Journal Montag, 10. Juli 2023 – Brighton 7 mit Ausflug in die South Downs und spannendem Gemüse

Dienstag, 11. Juli 2023 um 10:41

Ultragenervt und erledigt aufgewacht nach wüsten Träumen: Mein Hirn hatte sich eine hochkomplexe Fernseh-Spielshow ausgedacht (W!T!F!), die bei Nacht im Wasser stattfand und in der auch das Studio-Publikum mitspielen durfte, ich war zuständig für die Orga des ganzen und entsprechend hochgradig angespannt.

Das Draußen eher düster, jeder Sonnenstrahl machte umgehend heiß. Meine Reaktion auf das kontinuierliche Möwen-Geplärr war gerade gereizt, das schwankt bei diesem ausgedehnten Brighton-Aufenthalt immer wieder.

Als Tagesprogramm hatte ich eine kleine Wanderung in den South Downs angeregt (laut Vorhersage schönstes Wetter unserer restlichen Urlaubstage), bevor wir abends bei unserer Reservierung in einem immer großartigen Restaurant testen würden, ob es auch diesmal so großartig war.

Herr Kaltmamsell suchte in unserem abgeschraddelten Wanderbüchl (richtig, einst wanderten wir nach Büchl) eine der Standard-Runden mit Start in Southease aus, das sich bequem in einer halben Stunde vom Brightoner Bahnhof aus mit einem Bummelzug erreichen ließ. Vorher nahmen wir einen weiteren Abschied vom einstigen Lieblings-Café Redroaster, das sich auch diesmal nicht wundersamerweise von der schicken Edel-Bruncheria ins Nachbarschafts-Café für Hippies und Hundegassiführer*innen zurückverwandelt hatte.

Nachdem nicht mal mehr der Cappuccino (einst der beste meiner Welt) nach meinem Geschmack war (zu sauer), sollte ich wirklich, wirklich einen Haken daran setzen.

Zug nach Southease, hier hatte sich nicht viel verändert. Unterwegs las ich Süddeutsche – und musste bei der Seite Drei zu den anstehenden Parlamentswahlen in Spanien (€) wieder heftig den Kopf schütteln.

Lange dachte man, in Spanien hätten rechte Populisten keine Chance.

Nee, Frau Madrid-Korrespondentin Janker, das dachten eigenartigerweise die deutschen Spanien-Korrespondent*innen, noch dazu mit dieser seltsamen Begründung:

Spanien galt lange als immun gegen Rechtspopulismus. Man hätte denken können, das Land hat aus dem Franquismus gelernt.

Man sieht doch an Deutschland, dass selbst die allerschlimmsten Erfahrungen mit einer Nazi-Diktatur nicht immunisieren. Und in Spanien gab es bis heute keinerlei Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit, die Nation ist sich nicht mal darüber einig, dass es sich um eine Diktatur handelte.
Ich kann mir diese Realitäts-ferne Sicht nur damit erklären, dass niemand mit spanischen Politolog*innen, Historiker*innen, Politikjournalist*innen gesprochen hat. (Oder auch nur mit meiner überzeugten Franco-Anhängerin tía Luci, aber die zählt zurecht nicht.)

In herrlichem Sonnenschein (gegen den, wie sich am Ende des Tages herausstellte, mein Eincremen nicht genug schützte) und in leichtem Wind gingen wir drei Stündchen über die Hügel der South Downs, sahen unter anderem Kühe, Schafe, Falken, Dohlen, Krähen, Feldlerchen, Spatzen, am Fluss Ouse Bachstelzen, Graureiher, Silberreiher, Kormoran. Gegen zwei machten wir Brotzeitpause mit Aussicht, ich aß zwei Eiweißriegel und einige Nüsse.

Der Brightoner Bahnhof mit Eisenkonstruktion.

Der Halt in Southease immer noch mit komplizierter Gebrauchsanweisung.

Das Weingut Breaky Bottom.

Saltdean und Rottingdean im Sommerdunst.

Kurz vor Ende unserer Wanderrunde rief das Lokal mit der abendlichen Reservierung an: Es habe ein Gasleck gegeben, sie könnten leider nicht öffnen.
Selbstverständlich hatte ich Verständnis, vor allem bedauerte ich den anrufenden Wirt wegen des Schlamassels. Aber ich war tief enttäuscht, hatte beim Wandern schon überlegt, welche spannenden Weine mir wohl diesmal empfohlen würden (hier hatte ich unter anderem den spanischen Gewürztraminer Enate entdeckt, beim letzten Besuch einen kroatischen Rotwein), welche Überraschungen die Speisekarte bieten würde.

Während der halben Stunde Warten auf unseren Zug zurück nach Brighton fiel mir aber eine Alternative ein, auf die ich bei meinen Recherchen für unseren Urlaub gestoßen war: The Flint House, das ein interessantes Chef’s Menu mit Weinbegleitung anbot.

In der Ferienwohnung Ausruhen und Lesen, bis wir uns für den Abend frisch machten – und der ganz hervorragend ausfiel.

Wir ließen uns an der Theke zur offenen Küche platzieren, denn das alternative Angebot war ein Tisch auf der Dachterrasse – dafür war es mir deutlich zu frisch (mir graut immer mehr vor der Bruthitze in München bei unserer Rückkehr).

Das Chef’s Menu bestand in jedem Gang aus mehreren kleinen Tellern zum Teilen und war zu meiner großen Freude deutlich Gemüse-lastig.

Es ging los mit Thunfisch-Tartare mit Tomaten und Nori, außerdem mit Ofensellerie-Scheiben und Apfel auf einer sensationellen Haselnusscreme. Aperitif war ein Schaumwein mit Lavendel-Gin, sehr gut.

Zweiter Gang: Gruyere-Schinken-Kroketten mit Safran-Majo, Mais-Fritters auf Pfeffer-Ajoli. Wein dazu ein frischer Vinho Verde.

Dann gab es Rote (gekochte) und Gelbe (knackige) Bete mit Miso-Dressing und Dill – diese Kombi war großartig. Außerdem gebratene Makrele mit gewürztem Birnenpüree und besonders gutem rohem Sellerie-Salat.

Der Wein dazu ein Rosé Languedoc-Roussillon.

Drei Hauptgänge (von unten): Zucchini a la plancha mit Labneh, Minze und Sumac (wundervolle Kombi), confierte Kartoffelblätter mit Pfeffer-Aioli, langsam gegarter und gebratener Schweinbauch mit roter Zwiebel und Pickle. Dazu mein Lieblingswein des Abends, ein überraschend leichter Boheme Primitivo Salento aus Apulien.

Dessert: Erdbeer-Sahne-Parfait mit Hollerblüten-Zitronen-Creme, außerdem weißer Schokoladen-Fudge mit Salz und Pistazie. Dazu trank Herr Kaltmamsell einen süßen Sherry, ich ließ mir abschließend noch einen Espresso-Martini mixen.

Umsorgt wurden wir von einem zauberhaften Herrn mit sehr eigenem Humor, Unterhaltung während des Essens waren vor allem die Abläufe in der Küche vor uns, die wir durch die unsichtbare vierte Wand (das Personal ignorierte uns natürlich) intensiv verfolgten.

Im Bett begann ich eine neue Lektüre, frisch aus der Stadtbibliothek heruntergeladen: Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit – auch der las sich trotz “Roman” gleich mal sehr autobiografisch.

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Montag, 10. Juli 2023 – Brighton 7 mit Ausflug in die South Downs und spannendem Gemüse“

  1. TomInMuc oder Tomate meint:

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    Gerne gelesen

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  2. Silke St meint:

    Ich lese sehr sehr gerne Ihre Reiseerlebnisse, vergrößern sie doch meine Vorfreude auf den kommenden Englandurlaub.
    Ich habe mir schon vorgenommen, in Brighton kulinarisch auf Ihren Spuren zu wandeln…
    Leider sind wir aber nur zwei Nächte dort…
    Ich wünsche noch eine schöne Zeit,
    herzliche Grüße,
    SilkeSt

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