Journal Sonntag, 22. Juni 2025 – Gebremst, aber mit japanischen Holzschnitten
Montag, 23. Juni 2025 um 6:38Früh aufgewacht, aber mit Aussicht auf ein Schläfchen nach Schwimmrunde auf Liegewiese war das in Ordnung und passte mir eh gut.
Auf dem Balkon war es bei wolkenlosem Sonnenschein Socken-und-Strickjacke-frisch. An der Wasserschüssel besuchten mich abwechselnd Amslerich und Kohlmeiserln, aber nur die Amsel ließ sich nicht vom gezückten Handy vertreiben.
Bloggen dauerte lang mit all den Bildern, eigentlich hatte ich früh zum Schwimmen im Dantebad radeln wollen. Aber nachdem ich den Programmpunkt Wasserfilter-aktualisieren abgehakt hatte, wurde mir eh klar: Wenn ich alles durchzog, was ich mir für gestern vorgenommen hatte, würde ich trotz Aufstehen kurz nach sechs durch den Tag hetzen.
Also erstmal Vollbremsung. Schwimmen strich ich mit der Rechtfertigung: Sonntags-volles Bad meh, nochmal volle Kanne Sonne nicht gesund für die Haut, vier Stunden Brutto-Aufwand zu hoch für eine Sport-Einheit. (Aber dann war ich an vier freien Tagen doch nur zwei sportlich unterwegs!)
Statt dessen las ich noch Mastodon-Timeline (der Internet-Patientin geht es besser, als es sich in den vergangenen Monaten auch nur ansatzweise abzeichnete, alle trunken vor Freude).
Zu Mittagscappuccino und einem kleinen Spaziergang zur Altkleidertonne ging ich raus in den Sommer. Ersteren trank ich unter jungen Leuten in der Müllerstraße, zweiterer wurde ein Mäander-Spaziergang mit interessanten Anblicken. So holte man offensichtlich am Platz Am Glockenbach Fronleichnam nach (?): Uniformierte Blasmusik begleitete Kirchenlieder, Altar mit Monstranz, Pfarrer, Litanei. (Und Ministranten sind wohl heutzutage auch fürs Fotografieren zuständig – vielleicht hat die Pfarrei Social Media?) Außerdem sah ich, dass in einem ehemaligen Schmuckladen in der Hans-Sachs-Straße jetzt eine Bestatterin ihr Geschäft aufgeschlagen hat.
Weiterspaziert über den Alten Südfriedhof, daran gedacht, wie sich heute über die Bezeichnungen wie “Professorengattin” unter einem Frauennamen auf einem Grabstein lustig gemacht wird. Ich stellte mir eine Frau im frühen 19. Jahrhundert vor, die sich von klein auf in das einzige ihr angebotene Karriereziel geworfen hatte: Eine gute Partie zu machen, also einen begüterten Ehemann mit Status und Charakter zu bekommen. Die ihre gesamte Ausbildung, ihr Verhalten, ihren Umgang darauf ausgerichtet hatte, sorgfältig und mit Ehrgeiz (siehe Jane-Austen-Romane). Und die erfolgreich war, von einem Brauereibesitzer, einem Hofkapellmeister, einem Professor geheiratet wurde, ihm Kinder geboren hatte. Karriereziel erreicht, von vielen bewundert und beneidet. Und die sich heute erzählen lassen muss, dass ihre Anstrengungen und ihr Erfolg nichts gelten.
Goetheplatz, Esperantoplatz: Kleidercontainer an der Theresienwiese gefüttert, einen top ausgestatteten Trimmdich-Pfad zwischen den Linden um die Theresienwiese entdeckt (dazu andermal mehr). Während dieser guten Stunde unterwegs war es richtig heiß geworden, ich freute mich beim Heimkommen sehr über die kühle Wohnung.
Frühstück bereits kurz nach eins (wenn ich keinen Sport treibe, bekomme ich früher Hunger): Walnussbrot und eine Schüssel gemischtes Obst (Aprikosen, Pfirsiche, Kiwi, Orange). Und ich habe immer noch keinen blöden Witz gemacht, dass man Obst und Gemüse ja neuerdings durchzählen muss, damit sie “gesund” sind. Verdammt, jetzt ist er doch passiert.
Eine gestrichene Sporteinheit schafft Freiraum für Ideen: Da war ja noch die Ausstellung japanischer Holzschnitte in der Bayerischen Staatsbibliothek, “Farben Japans”, die für so viel Furore sorgt – und in die ich sehr gerne mit Herrn Kaltmamsell gehen wollte, der schon von japanischen Holzschnitten schwärmte, als wir uns kennenlernten.
Wir gingen in großer Hitze langsam zur Stabi – und ich war bereits in der Eingangshalle begeistert über den Aufwand der Ausstellung: Da wurde richtig viel Geld in die Hand genommen.
Im Treppenhaus und in Nebenräumen hingen Blow-ups von Holzschnitten, die allein schon sehenswert waren.
Die Originale waren in drei Räumen im Obergeschoß ausgestellt, und die Schlange davor reichte bis weit in den Vorraum. Nun, Sonntag ist halt für Vollzeit-Berufstätige die einzige Gelegenheit, wir reihten uns ein.
Dieses Motiv hätte ich ja “Sonntagabend” genannt, aber ich weiß nicht, ob die japanische Kultur ein Konzept von bedrohlichem Montag hat.
Nur einen Teil der Ausstellung konnte ich genau ansehen, mir nur einen Bruchteil per Audio-Guide erklären lassen (eigentlich hätte ich alles hören wollen, an den Drucken hingen nur Titel, Autor, Jahr) – und so kam ich mit deutlich mehr Fragen raus, als ich reingegangen war, angefangen mit: Woher hat die Bayerische Staatsbibliothek diesen Bestand von nach eigenen Aussagen
“90 000 gedruckte Bände, 100 Handschriften und 1000 Einblattdrucke”? Wer hat da wann warum gesammelt? Und abgesehen von den Abgründen an Nichtwissen, die mir durch die Ausstellung klarwurden (u.a. japanische Geschichte, Kulturgeschichte, Selbstdefinition): Aus welcher Perspektive werden die Informationen des Audio-Guides geschildert? Ist das unsere westliche Sicht und Analyse? Würde jemand aus der japanischen Kultur das auch so klassifizieren? Aber vielleicht steckten die Antworten ja im nicht gehörten Teil des Audioguides oder im (vergriffenen) Ausstellungskatalog.
Heimweg wieder langsam in immer noch großer Hitze und mit Gesprächen über japanische Gesellschaftsgeschichte; Herr Kaltmamsell und ich warfen zusammen, was wir zu wissen glaubten (Herr Kaltmamsell hatte über seine Rollenspiel-Vergangenheit deutlichen Vorsprung).
Erneut große Freude über die kühle Wohnung. Nächsten Sommer-Programmpunkt abgehakt: Eiskaffee (immer nur daheim, weil nur dort koffeinfrei).
Eine Runde Pilates, Vorbereitungen der Arbeitswoche. Herr Kaltmamsell hatte als Nachtmahl aus Ernteanteil-Mangold und -Pakchoi mal wieder Rachel Roddys Picknick-Pie gemacht, ganz wunderbar. Nachtisch nur wenig Süßigkeiten.
§
HAHAHA – Kommödienstadel am Brombachsee!
“Wilder Wels: Fisch beißt Badegäste – und wird erschossen”.
Not funny (yes funny).
8 Kommentare zu „Journal Sonntag, 22. Juni 2025 – Gebremst, aber mit japanischen Holzschnitten“
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23. Juni 2025 um 8:37
Ihre Darstellung, welche Leistung eine Frau zur Erreichung des Karriereziels “Professorengattin” etc. aufbringen musste, hat mir sehr gut gefallen. Wie wichtig es doch ist, Beurteilungen in den jeweiligen Kontext zu stellen.
23. Juni 2025 um 8:40
Danke fürs Mitnehmen und die Eindrücke – tolle Ausstellung!
23. Juni 2025 um 9:09
Ich lese eben von Wiebke Bruhns “Meines Vaters Land”, in dem es auch um die gehobene Kaufmanns/Industriellenschicht geht. Die Frauen dieser großbürgerlichen Schicht hatten zwar keine Berufsausbildung, aber einen Job: die Führung eines großen Haushaltes, der der Repräsentation diente – immer viele Gäste, immer viel Aufwand, etliches Personal, das zu managen war -, die Heranbildung der nächsten Generation – vier, fünf Kinder -, das Zusammenhalten der oft weit verstreuten Familiennetzwerke über Jahrzehnte – das steckt alles in diesem lapidaren Wort “Industriellengattin” oder “Professorengattin” und wird darin gewürdigt – das verstehen nur viele von uns nicht mehr, weil wir ganz andere Lebenszusammenhänge gewohnt sind.
23. Juni 2025 um 9:54
Wir haben im Familienbesitz das Buch “Mein Haus, mein Stolz”. Da wird detailgetreu beschrieben, welche Aufgaben und Pflichten man als Gattin eines erfolgreichen Mannes hat. Und eben stolz auf das reibungslose Funktionieren von Familie und Haushalt war.
23. Juni 2025 um 9:54
Das sind tolle Bilder von der Ausstellung. Danke!
23. Juni 2025 um 16:56
Wird der Ausstellungskatalog noch mal aufgelegt?
Das sieht soo interessant aus, aber schon wieder nach München für eine Ausstellung…
Da fällt mir ein, Ihr letzter Tipp `Münchner Jugendstil` hat uns kurz vor Ende dieser wunderbaren Ausstellung nach München gebracht, dafür noch herzlichen Dank!
23. Juni 2025 um 17:15
Die Würdigungen der Lebensleistungen der Professoren- oder Kaufmannsgattin oder jeder beliebigen anderen Frau aus den gehobenen Gesellschaftskreisen übersieht aus meiner Sicht zwei Dinge: zum einen, dass die „Hauptleistung“ dieser Damen zunächst einmal darin bestand, in der richtigen gesellschaftlichen Schicht geboren worden zu sein und zum anderen dass sie Personal hatten, das ihnen zur Seite stand und vermutlich bei Fehlern/Patzern eher zur Rechenschaft gezogen wurde als die Gattinnen.
Sorry, ich lese hier echt gern, aber dieser Gedankengang hat mich doch sehr an die Rechtfertigung der heutigen Tradwifes erinnert.
23. Juni 2025 um 18:22
Wie viele Alternativen hatten aus Ihrer Sicht Frauen im 19. Jahrhundert als Karriereziel, Karin (im Vergleich zu heutigen “Tradwifes”?).