Journal Samstag, 9. April 2022 – Sportvereinslabyrinth

Sonntag, 10. April 2022 um 8:32

Der Schlaf nach fünf ist bekanntlich der erholsamste, nach einer zerstückelten Nacht profitierte ich sehr davon, dass ich nach dem letzten Aufwachen um fünf bis fast acht schlafen konnte.

Das Wetter war etwa so scheiße wie angekündigt, wir schoben die Wanderpläne auf Sonntag. Auf einen Lauf hatte ich keine rechte Lust, auch schlechtes Wetter gibt es in interessant und uninteressant. Statt dessen ging ich nach Monaten wieder in den Verein auf den Crosstrainer – unter anderem um herauszufinden, wie weit der Renovierungsabschluss der historischen Sportanlagen an der Häberlstraße gediehen waren.

Ergebnis: Das Zugangssystem mit Mitgliedausweis ist in Betrieb, damit kommt man nur in die Räume, für die man berechtigt ist. Diese Räume zu finden, also Umkleide und den Weg zur Galerie mit den Fitnessgeräten, war ein echtes Abenteuer. Beschilderung gab es wenig, und der alte Bau ist auf eine Computerspiel-taugliche Art verwinkelt – nur halt ohne Umschaltmöglichkeit auf Grundriss-Ansicht. Letztendlich fand ich zum Crosstrainer, kann mir aber nicht vorstellen, dass mein Kreuzen diverser Trainingshallen der vorgesehene Weg war.

Strampeln in angenehm weniger Gesellschaft (es gibt keinerlei Zutrittsbegrenzung mehr in Form von Impfkontrolle, um Maskentragen wird lediglich gebeten), ich hörte dabei Musik von Lana del Rey. Draußen hatte der Regen aufgehört, das Wetter beruhigte sich und war lediglich kalt.

Drei Semmeln (ok, große) beim Bäcker: 4,20 Euro.
Sich privilegiert fühlen, weil man sich Semmeln vom Bäcker leisten kann. Die steil steigenden Lebenshaltungskosten sind seit einiger Zeit Medienthema (Energiepreise, Inflation, Lieferkettenprobleme der Pandemie jetzt verschärft durch Ukrainekrieg), für prekär lebende Menschen muss das eine echte Belastung sein.

Zu Hause Körperpflege, Frühstück mit Semmeln (aufs Laugenzöpferl probierte ich einen veganen Aufschnitt, den ich für die Ostertafel testete – gut! mit reichlich unveganer Butter drunter). Statt Wochenendkuchen kochte ich Arroz von leche mit dem bayerischen Reis. Mein Verdacht bestätigte sich, dass er sich dafür besser eignet denn als Beilage aus dem Reiskocher.

Ausführliches Zeitunglesen. Empfehlenswerter Artikel (gegen Abo €):
“Frau Hoffmann erinnert sich”.

Sie ist 91 und hat schon einmal einen Krieg miterlebt. Wenn sie jetzt im Fernsehen die Bilder aus der Ukraine sieht, ist da wieder Angst und Kälte.

Frau Hoffmanns Erinnerungen passten sehr gut zu meiner derzeitigen Lektüre, Hilde Knefs Geschenktem Gaul, die ja auch viele Erinnerungen an Kriegsgräueln enthalten; Knef wurde 1925 geboren.

Die Pflegerin aus dem Stuttgarter Altenheim erzählt am Telefon, wie die Bewohner seit Butscha verstummt sind. Wie es stiller wird im Gemeinschaftsraum. Wie zu Beginn des Krieges erst alles wieder hochkam und die Alten plötzlich erzählten: vom toten Bruder, von den Soldaten, die die Menschen vom Acker trieben wie Vieh. Von der Angst. Nie haben sie so viel von sich erzählt wie in den ersten Kriegstagen, sagt die Pflegerin. Dann kam Butscha.

Im Altenheim stellen sie jetzt das Programm um im Fernsehen, wenn Nachrichten kommen, sie zeigen lieber Heimatfilme, sie singen „Tulpen aus Amsterdam“, sie richten alles hübsch her, für den Osterhasen.

Als speziellen Leserinnenservice für mich empfand ich diese ausführliche Feature (€):
“Im Glashaus”.

Seit 175 Jahren entstehen in der Mayerschen Hofkunstanstalt in München spektakuläre Glasarbeiten und Mosaiken, oft zusammen mit Weltkünstlern. Der jüngste Großauftrag ist gerade fertig geworden. Destination: New York.

Ich wusste sofort, von welchem Hinterhof die Rede ist: Die schöne Fassade mit der Aufschrift “Mayer’sche Hofkunstanstalt” war mir immer wieder beim Radeln durch die Seidlstraße aufgefallen. Ich hatte vermutet, dass sie der dekorative Rest einer längst verblichenen Firma ist, jetzt weiß: Nein, dahinter steckt wirklich, was vorne draufsteht.

In München gibt es nur wenige Meyer’sche Werke zu sehen, zum Beispiel in den Fünf Höfen. Oh – und ein paar der Glaskunstwerke könnte man sogar kaufen.

Aperitif fürs Abendessen wurden Green Monkeys, Herr Kaltmamsell servierte den spanischen Bohneneintopf Fabada, den er über den späten Nachmittag gekocht hatte.

Dazu gab es den restlichen Gemischten Satz aus Niederösterreich, der sehr gut passte. Zum Nachtisch spanischer Milchreis. Im Fernsehen ließen wir Sissi laufen, Teil 3 (“Non compro librusch!”)

§

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (die ich seit vielen Jahren als Internet-Fachfrau und Aktivistin für digitale Bürgerrechte kenne) weist darauf hin:

Und beschreibt dann in einem Thread, wie diese Bearbeitung aussah. Daraus kann man unter anderem lernen, wie wirkungsvoller Aktivismus funktioniert. (Und warum der Bundestag gegen die Impflicht stimmte, obwohl aus allen Umfragen hervorgeht, dass die Bevölkerung sie mehrheitlich will.)

§

Laurie Penny ist derzeit auf Buchtour in Europa – wo sie DIE junge Starfeministin ist, vor allem in deutschsprachigen Ländern, und entsprechend behandelt wird. Doch in ihrem Herkunftsland UK ist das sehr anders, auf Twitter bekomme ich vor allem Pennys Reaktion auf Angriffe aus der untersten Schublade mit. Hier schreibt sie darüber, wie sie diesen Gegensatz in der vergangenen Woche erlebt hat:
“So far, it’s been a strange holiday.”

I’ve got a part to play, and the part seems to be sort of Feminist ratbag rockstar. Which was a thing I always secretly hoped it might be possible for someone to be. But I’m trying to relax and play the part. Feminist rockstar. This was a thing I always secretly hoped it might be possible for someone to be.

die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Journal Samstag, 9. April 2022 – Sportvereinslabyrinth“

  1. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Das mit den wieder aufflammenden Kinderkriegserinnerungen macht mir gerade große Sorge. Unsere Gartenfreunde, beide weit über 80, haben den letzten Weltkrieg als Kinder erlitten, mit allem … ausgebomt, Mutter bekommt die Nachricht das ihr Mann/der Vater an der Front gefallen ist, Hunger, Stubben mit Dynamit sprengen um Feuerholz zu haben … Sie sind sehr still zu Zeit …
    Im letzten/vorletzten (?) Zeit Magazin dazu ein interessanter Bericht: Wie geht man damit um, wenn die Nachrichten aus der Ukraine retraumatiesieren? Antwort: Reden und zuhören hilft!!!

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