Archiv für Februar 2023

Lieblingstweets/-tröts Februar 2023

Dienstag, 28. Februar 2023

Hier die Tweets des Februars 2023, die ich aufheben möchte:

Und hier die schönsten Tröts meiner Mastodon-Timeline:

Journal Montag, 27. Februar 2023 – Asiatischer Abend mit Übernachtungsbesuch

Dienstag, 28. Februar 2023

Aufgewacht genau die 20 Minuten vor Weckerklingeln, die ein Aufstehen zu früh, ein echtes Weiterschlafen aber zu spät machen. Bockig blieb ich wach liegen und nannte es Ruhen.

Draußen nochmal richtige Winterkälte, frostige.

Über die Theresienwiese blies bissiger Wind. Und über den Tag tanzten immer wieder Schneeflocken vor dem Bürofenster. Winternörgeln gestehe ich mir erst ab März zu, zumal ich mich wirklich über die deutlich längeren Tage freue.

Emsiger Vormittag. Zu Mittag gab es Äpfelchen, Hüttenkäse, viele Orangen (am Wochenende war eine weitere Crowdfarming-Kiste voll eingetroffen).

Die Kälte kroch ins Büro. Ich trug zwar dicke Lagen Wolle, aber nur Lederstiefel – am Dienstag werden es wieder die Schneestiefel.

Nach Feierabend Lebensmitteleinkäufe im Vollcorner. Daheim war bereits Übernachtungsbesuch eingetroffen. Ich wollte ihm zum Nachtmahl eine Entdeckung unseres #Lindwurmessens zeigen, Asiatisches im Asialaden Thang Long. Wir zogen uns warm an (Herr Kaltmamsell war aushäusig), marschierten im Frost dorthin – und standen vor einem dunklen Laden mit Schild “Wir schließen heute um 17 Uhr”. Doch schräg gegenüber gab es ja eine weitere Entdeckung, das vietnamesische Restaurant Jasmin. Wieder war der Empfang herzlich, war das Essen sehr gut.

Erwähnenswert auch die Getränke: Ich hatte eine Yuzu-Schorle, mein Begleiter eine Kurkuma-Schorle, beide deutlich nach ihrer Bezeichnung schmeckend und nur einen Hauch süß. Zum Nachtisch bestellte ich die empfohlene Avocado-Creme: flüssiger als erwartet, ebenfalls nur wenig süß, sehr gut.

Heitere Gespräche. Ich bekam von einem Berlinalebesuch mit Verwandtschaftsbeteiligung erzählt, wir planten einen Harz-Wanderkurzurlaub um Goslar mit Herrn Kaltmamsell.

Unser Rückweg fühlte sich sibirisch an, der Gegenwind warf uns Eiskristalle ins Gesicht.

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Dass ich hier nichts über den Krieg Russlands gegen die Ukraine schreibe, bedeutet keinesfalls, dass ich mich nicht damit beschäftige – allerdings bei Weitem nicht so intensiv, dass ich mir irgendein Expterinnentum zuschreibe. Deshalb finde ich diese Antworten von Isolde Ruhdrofer bei Krautreporter auf 33 Fragen zu diesem Krieg hilfreich: Sie beschäftigt sich beruflich und intensiv mit dem Thema.
“33 Fragen und Antworten zum Krieg gegen die Ukraine”.

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Weiter mit dem berühmten britischen Humor. Michael Spicer mit The room next door macht die Originalrede der britischen Umweltministerin Thérèse Coffey zu aktuellen Lebensmittel-Versorgungsengpässen zu einem wirklich bezaubernden Dokument der Zeitgeschichte. “Aspects of lettuce” will ich bitte beim nächsten Fine Dining in UK auf der Speisekarte lesen.

Journal Sonntag, 26. Februar 2023 – Langer Weg von Bonn zurück nach München

Montag, 27. Februar 2023

Gut, tief und lang geschlafen, beim nächtlichen Klogang der tückischen Hotelschrankkante erfolgreich ausgewichen.

Wir hatten den Tag als Reisetag eingeplant, ließen also alles ruhig angehen. Sehr rechtzeitig nahmen wir eine Stadtbahn zum Bahnhof, erlebten bei klirrendem Frost (den kann Bonn also auch) das seltene Naturschauspiel einer offenen Bahnschranke an der Ollenhauerstraße. Gegenüber vom Hauptbahnhof ließen wir uns in einer Boulangerie auf ein Mandelhörnchen zum Frühstück für Herrn Kaltmamsell und Morgencappuccino für uns beide nieder.

Bonn Hauptbahnhof.

Regionalbahn nach Köln/Deutz (wir lernten den Begriff “Turmbahnhof”), dort war noch reichlich Zeit für einen weiteren Cappuccino und für Brotzeitkauf.

Ausblick vom Bahnsteig in Köln/Deutz. Zeit fürs Fotografieren war ebenfalls reichlich, denn ab da verlief die Fahrt ein wenig holprig: Der ICE traf bereits mit 15 Minuten Verspätung ein, am Bahnhof Frankfurt Flughafen fiel der Strom im Großraumabteil aus, kurz darauf informierte uns eine Durchsage über eine technische Störung in unserem Zugteil und dass wir jetzt erst mal stehen würden. Ich hatte eh nichts anderes vor, hoffte lediglich, dass wir überhaupt weiterfahren würden. So war es auch nach etwa 40 Minuten.

Möglicherweise sind lange Bahnreisen die wenigen Umstände, die mich zu echtem Müßiggang zwingen: Ich kann wirklich nichts erledigen, keinen Sport treiben, alle Energie geht in Zeitvertreib. Und so wandte ich mich weiter meinem Granta 162, Definitive Narratives of Escape zu, vielstimmige Baby- und Kinderstimmen sowie sonstige Geräusche des vollbesetzten Großraumabteils ignorierend. (Als Fensterplatz hatte ich wieder einen fensterlosen an der Wand erwischt, ich sah also eh nichts.) Besonders freute mich meine Gelassenheit: Was einen nervt oder aufregt, können sich die wenigsten Menschen aussuchen, ich sicher nicht, also nahm ich die ausnahmsweise Abwesenheit von Unruhe und Genervtheit in dieser Situation als Geschenk. Nachtrag der Chronik wegen: Brotzeit um zwei war Äpfelchen und das gekaufte Eier-Käse-Brot.

Bis München hatten wir eine Stunde Verspätung, aber, ich wiederhole mich, ich hatte eh nichts vor. München war ebenfalls frostig, unsere Wohnung empfing uns mit diesem Ausblick.

Erst mal Tüchtigkeiten und Räumen, dann durfte ich Yoga, diesmal 40 Minuten mit Tim (und mit Umfallen, mei) – war mit viel Oberkörperöffnen genau das Richtige.

Nachtmahl von Herrn Kaltmamsell: Spaghetti mit Sojahack-Gemüsesauce, sehr gut. Dann noch Schokolade und weiteres Räumen.

Journal Samstag, 25. Februar 2023 – Bonn: Haus der Geschichte und großes Fest

Sonntag, 26. Februar 2023

Nachtschlaf gestört durch Kopfschmerzen – nein, nicht der Alkohol, sondern das Eck des Kleiderschranks im Hotelzimmer: Nach dem ersten Klogang bog ich im Dunklen am Ende des Gangs zum Bett, und rannte mit der linken Gesichtsseite voll in die Kante des Kleiderschranks. Das tat weh! Beim zweiten Gang war ich vorsichtiger – und fand heraus, woran das Hindernis lag: Der Schrank steht im türlosen Übergang nicht in Verlängerung zur Wand, sondern 20 Zentimer versetzt. Auch diesmal dachte ich, ich könnte bereits zum Bett abbiegen, dotzte mit der Stirn in den Schrank.

So sieht das trügerische Eck bei Tageslicht aus.

Ich ließ mir Zeit mit Bloggen und Internetlesen: Die Cafés für Frühstückscappuccino öffneten erst um 9:30 Uhr. (Das Zimmer hat sogar eine gut ausgestattete Küche, doch das wusste ich nicht und hatte deshalb weder Cafetera noch Espressopulver dabei.) Auf dem Parkplatz vorm Zimmerfenster wurde Training aufgebaut und dann auch betrieben.

Sah nach Spaß aus.

Dann aber gingen wir raus unter gemischten Wolken am Rhein entlang. Im Park Rheinaue wurde bereits heftig geblüht, in den Uferauen sahen wir verschiedene Gänse, Elstern, sehr laute Sittiche, überm Rhein einen Bussard, von Krähen geneckt, im Rhein unter anderem Kormorane.

Es begann wieder zu regnen, trotz kleinem Schirm waren wir froh um die Einkehrmöglichkeit in einem netten Café beim Bundesrechnungshof.

Eigentlich hatte ich noch eine Runde durch die Innenstadt geplant, doch der windige Regen verdarb mir die Lust darauf. Also kein aktuelles Haribo-Foto. Statt dessen gingen wir gleich zum Haus der Geschichte.

Wir verbrachten über fünf Stunden in dem Museum: Die Ausstellung ist ganz ausgezeichnet strukturiert und befüllt, die Räume sind mit Bedacht und Kreativität genutzt, die Texte einfach und verständlich formuliert, spiegeln den Forschungsstand.

Da ist es also doch: Das P für polnische Zwangsarbeiter*innen, von dem meine polnische Oma erzählte – sie habe es in der Nazizeit als Zwangsarbeiterin in der schwäbischen Landwirtschaft auf ihrer Kleidung tragen müssen. In der KZ-Gedenkstätte Dachau hatte ich es nicht unter den offiziellen Kleidungsabzeichen der diskriminierten Menschengruppen gefunden und angenommen, dass die Erinnerung meiner Oma halt nicht ganz stimmte.

Originalstücke aus dem Bonner Bundestag, die charakteristischen Nieten der Blenden sind mir sehr vertraut aus der Fernsehberichterstattung.

Für den Museumsgarten fehlte uns am Ende die Energie, auch wenn mich der Rückblick auf bundesdeutsche Gartengeschichte interessiert hätte (großartige Idee!).

Das ist ganz klar eine Ausstellung, die sich in erster Linie an Einheimische richtet, schon lange oder noch nicht so lange in Deutschland Einheimische. Herr Kaltmamsell und ich glichen fast jedes Kapitel mit unserer eigenen Familiengeschichte ab oder eigenem Erleben (wir leben halt beide schon seit 55 Jahren in Deutschland und kennen viele Ereignisse als Zeitzeug*innen), erinnerten uns an die Berichterstattung zur Ereigniszeit, an eigene Reaktionen und Verarbeitung. Besonders spannend war für mich die DDR-Geschichte, die bis zur Wiedervereinigung parallel zur BRD-Geschichte gezeigte wurde; sie ist mir als Westlerin natürlich deutlich weniger vertraut.

Je näher die Kapitel an die Gegenwart reichten, desto kürzer wurden sie – darauf fehlt noch der historische Blick, der eine Übersicht und Einordnung ermöglicht. Doch die Ausstellung reicht tatsächlich bis in die Gegenwart, das letzte große Kapitel ist die neue zahlreiche Zuwanderung seit 2015.

Um zwei waren wir für ein Mittagessen ins Museumscafé abgebogen, ich aß einen Salat mit viel Räucherlachs.

Vormittägliche Blüte an der Adenauerallee.

Nachmittägliche Blüte an der Willy-Brandt-Allee. Das Wetter war deutlich freundlicher geworden, aber recht kalt.

Herr Kaltmamsell nahm sich noch Zeit für das Arithmeum (mechanische Rechenmaschinen), ich ging direkt zurück ins Hotel.

Der Abend gehörte dem eigentlichen Anlass der Reise: Im Basecamp feierte eine ganze Familie, was in drei Corona-Jahren nicht groß zu befeiern war, von Geburtstagen über Studienabschlüsse bis berufliche Erfolge. Ich sah liebe Internet-Menschen nach Jahren wieder, trank Radler, aß Salate und Humusse mit Brot, außerdem Pulled Mushrooms in Brottasche (zu viel insgesamt), tanzte – und machte Fotobox-Fotos mit Herrn Kaltmamsell.

Es wurde nach Mitternacht, bis wir ins Bett kamen.

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Ein wunderschönes und leidenschaftliches Plädoyer:
“PLEASE Blog”.

via Buddenbohm & Söhne

Starting a blog is not hard. You don’t have to be fancy-schmancy. Content matters 9/10, design is the remaining one tenth. Sure, strive to have it loaded within a reasonable time, but most blog templates do that for you.

(…)

Don’t wait for the viral piece

Just write. Write about your day. Write about joys and sorrows. Be political, social, medical, artsy. Give the world those pictures you took, or those poems you wrote. Tell us in the Fediverse when you do, and we’ll become fast fans of your writing. Because personal blogging is not about clickbait or numbers, it is about parasocial and real relationships, about the feeling that we’re not alone out there, in the world.

Blogs are more personal, more anchored to the realities of the world around that screen.

(…)

Blog in a way that is indestructible. Iron Blogging. Own your content, both digitally and personally. The cost is minimal, free more often than not (cost of a domain excluded, .md cost me $30 for five years), but the benefits are wonderful.

Don’t wait for the Pulitzer piece. Tell me about your ride to work, about your food, what flavor ice cream you like. Let me be part of happiness and sadness. Show me, that there is a human being out there that, agree or not, I can relate to.

§

Nachtrag zur Gemüsekrise in UK: Ursache ist nicht nur der Schabernack mit Brexit, sondern auch eine Landwirtschafts- sowie neoliberale Wirtschaftspolitik zum Totlachen. Laut Guardian-Kommentator Jay Rayner können Sie derzeit wunderbar beobachten, wie der Markt Lebensmittelversorgung regelt.
“You can blame the weather and Brexit. But there’s more to the UK’s food supply crisis”.

The problem is that growing salad vegetables in the UK has been made economically unviable, both by those shortsighted supermarkets and in large part by Brexit. Growers in the Lea Valley around London, regarded as Britain’s salad bowl, have started applying to knock down dozens of acres of greenhouses so the land can be used more profitably for houses. As the Lea Valley Growers Association has explained, the post-Brexit seasonal workers’ scheme only granted six-month visas when they were needed for nine months. It meant bringing in two cohorts and double the training. That means extra costs which are not being met by supermarkets.

Then came the energy crisis. The government chose not to subsidise the energy costs of growers. Last week APS group, one of the largest tomato growers in the country, admitted they had left some of their glasshouses unplanted for the first time in almost 75 years.

Journal Freitag, 24. Februar 2023 – Reise nach Bonn

Samstag, 25. Februar 2023

Noch vor Weckerklingeln von Angst geweckt worden – im Grunde ein ebenso physisches Gefühl wie Blasendruck (wäre schön, wenn es dafür ein Gegenstück zum Wasserlassen gäbe – Angstlassen).

Geschäftiger Morgen daheim: Bettwäsche abziehen (Übernachtungsbesuch am Montag) und Waschmaschine einschalten, Geschirrspüler ausräumen, Blumengießen. Das Köfferchen fürs große Fest in Bonn, ein gemeinsames für Herrn Kaltmamsell und mich, war schon vorgepackt. Außerdem Corona-Test: Nachdem in meinem Umfeld die Infektionszahlen steigen (aber meist ohne PCR-Test, also nicht in Statistiken erfasst), die Abwasseranaylsen ebenfalls auf erhöhte Fallzahlen hinweisen und ich am Wochenende auf ein Fest mit vielen Leuten gehe (plus Bahnfahrten), teste ich mal lieber wieder täglich. (Wobei es wahrscheinlicher ist, dass ich aus der Rheingegend etwas heimbringe als hinbringe.)

Marsch in die Arbeit durch nicht sehr kalte Luft. Dort Geschäftigkeit, ich konnte noch einiges wegarbeiten und anschieben.

Feierabend halbe Stunde nach freitäglicher Kernzeit, U-Bahn zum Hauptbahnhof.

Ich war mit Herrn Kaltmamsell im Zug verabredet, der ICE nach Stuttgart war gut besetzt.

Umsteigen in Stuttgart dank Pünktlichkeit kein Problem, doch der Anschluss-IC war sehr voll, Menschen standen. Draußen wurde das Wetter immer düsterer, die schönen Aussichten den Rhein entlang kamen nicht zur Geltung. In Bonn (zehn Minuten Verpätung, völlig ok) war es Nacht und es regnete dann so richtig. Wir machten auf dem Fußweg von der Stadtbahn-Haltestelle zu unserer Unterkunft am Stadtrand wieder Bekanntschaft mit einer der legendären Bonner Bahnschranken, die ab abends nicht mehr nach jedem Zug geöffnet werden. Wir mussten drei Züge abwarten und wurden sehr feucht.

Kurzes Einchecken im Hotel gleich hinter der samstäglichen Feier-Location, dann gingen wir Essen. Vom letzten Besuch vor sechsfünf Jahren an gleicher Stelle hatte ich ein italienisches Lokal in guter Erinnerung – doch es liegt jenseits der Bahnschranke und ich wollte kein langes Warten auf dem Heimweg riskieren. (Wie stark beeinflusst der Faktor Bahnlinie wohl zwischenmenschliche Beziehungen und Lebensentscheidungen in Bonn?) Eine Alternative hatte ich recherchiert, wir gingen in die Gegenrichtung zu einem Vorstadt-Italiener und aßen Melone mit Schinken (ich), Seeteufel-Carpaccio (er), dann Seeelachs-Röllchen mit Spinatfüllung (ich), Tagliatelle mit Scampi und Pfifferlingen (er), dazu gab es eine Flasche sizilianischen Weißwein, Nachtisch Panna cotta mit Himbeeren – alles anständig, der Alkohol hochwillkommen.

Auf unserem viertelstündigen Rückweg ins Hotel wurden wir dann richtig nass, es schüttete. Nicht so schlimm, trocknete ja wieder.

§

Der britische Humor ist ja berühmt, vor allem weil die Briten regelmäßig darauf hinweisen. (Als Deutsche bin ich leider komplett humorbefreit und muss das so formulieren.) So konditioniert versuchen wir anderen Europäer*innen immer noch über den Schabernack Brexit zu lachen – und ich bin immer stärker beeindruckt, zu welchen Anstrengungen die UKler für diesen Lacher zu gehen bereit sind. Derzeit sind zum Beispiel die Supermarktregale in den Gemüse-Abteilungen leer (anders als die in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine), Brüller. Und die britische Umweltministerin Thérèse Coffey setzt eine weitere Pointe drauf: Die Briten mögen sich doch bitte auf das heimische saisonale Gemüse rückbesinnen und Weißrüben wertschätzen.
“Environment secretary urges Britons to ‘cherish’ turnips amid food shortages”.

Journal Donnerstag, 23. Februar 2023 – Das allmähliche Verstummen von “Everybody has a voice”

Freitag, 24. Februar 2023

Sehr tief und gut geschlafen, zehn Minuten vor Weckerklingeln erholt aufgewacht.

Diese Woche fühlt sich reichlich verschoben an, zum einen wegen der beiden freien Tage an ihrem Anfang, zum anderen wegen des Wochenend-Ausflugs zu einem Fest nach Bonn, den ich bereits Freitagmittag antrete. Ich musste mich am gestrigen Donnerstag immer wieder daran erinnern, dass dieser Freitagmittag bereits der Folgetag war.

In der Arbeit zackiges Wegarbeiten, da Termine den Tag strukturierten. Nach zwei menschlich intensiven davon war ich derart sozial erschöpft, dass ich eine Stunde Spaziergang herbeisehnte und zumindest ein paar Minuten aus dem Fenster schauen musste. Wo zum Teufel ist die Extrovert-Kaltmamsell von vor 30 Jahren geblieben?

Ich genoss nochmal mein warmes Büro, vormittags hatte die Sonne nochmal so schön hereingeschienen, dass ich nicht einmal eine Jacke brauchte. Doch es soll nochmal richtig kalt draußen werden, zurück zu Büro-Look mit Schneestiefeln und drei Lagen Oberteilen.

Mittags gab es eine Körnersemmel, dann Mango mit Joghurt.

Mehr intensive Arbeit am Nachmittag, diese Woche bin ich wirklich mein Geld wert.

Auf dem Heimweg ging ich über den Hauptbahnhof, um im dortigen bewährten Fotoautomaten Passfotos zu machen: Nächste Woche habe ich einen Termin im Bürgerbüro für neuen Ausweis und für neuen Reisepass. Alles ging gut: Sitz eingestellt, Variante Passfoto ausgewählt, Geld eingeworfen, vier Aufnahmen mit starrem Gesicht, der Automat bestimmte, welche Aufnahme die Passfoto-Kriterien erfüllte, “ok” tippen. Doch dann.

(Der Finger ist nicht meiner.)
“Ink ribbon and paper type do not match.” Es wurde kein Ausdruck erstellt.
Respekt, das hatte ich in all den Jahren Kampf mit Fotofix-Fotoautomaten noch nicht. Mein Reklamationsanruf bei der im Automaten angegebenen 24-Stunden-Nummer der Automatenfirma erreichte nur den Anrufbeantworter. Ich zahlte nochmal sechs Euro für Aufnahmen im leicht überbelichtenden Nebenautomaten, bekam hier einen Ausdruck und hoffe, dass die Bilder nächste Woche akzeptiert werden.

Daheim eine Runde Yoga, ich mobilisierte mich mal wieder mit Jessica Richburg durch.

Als Nachtmahl verarbeitete Herr Kaltmamsell den Rosenkohl aus eben geholtem Ernteanteil mit Orecchiette, Salzzitronen und Käse zu einem köstlichen Nudelgericht. Nachtisch Schokolade.

§

Zwar lebe ich weiterhin zu großen Teilen im Web (das heute so selbstverständlich zu unserem Leben gehört, dass praktisch niemand mehr vom “Internet” spricht), doch ich befasse mich nicht systematisch oder gar beruflich damit. Jemand, für die beides gilt, also Jahrzehnte Online-Leben und professionelle Analyse, ist Franziska Bluhm. In ihrem aktuellen Newsletter stehen kluge Gedanken, wohin wir uns mit dem Medium Web gerade bewegen:
“Zeitenwende in Social Media”.

In den vergangenen Jahren war eines der größten Argumente FÜR Social Media: Jeder hat eine Stimme und jeder hat die Möglichkeit gehört zu werden. Soziale Kontakte konnten entstehen – über große Distanzen hinweg. “Connecting the world”, nannte es Marc Zuckerberg. Jede Meinung, Story, jedes Thema hatte die gleiche Chance gehört zu werden. Nun ja. Alte Zeiten.

(…)

Jetzt könnten schon bald neue Regeln gelten: Wer gehört werden will, der kann ja dafür bezahlen. Oder wie Journalist Dennis Horn im Haken-dran-Podcast so schön formulierte: “Power to the people – with money”. Der, der zahlt, bekommt jetzt mehr Reichweite und Sichtbarkeit.

Können in solchen Zeiten Dinge wie “Me too” eine solche gesellschaftliche Relevanz entfalten? Können sich die Frauen im Iran noch organisieren und weltpolitischen Druck ausüben? Ist es noch möglich, schnell und unkompliziert Hilfe in Katastrophengebieten zu organisieren, wie wir es gerade in der Türkei erleben?

Eine Möglichkeit für “Everybody has a voice” war seit Beginn des Web und ist auch weiterhin der Betrieb kleiner, schraddliger, selbst-gehosteter Blogs wie meines hier. Doch ich profitiere genau von der Irrelevanz und überschaubaren Reichweite der Vorspeisenplatte: Keine Regierung wird den Zugriff darauf sperren wollen, niemand muss es bekämpfen. Das bedeutet aber auch, dass dieses Blog nie eine Massenbewegung transportieren wird ( UM GOD’S WUIN!). Zudem mag sich damals wie heute offensichtlich nur eine winzige Minderheit die (gar nicht große) Mühe machen, eigenen Webspace zu bewirtschaften.

Journal Mittwoch, 22. Februar 2023 – Zahnrüge

Donnerstag, 23. Februar 2023

Zackiger Morgen, denn ich musste früher als sonst los: Jahrestermin bei meiner Zahnärztin inklusive Zahnreinigung.

Ein herrlicher, strahlender Frühlingsmorgen, das Vogelkonzert immer dichter besetzt – allerdings sah ich von der U-Bahn aus nicht viel davon.

Zahnreinigung wie immer unangenehm, zudem holte ich mir diesmal nicht das gewohnte Lob für meine Mund-Hygiene ab, sondern wurde vorsichtig gefragt: “Sie benutzen aber schon Zahnseide?” Ja, täglich – aber anscheinend hat mich die Routine nachlässig gemacht und ich muss mich künftig stärker konzentrieren. Dann fand Frau Doktor auch noch ein Löchlein (und zeigte es mir über Zahnfernsehen), ich musste einen Folgetermin vereinbaren. Ist meine Zeit als berüchtigter Ruin jeder Zahnarztpraxis endgültig vorbei?

Später als gedacht kam ich an meinen Schreibtisch und machte mich über das E-Mail-Postfach her, das nach dem langen Wochenende gut gefüllt war.

Mittags ging ich raus in die herrliche Luft auf einen Cappuccino.

Am Schreibtisch gab zu essen Birchermuesli, Grapefruit, Mandarine.

Auch der Nachmittag voller hochkonzentrierter und eng getakteter Arbeit. Eigentlich war ich mit Herrn Kaltmamsell zum Abschluss unseres #Lindwurmessens verabredet, doch ich fühlte mich erkältungskränklich (bitte nicht wieder von vorn) und erschöpft. Also ging ich lediglich ein wenig Lebensmittel einkaufen und bat Herrn Kaltmamsell um Verabredungsverschiebung.

Statt dessen turnte ich die Abschlussfolge von Adrienes “Center”, in der 30. Folge gibt es keine Ansagen und Adriene ermutigt uns Mitturnerinnen, selbst eine Abfolge zusammenzustellen. Diesmal schaffte ich es zum ersten Mal das wirklich zu tun, die Bewegungen und Haltungen aneinanderzureihen, nach denen mir gerade war, sie so lange und so oft zu wiederholen, wie mir war – zumal Adrienes Zusammenstellung, die ich aus dem Augenwinkel auf dem Fernsehbildschirm sah, sehr schnell, zackig und eher wie ein Cardio-Traininig wirkte. Insgesamt war mir das diesjährige 30-Tage-Programm zu fad und zu wenig anregend, vermutlich bin ich über dieses Anfänger-Level hinaus.

Zum Abendessem war ja noch Linsen-Sellerie-Kartoffel-Eintopf da, außerdem hatte sich Herr Kaltmamsell an Hefeblätterteig versucht (Tierdoku-Sprecherstimme: “Doch das war kein Hefeblätterteig.”), und Schokolade gibt es immer.

Ich lese weiterhin gefesselt Franz Schiermeier, Beate Bidjanbeg (Hrsg.), Ludwigvorstadt. Reiseführer für Münchner von 2022, tief recherchiert, reich mit historischen Ansichten und Fotos bebildert, die Infos reichen bis ins Veröffentlichungsjahr. Was ich schon alles über mein Wohnviertel gelernt habe! Zum Beispiel dass das hier im 19. Jahrhundert das Münchner Künstlerviertel war, ein Atelier am anderen, dazwischen Künstlerwohnungen (die Schwanthalerstraße, einst Lerchenstraße, heißt heute so, weil Ludwig Schwanthaler, der mit der Bavaria, daran sein Atelier und Wohnhaus hatte). Dass hier der Schauplatz der bayerischen Revolution war, die zur Räterepublik führte. Oder über die Sonnenbaulehre von Christoph Faust, nach der die Sonnenstraße benannt ist (die dort aber nicht umgesetzt wurde).

Traurig macht mich nur, dass ich dieses spannende neue Wissen nicht an Besucher werde weitergeben können: Praktisch nichts von der vergangenen Herrlichkeit steht noch, das südliche Bahnhofsviertel war das im 2. Weltkrieg durch Bomben am schlimmsten zerstörte in München, zu 80 bis 90 Prozent. Und “hier war mal”, “schon Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde hier” oder “vor dem 2. Weltkrieg hätte man hier sehen können” ist bei Stadtspaziergängen erfahrungsgemäß nicht spannend. Aber dass mein Lieblings-Süpermarket Verdi dort steht, wo in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert das berühmteste Künstlerzentrum Schwabenburg war, gegründet vom Kunstmaler Anton Braith und seinem Lebenspartner Christian Mali, werde ich ab jetzt bei jedem Einkauf dort mitdenken. Und zumindest beim Besichtigen des Deutschen Theaters kann ich darauf hinweisen, dass hier 1918 der Bund sozialistischer Frauen gegründet wurde und 1918/19 der Münchner Arbeiterrat tagte.

Sehr früh sehr müde gewesen (Coronatest negativ, mir war danach).