Bücher

Journal Montag, 11. August 2025 – Mehr Sommerfrische

Dienstag, 12. August 2025

Etwas zerstückelte Nacht, und ich stand auf mit ausgesprochenem Widerwillen, in die Arbeit zu gehen. Zumindest hatte mir das mehrmalige Aufwachen in der Nacht die Chance verschafft, durch gründliches Fenster- und Türenöffnen kühle Nachtluft durch die Wohnung wehen zu lassen; beim Aufstehen war es draußen kälter als erwartet.

Morgenkaffee dennoch auf dem Balkon (so lang es geht!), diesmal zur Abwechslung auf dem Küchenbalkon.

Erfrischender Marsch ins Büro, dort gesteigerte Emsigkeit, weil halt Arbeitsleben und meine Jobbeschreibung. (Tiefe Verbindung zu Frau Brüllens Arbeitsschilderungen, als man sich pressierig mit der Suche nach Hintergrundinformationen an mich wandte, und ich diese zwar nicht auswendig wusste, aber auf der Basis meiner Erinnerung und sorgfältiger Ablage mit zwei Handgriffen nachschlagen und liefern konnte. Inklusive zweier Dokumente zum Hintergrund des Hintergrunds, den ich damals halt wissen wollte und ohne Auftrag recherchiert sowie abgelegt hatte.)

Schneller Mittagscappuccino bei Nachbars, dafür später noch auf eine Einkaufsrunde. Die Temperatur immer noch angenehm, zumal ein kühler Wind wehte. Dennoch stimmungsgebeutelt.

Zu Mittag gab es eine Banane, eine Kiwi, außerdem Mango mit Sojajoghurt.

Am Nachmittag noch einige Querschüsse aufgefangen, immer wieder hob ich den Blick in den wundervollen Sonnentag. Heimweg über Einkäufe im Vollcorner, keine Spur der angekündigten “Hitzewelle” (die ohnehin schon am Donnerstag enden soll, also eher Hitzeplätschern), es war sonnig und warm mit schönem Wind – perfektes Sommerwetter für meinen Geschmack.

Zu Hause traf ich Herrn Kaltmamsell lesend auf dem Balkon an, er stand ihm gut. Parallel kümmerte er sich ums Nachtmahl. Nach meiner Einheit Pilates (diesmal im Zentrum Mobilisierung, tat sehr gut) servierte er den Kopf Stangensellerie aus Ernteanteil als Congee, also herzhaften Reisbrei.

Dazu traditionell verschiedene Toppings: Frittierte Zwiebeln, gebratener Knoblauch, eingelegte Pilze, geröstete Mandelblätter mit Thymian, eingelegter Sellerie – letzterer mein Favorit, weil sehr überraschend aromatisch. Nachtisch Schokolade. Dazu Abstimmung mit Herrn Kaltmamsell, wie wir die kostbaren Sommersonnentage noch auskosten. (Heute: Biergarten.)

Wie schon am Sonntagabend wurde der Abend schnell kühl, ich konnte beruhigt Fenster und Balkontüren öffnen.

Mehr Lektüre von Nettle and Bones, gut gemachte Unterhaltungsliteratur ist einfach ein Genuss. Ich lese mit großem Vergnügen in einer Zauberwelt herum und freue mich an dem größten Zauber: dass schlichte Buchstaben Welten hervorbringen können.

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Spanien überrascht mich immer wieder. Jetzt zum Beispiel mit dem Umstand, dass in keinem Land die Bereitschaft zur Organspende so hoch ist. Patrick Illinger ist dem für die Süddeutsche nachgegangen (€):
“Warum Spanier so viele Organe spenden”.

Bei dieser Gelegenheit: Wenn Sie eigentlich organspendewillig sind, aber keinen Organspendeausweis bei sich tragen, geben Sie sich doch einen Ruck. Hier können Sie einen Organspendeausweise online ausfüllen oder bestellen (nimmt wirklich nicht viel Raum im Geldbeutel ein), und hier ist der Link zum Organspende-Register, mit dem Sie das absichern können.

Journal Sonntag, 10. August 2025 – Laufen und Schwimmen an einem Sonnensonntag

Montag, 11. August 2025

Wieder reichlich und guter Schlaf, wieder Balkonkaffee an einem frischen Sommermorgen.

Gestern auch Balkontee.

Zu meinem geplanten Isarlauf brach ich nur wenig früher als im Durchschnitt auf, ich radelte zum Friedensengel. Unterwegs sah ich (möglicherweise zum ersten Mal) einen richtigen, wunderschönen Sonnenschirm in alltäglicher Verwendung: Weiße Häkelspitze beschattete eine Frau beim Spazierengehen.

Jetzt war es durchaus schon wärmer, als ich es ideal gern gehabt hätte, aber ich mied die Sonne und wurde immer wieder durch leichten Wind gekühlt. Die gut 100 Minuten lief ich leicht und freute mich durch und durch an den Sommerfarben.

Sagen Sie: Diese Westen/Rucksäcke, die ich seit ein paar wenigen Jahren an Jogger*innen sehe – ist das die aktuelle Lösung für Wassertransport beim Laufen? Heute sah ich zum ersten Mal jemanden damit, die an einem Schlauch saugte, der oben vorne aus ihrer Weste kam.

Ich mag diese schmalen, gut gedämpften Wege direkt am Isarufer sehr, allerdings gestern beeinträchtigt vom Bewusstsein, dass dieser ein Zeckensommer ist und die Viecher genau hier lauern. (Nix mitgenommen.)

Zu Hause duschte ich nur kurz, packte dann meinen Sportrucksack mit Freibad-Dingen: Ich hatte mit Herrn Kaltmamsell einen Besuch des Einzelbads1 vereinbart. Wir radelten auf der schattigen West-Seite der Isar dorthin, breiteten unsere Handtücher auf dem Platz aus, den ich vor Jahren als “unseren” beschlossen habe. (Erstaunlich, wie wenig flexibel ich darin bin: Auch im Dante- oder Schyrenbad käme ich nie auf die Idee, mich an einem anderen als dem anfangs als ideal bestimmten niederzulassen. Ich führe das auf meine Baggersee-Kindheit zurück, in der es selbstverständlich nur die eine Stelle am Ufer gab, an der die Familie ihre Badetage verbrachte, legendäre Geschichten erzählend, wo man einst an völlig anderer Stelle mit welcher Freundin lag.)

Zweimal ließ ich mich den eisigen Isarkanal heruntertreiben (mit ein wenig Gegenschwimmen), zwischen sehr viel anderem Badevolk (voller als einem heißen, sonnigen Augustsonntag wird ein Münchner Freibad wohl nicht), trocknete und döste dazwischen in der Sonne. Frühstück um halb zwei: Gurke, Hüttenkäse, Schrumpelpfirsiche, Renekloden.

Nach zwei Stunden waren wir durch mit Freibad – die Zeiten, in denen mir ein Hitze-Tag im Freibad oder am See erstrebenswerter schien als einer in der kühlen Wohnung oder auf dem bequemen Balkon, sind wohl rum. Aber solche Ausflüge mag ich, und der Kanal im Einzelbad ist einfach unvergleichlich.

Daheim reinigte ich mich jetzt gründlich. Die Pilates-Einheit diesmal ungestört, sie tat gut.

Die beiden Kohlrabis aus Ernteanteil verarbeitete Herr Kaltmamsell zu einem köstlichen Pastagericht mit Pesto (Basilikum aus Ernteanteil der Vorwoche). Nachtisch Vanillepudding mit Zwetschgenröster, Schokolade.

Eine weitere Folge Mad Men, früh ins Bett zum Lesen: Nettle and Bones macht sich sehr gut, diese Prinzessin-in-magischer-Welt-schwimmt-sich-frei-Geschichte ist so erzählt, dass sie sogar mich Fantasy-Allergikerin anspricht – man kann halt in jedem Genre gut und schlecht schreiben (eine Besprechung auf Goodreads hat mich draufgebracht, glaube ich).

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“Vom Verschwinden des 10. August”.

Vor 50 Jahren jagten mehrere hundert Menschen algerische Vertragsarbeiter durch Erfurt – doch aus dem öffentlichen Bewusstsein ist das wie ausradiert. Was erzählen die Männer, die sich damals wehrten?

Was? Wie? Natürlich hatte auch ich nie davon gehört.

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Was macht eine türkische Rhythmusmaschine aus den 70ern in ihrer Freizeit? (Nein, die kann keinen Lambada.)

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/58H5_tTRs4Y?si=vdFu7MQEW9g2lJ56

via @giardino

Was mir erst gestern bewusst wurde: Wie lang und laut die Glocken der evangelischen Kirche St. Matthäus an einem Sonntag zwischen 7:30 und 8:30 läuten, zusammen sicher mehr als 20 Minuten. Ich saß nämlich auf dem Balkon, als ich dieses spannende YouTube-Stück ansah – und musste jeweils so lange unterbrechen, den um über die Glocken irgendwas zu verstehen, hätte ich brutal laut stellen müssen.

  1. Naturbad Maria Einsiedel – seit hier in den Kommentaren jemand erzählte, dass die Kinder daraus “Einzelbad” machten, haben wir das übernommen. []

Journal Samstag, 9. August 2025 – Jenny Erpenbeck, Heimsuchung

Sonntag, 10. August 2025

BEVOR MIR NOCH MEHR ALS DIE BISHERIGEN FÜNF ERST-KOMMENTATOR*INNEN DEN TIPP GEBEN, DASS MAN KI-ERGEBNISSE BEI GOOGLE MIT “-AI” AUSSCHALTEN KANN: DAS HATTE ICH BEREITS VOR WOCHEN HIER IM BLOG EMPFOHLEN. VERSUCHEN SIE BITTE HINZUNEHMEN, DASS ICH EINFACH DAS PHÄNOMEN KI-BLINDNESS BESCHRIEB. SIE SCHAFFEN DAS.
(*macht Fettung rückgängig*)

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Jenny Erpenbeck, Heimsuchung von 2008.

Ein Stück Land im Osten Deutschlands und sein Schicksal im 20. Jahrhundert, inklusive Vorgeschichte, inklusive beteiligten Menschen, inklusive seiner Bearbeitung und Bebauung, vor allem mit einem markanten Haus – so die geniale Grundidee für diesen Roman. Und dann der geniale Titel, der die großen Themen vorgibt: Heimsuchung sowohl aus Gesuchten-, als auch aus Heimsuchenden-Perspektive, dazu das grundmenschliche Suchen eines Heims.

Erzählt wird chronologisch in Kapiteln um je eine Protagonistin, einen Protagonisten. Die historischen Ereignisse im Osten Deutschlands des 20. Jahrhunderts stehen mal angedeutet im Hintergrund, mal weit vorne. Wir erfahren die Geschichte der einstigen Besitzerin dieses Grundstücks am See, dann die des Architekten, der es mit einem sehr besonderen Haus bebaut, ganz nach den kreativen Wünschen seiner deutlich jüngeren Frau. Diese Frau steht im Mittelpunkt eines Kapitels, das die Einladungen und Feste dieses Paars in den 1930ern schildert, ich war sofort drin. Auch das Haus samt seinem sich wandelnden Garten und Ufer wird im Fortlauf der Erzählung immer deutlicher und lebendiger.

Immer wieder war ich sehr angerührt, am meisten von dem Kapitel “Die Besucherin”, das die Gedanken einer alten Frau wiedergibt, Flüchtling, die sich unter anderem ums Fremdsein drehen.

Nur eine Figur kehrt als Kapitelzentrum immer wieder: Der Gärtner, der dadurch immer mehr eine mythologische Figur wird. Als ich mich schon fragte, ob er wohl nie alterte, brach er sich ein Bein und wurde fast schlagartig ein alter Mann.

Die Sprache ist vordergründig einfach. Viele Kapitel enthalten Wortschleifen, sich wiederholende Formulierungen – doch die haben in jedem Kapitel eine andere Funktion: mal imitieren sie Rituale und Gewohnheiten, mal spiegeln sie realistsch Gedankenschleifen, mal lesen sie sich formelhaft und Litanei-artig wie alte Epen.

Immer wieder wechseln die Kapitel fein ihre Erzählmittel, immer aber in Begleitung einer starken impliziten Erzählstimme bei personaler Perspektive. Nur den Gärtner lernen wir nie von innen kennen, konsequenterweise verschwindet er auch irgendwann einfach.

Ich fände interessant, den Interpretationsansatz durchzuspielen, ob wir Deutschen nicht vielleicht gesamt seit der zivilisatorischen Komplettkatastrophe des Dritten Reichs auf der Suche nach einem Heim sind – geografisch (Reisenation Nr. 1), in unserer Zusammensetzung mit vielen Migrant*innen aus unterschiedlichsten Beweggründen, in unserer Selbstdefinition. (Gut möglich, dass das Ergbenis ist: Nee, funktioniert nicht.)

Heimsuchung ist seit 2024 Pflichtlektüre in der gymnasialen Oberstufe (in allen Bundesländern, die am länderübergreifenden Abitur teilnehmen). Ich halte den Roman für ausgesprochen geeignet dafür – doch da in Deutschland unverhandelbar gesetzt ist, dass man jedes literarische Werk hasst, das man in der Schule lesen musste, bedaure ich das auch.

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Neun Stunden guter Nachtschlaf, ein wertvolles Geschenk. Draußen der angekündigte Sommermorgen, noch recht frisch. Die nassen Wochen davor waren so kalt, dass ich mich jetzt energisch ermahnen musste, die aufziehende Hitze mit Rollladen und geschlossenen Fenstern auszusperren, noch löste sie in erster Line wohliges Schnurren aus.

Balkonkaffee! Mit wiedererwachender Hakenlilie und Miniermotten-zerfressenen Kastanien.

Als ich nach Bloggen mit Milchkaffee, Wasserfiltertausch, Kanne Schwarztee, Aufhängen frisch gewaschene Bettwäsche, Morgentoilette spezial fertig war für meine Schwimmrunde im Dantebad, entschied ich mich für Öffis statt Rad: Mittlerweile fürchte ich mich richtig vor den losplärrenden Martinshörnern im Stadtverkehr (zur Sicherheit: Das Problem bin ich, irgendeine Verdrahtung ist in meinem Gehör verrutscht, so heftig reagiert sonst fast niemand darauf; ich kenne nur eine Person, die Ähnliches beschreibt – und das interessanterweise auf Wechseljahre zurückführt), die mich bis ins Mark erschrecken, vom Rad fegen, ruckartig Ohren zuhalten und aufschreien lassen.

Ausgang U-Bahnhof Westfriedhof.

Sehr angenehmes Schwimmen, alle vertrugen sich auf der Bahn, ich fühlte mich stark und zog 3.300 Meter schmerzfrei durch.

Nach Abbrausen, Bikiniwechsel, neu Sonnencremen legte ich mich auf die jetzt wieder saftig grüne Liegewiese. Allerdings ohne Musik auf den Ohren: Meine Kopfhörer zeigten wieder den Trick Spontanentladung-nach-Aufladen-über Nacht. Machte nichts. Zum einen wollte ich eh nicht zu lange in der Sonne bleiben, zum anderen lauschte ich dösend in leisem Wind den Gesprächen um mich herum. Und erfuhr: dass weiter in Torremolinos Urlaub gemacht wird / dass unter manchen jungen Frauen die Tiefe der Bräune noch als Qualitätskriterium eines Urlaubs gilt wie in den 1980ern / dass hispano-hablante Müncher*innen vom Dantebad “en pleno invierno”, also mitten im Winter schwärmen.

Heimfahrt über Semmelkauf, das Thermometer der Marien-Apotheke am Sendlinger Torplatz zeigte im Schatten deutlich über 30 Grad an.

Kurz vor drei gab es als Frühstück eine Dinkelseele mit Butter und Tomate, eine Körnersemmel mit Butter und Hagebuttenmark, Schrumpelpfirsiche (Trocknen statt Nachreifen, es bleibt Glücksspiel).

Herr Kaltmamsell kam seiner erbetenen Pflicht nach, mich an zwei Dinge zu erinnern: Tischreservierung in der Wiener Meierei Ende August (check), ETA für Wanderurlaub in England. Mein erster ETA-Versuch (Electronic Travel Authorisation, nicht etwa Euskadi Ta Askatasuna) war am Scan meines Ausweises gescheitert, diesmal nahm ich wie angewiesen (LESEN!) meinen Reisepass. Fisselig war hier das Einlesen des Chips im Reisepass, nach sechs Versuchen schaffte ich gemeinsam mit Herrn Kaltmamsell auch das. Antrag durchgestanden (Bayern-ID härtet ab), die ETA bekam ich innerhalb von Sekunden per Mail. Und brauche jetzt nichts weiter als meinen Reisepass, alles andere ist laut dieser Mail hinterlegt. In der auch stand “To help us improve the ETA application process, tell us what you thought at: $URL”
“Bloody idiots! You Brexit morons!”, wäre ehrlich, aber unhöflich gewesen und hätte vermutlich nicht als konstruktives Feedback gegolten.

Nachmittag in der angenehm kühlen Wohnung (ab jetzt ist das Hitze-Aussperren wieder organisch – allerdings klemmt seit gestern der Rolladen von Herrn Kaltmamsells Zimmer nach Westen; ich befürchte ein schlimmes Hitze-Einfallstor) mit Zeitunglesen. Besonder gut gefielen mir das Buch zwei über eine Reisegruppe, die in Berlin ihre Bundestagsabgeordnete besucht (“‘Huhu, wie is et?'” – €) und auf der Medienseite das Interview mit ARD-Vorsitzendem Florian Hager über ein Thema, das auch mich seit einigen Jahren umtreibt: Wie die Öffentlich-rechtlichen Medien ihrem Auftrag in einer sich existenziell verändernden Medienwelt nachkommen können (auf der re:publica schon lange eine Dauerbrenner) – “‘Was wir sehen, ist das Ende der Massenmedien'” (€).

Als Zwischenspiel vor dem nächsten 30-Tage-Programm Yoga begann ich wieder eine Pilates-Woche – die gestrige Folge leider beeinträchtigt durch Kreislauf-Turbulenzen inklusive Schweißausbruch.

Besoners köstliches Nachtmahl: Herr Kaltmamsell seriverte die Ernteanteil-Zucchini auf Ricotta mit Haselnüssen. Dazu tranken wir Gin Tonics. Nachtisch Schokolade.

Im Bett die nächste Lektüre: T. Kingfisher, Nettle and Bone – was komplett Anderes, eine nicht-realistische Geschichte in einer magischen Welt.

Journal Freitag, 8. August 2025 – Sommerlicher Wochenabschluss

Samstag, 9. August 2025

Unruhige Nacht – wie vorhergesehen. Die Stunde vor Weckerklingeln war nur noch Dösen drin, ich stand völlig benommen auf. Anders als gewohnt legte sich diese Benommenheit nicht, selbst auf meinem Marsch in die Arbeit durch Sonne und herrlich frische Sommermorgendüfte torkelte ich fast, richtig verkatert inklusive brennenden Augen (kein Tropfen Alkohol seit Sonntag). Die Luft war aber eindeutig auf der gekippte Seite des Sommers und enthielt Alterungsnoten.

Zum Glück schaffte ich am Schreibtisch genug Zusammenreißen für die letzten anspruchsvollen Lektorat-Jobs, aber dann war die Luft raus: Alles Weitere kostete mich enorm Mühe und Zeit.

Auf einen Mittagscappuccino ins Westend, der herrliche Sonnenschein kündigte bereits Hitze an.

St. Rupprecht hinter Baustelle.

Später gab es zu Mittag Nüsse, Flachpfirsiche, Mango mit Sojajoghurt.

Nachmittags ging es mir langsam ein wenig besser, die Benommenheit nahm ab. Zu meiner Erleichterung erwies sich, dass ich am Vorabend im Biergarten doch nicht von Mücken gefressen worden war (das kann ich meist erst 12 bis 24 Stunden nach Stich beurteilen).

Pünktlicher Feierabend, denn ich war mit Herrn Kaltmamsell verabredet: Wir setzten endlich unser Vorhaben um, gemeinsam das Frischeparadies im Schlachthof gründlich zu erkunden, gestern mit dem Ziel, Abendessen einzukaufen.

Auf dem Weg dorthin (jetzt war es heiß) wurde ich aufgehalten: Eine Radlerin sprach mich an, die sofort richtig einschätzte, dass ich sie nicht würde einordnen können – ich sah zwar, dass ich sie kannte, doch dass wir vor 25 Jahren als Kolleginnen in einer PR-Agentur zusammengearbeitet hatten, musste sie mir sagen. Kurzer Abgleich, was seither geschah, es erwies sich, dass wir seit Jahren nur 200 Meter Luftlinie voneinander entfernt arbeiten.

Im (stark gekühlten) Frischeparadies besichtigte ich mit Herrn Kaltmamsell ausführlich den Inhalte von Regalen, Theken, Kühlschränken (eingemerkt unter anderem die große Auswahl Sobrasada und abgepacktes Fleisch inlusive Wachteln, Fasan, Stubenküken, außerdem gibt es auch hier galicischen Käse Tetilla). Wir waren ausgesprochen diszipliniert und nahmen neben einem Einkaufslisteneintrag tatsächlich nur Abendessen mit: ein mächtiges Côte de Boeuf.

Jenny Erpenbeck, Heimsuchung ausgelesen – mindestens eine Stunde früher als erwartet, denn die letzten 18 Prozent des E-Books stellten sich mal wieder als Vorschau auf einen anderen Roman heraus. Der (also wirklich kurze) Roman hatte mir sehr gut gefallen, ich muss noch eine Weile darüber nachdenken.

Aperitif auf dem Balkon (hurra!), erst zum zweiten Mal in diesem Sommer Aperol Spritz. Gesprächsthema dabei, auf das ich mich sehr gefreut hatte: Erpenbecks Heimsuchung, das Herr Kaltmamsell vor einer kleinen Weile beruflich gelesen und bedacht hatte; wir verglichen unsere Beobachtungen. Nur selten überschneiden sich unsere Lektüren, weil halt sehr unterschiedlicher Lesegeschmack, umso mehr freute mich diese Gelegenheit.

Der Herr kümmerte sich ums Fleisch, ich hatte den Ernteanteil-Salat mit einem Zitronensaft-Knoblauch-Dressing angemacht. Dazu Brot vom Frischemarkt.

(Vor dem Teilen des Fleisches.) Sehr gutes und festliches Abendessen.

Als Nachtisch hatte ich um Vanillepudding gebeten, um das letzte Glas Zwetschgenröster 2024 dazu aufbrauchen zu können – es hat ja bereits die Ernte 2025 begonnen.

Abendunterhaltung eine weitere Folge Mad Men.

Am Vorabend hatte mir auf dem Heimweg ein riesiger aufgehender Mond entgegengeleuchtet, ich freute mich bereits auf seine Beleuchtung meines Schlafzimmers in der wolkenlosen Nacht.

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Schlaglicht im Guardian auf einen Ausschnitt der Welt, über den ich mir bislang keine großen Gedanken gemacht habe: Das Leben alter Frauen in Westafrika.
“‘Well, no, you don’t have to have children’: what African women over the age of 60 have learned about life”.

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Unbeachtete Heldinnen, Teil ganz viel: Edythe Eyde gab 1947 als 25-jährige Sekretärin bei RKO Radio Pictures in Los Angeles heimlich Vice Versa heraus, eines der ersten Lesben-Magazine.
“Meet the 1940s secretary who used office time to produce the first lesbian magazine”.

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“Da Sta” ist nicht der einzige.
“Warsteiner forscht zu Obelisk mit NS- und Zwangsarbeiter-Geschichte”.

Journal Montag, 3. August 2025 – Montagshighlight Einkäufe

Dienstag, 5. August 2025

Aufgewacht ein wenig pässlicher als am Vorabend, aber immer noch etwas wacklig. Keineswegs zu wacklig für Arbeitsfähgkeit, also packte ich die letzte von sieben erbarmungslosen 5-Tage-Wochen in Folge an. Mein Bauch fühlte sich immer noch komisch an, er gluggerte und rauschte, ich erklärte meine gewohnte Appetitlosigkeit bis Mittag für ideal passend.

Das Draußen startete gestern mitteldüster und kalt, ich marschierte in warmen Schuhen, dicker Hose, langen Ärmeln und Jacke in die Arbeit. Allerdings leichtsinnigerweise ohne Schirm: Diese Regenpause hielt nur auf der ersten Hälfte meines Arbeitswegs, dann wurde ich feuchtgetröpfelt. Ab dann regnete es friedlich und mit wenigen Unterbrechungen bis zum Nachmittag durch.

Urlaubszeit Schmurlaubszeit: Wenn Leben und Arbeit eh deckungsgleich sind, macht das keinen Unterschied, ich musste also wieder erstmal mein freies Wochenende nachholen. Das Ganze den Vormittag über begleitet vom Warnsirenen-Jodeln, das von den S- und Regionalbahngleisen hinter dem Bürogebäude hertönte: Es wurde wohl gebaut, gewartet (also im Sinne von Pflege, nicht von herumstehenden Passagieren wie sonst bei der Bahn erwartbar, hahaha) und repariert.

Trotz aller Bauch-Samba ging ich auf einen Mittagscappuccino ins Westend, hatte auch richtig Lust darauf.

Später hatte ich Hunger und aß Quark mit Joghurt sowie überreife Nektarinen und Flachpfirsiche. Der Bauch kam damit zurecht.

Am Nachmittag überraschte mich ein Arbeitsproblem. Ich schaffte es, nicht meinen ersten Lösungsimpulsen zu folgen, sondern erst zu recherchieren und eine E-Mail an die eigentlich zuständige Stelle mit Bitte um Rat aufzusetzen (abgeschickt wird am nächsten Morgen, damit mein Hirn Zeit für weiteres Durchdenken und Verarbeiten im Hintergrund hat).

Nach Feierabend U-Bahn-Fahrt zum Odeonsplatz, um in einer Arztpraxis ein Rezept zu bekommen. Die Website dieser Praxis bot in den vergangenen drei Jahren nach und nach immer weniger (!) Information, mittlerweile stehen dort neben Anschrift nur noch die Zeiten telefonischer Erreichbarkeit – und während diesen war gestern bei neun Anrufen jedesmal besetzt. Also sah ich selbst nach, ob die Praxis offen war. War sie, meine Rezepte wurden zum Abruf in der Apotheke hochgeladen.

Anschließend kaufte ich in der touristischsten Innenstadt noch ein vorher recherchiertes Geschenk für Herrn Kaltmamsell: Er trinkt seinen Kaffee ja vor allem tassenweise aufgebrüht, und um Filterpapier zu sparen und damit nicht so viele ätherischen Öle des Kaffeepulvers im Papier hängenbleiben, besorgte ich einen Dauerfilter aus Metall. Ursprünglich war das meine Idee für ein Geburtstagsgeschenk gewesen – aber da er doch die nächsten Wochen Ferien hat und sich daheim sicher täglich mindestens eine Tasse Kaffee aufbrühen wird, sein Geburtstag aber erst nach den Ferien ist, entschied ich mich zum sofortigen Schenken.

Jetzt bog ich noch in den Bekleidungsladen COS ab, um nach einem Kleid zu sehen, das mir vor Wochen in der Werbung gut gefallen hatte. Gefiel mir auch in Echt, stellte sich als 100 Prozent Baumwolle heraus (gut!), doch beim Anprobieren saß es nicht richtig. Eine andere Kundin in der Umkleide bewunderte das Kleid an mir, riet aber zu einer kleineren Größe – und hatte recht. Kleid gekauft.

Daheim stellte sich heraus, dass auch Herr Kaltmamsell ein Geschenk für mich hatte:

Er hatte einen Sammelband Mortadelo y Filemón aufgetrieben, der unter anderem “Mortadelo y Filemón en Alemania” enthielt (ich reiche ihn nach dem Lesen weiter, lieber Papá, lieber Bruder). Das Schild “Pellejen Platz” auf dem Foto ist ein schönes Beispiel: Im Spanischen imitiert man Deutsch, indem man spanische Wörter mit der Endung -en versieht, also zum Beispiel “beberen”, “comeren”, “pagaren”. Brüller.
(Und pellejo heißt Trunkenbold.)

Eine Runde Yoga-Gymnastik, zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell aus den Hühnerinnereien vom Samstag eine Sauce gekocht, er servierte Nudel damit. Ich machte dazu den restlichen Ernteaneil-Salat mit Haselnussmus-Dressing an, sehr gut. Nachtisch Käsekuchen und Schokolade.

Neue Lektüre aus der Münchner Stadtbibliothek: Jenny Erpenbeck, Heimsuchung. Fing gut an, nämlich mit einem Prolog, bei dem ich mich gleichmal bremsen musste: Ich hatte mit Lesetempo auf Handlung begonnen, doch hier ging es um jeden Satz – in einer guten Art! (Bin immer noch sauer, dass ein ungelenker Mist wie der von Jasmin Schreiber einen Verlag findet und viel bessere Manuskripte nicht, weil sie halt gerade nicht ins Programm passen oder Lektor*innen keinen Markt sehen.)

Journal Sonntag, 3. August 2025 – Wintergrillen im Hochsommer

Montag, 4. August 2025

Erholsame Nacht, beim Aufstehen regnete es gerade nicht mit fast schon hellem Himmel.

Ich war mit Herrn Kaltmamsell zu Familiengrillen bei meinen Eltern in Ingolstadt eingeladen, meine Mutter hatte das als sicher angesagte Scheißwetter für irrelevant erklärt. Gestartet wurde ein wenig später (die Bruderfamilie hatte sich nach einer großen Hochzeit am Samstag Ausschlafen erbeten), das verschaffte mir Zeit für einen Isarlauf, zur Zeitersparnis die Strecke direkt ab Haustür über Alten Südfriedhof nach Thalkirchen und zurück. Da der Regenradar in diesem Zeitraum kein Regengebiet vorhersagte, verließ ich das Haus barhäuptig und ohne Regenjacke. Ich war offensichtlich nicht die einzige, die sich an dieser Wetterprognose festhielt, das Läufer*innenaufkommen war überraschend hoch.

Stephansplatz

Übergang von altem zu neuem Teil des Alten Südfriedhofs.

Die Isar hatte sich trotz anhaltendem Regen beruhigt, kein Hochwasser mehr.

Das Laufen strengte mich an, weil mein gesamtes Becken schmerzte, inklusive daran aufgehängter Lendenwirbelsäule (nicht aber die Hüftgelenke, verstehe jemand diesen Körper!). Aber ich freute mich an Luft, Licht und Bewegung.

Erst im letzten Drittel erwischte mich ein Regenduscher zwischen Flecken blauem Himmel.

Nach dem Heimkommen zeigte der Regenradar den Hintergrund des kurz getakteten Wechsels zwischen Regen und Sonne an.

Screenshot von Wetter online.

Mir fielen immer mehr Aspekte an Grete Weils Tramhalte Beethovenstraat ein, die den Roman kunstfertig und lesenswert machten – vor allem unglaublich dicht auf gerade mal 240 Seiten. Ich plapperte sie an Herrn Kaltmamsell hin, er lieh sich das E-Book schließlich von mir aus.

Unter Regenschirm zum Hauptbahnhof, wir erreichten Ingolstadt mit Verspätung. Dort freudiges Wiedersehen, alle drei Nifften waren nach ihrem Urlaub in Kastilien noch da und nicht an ihre neuen Wohnorte gezogen. Meine Eltern hatten die Grillerei auf der Terrasse aufgebaut, den Tisch aber im warmen, trockenen Drinnen gedeckt: Wintergrillen im Hochsommer.

Es gab köstliches Essen (bei mir vom Grill Seehecht, Maiskolben, Hähnchenflügel, fränkische Bratwurst, aus dem Ofen Lammschulter, dazu Kartoffelsalat und eingelegte rote Paprika) mit Aperol Spritz vorher, Rotwein dazu, Espresso und Melone danach. Dazu erfuhr ich unter anderem Details des Spanien-Urlaubs (inklusive herzerwärmende Fotos), Details aus der Kantine des Deutschen Bundestags, Berichte über die Familienhochzeit am Vortag.

Die Familie auf dem kastilischen Dorf hatte uns Naturalien mitgeschickt: Aus eigenem Anbau Zwiebeln und Knoblauch, außerdem süßes und scharfes Paprikapulver sowie Safran. Und einen lieben Brief. <3

Zum Bahnhof für unsere Heimfahrt kamen wir sogar trocken, wirkliche Wetterbesserung ist aber erst für Mitte der Woche angekündigt.

Auf der Hin- und Rückfahrt las ich in meiner nächsten Lektüre: Jasmin Schreiber, Marianengraber. Doch dieser Roman in Form einer Ansprache von Paula an ihren verstorbenen kleinen Bruder erwies sich als Missgriff: Eine Aneinanderreihung von Floskeln (“mir schlug das Herz bis zum Hals”) Klischees und Allgemeinplätzen, Flughöhe deutscher Fernsehfilm. Ich glaubte fast nichts und niemand davon, und definitiv nichts und niemand interessierten mich. Nach einem Drittel brach ich ab – meine Wunschleseliste ist zu lang, als dass ich mich mit uninteressanten Büchern aufhalte (selbst wenn ich einrechne, dass es jeder Roman nach Grete Weil schwer hat). Es hätte mich misstrauisch machen müssen, dass in der Münchner Stadtbibliothek beide vorhandenen Exemplare verfügbar waren.

Zu Hause war ich immer noch sehr satt, das Abendessen ließ ich ausfallen, eigentlich war mir sogar nicht gut. Auf Arte kam der herrliche Grand Budapest Hotel von 2014: SO viele liebevolle Details, sensationelles Schauspieler*innenaufgebot, großartige Musik. Dennoch ging ich leicht unpässlich früh ins Bett, um mich pässlich zu schlafen.

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Herzerwärmung gefällig? Ich empfehle diese Bio-Achterbahn.

Journal Samstag, 2. August 2025 – Regenschwumm, Grete Weil, Tramhalte Beethovenstraat

Sonntag, 3. August 2025

Ausgeschlafen, zu düsterem Himmel und nassen Straßen aufgestanden. Ob es gerade regnete oder nicht, war mittlerweile irrelevant – einfach greisliches Wetter.

Nach Bloggen, Milchkaffee, Wasser buk ich Baskischen Käsekuchen – hatte ich seit Wochen als Plan im Hinterkopf, den ich aber immer wieder aufgab, weil ich zu wenig Lust auf Essen des Ergebnisses hatte. Jetzt zog ich ihn durch, um ihn aus dem Kopf zu kriegen.

Sportplan war Schwimmen im Dantebad, diesmal wirklich sicher ohne jede Ahnung von Sonne. Mal wieder freute ich mich geradezu enthusiastisch, dass ich in meine Schwimmpläne NIE WIEDER Menstruationsfluten einrechnen muss! War das scheiße bis vor wenigen Jahren! Ich erinnere mich an absolut nichts Gutes am Menstruieren; da ich sehr gründlich dafür gesorgt hatte, nicht schwanger werden zu können, brauchte ich ja nicht mal die Info “nicht schwanger”.

U-Bahn zum Westfriedhof, unterm Schirm zum Schwimmbad.

(mit überschlagend fröhlicher Stimme) Wie schön grün die Freibad-Liegewiese durch all den Regen geworden ist!

Das Außenthermometer über der Sprudelschnecke zeigte 16 Grad an. Es regnete durchgehend in verschiedener Intensität – das machte Spaß, auch wenn die heftigsten Regenphasen das Schwimmwasser aufspritzen ließen. Manche schwammen in Neopren-Anzügen, wobei sich einer davon bei näherem Hinsehen als flächendeckende Tätowierung herausstellte (wie bei den alten japanischen Holzschnitten, auf denen bunte, eng anliegend scheinende Kleidung an Männern ebenfalls in Wirklichkeit tätowiert ist – permanent clothing in Entsprechung zu permanent make-up?).

Mein Schwimmen fiel mir leicht und fühlte sich gut an, ich erweiterte auf 3.300 Meter.

Die Frauen-Sammelumkleide des Dantebads schätze ich ja. Selbst am Wochenende, wenn sich nicht die (meist alten) Frauen dort einfinden, die sich offensichtlich schon lang kennen, manche oberflächlich, manche näher, bilde ich mir ein sachtes Gemeinschaftsgefühl ein. Fast jedesmal wird über den Umstand gescherzt, dass nach dem Schwimmen in einer Reihe Spinde immer die direkt nebeneinander liegenden gleichzeitig gebraucht werden. Gestern sogar mit der Extraschleife, dass ich beim Abtrocknen der Nachkommerin automatisch den Platz vor dem Spind neben meinem freiräumte und sich herausstellte, dass sogar zwei Spinde Abstand zwischen unseren lag! Wir lachten noch darüber, als eine weitere geduschte Schwimmerin herantrat – und die hatte dann den direkt neben mir.

Oder der auffallend schöne Schwimmanzug, den eine Frau abgelegt hatte. Da ich zum Erkennen des Herstellers das Kleidungsstück hätte anfassen müssen, frage ich danach – und bekam zum Herstellernamen detaillierte Hintergründe und Empfehlungen.

Rückfahrt per Tram, unterwegs Stopp für Frühstücksemmelkauf. Das letzte Stück legte ich per U-Bahn zurück. Lange Zeit viel Regen heißt mittlerweile auch, dass das Nußbaumpark-Gschwerl (das immer zahlreicher wird, ich sehe einen Zusammenhang mit der systematischen Bereinigung des Alten Botanischen Gartens – schlichten physikalischen Gesetzen folgend haben sich die Menschen nämlich nicht in Luft aufgelöst) sich immer mehr im nigelnagelneu renovierten und fast fertigen U-Bahnhof Sendlinger Tor unterstellt, gestern musste ich Slalom laufen. Geben Sie uns noch ein, zwei Jahre und München muss sich nicht mehr als Gegenbeispiel zum Berliner Hermannplatz bezichtigen lassen. Ich halte es für sinnvoll, jetzt schon an den Öffi-Brennpunkten im München spezielle Sicherheitsleute einzusetzen wie in Berlin – die die Leute keineswegs vertreiben, sondern Auswüchse verhindern. Mir fallen die Unfälle im U-Bahnhof Goetheplatz ein, wo schon mehrfach Zugedröhnte ins Gleisbett gerieten, mindestens einmal mit tödlichem Ausgang. Vorbild könnte Berlin sein, siehe Artikel “Auf der Strecke geblieben” in der Wochenendausgabe der Süddeutschen (€).

Frühstück kurz vor zwei: Tomatenbrot (eine Sommerköstlichkeit, die auch Regen nicht kaputtmachen kann) mit Körnersemmel vom kürzlich entdeckten Bäcker Unendlich beim Edeka am Stiglmaierplatz (Sitz in Bobingen, wie ich nachrecherchierte) – sehr gut, u.a. sichtbar und schmeckbar mit Kurkuma gewürzt. Auch die Kürbis-Hafer-Semmel danach schmeckte mir. Mohnsemmeln und Dinkelseele von dort waren mir kürzlich ebenfalls als überdurchschnittlich aufgefallen.

Dann noch baskischer Käsekuchen, der allerdings nicht ganz gelungen war: Innen zu weich, musste gelöffelt werden (aber sicher nicht roh, in ungebackenem Zustand hat er ja die Konsistenz von Pfannkuchenteig).

Nachmittag mit Zeitunglesen und Yoga-Gymnastik, draußen regnete es weiter in verschiedenen Heftigkeiten.

Der Ernteanteil hatte eine dicken Bund Thymian gebracht, ich verwendete einen Teil davon fürs Zitronen-Thymian-Hähnchen zum Nachtmahl.

Als Vorspeise kombinierte ich Ernteanteil-Tomaten und -Basilikum mit Nektarinen zu einem Salat, köstlich. Das Hähnchen gelang sehr gut, aber wir ließen genug für Herrn Kaltmamsells Montagessen übrig. Dessert war mehr Käsekuchen.

Im Bett Grete Weil, Tramhalte Beethovenstraat ausgelesen. Ein kleiner, kompakter Roman, der mich überraschte. Während Weil in Der Weg zur Grenze eine Frau in den Mittelpunkt gestellt hatte, die im 3. Reich als Jüdin aus Deutschland fliehen musste (geschrieben vor Ende des Kriegs und bevor die tatsächlichen Grauen bekannt waren), steht im Mittelpunkt dieses Romans von 1963 ein deutscher Nicht-Jude, Nicht-Verfolgter: Andreas, ein Schriftsteller. Die Geschichte erzählt auf zwei Zeitebenen. Sie beginnt in Nachkriegs-München, wo er mit seiner reichen Frau wohnt, einer Holocaust-Überlebenden (“das Vermögen ihrer vergasten Eltern war enorm und sie die einzige Erbin” – dieser Satz setzt ziemlich am Anfang eine zynische Note, die immer wieder erklingt). Andreas soll wieder schreiben, aber er kann nicht mehr.

Die zweite Zeitebende führt zu dem Moment, in dem Andreas und diese Frau ein Paar werden: In Amsterdam, wohin Andreas im Krieg als Korrespondent einer Münchner Zeitung geschickt wurde – und wo er Nacht für Nacht miterlebt, wie Hunderte Juden per Tram nach Osten deportiert werden. Er schließt sich zaghaft dem lokalen Widerstand an. Die Erzählstimme bleibt konsequent bei Andreas und seiner Zerbrochenheit in der Gegenwart: Zerbrochen an dem, was er als Zeuge erlebte, und zerbrochen am Hadern, wie viel er davon hätte verhindern können – das las sich für mich in unserer “Nie wieder ist jetzt”-Gegenwart sehr aktuell.

Mir war sehr bewusst, dass der Roman auch ein Zeitzeugnis ist: Grete Weil lebte selbst in Amsterdam im Exil und engagierte sich im Widerstand, diese Alltagsdetails sind wahrscheinlich authentisch.

Es wechseln sich romantisch gefühlige und reflektierte Innensichten ab mit dokumentarischen Nebenbemerkungen, u.a. darüber, dass selbst die jüdische Exilgemeinschaft in Amsterdam erst nach dem Krieg das Ausmaß der Vernichtung in den KZ begriff, vorher zum Teil eisern an der Propaganda vom “Arbeitslager” festhielt. Die Figuren des Romans sind vielfältig und vielschichtig, die Sympathien sind keineswegs nach Opfer-Täter verteilt. Ein Stück wichtige Nachkriegsliteratur.