Journal Donnerstag, 28. März 2024 – Volkstheater-Besichtigung mit Der Zauberberg

Freitag, 29. März 2024 um 9:03

Die Nacht war ein bisschen unruhig, weil ich nach Klogang um drei lang nicht mehr einschlief. Bei Weckerklingeln freute ich mich sehr auf das Ausschlafen am Karfreitag.

Das Draußen auf dem Weg in die Arbeit zapfig kalt, ich atmete Wölkchen.

Gestern wieder Kreuzschmerzen aus dem gesamten Unterleib (Stichwort Abbrechen in der Leibesmitte), die Auswahl an ärztlich diagnostizierten Ursachen ist ja groß genug.

Vergeblicher Versuch eines Mittagscappuccinos bei Nachbars: Direkt vor mir trat eine zehnköpfige Gruppe an die Theke, alle hatte komplexe Wünsche. Die Umsetzung derselben hätte mir zu lange gedauert, ich ging zurück und verlegte mich auf den traurigen Automaten-Cappuccino aus der Teeküche.

Das Wetter wurde immer greisliger, zum kalten Wind regnete es ab Mittag ergiebig und mit Wind.

Sehr pünktlicher Feierabend, denn ich war erledigt und musste nichts mehr tun. Und ich hatte eine Abendverabredung.

Auf dem saukalten, zumindest aber trockenen Heimweg ein paar Einkäufe für die nächsten Tage, zu Hause ruhte ich mich nur kurz aus, aß Nüsschen und einen Eiweißriegel, dann spazierte ich zum neuen Volkstheater: Ich hatte bislang nur das zugehörige Restaurant Schmock von innen gesehen und nutzt mit einer Freundin den Besuch einer Vorstellung, um den Rest zu erleben.

Unsere Wahl war auf die Inszenierung von Thomas Manns Der Zauberberg gefallen.1

Erstmal sahen wir uns in Foyer, Toiletten, Treppenhaus um:

Das Gebäude gefiel mir sehr gut, und mich erstaunte, dass es auch zweieinhalb Jahre nach Eröffnung niegelnagelneu aussieht: Mittlerweile bin ich gewohnt, dass Neubauten innerhalb kürzester Zeit Abranzungen aufweisen. Die schlichte Gestaltung passt zum Charakter des “Volkstheaters”, die wirtschaftliche und pünktliche Planung und Durchführung des Neubaus glich seinerzeit einer Sensation (Gerhard Matzig schrieb 2021 für die Süddeutsche darüber – leider wieder zu lesen nur gegen €: “Von München lernen heißt bauen lernen”). Im großen Theaterraum selbst, der mich mit schwarzen Wänden und Decke eher an ein Kino erinnerte, entdeckte ich, dass die orangen, in die Wand eingelassenen Leuchten tatsächlich eingemauerte Terracotta-Blumentöpfe waren, wie man sie in der Gartenabteilung eines Baumarkts findet – mit solchen Details lässt sich sicher Geld sparen. (Und meine Begleitung wies mich darauf hin, dass diese Technik bereits in der Antike verbreitet war.)

Der Zuschauerraum war voll, das Publikum überraschend gemischt. Fast vier Stunden Zauberberg erforderten durchaus Kondition (aber kein Sitzfleisch: sehr bequeme Sessel, reichlich Fußraum), die Aufführung hinterließ bei mir einen gemischten Eindruck. Leere Bühne mit wenigen Requisiten, wunderbares Ensemble-Spiel, verhandelt wurden Krankheit (eh), Krieg, Gesellschaftsformen, Menschenbilder, zum Teil in (wie im Roman) ermüdend ausführlichen Dialogen. Ich sah Spielvergnügen, bekam immer wieder komische Überzeichnungen (Luise Deborah Daberkow als Hofrat Behrens und Nina Steils als Dr. Krikowksi hatten eine besondere Gaudi) und lustige Technikeinsätze (nach der Pause bekam eine fahrbare Hebebühne immer wieder Sondergelächter). Im Vergleich zu dem, was ich von den Kammerspielen gewohnt bin, hielt sich die Inszenierung mit Bühnenmitteln zurück: Nur ein Musiker auf der Bühne (Alexander Yannilos), keine Projektionen, eine Hauptrolle spielte ein riesiger horizontaler Ring über dem Bühnenraum, aus dem Nebel waberte, nur einmal wurde mit einem Schneesturm so richtig die Sau rausgelassen – und selbst den erzeugten die Schauspieler mit zwei auf die Bühne geschobenen Ventilatoren und ein paar Eimern Kunstschnee selbst. Dennoch gab es auch hier Szenen, in denen zwei Handlungen übereinander gelegt wurden – sehr anstrengend für die Wahrnehmung, Funktion und Nutzen unklar.

Was für mich gar nicht funktionierte: Die Darstellung des Sanatoriums als Parallelwelt mit anderen Gesetzen. Zwar behaupteten die Figuren das immer wieder, doch die Theaterbühne und dramatische Darstellung sind ohnehin eine so andere Welt, dass dieser Kern des Romans nicht umsetzbar war.

Eigentlich hatte ich mich auf ein anschließendes Glas Wein mit Freundin und Gesprächen gefreut, war dann jedoch zu erledigt dafür und schaute, dass ich zackig heimkam.

Zu Hause aß ich noch schnell ein Schüsselchen Haferflocken, um nicht vom Hunger geweckt zu werden, kam gerade noch vor Mitternacht ins Bett, fror dann aber so sehr, dass ich nochmal aufstand, um eine Wärmflasche zu füllen.

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Im SZ-Magazin interviewt Dorothea Wagner die junge spanische Schriftstellerin Andrea Abreu. Sie ist im Norden Teneriffas aufgewachsen und lebt jetzt wieder dort (€).
“‘Als Kind dachte ich immer, dass alle Touristen aus Deutschland kommen'”.

Darin ein nur auf den ersten Blick überraschendes Detail über die Auswirkungen des sich verändernden Tourismus:

Mich hat das früher wütend gemacht, dass Leute hierherkommen und trotzdem nicht einmal die salzverkrusteten Kartoffeln mit Mojo-Soße kennen, die wir machen. Aber heute weiß ich, dass es viel schlimmer geworden ist, seit mehr Touristen versuchen, sich unserer Kultur anzunähern und alternativen Urlaub zu machen.
Warum?
Es mag schwierig gewesen sein, dass so viele Touristen in den Hotels blieben und Bier tranken. Aber die, die es anders machen wollen, tauchen jetzt an unseren Orten auf. Ich verstehe den Impuls, so zu reisen. Es fühlt sich so an, als wäre das verantwortungsvoller und nachhaltiger. Aber es bedeutet, dass die Menschen plötzlich in unseren Vierteln stehen, in unseren Supermärkten, in unserem Alltag. Dass sich diese Orte dadurch verändern. Restaurants passen ihre Speisekarten an, meine Bekannten finden keine Wohnungen mehr zur Miete. Fast jede Woche liegt in meinem Briefkasten Post von einem deutschen Makler, der das Haus, in dem ich zur Miete wohne, an Deutsche verkaufen möchte. Meine Vermieterin ist eine alte Frau, vielleicht nimmt sie das Angebot irgendwann an.

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Interview des Deutschlandfunks mit Larissa Kikol zu ihrem Buch Signed (meine eine Kritik an ihrem Buch ist ja, dass es keine E-Book-Version gibt):
“So viel Kunst steckt in Graffitis”.

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Der Osterhase stellt sich vor.

via @stedtenhopp

  1. Dank einer Insider-Information weiß ich mittlerweile, warum seit vielen Jahren mehr Romane und Filme auf die Bühne gebracht werden als Dramen: Weil sie den Leuten vertraut sind und die Schwelle für einen Theaterbesuch senken sollen. []
die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Journal Donnerstag, 28. März 2024 – Volkstheater-Besichtigung mit Der Zauberberg

  1. Joël meint:

    Zauberberg! ich hatte das Stück letzte Spielzeit hier (oder war es schon die Vorletzte?) Es war aber nicht so lang, es dauerte nur 3 Stunden. (was noch lang genug war)

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