Journal Mittwoch, 17. Mai 2023 – Mein Problem mit manchen Autobiografien: Jennette McCurdy, I’m Glad My Mom Died

Donnerstag, 18. Mai 2023 um 9:56

Auch eine Drei-Tage-Woche (ich darf am Freitag wieder St. Brück huldigen) kann sich ganz schön ziehen. Beim Aufwachen kurz vor Weckerklingeln (nach gutem Schlaf, allerdings wieder mit verschlungenen Träumen) freute ich mich sehr aufs Ausschlafen an den vier freien Tagen.

Es regnete nicht mehr, auf dem Weg in die Arbeit sah ich sogar fahles Sonnenlicht, dafür war es nochmal ein wenig kälter geworden.

Im Büro brauchte ich meine Strickjacke überm Pulli: Auf dieser Seite des Gebäudes wärmt Sonne nicht mal, wenn sie scheint. (Was werde ich mich im brüllheißen Hochsommer noch freuen!)

Unter weiteren blauen Flecken am Himmel und in weiterhin unangenehmer Kälte ging ich auf einen Mittagscappuccino in die Gollierstraße.

Mittagessen war später Mango (ich hatte eine harte, unreife erwischt) mit Sojajoghurt und Bananen.

Vorfreude auf die vier freien Tage um Christi Himmelfahrt wollte sich vorläufig nicht einstellen, weil ich ja am (für mich späten) Abend noch eine Verpflichtung hatte: Tanzkurs.

Daheim aromatisierte ich für danach Weißwein mit Waldmeister, turnte Yoga-Gymnastik, aß einen kleinen Eiweißriegel und schlug dann halt eine Stunde mit Lesen hier und da tot, bis endlich Zeit zum Aufbruch war. (Dieser Kurs war unsere letzte Gelegenheit für Block C, da danach unsere bereits gezahlten 10er Kurskarte verfallen wären.)

Diesmal lernten wir im Lindy Hop nach dem Jig Walks von vergangener Woche den 8-count Charleston. Tatsächlich ein wenig komplexer, wir verbrachten die längste Zeit mit Üben dieses Grundschritts in wechselnder Paar-Kombination. Und mit wechselndem Erfolg.

Als wir um halb zehn nach Hause kamen, goss ich uns Waldmeister-Bowle ein, Herr Kaltmamsell wärmte die Reste des Currys Butter Chickpeas vom Vorabend auf, immer noch besonders gut. Zum Nachtisch gab es Eierlikörkuchen.

Das neue Granta war endlich eingetroffen: Die Ausgabe 136 ist die fünfte “Best of You Bristish Novelists”. Auf die hatte ich mich besondes gefreut und besonders gebangt, ob sie es durch die Post-Brexit-Komplikationen zu mir schaffen würde. Am Absender-Aufkleber lernte ich, dass der Verlag den Aussand jetzt über einen deutschen Partner abwickelt, der alle für Deutschland bestimmten Exemplare gesammelt bekommt und dann einzeln adressiert in die Post gibt (den Mechanismus nutze ich beruflich zum Portosparen z.B. für Großaussände an österreichische Adressen). Künftig bange ich also weniger.

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Jennette McCurdy, I’m Glad My Mom Died

Erst beim Lesen wurde mir klar, dass das kein Roman, sondern eine Autobiografie ist – wahrscheinlich hätte ich mir mit diesem Vorwissen die Buch-Datei nicht bei der Münchner Stadtbibliothek ausgeliehen. Zum einen lese ich lieber gut erfundene und erzählte Geschichten, gerne auch nicht realistische oder nicht realistisch erzählte, zum anderen fühle ich mich ein wenig gemein, wenn ich an wirklich so erinnerte Lebensgeschichten von Laien-Autorinnen dieselben Maßstäbe für literarische Mittel anlege wie an Romane.

Diese konkrete Erinnerung ist die einer jungen Frau an ihre Vergangenheit als Kinderschauspielerin in Hollywood, an die absurden Details der Branche, vor allem aber an ihre psychisch offensichtlich schwer kranke Mutter, die sie zu dieser Karriere trieb. Und genau in dieser Mutter-Darstellung liegt mein Problem mit der Erzähltechnik: Die ganze Geschichte wird post-therapeutisch erzählt, McCurdy beschreibt sich als Kind inklusive Analyse, wie sie damals wodurch von ihrer Mutter manipuliert wurde, was also ihre eigentliche Motivation für ihr Verhalten war. Und sie beschreibt auch die zum Teil furchtbaren Zustände in ihrer Familie, wie sie diese als Erwachsene erkannt hat – nur relativiert durch regelmäßige Hinweise, dass sie diese als Kind als nicht ungewöhnlich wahrnahm. Das macht das ganze Buch im Grunde zu einer großen Therapie-Erzählung, in der sie den Ursachen und Mechanismen ihrer lebensgefährlichen Essstörungen und ihres Alkoholismus nachgeht.

So las ich interessiert, aber mit einem gewissen Unwohlsein, weil ich mich zu Voyeurismus gedrängt sah, wie dieses Kind auf jede Regung ihrer launischen und tyrannischen Mutter achtet, um ihr entgegenzukommen, wie es sich zum Schauspielen überreden lässt, bald die gesamte vielköpfige Familie mit ihrem Einkommen finanziert, wie sich das junge Mädchen von seiner Mutter gezielt zur Anorexie erziehen lässt, wie es sexuelle Gewalt erfährt, als junge Frau in einen immer stärkeren Sog der Selbstzerstörung gerät, wie sie langsam lernt, sich davon zu befreien (aus dieser Erwachsenenzeit gut und realistisch geschildert, wie sie als Essgestörte Essen und Nahrungsmittel wahrnimmt).

Selbst wenn ich das Buch nur innerhalb seines Genres Hollywood-Autobiografien betrachte und z.B. mit You’ll Never Eat Lunch in This Town Again von Julia Phillips vergleiche oder mit Postcards from the Edge von Carrie Fisher, kommt es sprachlich und erzähltechnisch nur mittelgut weg.

die Kaltmamsell

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