Journal Montag, 21. März 2022 – Hanya Yanagihara, A little life
Dienstag, 22. März 2022Es wäre mal wieder Zeit für eine gute Nacht, finde ich. Auf Montag gab es nach einem der vielen Aufwachen eine Pause, die mich fast zum Aufstehen und Lesen gebracht hätte, aber dann schlief ich doch wieder ein.
Ein herrlicher Morgen mit Mond über der Portalklinik. Und dann sah ich auch noch einen Specht an der Wasserschale auf dem Balkon trinken.
Am Sonntag hatte ich das Angebot der Nichte angenommen, ein Paar ihr zu großer Schuhe aufzutragen (mit 17 schwindet wohl die Hoffnung, ein Jahr nach dem Kauf irgendwie reinzuwachsen) – und nun besitze ich schlagartig die weißen Schnürschuhe, die ich für diesen Nichtwinter angepeilt hatte. Ich trug sie gestern gleich zu meiner roten Hose und schickte der Nichte ein Danke-Foto vom ersten Einsatz.
Vormittags war ich im Büro bleimüde bis zum Schwindel. Zumindest bekam ich nach 24 Stunden wieder Hunger, mittags gabe es Bananen, Hüttenkäse, Orange.
Der Bürotag bestand aus zügigem Arbeiten, draußen schien durch leichten Wolkenschleier die Sonne. Nach Feierabend stoppte ich beim Vollcorner für ein paar Einkäufe – und sah am Bavariaring die erste Zierkirsche in Blüte.
Zu Hause eine Runde Yoga, mittel angenehm, Balance war aus. Zum Nachtmahl verarbeitete Herr Kaltmamsell den Topinambur aus Ernteanteil zu Suppe und servierte sie mit Topinambur-Chips, gebratenen Schinkenwürfeln, gebratenem Brot – sehr gut, als Suppe entfaltet Topinambur meiner Erfahrung nach am besten seinen Eigengeschmack. (Und unsere Bäuche können inzwischen beide gut mit dem Inulin darin umgehen, keine Bauchschmerzen mehr.)
Zum Nachtisch reichlich Süßigkeiten. Wäsche aufgehängt, ich hatte nach Yoga eine Maschine Dunkles gefüllt.
Im Bett begann ich ein neues Buch, das empfohlene Menopause Manifesto von Jen Gunter. Mal sehen, ob der Feminismus mehr als “Da muss man halt durch” zum Klimakterium weiß.
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Ich kann Hanya Yanagiharas A little life um 35 Jahre Freundschaft von vier Männern empfehlen. Die vier lernen sich im Studium kennen, die Handlung begleitet ihre Verbindung mit geografischem Mittelpunkt in New York. Im Zentrum steht Jude, von dem es gleich zu Anfang heißt, dass er schwere körperliche Beschwerden hat und den anderen drei klar ist, dass er ausdrücklich nicht über ihre Ursachen sprechen möchte – worauf sie Rücksicht nehmen.
Die Lektüre des dicken Buchs nahm mich mit – aber aus anderen Gründen als “Trauma Porn”, was ihm hier vorgeworfen wurde. Mir ging vor allem der Selbsthass der Hauptperson nahe, dieser unausrottbare, einfach nicht wegliebbare und zerstörerische Selbsthass jenseits aller faktischen Wahrnehmung. Am schönsten aber fand ich den ausführlichen ersten Teil, der das Set-up entwirft und das Personal einführt.
Und was die Grausamkeiten betrifft, die substanzieller Bestandteil der Geschichte sind: Sie sind meisterlich indirekt erzählt, gerade die brutalen Passagen. Das Schlimme passiert in Auslassungen und damit nur im Kopf der Leserin. Was sehr direkt erzählt wird, sind die Auswirkungen aufs Opfer, das den Folgen nie wieder entkommt, dessen Seele zerstört ist. Ein paar mal wendet Yanagihara die Technik an, ein deutlich späteres Ereignis anzudeuten (foreshadowing), dann aber erst mal nach dem Ereignis weiterzuerzählen, zum Beispiel den Bruch von JBs Versprechen, Bilder von seinen Freunden zu mit deren Einwilligung auszustellen.
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Hannah Gadsby hat eine Autobiografie veröffentlicht und aus diesem Anlass einen Artikel im Guardian geschrieben:
“Hannah Gadsby on her autism diagnosis: ‘I’ve always been plagued by a sense that I was a little out of whack’”.
Ihr ist wichtig:
Please stop expecting people with autism to be exceptional. It is a basic human right to have average abilities.
Auf Deutsch:
“Bitte hören Sie auf, von Autist*innen eine außergewöhnliche Persönlichkeit zu erwarten. Es ist ein Menschenrecht, ganz durchschnittlich behindert zu seine Fähigkeiten zu haben.”
I was told I was too fat to be autistic. I was told I was too social to be autistic. I was told I was too empathic to be autistic. I was told I was too female to be autistic. I was told I wasn’t autistic enough to be autistic
Interessant fand ich:
I am unable to intuitively understand what I am feeling, and I can often take a much longer time to process the effects of external circumstances than neurotypical thinkers.
No na, darin sind manche von uns Neurotypischen aber auch richtig schlecht. Ich verwende viel Energie darauf, wenigstens für meine Umwelt halbwegs konsistent und berechenbar zu erscheinen. (Nein, ich bin recht sicher nicht auf dem Spektrum. Sondern nur halt so. Ganz normal etwas seltsam.)