Journal Freitag, 27. Juni 2025 – Heumachen an der Isar

Samstag, 28. Juni 2025 um 7:30

Nachts hatte ich nichts von den köstlichen Regengerüchen, die durchs offene Schlafzimmerfenster kamen: Nach weiteren Mückenstichen hatte ich mich so gründlich eingesprüht, dass ich ausschließlich Mückenspray roch.

Extrafrüher Wecker, wieder stand ich bereits aufrecht, bevor ich eigentlich wach war. Wusste aber sofort, warum: Lerchenlauf, da ich am Wochenende keine Gelegenheit zu einem Lauf haben würde und da gestern der eine kühle Tag zwischen zwei Hitzeperioden sein sollte.

Ich kam gut los, unter Wolken und in angenehmer Frische.

Überraschung an der Isar: Es wurde gerade Heu gemacht.

Nach einer ersten einsamen halben Stunde wurden die Wege um halb sieben fast schlagartig belebt. In der Luft weiterhin Lindenblütendüfte – wenn ich sie durch die immer noch dominanten Mückenspray-Ausdünstungen überhaupt in die Nase bekam. Na gut, ich sehe es ein: Das war zuviel Antibrumm.

Mein Körper spielte hervorragend mit, ich genoss das Laufen so sehr, dass ich mir nur mit Anstrengung eine Zusatz-Viertelstunde verkniff: Ich sollte aus Gründen nicht zu spät am Arbeitsplatz eintreffen.

Das tat ich dennoch um die eine Minute zu spät, die ich einen wichtigen Anruf verpasste – das konnte ich aber ausbügeln.

Vormittags kam die Sonne raus – und ich wurde wieder unruhig, da ich mit Aussicht auf einen wolkigen Regentag keine Sonnen- und Hitzeschutzmaßnahmen in der Wohnung getroffen hatte. Und ich war unglaublich müde. Mittagscappuccino bei Nachbars also nicht wie sonst immer ein kleiner, sondern ein normaler Cappuccino – das vertraute Personal reagierte verstört: “EIN NORMAAALER?!” Dabei weiß ich doch, dass mehr Koffein mich keineswegs wacher macht, lediglich zittriger.

Nach Mittag (Mango mit Sojajoghurt, Aprikosen, gummig-harter weißer Pfirsich, der einfach nicht nachreifen wollte) immer noch sehr müde, so richtig mit Augenzufallen beim Lesen einer Unterlage und Kopfhochreißen. Aber auch diesen Arbeitsnachmittag brachte ich rum.

Nach Feierabend zog ich zu Einkäufen los, nahm erstmal die U-Bahn zum Candidplatz, um im Caffe Fausto Nachschub an Espressobohnen zu besorgen. Der Fußweg zur Kraemerschen Kunstmühle ließ mich bereuen, keinen Schirm dabei zu haben: Am Himmel türmten sie dunkelstgraue Wolken mit bedrohlichem Wind. Ging aber gut aus, das Gewitter zog an München vorbei, auch zurück in der Innenstadt absolvierte ich die Wege zu Lebensmitteleinkäufen und nach Hause trocken.

Daheim Abschluss meiner Pilates-Woche mit Gabi Fastner, diesmal war ich auf die Brutalst-Bauchübung (auf dem Rücken liegend die gestreckten Beine zweimal scheren und dann im Halbkreis in die Gegenposition bringen) ganz am Ende gefasst.

Feierabend-Drink wurde der erste Pimm’s der Saison, mit (gefrorener) Ernteanteil-Minze, Gurke aus Ernteanteil, Apfel. Als Nachtmahl hatte ich mir Fleisch und neue Kartoffeln (Ernteanteil) gewünscht, Herr Kaltmamsell briet uns ein herrliches Entrecôte und kochte Kartoffeln. Dazu machte ich mit dem Rest süßer Zwiebel und zugekauftem Romanasalat sowie Tomaten spanischen Salat.

Nachtisch Wassermelone und Schokolade.

Abendunterhaltung: Die zwei weiteren Folgen arte Stimmt es, dass…?, also “Haben wir früher mehr geschuftet?” (darin u.a. als Schlüssel die Verfügbarkeit von Energie) und “Stammt die Demokratie aus Griechenland?” (darin u.a. Formen demokratischer Prozesse in anderen Kulturen als unserer).

Im Bett begann ich neue Lektüre: Barbara Kingsolver, Demon Copperhead; sie traut sich, mit der Stimme eines White trash-Buben zu beginnen.

§

Donnerstagabend hatte ich Becky Chambers, The Long Way to a Small Angry Planet ausgelesen.

Bis zum Schluss wollte ich wissen, wie es weitergeht, freute mich auf die Lektüre um die Besatzung des kleinen, zivilen Transport-Raumschiffs Wayfarer. Ich mochte den freundlichen Tonfall und all die Beschreibungen des Fremdartigen sowie seiner Bewohner*innen – auch wenn schnell klar war, dass hier ausführlich eine Welt aufgebaut wird, in der noch viele Romane spielen sollen. Immer wieder hielten mich Details davon ab, mir vor allem die handelnden Figuren zu menschenähnlich vorzustellen, mal explizit, mal implizit, aber sehr gezielt. Und es gab eine Menge wirklich facettenreicher Figuren, von denen ich mir gern erzählen ließ, darunter einige gegen meine Lese-Erwartung.

Menschen sind hier nicht die einzige Art (sapients), die ihre Geschichte verkackt hat, ich bekam reichlich Technik (und Techniker*innen) geliefert, unterschiedliche Vorstellungen von Fairness, verbotene Liebe, diverse Familienkonzepte (Eier-legende Arten unterscheiden sich natürlich von lebend gebärenden). Allerdings litt in meinen Leserinnen-Augen das Tempo der Handlung trotz aller Action-Szenen unter der Ausführlichkeit der Beschreibungen und Hintergrundgeschichten der Figuren. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Tempo in den Folgebänden der Roman-Serie anzieht, wenn das eine oder andere bereits vorausgesetzt werden kann. (Oder alles wird nochmal erklärt, damit man auch mitten in der Serie einsteigen kann?)

§

Die diesjährige Klagenfurter Rede zur Literatur nachgelesen, “Drei Tage im Mai”.
Nava Ebrahimi findet für viele Dinge die Worte, nach denen meine Gefühle vergeblich suchten, zum Beispiel mit dem “Sog der Alternativlosigkeit”, mit dem Reden über Schmerz statt über Schuld. Am Ende schlägt sie den Bogen zur Literatur:

Wenn wir uns hinsetzen und beginnen, Wörter und Sätze aneinanderzureihen, formen wir Vergangenheit, erschaffen wir Gegenwart und wirken wir auf das ein, was noch geschehen wird – ganz gleich, wie sehr wir dabei aus unseren Biografien schöpfen.
Wir nehmen uns die Freiheit, zu gestalten.

(Später festgestellt, dass Maximilian Buddenbohm seinen gestrigen Blogpost nahezu demselben Phänomen widmete: Sich sein Leben zurechtschreiben.)

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Freitag, 27. Juni 2025 – Heumachen an der Isar“

  1. lihabiboun meint:

    Liebe Kaltmamsell,

    wir haben unser Schlafzimmerfenster mit einer feinsten Mücken- und anderen Insektenabwehr versehen lassen (wir hatten immer Plattwanzen als Gäste im Bett – ziemlich eklig …) die Firma war super schnell, zuverlässig und hat absolut perfekt gearbeitet.
    Hier der link:
    https://muggergittermacher.de/

  2. Feather McGraw meint:

    Ich habe ja lustigerweise das Buch auch gerade gelesen, und fand einiges genauso schön wie auch in dieser Rezension. Ich fand allerdings das Worldbuilding nicht zu langatmig – vielleicht bin ich als fast ausschließlicher Speculative-Fiction Leser auch einfach schlimmeres gewöhnt – sondern eher sehr Chekhovs-Pistolig: Praktisch jedes Detail, das eingeführt wird, hat gefühlt innerhalb von 30 Seiten nochmal eine entscheidende Rolle zu spielen. Aber ich denke auch, dass ich das nächste Buch aus der Reihe bestimmt noch lesen werde, weil kurzweilig war es schon sehr.

  3. Frau Bruellen meint:

    Oh demon copperhead fand ich so, so, so gut! Habe ihr neues “Die Unbehausten” auf meinem SUB liegen (also in der Kindle Bibliothek)

  4. die Kaltmamsell meint:

    Deine Begeisterung hat mich auf den Buch gebracht, Frau Bruellen!

    Mal sehen, ob ich meine wachsende Abneigung gegen Fortsetzungen überwinde, Feather McGraw.

  5. Dorothea meint:

    Die Folgebände sind keine Fortsetzung der Wayfarer-Handlung. Der zweite Band beschäftigt sich mit der Geschichte von Lovey, Pepper und deren Geschichten bzw Leben als AI in einem Körper. Der dritte Band beschäftigt sich mit dem Leben auf der Exodus-Flotte, also mit der Familie von Ashby und anderen Personae.

    Es gibt also nur Bezüge und lose Verknüpfungen zum ersten Band.

    Zudem gibt es noch eine eher philosophisches Kurzbuch names “to be taught if fortunate”, das auch Science Fiction ist, aber eher ein Kammerspiel.

  6. Dorothea meint:

    Und ich liebe den Zusatzfact, dass die Autorin in einem Wissenschaftlerinnen-Haushalt aufwuchs mit Eltern, die im Bereich Raumfahrt und ähnlichem arbeiten bzw forschen.

  7. Trulla meint:

    Ging mir genauso mit Demon Copperhead und auch “Die Unbehausten” machten in den ersten 50 Seiten (bei mir in etwa die Grenze zum Abbruch) so guten Eindruck, dass ich mit Interesse gern weiterlese.

    Da ich auch immer mal in Ihrem Blog lese, Frau Brüllen, weiß ich um Ihre Vorliebe für spannende Lektüre. Ich erlaube mir deshalb ein sehr fesselndes Buch weiter zu empfehlen: “In den Farben des Dunkels” von Chris Whitaker.

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