ergebnis, dass die Personen an die Spitze der Gesellschaft kamen, die sich besonders verdient gemacht hatten um die Gesellschaft. Ein Trugschluss, allein schon weil es keinen objektiven Maßstab für Leistung oder Verdienst gibt.

Ein Schlüsselmoment war, als ich eine besonders leistungsorientierte Frau aus gutem Hause sagen hörte, dass sie sich um ihr kleines Kind gar keine Sorgen mache: Selbst wenn es sich als faul und unbegabt erweisen sollte, hätte sie so gute Verbindungen, dass sie ihm sicher ein gutes Auskommen verschaffen könne. Herkunft schlägt (mit wenigen, dann oft erzählten Ausnahmen) Verdienste im Großen wie im Kleinen, an jedem Schritt im Leben.

In Republik macht sich Daniel Binswanger gründlichere Gedanken um Ursprung (eine Dystopie!) und Auswirkung des Konzepts Meritokratie und fasst die Überlegungen zusammen, die sich andere darum gemacht haben (Schreibung Schweizerisch):
“Gegen die Meritokratie”.

Was genau ist also Meritokratie? Es ist die Herrschaft derer, die es auch verdienen zu herrschen. Etwas technischer ausgedrückt: die Hierarchisierung der Gesellschaft gemäss dem objektiven Verdienst ihrer Mitglieder, gemäss ihren Fähigkeiten und Qualifikationen – oder eben ihren Meriten. Etymologisch leitet der Begriff sich ab vom lateinischen meritum, was Verdienst bedeutet. Praktisch bedeutet er etwas Simples: Die Hoch­qualifizierten und Kompetenten sollen oben in der Hierarchie stehen. Die Niedrig­qualifizierten und nicht durch geistige Brillanz Auffallenden sollen sich mit einem Platz am unteren Ende begnügen. Moralisch bedeutet dieses einsichtige Organisations­prinzip jedoch noch etwas anderes: Wer oben steht in einer solchen Hierarchie, der hat es auch verdient.

(…)

Es ist grossartig, wenn Talent sich entfalten kann und wenn die Fähigen und Hochqualifizierten geschätzt, gefördert und mit allen Mitteln vor Diskriminierung geschützt werden. Aber eine Frage wird damit nicht beantwortet: Was geschieht mit den weniger hoch Qualifizierten und den weniger Fähigen? Mit denen, die die Mehrheit bilden? Sie sind in der Tat «moralisch nackt». Dass sie in der meritokratischen Hackordnung auf der Verlierer­seite stehen, haben sie sich selber zuzuschreiben. Die Gesellschaft teilt ihnen nicht nur ein bescheideneres Los zu, sie straft sie mit Verachtung. Worauf soll der Respekt auch gründen für Bürgerinnen, die aus eigener Schuld, in eigener Verantwortung und aller wohlmeinenden Förderung zum Trotz Heraus­ragendes nicht leisten können?

(An diesem Problem kaue ich seit Jahren unter “Wohin mit unseren Deppen?”)

Elite­universitäten sind nicht das Sprung­brett für sozialen Aufstieg, sondern der Ort, an dem soziale Privilegien von einer Generation zur nächsten transferiert werden. Und das eigentliche Problem dabei ist, dass dies nicht hauptsächlich auf «gekaufte» Studien­plätze zurück­geführt werden kann, sondern vielmehr darauf, dass die meritokratischen Selektions­kriterien tatsächlich respektiert werden.

Die amerikanische Oberschicht ist nämlich dazu übergegangen, enorme Summen in die Ausbildung ihres Nachwuchses zu investieren. Das beschränkt sich nicht nur auf den Zugang zu Privat­schulen, die ihren Abgängern einen Startvorteil verschaffen, sondern erstreckt sich auch auf das jahrelange Coaching für die College-Aufnahme­prüfungen, das mittlerweile noch teurer werden kann als das Studium selber.

(…)

«Der meritokratische Erfolg hat eine paradoxe moralische Psychologie», schreibt Sandel. «Kollektiv und im Rückblick betrachtet, erscheint sein Resultat, wenn man sich die erdrückende Dominanz von Kindern aus reichen Haushalten an Elite­universitäten ansieht, fast vorher­bestimmt. Aber für diejenigen, die mitten im hyper­kompetitiven Kampf um die Zulassung zum Studium stehen, ist es unmöglich, Erfolg als etwas anderes zu betrachten als das Ergebnis ihres ganz individuellen Efforts und ihrer ganz persönlichen Leistung.»

Es ist gewissermassen das Leitmotiv von Sandels Buch: Die Meritokratie erzeugt tatsächlich leistungs­bereite und fähige Eliten, die aber selbstgerecht und überheblich werden. Sie ist eine permanente Aufforderung zur moralischen Hybris. Und das schafft politische Fakten.

Eine mögliche Konsequenz zieht John Rawls, der philosophischen Übervater des Links­liberalismus:

Es macht im Prinzip gar keinen Unterschied, ob soziale Hierarchien auf Klassen­unterschieden oder auf der natürlichen Verteilung von Fähigkeiten beruhen: «Von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet ist beides gleich arbiträr.» Deshalb gibt es für Rawls auch kein Argument dagegen, dem Tüchtigen einen Teil seines Einkommens wieder abzunehmen und es an die weniger Tüchtigen zu verteilen.

Wichtige Beobachtung vor allem wenn es um die Zukunft der Arbeit geht:

Thomas Frank, der schon 2004 ein wichtiges Buch über den heraufziehenden Rechtspopulismus publiziert hat und den Sandel ausführlich zitiert, fällt ein harsches Urteil über die linksliberale Bekämpfung der Ungleichheit durch Bildungs­politik: «Das ist im Grunde gar keine Antwort auf das Problem. Es ist ein blosses moralisches Urteil, gefällt von erfolgreichen Menschen vom Stand­punkt ihres Erfolges aus. Die akademische Mittel­schicht definiert sich durch ihre Ausbildungs­erfolge, und jedes Mal, wenn sie dem Land wieder erklärt, dass es mehr Bildung braucht, sagt sie im Grunde nur: Die Ungleichheit ist nicht der Fehler des Systems. Sie ist dein Fehler.»

§

Dieser Link ist ganz speziell für meinen Bruder, einst alias Libellchen.

Journal Samstag, 6. März 2021 – Abbauen, Bohren, Montieren, Aufhängen mit Elterns

Sonntag, 7. März 2021

Eine gute Nacht, dringend benötigt. Nach Klogang freute ich mich am Anblick des Nachthimmels, und beim Aufwachen grüßte mich der Mond.

Als ich den gestrigen Blogpost in die VG-Wort-Website eintrug (ich mache das ja immer sofort), sah ich den Grund für das merkwürdige Verhalten der Technik in den vergangenen Tagen: Die Website wird umgebaut, ich bin gespannt, ob der Vorgang userfreundlicher wird (wenig wahrscheinlich) oder einfach nur anders umständlich (wahrscheinlich).

Kurz nach neun kamen meine Eltern, Werkzeugkoffer in der Hand und sprühend vor Tatendrang. Ich ging mit ihnen erst mal durch, was sich alles schon erledigen ließ.

Also:

In alter Wohnung restliche Lampen abmontiert, außerdem die Stangen für den Baldachin (die Bezeichung “Madenschraube” gelernt, die findet man auch in Türklinken).

In neuer Wohnung
– Mehlschrank in der Küche anmontiert (aus alter Küche mitgenommen, weil er ohnehin der Grundsanierung zum Opfer gefallen wäre – war ein wenig Gefiesel)
– Küchenlampe angebracht (war in der alten Wohnung Wintergartenlampe)
– Waschmaschine angeschlossen und ausprobiert (ein Zwischenstück musste ich aus der alten Wohnung holen, das war nicht mit abmontiert worden) – ICH HABE EINE WASCHMASCHINE ANGESCHLOSSEN!
– Kronleuchter im Bad angebracht (vorhandener Deckenhaken brach sofort raus, neuer Haken musste angebracht werden – zum Glück hatten wir das schwere Vieh mit sechs Händen und zwei Leitern gesichtert)
– Spiegel im Flur anmontiert (bei dieser Gelegenheit Jahre alte Klebespur einer Deko-Idee mit Waschbenzin beseitigt)
– Metall-Kronleuchter (Erbstück wie der im Bad) in Herrn Kaltmamsells Schlafzimmer angebracht (Bohren für Deckenhaken)
– Lampe im Wohnzimmer angebohrt (ein wenig Hintergrundinfo zu Dimmertechnik bekommen)

Bei all dem assistierte ich meinem Vater (Staubsaugerhalten beim Bohren, Schrauben, Werkzeuge und andere Teile anreichen oder abnehmen, Dinge halten – durch Nachfragen lernen), während meine Mutter vor- und zwischenreinigte.

Dann endlich ließen sich meine Eltern zu einer Pause mit Brotzeit überreden, es war schon nach eins. Die Brotzeit hatte Herr Kaltmamsell geholt, der während all der Zeit Stehengebliebenes in der alten Wohnung packte, trug, räumte.

Nach Brotzeit und Espresso gab es nur noch im Klo einen Spiegel anzubringen (Nagel reichte, der zweite Lampenanschluss – ? – verschwand hinter dem Spiegel) und die Deckenlampe (inklusive Bohren). Ich genoss es sehr, mit meinem Vater zusammenzuarbeiten, mit meiner Mutter Einrichtung zu beraten, überhaupt Zeit mit meinen Eltern zu verbringen (DRECKS CORONA) (ICH WILL IMPF!).

Abschließend packten wir mehrere Kisten Ausgemustertes in das elterliche Auto und verabschiedeten die beiden.

Ich wiederum ging Einkaufen, wir hatten für die Umzugswoche den Ernteanteil abbestellt und brauchten Lebensmittel. Der Tag war sonnig und kühl. Beim Heimkommen merkte ich, dass meine Hüfte noch nicht zu 100 Prozent wiederhergestellt ist (100 Prozent wurden mir ja erst für nach einem Jahr angekündigt): Während ich vormittags die Treppen noch rauf und runter gejoggt war, musste ich jetzt deutlich langsamer machen.

Dann weitere Umzugstätigkeiten: Geschirrschrank und Mehlschrank eingeräumt, Verpackungspapier weggebracht (bislang nur ein Glasbruch, verschmerzbar).

Mit der neuen Wohnung haben wir auch eine elektronische Türklingel übernommen: Herr Kaltmamsell stieg auf eine Leiter und sorgte dafür, dass sie nicht mehr mit der Big-Ben-Melodie klingelte. Jetzt haben wir ein klassisches, wenn auch elektronisch verzerrtes DING DONG, wie sich das gehört. (Beim Durchhören des Angebots lernte ich, dass sich Klingeltonhumor auch auf Haustürklingeln erstreckt.)

Als ich die Waschmaschine erstmals nutzen wollte (ICH HABE EINE WASCHMASCHINE ANGESCHLOSSEN!), gab es eine kurze Krise, weil kein Wasser zulief. Nach einigen Versuchen der Fehlerbehebung (einzeln erst von mir, dann von Herr Kaltmamsell), rief ich dann doch meinen Vater an: Er hatte – und das durchaus dazugesagt – den Wasserhahn des Zulaufs zugedreht, damit bei Nicht-Betrieb kein Wasserdruck auf dem Schlauch ist. Was ich bislang nie gemacht hatte und deswegen überhört. Zulauf aufgedreht, Maschine funktionierte.

Sagen Sie mal: Gibt es sowas wie ein Designobjekt-Shazam? Foto von Ding hochladen, und dann bekommt man die Info, wo es sowas oder Ähnliches zu kaufen gibt? Weil ich nämlich gerne eine Deckenlampe hätte, wie sie hier im Treppenhaus hängt, das Original ist von Ende 1950er:

Der Außenring, der die charmanten Strahlen erzeugt, ist messingfarben.

Zum Nachtmahl (Aperitif war Wodka-Orange) gab es Ruccola-Salat mit roter Paprika, ein wenig erhitzte Callos a la madrileña aus der Dose (erste Abenteuer mit der Mikrowelle, die es in der übernommenen Küche gibt) und die Brotzeitreste von Mittag.

§

Auch die Tagesthemen feierten am Freitagabend den 50. Geburtstag der Sendung mit der Maus (eine der wenigen Fernsehsendungen, die ich als Kind anschauen durfte).

Journal Freitag, 5. März 2021 – Umzugstag, es gibt Überlebende – #WMDEDGT

Samstag, 6. März 2021

Zwar kein Alltag, aber trotzdem ein Beitrag zu Frau Brüllens Initiative #WMDEDGT – Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?, mit der sie an jedem 5. des Monats Tagebuch-Blogposts sammelt.

Gemein schlechte Nacht, das Sorgen- und Angstkarussell war mit tausend Unwägbarkeiten und Problemen des Umzugs gut besetzt. Um fünf erklärte ich die Nacht für beendet, duschte, zog mich wieder in Sportkleidung an, veröffentlichte den Blogeintrag, sah, dass es draußen tatsächlich zum ersten Mal seit Wochen regnete.

Räumen und Tragen, bis die Umzugsfirma pünktlich kurz vor sieben eintraf, fünfköpfig. Herr Kaltmamsell übernahm oben in der neuen Wohnung die Richtungsweisung, ich war unten in der alten ansprechbar und erklärte dem Chef Grundsätzliches (was muss hoch, was ins Lager, was bleibt erstmal und wird selbst umgezogen), das er gleich an seine Truppe weitergab.

In den folgenden Stunden war wenig für mich zu tun, ich machte vor allem sauber, wo Möbel und Kisten gestanden hatten. Gerne hätte ich mit Herrn Kaltmamsell Kontakt per Walkie Talkie gehalten, doch er reagierte auf mein Ansinnen mit: “Sind wir 12?” (JA! Meine innere Zwölfjährige ist sehr lebendig, und “over!” habe ich schon seit viel zu vielen Jahren nicht mehr gesagt!) (Für die App hätten wir Internet gebraucht, waren aber genau gestern zwischen Internetzugängen, weil auch die umzogen.) Ging natürlich auch so.

Eine schnelle Scheibe Brot, damit ich nicht schon um zehn umfiel. (Ich hatte morgens völlig benebelt nach der schlimmen Nacht Herrn Kaltmamsell gefragt: “Du sagst mir, wann ich zusammenbrechen darf?” Er antwortete bedauernd: “Auf jeden Fall nicht vor Mittag.”)

Den meisten Aufwand erzeugte wie erwartet das Zerlegen der Küche. Der Profi, der sich hauptsächlich darum kümmerte, machte immer wieder Zwischenmeldung (“Den Spritzschutz werden Sie wahrscheinlich nicht mehr verwenden können.” “Die alten Küchen waren einfacher abzubauen, aber so eine neue, teure macht Arbeit.”) Ich las hin und wieder Twitter und war komplett überfordert mit Markus Söders Wortgeburt “atmende Öffnungsmatrix”.

Gegen halb zwölf war das meiste, das nach oben kam, hochgetragen, und die erste Ladung Küche war im Transporter verstaut. Der Regen hatte sich vor einer Weile in Schnee verwandelt, für meine 3/4-Laufhose war es eigentlich zu kalt. Ich traf mich mit den Umziehern bei den Freunden, die die Küche im Keller einlagern. Während die Herren arbeiteten, plauderte ich im Warmen mit den Freunden.

Und so war es gerade mal zwei, als wir uns am Lager von der emsigen und freundlichen Truppe verabschiedeten. Auf dem Heimweg stoppte ich mit Herrn Kaltmamsell beim Bäcker, daheim gab es nachgeholten Milchkaffee und Kuchen.

Gerne ging ich auf dem Vorschlag von Herrn Kaltmamsell ein, mich ein Stündchen hinzulegen (für Bettbeziehen war Zeit gewesen).

Mein altes Schlafzimmer, ausgeräumt.

Neues Schlafzimmer, erst mal alles irgendwie reingestellt, weil der Wandschrank noch gebaut werden muss.

Danach war ich munter genug für Einräumen, zumindest ein Geschirrschrank war nun wieder bestückt. Ich fühle mich ein wenig lächerlich, dass ich um einen einfachen Umzug, noch dazu im selben Haus, so viel Gewese mache, andere ziehen ständig um, zwischen Städten, und das auch noch mit Kind und Kegel. Aber seit den Studienjahren, in denen ich darauf achtete, immer nur so viel Zeugs zu besitzen, dass ich es jederzeit im Keller meiner Eltern hätte unterstellen können, um ganz weit weg zu gehen, sind offensichtlich ein paar Leben vergangen.

Man hört die Kirchglocken lauter (ich mag Kirchenglocken, das konnten selbst die 9 Monate mit Schlafzimmerfenster 30 Meter von den Glocken der Augsburger Barfüßerkirche nicht ändern), dafür die klavierspielende Nachbarin leiser. Und jetzt gucken wir aus der richtigen Höhe aus dem Wohnzimmerfenster, um die Distelfinken nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen.

Herr Kaltmamsell stürzte sich trotz der Anstrengungen des Tages ins Kochen und servierte Wirsinggemüse mit Manouri, ich steuerte als Nachtisch Grapefruitjoghurt bei.

Früh und erschöpft zu Bett. Für die erste Übernachtung in neuer Wohnung ließ ich den Rollladen oben, um den Ausblick vom Bett aus genießen zu können. Und ich wollte ohnehin so früh aufstehen, dass mich das erste Morgenlicht nicht stören würde.

§

Schnellstartenden Brummfolk suche ich manchmal, in bluesiger, aber eben nicht in hysterischer Stimmung, also gerne tendenziell traurig, aber robust. Ich will mich ja nicht aufgeben, ich will nur einen gewissen Unfrohsinn passend untermalen und mich dabei grob verstanden fühlen. Aber kann man danach vielleicht bei Spotify suchen, nach diesen ganz schlichten, sicher nachvollziehbaren und auch leicht zu fassenden Kriterien? Natürlich kann man das nicht.

Ich weiß verlässlich, dass sich unter meinen Leser*innen musikhörendes Volk befindet, vielleicht kann jemand Herrn Buddenbohm mit Folk-Tipps unter die Ohren greifen?

Journal Donnerstag, 4. März 2021 – Endspurt zum Umzug

Freitag, 5. März 2021

Recht gute Nacht, eine Erleichterung.

Morgens gönnte ich mir zwei gemütliche Stunden, dann duschte ich und zog leichte Sportkleidung an – der Tag würde sehr körperlich werden. Herr Kaltmamsell musste gestern in die Schule, ich arbeitete mich vom Wintergarten in Uhrzeigersinn vor: Leergeräumte Schränke putzen, Dinge hochtragen, weiterputzen.

Der Umgang mit bereits grundgereinigten Küchenteilen (Kühlschrank, Spüle – jede Gebrauchsspur sofort wegputzen) erinnerte mich an meine Kindheit mit Jahreswagen. Mein Vater arbeitete bei Audi, das Prinzip Jahreswagen basiert auf den vergünstigtem Autopreisen für Mitarbeitende, die an die Bedingung geknüpft waren, dass der Wagen erst nach zwölf Monaten weiterverkauft werden durfte. Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen hatte mein Vater das Ziel, das Auto möglichst gut weiterzuverkaufen und ständig ein ganz neues Auto zu fahren. Die Folge: Autos waren bei uns nie Gebrauchsgegenstände oder gar Familienmitglieder, sondern wurden mit Glacéhandschuhen und auf Zehenspitzen genutzt: Fahren war ok, doch um Gottes Willen vor Einsteigen Schuhe abputzen, nichts anfassen, auf keinen Fall jemals darin essen oder trinken, denn selbstverständlich war das Ziel, den Wagen nach zwölf Monaten wie ungenutzt anbieten zu können. (Mit welcher Herzenslust ich mein erstes eigenes Auto zumüllte!)

Dazwischen holte ich ein UPS-Paket ab, das einen Tag früher als angekündigt geliefert worden war – als folglich niemand zu Hause war. Ich holte mir auch gleich Frühstück beim Bäcker: Die erste Mahlzeit in der neuen Küche, mit Zeitunglesen.

Dann ging’s weiter mit Räumen, Putzen, Tragen, um halb zwei verzeichnete mein Smartphone 63 gestiegene Stockwerke.

Leerer Wintergarten, leere Küche.

Ausgeräumter Flur.

Wohnzimmer in Kisten. Herr Kaltmamsell war mittlerweile heimgekommen.

Allerdings protestierte meine Lendenwirbelsäule immer schmerzhafter, ich setzte mich eine Runde. Dann haute es mir ein bisschen das Gestell zusammen: Ich wurde steinmüde und legte mich ins Bett, schlief fast eine Stunde tief – das hatte ich zuletzt in der Reha kurz nach Hüft-Op, wenn ich mich überanstrengt hatte.

Nach dem Schläfchen war ich fit für die nächsten Runden Fegen, Putzen, Packen, Tragen, Einsortieren, Absprechen, Planen. Herr Kaltmamsell baute die speziellen Kleider-Umzugskisten auf, die bis zur Fertigstellung des Einbauschranks in meinem neuen Zimmer meine Kleidung aufbewahren werden, auch die füllte ich noch.

Kurz nach sieben strich ich die Segel, ich konnte nicht mehr. Zum Abendessen gingen wir in die neue Wohnung, in der neuen Küche gab es den köstlichen Räucherfisch aus der Familie mit Vollkornbrot vom Bäcker und wachsweichen Eiern. Und zwei Gläsern Rosé, ich hatte große Lust auf Alkohol.

(Das andere Zeug auf dem Küchentisch hat noch keinen endgültigen Platz gefunden.)

Das waren laut Smartphone 87 Stockwerke und knapp 15.000 Schritte.

Was am eigentlichen Umzugstag spannend wird:
– Klappt das mit dem Internet-Umzug?
– Bringt die Umzugsfirma einen Fachmann mit, der die Küche zerlegen und tranportieren kann?
– Haben wir alles richtig vorbereitet?
– Wird es allen Ernstes nach Wochen Trockenheit ausgerechnet da regnen?

§

Zusammenfassung von Peter Wittkamp des weiteren offiziellen Umgangs mit der Corona-Pandemie in Deutschland laut Länderkonferenz. Etwa so war das auch bei mir angekommen.

Journal Mittwoch, 3. März 2021 – Erste Impfung in der Familie

Donnerstag, 4. März 2021

Recht gut geschlafen, aber mit 5 Uhr zu früh aufgewacht.

Letzte Maschine Wäsche (Bettwäsche) vor dem Umzug gefüllt und eingeschaltet (die Waschmaschine nehmen wir mit). Sensationelles Morgenrosa draußen überm Morgenkaffee. Der Tag selbst wurde bedeckt und kühl.

Arbeit in der Arbeit. Mittags gab es neben Käse und Birne die letzte Bio-Avocado aus dem Paket aus Málaga – das waren halt doch die besten Avocados meines Lebens. Sofortige Nachbestellung habe ich mir wegen Umzug verkniffen, aber ich hoffe, das klappt in dieser Saison nochmal.

Nach der Arbeit direkt nach Hause, um noch eine Weile Geschirr und Gläser zu verpacken, ein paar Dinge nach oben in die neue Wohnung zu bringen. Und mit Herrn Kaltmamsell die Pläne für den nächsten Tag abzusprechen, den ich mir zu Umzugsvorbereitung frei genommen habe.

Das Nachtmahl holte diesmal Herr Kaltmamsell, es gab vom Vietnamesen Reisnudeln mit frischen Kräutern, Gemüse und Erdnusshühnchen.

Herr Kaltmamsell hat von seinem Arbeitgeber ein iPad gestellt bekommen. Das ist super, denn dazu gehört ein magnetischer Stift, mit dem wir prüfen konnten, welche unserer Töpfe auf dem Induktionsherd funktionieren werden. (Wenige. Mist. Zum Glück haben wir reichlich Töpfe und werden nicht in Not geraten, für den Übergang außerdem eine Adapterplatte.)

Vor dem Schlafengehen letzter Durchgang der Geschirrspülmaschine vor Ausbau: Maschinenreinigung.

Ich merke, dass mich die Beschlüsse der Länderkonferenz zu weiteren Lockerungen der Anti-Pandemiemaßnahmen trotz gestiegener Fallzahlen nicht besonders interessieren: Mein Verhalten ist bis Impfung weiterhin auf Schutz ausgerichtet.

Gute Nachricht: Auch Frau Schwieger bekam gestern ihre erste Impfung!

§

Seit Monaten wird in meiner Wahrnehmung zu viel über die Not durch den Pandemieschutz, und zu wenig über die Not durch Covid-19-Erkrankungen berichtet. Deshalb halte ich diese Bilder aus dem Krankenhausalltag auf dem Höhepunkt der zweiten Welle für wichtig:
“Das passiert hinter den Türen einer Covid-Intensivstation”.

§

Dolly Parton macht Werbung für die Impfung gegen Covid-19. Ich hatte noch nie so viel Spaß, jemandem beim Geimpftwerden zuzusehen (sie singt auch). Spritzen-Phobiker (hallo Papa!) bitte nur bis Minute 3:10 gucken.