Journal Mittwoch, 15. November 2023 – Die kleine Madam Chutney

Donnerstag, 16. November 2023 um 6:32

Sehr gut geschlafen, eine Minute vor Wecker aufgewacht.

Allerdings war ich unruhig, denn ich war gestern mündlich zu einem Schöffinneneinsatz bestellt, hatte aber immer noch keine schriftliche Ladung erhalten (die mir ermöglicht, ohne Taschen- und Körperkontrollen ins Justizgebäude zu gelangen). Ich schrieb eine E-Mail ans Schöffenbüro und bat ums PDF der Ladung.

Der Dauerregen hatte aufgehört, ich könnte mit dem Radl in die Arbeit fahren, es war auch gar nicht kalt.

Im Büro schaffte ich eine Stunde lang ordentlich was weg, erhielt zu meiner Beruhigung auch das erbetene PDF der Ladung und druckte es aus.

Wieder trocken radelte ich zum Amtsgericht. Ich nahm den Weg durch die Blutenburgstraße parallel zur Nymphenburger – die ist ja ohnehin idyllisch, doch gestern wurde der Blick die Straße runter auch noch durch Robinien in wunderschönem Gelb und wenig Grün eingerahmt.

Direkt am Justizzentrum passierte vor meinen Augen ein Unfall: Ein Auto bog bei grüner Ampel rechts ab, ein geradeaus fahrendes Radl (ebenfalls mit Grün) fuhr mit quietschenden Bremsen in die Beifahrertür. Der Radler stand unverletzt, es wurde geschimpft. Da reichlich Passant*innen und Radler*innen drumrum stehenblieben, die den Unfall ebenfalls beobachtet hatten, ging ich weiter. Gefährlichste Fahrtrichtung für Fahrräder: geradeaus.

Im Gerichtsgebäude ging ich für diesen zweiten Teil der Verhandlung von vergangener Woche (Insolvenzverschleppung) ein wenig Umwege: Wie vom Richter angekündigt hing am Sitzungssaal ein Hinweis, wo sie tatsächlich stattfand. Wir starteten zwar wegen verspäteter Teilnehmer eine halbe Stunde nach der angesetzten Zeit, waren dann aber schnell durch: Einstellung des Verfahrens mit Auflagen.

Beim Radeln zurück in die Arbeit erwischte mich dann doch ein Schauer, ich wurde feucht.

Emsiger Nachmittag mit Jalousien-Lichtschalter-Fenster-Slapstick. Hochherbst mit immer wieder blauem Himmel, doch immer wieder prasselte auch Regen heftig wie aus Waffen. Ich war sehr gespannt, in welcher Phase ich heimradeln würde.

Es war dann eine trockene Phase – zum Glück, denn ich wollte den Großteil der Lebensmitteleinkäufe fürs Wochenende erledigen: Wir bekommen ab Freitag Besuch, Donnerstag sind Herr Kaltmamsell und ich nach Feierabend in Augsburg eingeladen. Und trotz Lokführer-Streiks bei der Deutschen Bahn stehen unsere Chancen gut, dass wir tatsächlich hinkommen: Die Strecke wird von einer Fremdfirma bedient, nicht von der Deutschen Bahn. (So oder so: Volle Soli mit den Streikenden!)

Daheim nur eine Runde Häuslichkeiten, zum Abendessen war ich mit Herrn Kaltmamsell verabredet: Ich hatte am Dienstag entdeckt, dass der Madam-Chutney-Imbiss am Sendlinger Tor endlich in Betrieb war, den wollten wir testen.

Die Karte ist sehr klein, einem Imbiss angemessen, es gibt Bowls (Basiszutat-Reisauswahl-Currysauce) und Thalis (Blechteller mit Verschiedenem), ein paar Vorspeisen, Getränke nimmt man sich aus einem Kühlschrank.

Herr Kaltmamsell hatte eine Bowl mit Paneer Vindaloo, Basmati, Kartoffeln, rechts eine Vorspeise (Papri Chaat), ich ein Thali mit scharfen Kichererbsen, Gurkenjoghurt, würzigen Kartoffeln und scharf gefülltem Fladenbrot – ganz ausgezeichnet. Auch das Mango Lassi, das wir uns dazu teilten, schmeckte besonders gut.

Zurück daheim war noch viel Räumens, Nachtisch Schokolade. Herr Kaltmamsell recherchierte, wie er Donnerstagmorgen trotz Bahn-Streiks in die Arbeit kommen würde (stündliche S-Bahn oder Mitfahrtgelegenheit Kollege).

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Beim Berichten über die derzeitige brutale Eskalation des Nahost-Konflikts zerren an den Berichterstattenden viele, oft einander widersprechende Anforderungen. Christian Fahrenbach berichtet für Krautreporter darüber in Form der “Morgenpost” und erklärt in diesem Artikel, den ich Ihnen schenken darf, mit welchen Kriterien er das tut:
“Einseitig? So entscheide ich, wie ich über Israel und Gaza berichte”.

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All die (meist nicht mehr jungen) cis Heteros und Heteras, die den Eindruck haben, um sie herum würden schlagartig immer mehr Leute schwul oder lesbisch: Der Eindruck ist ein ganz normales menschliches Wahrnehmungsmuster, ähnlich wie der Eindruck, in künstlerischen Berufen gebe es besonders viele Schwule. Diese Mechanik verwechselt Ursache und Wirkung: In Umgebungen mit künstlerischen Berufen war es schon länger weniger problematisch, sich als schwul sichtbar zu machen (deutlich weniger als zum Beispiel am Bau), weil sie offen für Menschen abseits des Mainstreams waren. Und früher war der Anteil an Schwulen und Lesben genauso groß wie heute – die Damen und Herren konnten sich allerdings nicht unbehelligt oder gar unbestraft sichtbar machen. Als Gegenmittel gegen den falschen Eindruck empfehle ich dieses wunderschöne Projekt, das die Geschichten alter Lesben sammelt und bewahrt:
“‘Old Lesbians’ documentary highlights the importance of recording ‘herstory'”.

The group’s goal was simple: preserve the stories of lesbians over 70 in their own words. She didn’t realize interviewing a few of her close friends would lead to a decadeslong journey of traveling the country, training fellow interviewers (who also typically had to be 70 or older), and recording hundreds of women’s life stories.

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Die Wahl zum Vogel des Jahres wurde in jüngster Zeit in Deutschland eine immer intensivere und heißere Schlacht auf allen Medienkanälen und -plattformen. Schließlich hat die Sieger-Art fürs ganze Leben ausgesorgt: Werbeverträge, Party-Auftritte, Plakat-Aktionen, kostenloses Futter auf Generationen.

Es ist also nur konsequent, dass eine Wahl zum neuseeländischen bird of the century das ganze auf eine noch mächtigere Ebene bringt: Internationale TV-Shows, massive Betrugsversuche. Sehen Sie selbst (und erfreuen Sie sich am neuseeländischen Akzent):

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https://youtu.be/nZXte0dY8hA?si=zrw12B8XrtuUs6LN

via @donnerbella
(Und ich weiß jetzt endlich, wie dieser bezaubernde Vogel heißt.)

Ein bisschen Hintergrund:

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https://youtu.be/dd5W16e6KzU?si=dvHBy4jvIcnjWAAt

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 15. November 2023 – Die kleine Madam Chutney“

  1. Sabine meint:

    Einfach immer wieder schön, den hemmungslos voranschreitenden Great Vowel Shift live in neuseeländischem Englisch zu erleben.

    Danke für den Krautreporter-Artikel!

  2. Caille meint:

    Schon oft so empfunden, “Regen heftig wie aus Waffen”, noch nie so auf den Punkt gebracht, danke, wie so oft!

  3. Croco meint:

    Ach, der Haubentaucher hat gewonnen.
    Das schönste Denkmal hat Günter Grass ihm in „Ein weites Feld”gesetzt. Für ihn war das Auftauchen und Abtauchen des Vogels ein Sinnbild des Überlebens in einer Diktatur. Ein schöner Vogel.
    Die Begeisterung für den Vogel ist allerliebst.

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