Richtig gut geschlafen, sogar nachdem ich beim nächtlichen Klogang das rechte Schienbein brutal am Bettrahmen angeschlagen hatte.
Ausgeschlafen, zu Spatzentschilpen aus dem Patio des Hauses Milchkaffee getrunken und gebloggt.
Richtiggehend dankbar war ich für eine Ferienwohnungsdusche mit (offensichtlich neuem) Duschvorhang statt schicker Glaswand: Ich kann es immer noch nicht als zivilisatorischen Fortschritt ansehen, dass ich fürs Abziehen der Dusche nach dem Duschen mindestens so lang brauche wie für die Körperreinigung (gleich lang mit Haarewaschen, länger ohne). Ist die Materialforschung zefix immer noch nicht bei wirklich Kalk-abweisenden Oberflächen?
Vor Aufbruch noch eine Runde Erwachsensein: Ich vereinbarte für nächste Woche telefonisch einen Haarschneidetermin.
Mein Plan für gestern war ausführliche Besichtigung von Schloss Charlottenburg, Mittagscappuccino, Bröhan-Museum (Landsmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, im Vorbeigehen entdeckt, sofort eingeplant), irgendwas essen, in der Ferienwohnung rumgammeln bis zur Abendverabredung. Ging fast auf.
Charlottenburg in Sommermorgensonne.
Der Besuch des Schlosses bereicherte mich sehr, auch wenn es sich nach nahezu vollständiger Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Grunde um einen Neubau handelt (na, das kenne ich Münchnerin ja von der Innenstadt inklusive Residenz). Ich verwendete den gut gemachten Audio Guide, bekam zu den Räumen nützliche Informationen.
Zwei Bilder aus der Einführungsanimation zur Geschichte des Schlosses.
Im Schloss gab es viele, viele Spiegel.
Eine thematischer Leitfaden “Schlösser. Preußen. Kolonial.” wies an einigen Stellen auf Rassismus und Herabwürdigung in den damaligen Darstellungen anderer Kulturen.
Manche Teile wie diese Zimmerdecke waren so restauriert, dass man die vorherigen Beschädigungen sichtbar ließ – sowas mag ich besonders gern (muss ich aber nicht durchgehend haben).
Erwähnte ich die vielen Spiegel?
Der Neue Flügel des Schlosses wurde ebenfalls 1943 durch Bomben zerstört. Hier nutzte man die Gelegenheit, die Räume in unterschiedlichen Stilrichtungen ihrer Vergangenheit zu restaurieren, je nach bester Quellenlage. Sie wurden also nicht alle in den Zustand direkt vor ihrer Zerstörung gebracht. Das fand ich eine ausgezeichnete Idee.
Vom Audio Guide zu diesem Schlossbereich erfuhr ich zudem viel über die Geschichte der Hohenzollern und Preußens. Zeitgenössische Aspekte dabei: Die Hinterfragung allgemeiner Annahmen, u.a. Verweis auf den Einfluss, den Friedrich der Große durch autobiografische Veröffentlichungen auf das Bild von ihm nahm.
Hier verfälscht das Foto die Farben: Es gab keinerlei Grün im Original, sondern nur Rosé-Töne.
Abschließender Blick nach oben ins Treppenhaus: Zwei Deckengemälde des Neuen Flügels, für deren Rekonstruktion man keine Quellen hatte, wurden in den 1970ern von Hann Trier zeitgenössisch erstellt. Unter enormem Protest (alles Augsburger*innen?).
Am Ende (Mausoleum und Neuen Pavillon hätte ich mit meinem Gesamtticket auch noch ansehen können) war es schon eins, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich spazierte zu einem nahen Cappuccino-Ort, bestellte dann aber auch gleich Frühstück zum Cappuccino, ein Muesli Bircher Art.
Das war möglicherweise zu viel auf einmal, resultierte in Fresskoma. Wasser- und Ausruh-Päuschen in der Ferienwohnung ums Eck.
Nächster Programmpunkt: Bröhan-Museum.
Zunächst stieg ich zu einer Sonderausstellung in den dritten Stock:
“HAËL. Margarete Heymann-Loebenstein und ihre Werkstätten für künstlerische Keramik 1923–1934”.
Bis 1934, weil sie dann von der Nazi-Regierung zum Verkauf ihrer Werkstätten gezwungen wurde: “Die junge Keramikerin Hedwig Bollhagen eröffnete dort die bis heute erfolgreichen HB-Werkstätten.” Daher kommt die wundervolle Vase, die wir zum Rosenfest geschenkt bekamen.
Eine großartige Ausstellung. Die vielen Vermerke “aus Privatsammlung” vermittelten mir eine Ahnung, wie aufwändig das Kuratieren gewesen sein muss.
Während ich im großen Ausstellungsraum mit Galerie zeitgenössische Filmaufnahmen der Werkstatt von Margarete Heymann-Loebenstein ansah, kam eine Gruppe Kinder herein: Das Museum hat viel Programm für sie, gestern erklärte ihnen ein Mitarbeiter anhand einer Originalkiste, wie Ausstellungsstücke ins Museum kommen.
Einer von Margarete Heymann-Loebensteins berühmtesten Entwürfen.
Raucher- und Schreib-Ausstattung, nicht nur im Design historisch.
Die Künstlerin als coole Socke.
Dass ich selbst bzw. meine Kleidung auf allen Aufnahmen zu sehen ist, verbuche ich unter Festhalten zeitgenössischen Designs.
Weiter durch die ständige Ausstellung, die teilweise in Räumen präsentiert wird (“Period Rooms”), teilweise in Lager-artigen Regalen, diese nur zum Teil thematisch zusammengefasst – ich hatte den Eindruck, dass die Sammlung noch nach einer Präsentation sucht. Ich fand sie interessant und stieß nur auf wenige Aspekte, die mich vor einiger Zeit dem Stilgebiet Art nouveau, Art deco, Jugendstil etwas entfremdeten – nämlich seit mir die Kirche des Wiener Zentralfriedhofs und die Basílica im kastilischen Valle de los Caídos klargemacht hatten, wie kurz der Weg von dort zum totalitären Kunst-Stil des Faschismus und des Stalinismus war.
Bis zur Abendverabredung war ich mit Aufschreiben beschäftigt, turnte auch eine längere Runde Yoga-Gymnastik.
Der Zufall hatte den Luxemburger Freund Joël gleichzeitig mit mir nach Berlin gebracht, das nutzten wir zu einem Treffen bei gregorianischem Essen (Joël gestand gleich nach der ersten Umarmung diesen Versprecher bei einem vorhergehenden Telefonat – und der ist so großartig, dass ich die Bezeichnung beibehalten werde). Der empfohlene Georgier Salhino lag sogar in Charlottenburg, ich konnte zu Fuß gehen – bislang waren all meine Berliner Ziele so nah an der Ferienwohnung, dass ich kaum Bewegung bekommen habe.
Was mich in Berlin immer wieder überwältigt: Der Platz und die Weite.
Passend zur vormittäglichen Besichtigung.
Diese Handschrift kenne ich auch von Münchner Wänden/Brücken.
Diese allerdings nicht. Charlottenburg gefiel mir weiterhin sehr gut, hat eine bunt-gemütliche und gleichzeitig lebendige Ausstrahlung.
Mit Joël stürzte ich mich sehr schnell tief in lange vermissten Austausch (und in den georgischen Weißwein Tsinandali), sodass ich vergaß, unser Essen zu fotografieren.
Hier ein paar Teile davon (wir saßen draußen in kurzen Ärmeln ohne zu frieren). Es schmeckte hervorragend und ließ mich mal wieder ein gutes georgisches Restaurant in München vermissen – was ich dem herzlichen und freundlichen Kellner beim Abschied auch sagte und ihn bat, diese Lücke weiterzugeben, vielleicht wisse er jemanden, der sie schließen könne.
(Selfie vom Treffen bei Joël.)
Rückweg ebenfalls zu Fuß in milder Nachtluft, ich genoss ihn.
§
“Es ist alles gesagt”.
Mely Kiyak hat fertig. Undiplomatisch und einfach mal nicht konstruktiv rechnet sie mit den vergangenen ca. 15 Jahren ab, in denen sie vorm Aufstieg des Faschismus in ihrer Heimat Deutschland warnte. Und jetzt will sie nicht mehr politisch schreiben, und zieht sich in ein Wir und Ihr zurück, “ich habe mich (…) innerlich von euch abgevolkt”.
Schaut: Mein Kanackendaddy hat noch nicht einmal Wahlrecht, um euch die Pest an den Hals zu wählen, so wie eure Leute uns die Pest an den Hals wählen. Hier in Berlin dürfen demnächst minderjährige Kinder wählen, also eure Geschwister, aber unsere Eltern immer noch nicht. Mein Kanackendaddy hat mit seinen Steuern euer BAföG bezahlt, eure staatlich geförderte Eigenheimzulage. Wenn mein Daddy mich besucht, verteilen sich fünf Erwachsene auf zwei schmale Çekyats und ich schlafe auf dem Boden. Es sind Eure Leute, die das alles machen, nicht meine.
Früher haben meine Ossifreunde immer gelacht, wenn ich gesagt habe, vergesst nicht, die Mauer ging auf und wir dachten, ihr Ossis kommt, um uns auf den Mund zu küssen. Aber ihr habt euch bewaffnet und unsere Leute abgeknallt. Eure Leute waren in der Polizei und haben uns unhöflich behandelt. Und eure Leute sind es, die diese Mörder jetzt frühzeitig aus der Haft entlassen, weil sie glaubwürdig versichert hätten, nicht mehr so schlimm zu sein. Stimmt ja auch. Es gibt jetzt noch viel schlimmere Nazis, die sind in Freiheit und nehmen gerade an Abstimmungen im Parlament teil.
Ich stimme Kiyak nicht in allem zu. Aber ich kann sie in allem verstehen. (Wenn wir vielleicht mal Leute wie sie zu verstehen versuchen und nicht immer und immer wieder AfD-Wähler*innen?)
Mely Kiyak kopiert unter diesen Text ihre letzte “Deutschstunde”, die politische Kolumne, die sie seit zehn Jahren für Die Zeit schreibt, schrieb.
Wenn man, egal wo man auf der Welt lebt, von seiner Gesellschaft als Feind betrachtet wird, dann erkennt man schneller, wenn die Luft dünn wird. Man ist wie Kranich, Pfau und Pirol, ein Vogel, der die Wetterveränderung in der Atmosphäre spürt und seinen Gesang ändert. Wir frühen politischen Kolumnistinnen haben diesen Temperaturwechsel schon Jahrzehnte vorher registriert und mit Regenrufen die Wetterverschlechterung gezwitschert. Ich denke hier vor allem an Autorinnen wie Hilal Sezgin. Ich denke auch an die ersten Autorinnen, Theatermacherinnen, Dichterinnen, die vor mir schrieben. Jede von uns hatte ihre Zeit.
§
Das hier schreibt Mely Kiyak statt dessen, und auch darin verstehe ich sie ganz.
“Gute Momente”.