Journal Rosenmontag, 28. Februar 2022 – Freier Tag mit Sonnenschwimmen, der Ukraine-Krieg schlägt ein

Dienstag, 1. März 2022 um 8:06

Gut geschlafen, aber zu früh aufgewacht, wegen Angst- und Sorgenattacke nicht wieder eingeschlafen.

Vorm Haus wurde die Ankündigung eingelöst, die ich in dem seit Freitagabend geparkten Baugerät gesehen hatte: Nach ein paar Monaten Ruhe wird mal wieder die Straße aufgerissen, laut mobilen Halteverbotsschildern diesmal zumindest nur eine Woche lang.

Den gestrigen freien Rosenmontag wollte ich zum Schwimmen nutzen. Vom wolkenlosen Himmel schien die Sonne, doch es war um den Gefrierpunkt kalt. Mit dicker Mütze und dicken Handschuhen radelte ich ins Dantebad, schwamm schöne 3.300 Meter in der Knallsonne. Erst im letzten Drittel tauchten auch Kampfschwimmer auf der Bahn auf, bis dahin war ich zwar die einzige, die mehr als wenige Bahnen ohne Schwimmflügerl oder sonstige Hilfsmittel schwamm, doch man arrangierte sich gut.

Zum Frühstücken radelte ich rüber ins Café Puck, es gab einen Bagel New York BLT zu Cappuccino und Apfelschorle. Zeitung gelesen. Und da erwischte es mich: Meine Gefühlswelt oder mein emotionales Begreifen reagiert auf Großes ja fast immer mit Verzögerung. Diesmal brauchte es vier Tage, bis dort der Ukraine-Krieg einschlug.

Die Friedenszeit, die sich in den vergangenen 35 Jahren meines Lebens entwickelt und sich seit Perestroika und dem Ende des kalten Krieges immer weiter verstärkt hatte, die ein fester Bestandteil meines Lebensgefühls war, die zuletzt am ehesten durch islamistischen Terrorismus gefährdet wurde – diese Friedenszeit ist vorbei. Das wurde mir schlagartig beim Lesen der Seite Drei von Daniel Brössler klar, aus der der Ausschnitt oben stammt (€).
“Schreckliche neue Welt”.

Beendet wurde diese Illusion nicht durch Cyber, nicht durch etwas völlig Neues – sondern ganz altmodisch durch einen konventionellen Angriffskrieg wie ich ihn aus Geschichtsbüchern, aus Schulbüchern kenne. Meine emotionale Reaktion ist (noch?) nicht Angst, sondern Trauer. Ich möchte weinen über den Verlust des Glaubens an eine grundsätzlich friedliche, friedenswillige Zukunft, weinen über die Schrecken und die Angst, die über die Menschen in der Ukraine herfallen.

Noch steht Europa, steht der allergrößte Teil der internationalen Staatengemeinschaft zusammen. Doch die noch nicht überwundene Corona-Pandemie hat mich gelehrt, dass diese Solidarität nur ein erster Impuls als Reaktion auf den Schreck über die Katastrophe ist. Leider kann ich nicht anders, als auch diesmal Kleinlichkeit, Partikularinteressen und Egoismen als zwangsläufige nächste Schritte vorauszusehen.

Erst durch ihr schlagartiges Verschwinden wird mir die Gewissheit bewusst, in echten Friedenszeiten zu leben, in einer grundsätzlichen Sicherheit, die eine Beschäftigung mit den zentralen Zukunftsproblemen der Welt erlaubte, mit Klimawandel, Armut, Krankheiten. Offensichtlich eine lächerlich naive Illusion.

Das Wetter blieb herrlich, ich ging zu einem Spaziergang rüber in den Englischen Garten. Während mir dort kalt war und ich möglichst zackig ging, sah ich die anderen Spazierenden mit baren Häuptern und ohne Handschuhe, sogar auf Decken auf den Wiesen liegend – wacker.

Eisbach, an dessen Ende gesurft wurde.

Kurz vor Daheim freute ich mich an den Krokanten in allen Farben im Nußbaumpark.

Zu Hause ging ich meine Twitter-Timeline sorgfältig durch und schaltete zur Aufregungs-Minimierung Retweets von allen ab, die offensichtlich ungeprüfte Ukraine-Meldungen retweeten. (Herr Kaltmamsell hilft seiner Stabilität derzeit, indem er nicht mal Fernsehnachrichten guckt.)

Über heißem Tee stellte ich die Lieblingstweets des Monats zusammen, telefonierte ein Stündchen mit meinem Bruder (auch ohne Ukraine-Krieg genug Themen).

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell die Reste von Samstagabend: Mufflonbraten mit Sauce, die Spätzle als Kässpatzen. Dann gab es reichlich (ein bisschen zu viel?) Süßigkeiten.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Rosenmontag, 28. Februar 2022 – Freier Tag mit Sonnenschwimmen, der Ukraine-Krieg schlägt ein“

  1. Sonni meint:

    Wir lebten nie im Frieden. Nicht nur gab es islamistischen, sondern auch RAF- und rechtsextremen Terrorismus, sonden auch lange den (gefährlichen!) Kalten Krieg, die ganzen Post-Sowjet-Kriege, Irakkrieg, Jugoslawien, zuletzt Georgien und schon 2014 die Ukraine. Nur, weil das – mal abgesehen vom Terrorismus – alles für Deutschland glimpflich abging, erscheint es – für uns! – in der Rückschau weniger bedrohlich. Diese Chance gibt es auch für den gegenwärtigen Konflikt. Was ihn nicht weniger schlimm macht.

  2. Horst Schulte meint:

    Doch die noch nicht überwundene Corona-Pandemie hat mich gelehrt, dass diese Solidarität nur ein erster Impuls als Reaktion auf den Schreck über die Katastrophe ist.

    Das ist eine wirklich kluge und leider nicht weit hergeholte Annahme. Aber warten wir es ab. Uns bleiben keine Alternativen, glaube ich.

    Ich bin 68 und mir gehts nicht ganz anders als dir. Längst nicht mehr gekannte Sorgen und Ängste haben bei mir (wohl durch die Ohnmacht) zu großer Wut über das geführt, was Putin den Menschen in der Ukraine antut.

    Ein Nachteil der einhelligen und überraschenden massiven Vorgehensweise gegen das Regime in Russland könnte darin liegen, dass wir auch von uns aus alle Türen zugeschlagen haben. Hoffentlich rächt sich das nicht.

  3. Simone meint:

    Ich teile Ihre Befürchtungen, dass die momentane Einigkeit gegen Putin nicht von Dauer sein könnte – aber ich hoffe natürlich das Gegenteil.
    Angesichts des Klimawandels, einer weltweiten Pandemie und eines Krieges, dessen Ausmaße und Folgen noch nicht abschätzbar sind frage ich mich, wie ich Kinder in diese Welt setzen konnte. Mir geht es ähnlich wie Herrn Kaltmamsell, ich muss Nachrichten vorsichtig dosieren.

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