Journal Montag, 18. Dezember 2023 – Sonnenschein und Lektüren

Dienstag, 19. Dezember 2023 um 6:25

Die Tageshelle verschiebt sich derzeit, morgens auf meinem Marsch in die Arbeit war der wolkenlose Himmel von der aufgehenden Sonne unterm Horizont bereits überraschend beleuchtet. Ich sah die Krähenschwärme über und auf der Theresienwiese deutlich: Rabenkrähen, keine Saatkrähen (bin ich in diesem Winter noch fast gar nicht begegnet), die weiterhin ungewohnte Laute von sich geben, unter anderem ein schnarrendes Gurren.

Emsiger Montagvormittag inklusive Besprechungen. Das Draußen weiter wolkenlos und sonnig, ich wollte mittags dringend raus. Tat ich dann auch, erst zum Briefkasten (die liebe Familie auf dem kastilischen Dorf bekommt Fotoabzüge und eine Weihnachtskarte), dann zu einem Cappuccino. In die lange Schlange am Café Colombo wollte ich mich nicht einreihen, ich marschierte weiter zum Stray. Guter Cappuccino.

Mittagessen zurück am Schreibtisch: Selbstgebackenes Brot, Clementinen.

Eher später Feierabend, die klare Winterluft draußen roch herrlich. Einkäufe bei Drogeriemarkt und im Vollcorner.

Daheim Häuslichkeiten. Für meine Yoga-Gymnastikrunde griff ich eine alte Empfehlung hier aus den Kommentaren auf und turnte eine halbe Stunde zackiges Yang Yoga – mir wurde ordentlich warm.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die Roten Bete aus Ernteanteil als Linsen(YAY!)gericht, schmeckte. Nachtisch Weihnachtsplätzchen.

Abendunterhaltung John Olivers Last Week Tonight über Elon Musk – nichts Neues.

Früh ins Bett zum Lesen. Ich bin in Alan Rickmans Tagebüchern im Jahr 1996 angekommen, und es wird immer klarer, wie sehr er in Galaxy Quest als er selbst besetzt wurde. Das ahnten wir schon 1999, als der Film rauskam, Rickman macht sich auch durchaus über diese Seite an sich lustig. Ich bin schon ungeheuer gespannt, ob und was er über die Rolle notiert.

§

Ach, in dieses Wespennest habe ich schon lang nicht mehr gestochen, nicht dass es einstaubt: in den abgrundtiefen Blödsinn Homöopathie.
Martha Gill schreibt im Guardian über den Umstand, dass der englische König Charles einen Homöopathen beschäftigt:
“King Charles has appointed a homeopath. Why do the elite put their faith in snake oil?”

Dr Michael Dixon has championed such things as “thought field therapy”, “Christian healing” and an Indian herbal cure “ultra-diluted” with alcohol, which claims to kill breast cancer cells. Methods like these might be “unfashionable”, he once wrote in an article submitted to the Journal of the Royal Society of Medicine, but they should not be ignored.

Homeopaths are fond of calling their ideas “unfashionable”, as if by some inverse law of popularity this makes them more likely to be correct. But in fact homeopathy is surprisingly fashionable for all the good it doesn’t do.

(…)

Why is homeopathy so useless and yet still so prevalent? Part of the explanation must be that it has always found champions in elite circles. In the mid 19th century, dozens of homeopaths served as personal physicians to monarchs around the world – including in Britain, where the first royal homeopathic doctor was a son of the Duchess of Devonshire.

(…)

The royals are no longer the fashion influencers they once were. But another bunch of homeopath-advocating elites have risen to take their place: celebrities such as Helena Bonham Carter, David Beckham, Jude Law, Jennifer Aniston, Chris Martin and Cindy Crawford. They continue to spread the word.

But why? These are not people who want for education, and nor are those who follow their advice: the typical user of homeopathy is affluent and middle class. Why are kings, movie stars and the rich so susceptible to this snake oil?

Two factors, I think, are at play. The first is that elites tend to overestimate the value of their instincts. King Charles and Cindy Crawford spend their time surrounded by suck-ups. They are themselves exceptions to the rules that govern others. If a gut feeling leads them to “thought field therapy”, rather than modern medicine, they might be more inclined to believe it.

And the second is something first observed by Charles Percy Snow in his famous remarks about the “two cultures” in the west. Ignorance of literature and the arts will exclude you from “highly educated” circles, but it is perfectly acceptable to have no grasp of basic science – the second law of thermodynamics, for example, or how to define “acceleration”. Combine overconfidence and an ignorance of science and you get an aristocracy convinced that crushed bees and aconite are the answer to their problems.

Übersetzte Zusammenfassung von Gills Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet Eliten (früher Hochadel, heute Berühmtheiten aus Film, Musik, Social Media) die seit ihrer Erfindung belegbar nicht wirksame1 Homöopathie promoten? Zum einen weil diese Eliten dazu neigen, ihren Instinkt zu überschätzen (schließlich sind sie meist von Speichellecker*innen umgeben, die ihnen in allem recht geben). Zum anderen weil in unserer Gesellschaft das Fehlen einfachster naturwissenschaftlicher Kenntnisse nicht als Makel gilt.

§

Und dann fand ich gestern gleich noch das passende Gegenstück, wenn auch aus einem anderen Fachgebiet: Basisfakten zum Klimawandel, die in der Wissenschaft unumstritten sind (unter besonderer Berücksichtigung des Klimawandels in Deutschland).

Sechs Organisationen, darunter die Helmholtz-Klima-Initiative, haben daher ein Papier zu dem heute in der Klimaforschung unumstrittenen Wissen veröffentlicht – von seinen naturwissenschaftlichen Grundlagen, den Folgen in Deutschland und auf der ganzen Welt bis hin zu den in Paris vereinbarten Zielen.

Hier geht’s zur Website mit dem Download-Link:
“Was wir heute übers Klima wissen”.

Die vielfältigen Forschungen haben natürliche Ursachen für den aktuellen, sehr steilen Temperaturanstieg seit Beginn der Industrialisierung ausgeschlossen.
Er ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft nur durch die menschengemachte Verstärkung des Treibhauseffekts erklärbar.

(…)

Die Temperatur nahe der Erdoberfläche hat sich gegenüber der vorindustriellen Zeit im globalen Mittel bereits um über 1,1°C erhöht. Ein solches Temperaturniveau gab es laut den verfügbaren paläoklimatischen Daten noch nie während der vergangenen 2.000 Jahre und sehr wahrscheinlich auch nie während der gegenwärtigen Warmzeit (dem Holozän), die vor knapp 12.000 Jahren begann – also noch nie im Laufe der Geschichte des modernen Menschen.

  1. Ganz korrekt: belegbar nicht wirksamer als Placebos []
die Kaltmamsell

19 Kommentare zu „Journal Montag, 18. Dezember 2023 – Sonnenschein und Lektüren“

  1. Hanna meint:

    Ich wünschte, ich bekäme einen Euro für jedes Mal, wenn ich jemanden im Radio “Hach, ich war ja sooo schlecht in Mathe…” sagen höre. Ich wäre auch bereit, immer einen Euro abzugeben, wenn jemand sagt ” Ich konnte noch nie logisch denken und Rechtschreibung ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich. “, und alle machen verständnisvolle Laute.

  2. Mareibianke meint:

    Es ist ja auch uncool sich anzustrengen…
    möchte nicht wissen wo ich als Arbeiterkind vom platten Land ohne mich anzustrengen gelandet wäre!

  3. Katharina meint:

    In meinem Bekanntenkreise habe ich ein paar Naturwissenschaftler, die sind angesehene Experten auf Ihrem Gebiet, publizieren fast nur in Nature und Science, und schwören auf Globuli et al.
    Vielleicht braucht es auch nur eine Krankheit, auf die die Schulmedizin keine Antwort hat (oder keine, mit der das Leben dann noch lebenswert ist) und man sieht die Sache anders? Gut, wenn man das nicht muss, weil einem beim Arzt geholfen werden kann.

  4. Bobbie meint:

    Warum gibt es denn auch unter Ärzten so viele, die nicht nur homöopathische Medikamente verschreiben sondern selbst nehmen? Manchen Menschen scheint es zu helfen. Ich bin keine Verfechterin der Homöopathie, aber sehe das einfach etwas lockerer. Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht immer eindeutig erklärbar sind.

  5. Neeva meint:

    @Bobbie: Weil die allermeisten Ärzte absolut keine Zeit haben, ruhig und einfühlsam zu erklären, dass oft hauptsächlich Abwarten (Ruhe, Trinken usw.) hilft.
    So geben sie den Patienten ein Placebo, die meisten Sachen gehen wieder vorbei, Patient ist (entweder getröstet oder augenrollend) weg und man kann sich um die nächsten kümmern.
    Zusätzliches Plus: Keine Beschwerden über Nebenwirkungen. Keine Besorgnis bei Patientengruppen, für die keine Studien vorliegen. (Schwangere z.B. dürfen ganz viele wirksame Medikamente nicht nehmen.)

  6. die Kaltmamsell meint:

    Dankeschön, ich fürchtete bereits, dass niemand anbeißt.

    Was ist “Schulmedizin”, Katharina? Die Forschung kennt diesen Begriff nicht.
    “Schwören auf” ist ein klarer Hinweis, dass es sich um eine Glaubensrichtung handelt, nicht um Wissenschaft. Auch ich kenne viele Wissenschaftler*innen, die religiös sind, das widerspricht sich nicht.
    Ein Arzt und eine Ärztin können tatsächlich nicht immer helfen – in der evidenzbasierten Medizin gibt es noch unglaublich viele Fragen ohne Antwort. Es ist nur menschlich, sich dann selbst Antworten auszudenken oder Magie zu versuchen. Aber man kann mit wissenschaftlicher Methodik untersuchen, ob etwas tatsächlich wirkt oder nicht.

    Ärzt*innen sind keine Wissenschaftler*innen, Bobbie. Und auch sie können gläubig/religiös sein. (Und vielen ist der Unterschied zwischen Koinzidenz und Kausalität fremd.) Dass ich beruflich einem promovierten Maschinenbau-Ingenieur begegnet bin, der Rosenquarze auf seine Flachbildschirme klebt, “um die Strahlung einzufangen”, ist kein wissenschaftlicher Beweis für diese Wirkung.
    Der Spruch mit dem Himmel und Erde (ein replizierbarer Reflex beim Thema Homöopathie), ist die Basis für Forschung: Das Suchen nach Antworten mit wissenschaftlicher Methodik ist nie zu Ende, jede Antwort wird immer wieder hinterfragt.

  7. Katharina meint:

    Schulmedizin im Sinne von dem, was hier an der Uni geleert wird, also keine Alternativmedizin, Naturheilkunde etc. Mir war jetzt nicht bewusst, dass man diesen Begriff hier nicht benutzen darf, aber sie verstehen sicher, was ich meine ;-)
    Gegenfrage: was ist Wirkung? Denn dass ein Effekt vorher festgelegten statistischen Anforderungen genügt, heisst nicht, dass das dann für jedermann im Einzelfall auch so reproduzierbar ist. Ein Medikament X kann sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen haben, das bedeutet jedoch nicht, dass es Ihnen im Einzelfall auch hilft oder nicht sogar schadet.
    Und „Magie“? Echt jetzt? Mir fehlt die persönliche Erfahrung aber wenn es jemandem hilft, warum dann nicht? Nur weil man es selbst noch nicht ausprobiert hat oder für sich in Betracht zieht, kann man andere Ansichten doch dennoch respektieren und sich in Toleranz üben.

  8. die Kaltmamsell meint:

    Sie arbeiten sehr schön die unterschiedlichen Eben der Argumentation heraus, Katharina, an der ich bislang jede Diskussion über Wissenschaftlichkeit mit Homöopathie-Gläubigen habe Scheitern sehen:
    1. Auf der einen Seite Erfahrungen und Gefühle.
    2. Auf der anderen Seite Forderung von Replizierbarkeit, Objektivierbarkeit, Wahrscheinlichkeiten, Statistik.

    1. fühlt sich durch 2. persönlich angegriffen, das eigene Erleben herabgesetzt. Doch “mir hat’s geholfen” ist nunmal ein Gefühl, mit dem man nicht weiterarbeiten kann.

  9. Katharina meint:

    Ich glaube, Sie haben da was falsch verstanden: ich bin keineswegs homöopathie-gläubig, ganz und gar nicht. nur ein kritischer Geist (da kommt die Naturwissenschaftlerin durch), der es amüsant findet, wie sich an dem Thema und seiner Ablehnung so abarbeiten. Warum nicht einfach so lassen?

    Und wenn etwas bei jemandem wirkt, warum ist das dann persönlich, „ein Gefühl“ und gilt nicht, eine statistisch berechnete „Wirkung“ aber schon? Was ist denn dann Wirkung? Würden Sie das auch so sehen, wenn es zB Aspirin vs Ibuprofen geht?

    In diesem Sinne, eine schönen Abend ;-)

  10. Sigrid meint:

    Ich könnte mir vorstellen, dass Homöopathie einen stärkeren Placebo Effekt hat, da den Patienten vermittelt wird, dass sie ein auf ihre Individualität abgestimmtes Medikament erhalten. Wer dagegen den Beipackzettel eines klassischen Arzneimittels liest, wird dadurch eher noch einen Nocebo Effekt erleben.
    Placebo ist einfach keine feste Größe.

    Es gibt sicher Ärzte, die Homöopathie bewusst als Placebo geben, da keine Therapie eigentlich das sinnvollste ist, aber die Patienten damit nicht leben wollen oder können.

  11. die Kaltmamsell meint:

    Schade, Katharina, dass Sie keinen Unterschied sehen zwischen einer gefühlten Kausalität und einer replizierbaren und messbaren. Genau das macht Faktenvermittlung oft so schwierig.

  12. Beate meint:

    Der Placebo-Effekt, wieder mal. Weihwasser wirkt auch, wenn man dran glaubt.

    Mein Pet Peeve: Warum muss ich ein hochwirksames verschreibungspflichtiges Medikament (Kodein) aus eigener Tasche bezahlen, die Zuckerkügelchen würde ich von der Krankenkasse erstattet bekommen.

    Und Naturheilkunde ist wirksam!

  13. Sigrid meint:

    Der Placebo Effekt hat nicht den gleichen Effekt wie keine Therapie. Sonst bräuchte es bei klinischen Studien keine Placebo Gruppe.

  14. Croco meint:

    …..weil diese Eliten dazu neigen, ihren Instinkt zu überschätzen…
    Genau das erlebe ich oft im Verwandten- und Bekanntenkreis, Überschätzung.
    Schon komisch, dass keiner sein Auto vom Gärtner reparieren lassen würde, seine Arzneimitteltipps aber gerne annimmt.

    (Ich freu mich immer wieder darüber, wenn Du Dich todesmutig in Reizthemen stürzt ;) )

  15. Susann meint:

    Meine Freundinnen haben gerne Zuckerkügelchen bei diversen Baby- und Kinderblessuren verteilt. Whatever, nützt es nicht, schadet es doch wenigstens nicht. Das ist kein Hügel, auf dem ich sterben möchte – derer gibt es genügend andere.

  16. Anne meint:

    Zunächst ein großes Danke an Frau Kaltmamsell für ihre geduldige Kommunikationskultur.
    Meine Bedenken: Kinder lernen so, dass schnell eine „Pille“ zu schlucken der einzige Heil-Weg ist. Dabei reicht oft Zuwendung und Geduld.
    Dieses „Es schadet ja nicht“ hat eine Bekannte das Leben gekostet, weil sie zu spät der Medizin vertraute.

  17. Sibylle meint:

    Mein ehemaliger Kinderarzt knurrte mich mal an, als ich mit einer Homöopathieempfehlung von der HNO Ärztin kam, Homöopathie sei eine Ersatzreligion für Leute, die sich heutzutage vom Katholizismus abgewandt hätten, und ich glaube, da ist was Wahres dran. Die Leute werden immer weniger religiös und halten sich für wahnsinnig aufgeklärt, aber an irgendwas muss der Mensch anscheinend glauben

  18. Barbara meint:

    Ich bin Ihnen sehr dankbar für das Thema, denn Ihr Blog und Ihre Leser sind ein intelligent safe space und es gibt halt sehr viele schwierige und widersprüchliche Themen in der Welt über die der Austausch immer lohnend ist. Ich hab den Eindruck, solche Themen häufen sich und der Durchblick wird langsam unmöglich. Pandemiemassnahmen, Impfung, KI, Waffenlieferungen, Flüchtlingsploitik, Klimawandel mit all dessen untergeordneten Themen, Rechtspopulismus, jetzt neulich Israel usw.usw. Früher waren die Menschen nicht dermaßen zerstritten, woran liegt das. Homöopathie ist ein altes aber harmloses Reizthema.
    Sybille, ja, die meisten Menschen brauchen den Spiritualismus, die Ernährung ist ja auch eine Art Ersatzreligion geworden (Veganismus, etc.)

  19. Tine meint:

    Man darf ja den Placebo-Effekt nicht unterschätzen.
    Dazu gab es mal einen guten Beitrag bei NDR Synapsen:
    https://www.ndr.de/nachrichten/info/Synapsen-Die-Macht-der-Erwartung-Placebo-und-Nocebo-Effekte,podcastsynapsen300.html

    Aber man sollte es eben Placebo-Effekt nennen und nicht der Effekt der Homöopathie.

Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.