Journal Samstag, 12. März 2022 – Der erste echte Frühlingstag

Sonntag, 13. März 2022 um 8:58

Ich wachte in Herrn Kaltmamsells Zimmer auf: Nachdem die Nacht bereits durch Glutattacken und Krämpfe zerstückelt worden war, hatte mich auch noch sein Schnarchen neben mir vom Einschlafen abgehalten – ich nahm mein Kindle (als Lesestoff für den Fall, dass ich komplett nicht mehr schlafen können würde) sowie mein Kopfkissen und zog um. Tatsächlich schlief ich dann drei Stunden am Stück bis kurz vor sieben.

Sonniger Morgen mit Bettwäschewaschen (bisher funktioniert das ohne Trockner eigentlich ganz gut, das zusätzliche Zimmer in der neuen Wohnung zahlt sich aus), Bloggen und Milchkaffee.

Ich machte mich fertig für eine Schwimmrunde, vorher brachte ich noch Schuhe zur Schusterin in der Müllerstraße.

Radeln durch die Sonne zum Dantebad: Es war warm genug geworden, dass ich meine dicken Skifäustlinge gegen Fingerhandschuhe tauschte.

Vor und im Dantebad überraschend viele Leute, auch in Umkleide und Dusche (eine sechsköpfige Frauengruppe kann beim derzeitigen Bedarf nach Abstand alles blockieren). Im Becken ging es aber trotz vieler Schwimmer*innen friedlich zu. Dass ich mich mitten auf der Bahn einmal fürchterlich verschluckte, lag am Wind, der Wellen aufwühlte. Ich beließ es dennoch bei meinen 3.000 Metern im Sonnenschein, weil sich meine Zehen schon nach 2.000 Metern immer wieder zu lustigen, aber schmerzhaften Krämpfen krallten.

Auf dem Rückweg hielt ich an für ausführliche Einkäufe im Supermarkt fürs Abendessen. Und weil ich eh schon mal da war, Käse und Obst (hungrig einkaufen ist super – nie bringe ich mehr wunderbare Leckereien mit, über die ich mich später sehr freue). Es war richtig mild geworden und roch ganz eindeutig nach Frühling – endlich, hurra! Vor unserem Haus hatte ich schon vor ein paar Tagen Veilchen entdeckt.

Daheim versorgte ich den Strauß Tulpen, an dem ich nicht vorbeigekommen war, verräumte Einkäufe, hängte nasses Zeug auf. Mit Herrn Kaltmamsell nahm ich eine U-Bahn bis zur Endhaltestelle Moosach: Unser griechisches Olivenöl aus Solidarscher Landwirtschaft (vermittelt von unserem Kartoffelkombinat) war eingetroffen, in einem Innenhof konnten wir es abholen. Ich hatte zwei zusätzliche Hände mitgenommen, da ich vier Kanistern bestellt hatte statt der zwei im Vorjahr – dachte ich. Meine Angabe “vier Kanister” löste Verwirrung aus, da ich auf der Bestellliste mit nur zwei eingetragen war: Die supergeduldigen Organisator*innen sahen nach und konnten belegen, dass ich tatsächlich statt zweimal einen ganzen tatsächlich zweimal einen halben Ernteanteil bestellt hatte. Doch ich wurde beruhigt, es seien noch zwei Kanister übrig, die ich mitnehmen und nachträglich begleichen könne. Es war mir ausgesprochen peinlich, dieses Durcheinander ausgelöst zu haben – offensichtlich hatte ich beim Bestellen mal wieder um eine Ecke zu viel gedacht.

Die U-Bahn war sehr ungenehmen voll, aber meine Corona-Warn-App zeigt ohnehin in leuchtendem Rot immer weitere Risikobegegnungen an (zudem meldet Deutschland täglich 200 bis 250 Corona-Tote, die vor gar nicht allzu vielen Monaten noch große und breite Sorge begründet hätten), es ist wirklich nur eine Frage der Zeit, bis auch mich eine Infektion erwischt. Das kalkuliere ich inzwischen bei allen Plänen für die nächsten Wochen ein: Dass ich sie wegen Quarantäne oder Erkrankung nicht umsetzen kann. Aber offiziell ist Corona in Deutschland ja am 20. März vorbei – bis dahin werden wir uns alle ganz schön mit Krankwerden und Genesen beeilen müssen.

Um halb vier setzte ich mich endlich zum Frühstücken: Semmeln, spontan gekaufter Käse (!), eine Mohnzelte. Das machte mich angenehm bettschwer: Ich legte mich hin zu einem Schläfchen – für das ich mir das Bettzeug von Herrn Kaltmamsell lieh, meine Überzüge waren noch nicht trocken. Eine Stunde Tiefschlaf.

Nach Internet- und Zeitunglesen hatte ich genug verdaut für eine Runde Yoga.

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https://youtu.be/kJ_bm5NCWTs

Mal eine andere Vorturnerin mit anderem Yoga, danke für den Hinweis an Micha. Mir war beim Titel “Intermediate to Advanced” klar gewesen, dass ich vieles nicht können würde, aber ich wollte halt mal bei den Großen mitmachen und war neugierig. (Außerdem hatte ich mit schnellem Durchklicken des Videos sichergestellt, dass der für mich machbare Anteil groß genug war.) Das war dann sehr anstrengend, ich kam so sehr ins Schwitzen wie noch nie zuvor bei Yoga. Mal sehen, ob ich Kopfstand oder Balancieren nur auf zwei abgewinkelten Armen jemals machen werde – muss ja nicht.

Herr Kaltmamsell hatte mein Wunsch-Abendessen gekocht:

Garnelen-Curry mit dem bayerischen Reis, den wir in Eching gekauft hatte. Der Reis schmeckte gut, er war im Reiskocher eher kernig geworden, eignet sich wahrscheinlich besser für Risotto. Nachtisch Süßigkeiten.

Abendunterhaltung: Die beiden letzten Folgen der zweiten Staffel Beforeigners, waren in Ordnung (das ist von mir ja schon ein riesiges Lob, dass ich eine Fernsehserie überhaupt gucke).

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 11. März 2022 – Restebacken: Mohn

Samstag, 12. März 2022 um 8:01

Nachts nicht auffallend häufig aufgewacht, bei Weckerklingeln dennoch Gefühl der Erschlagenheit.

Nochmal strahlendster Sonnenmorgen, nochmal knackiger Frost auf dem Weg in die Arbeit.

Am Bavariapark sah ich die Magnolienknospen wachsen, die Kastanienknospen aber sind noch ganz klein (wie es sich um diese Zeit im Jahr gehört).

Gut strukturierter und machbarer Arbeitstag. Mittags gab es Hüttenkäse, Banane, Orange mit Joghurt. (Wird Frugalismus bereits als Ernährungsideologie vermarktet? Definiert als ungemischte Speise? Nicht zu verwechseln mit Trennkost?)

Nach Freitags-frühem Feierabend ging ich direkt nach Hause, trotz Sonne und ohne Wolken biss mich der Wind auf der Theresienwiese böse. Ich hatte Pläne: Waldviertler Mohnzelten. Eine angebrochene Packung Mohn musste weg, so kam eins zum anderen, Sie kennen das. Obwohl der Rest Mohn nur aus 140 Gramm bestand und ich auch die anderen Zutaten für die Füllung runterrechnete, reichte Sie für die Gesamtmenge Teig (den ich mir auch als Basis für Quarktaschen sehr gut vorstellen kann).

Als ich das erste von zwei Blechen in den Ofen schob, gab es Alkohol, erst mal in Form von Gin Tonic. Alkohol ist toll: Die Anspannung und die schlechte Laune des Tages waren in wenigen Minuten weg.

Herr Kaltmamsell kochte das Nachtmahl. Er hatte sich vom Metzger zu ungewöhnlichen Schnitten Rindfleisch zum Braten beraten lassen und herausgefunden, dass es auch in der Metzgerkunst Entwicklungen gibt: Das Flat Iron Steak aus der Rinderschulter wurde erst vor Kurzem als Teil zum Braten entdeckt, davor galt es nur schmorbar, vor allem als Sauerbraten. Es wurde tatsächlich sehr zart und schmeckte hervorragend intensiv (links auf meinem Teller).

Zudem hatte er sich einen Tafelspitz mit Fettrand (rechts auf meinem Teller) als unkonventionelles Pfannenfleisch empfehlen lassen, in Südamerika sei der Schnitt unter dem Namen Picanha typisches Grillfleisch. Auch das schmeckte gut, fiel nur im Vergleich mit dem Flat Iron Steak ab. Dazu gab es cremige Polenta mit gebratenen Pilzen und roter Paprika, im Glas ein spanischer Rotwein Prometus aus Castilla León. Nachtisch Süßigkeiten.

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Jetzt kann ich endlich erklären, warum ich trotz neuer Rekordzahlen zu den (noch) nicht Covid-19-Infizierten gehöre: Ich bin einfach zu hübsch für Corona.
“Coronavirus-News: Neue Studie! Sind schöne Menschen besser vor einer Corona-Infektion geschützt?”
(Wunderbares Beispiel, an dem man Datengewinnung und -interpretation von Studien analysieren kann.)

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@Buddenbohm hat mich auf einen Twitter-Account gebracht, den ich umgehend abonniert habe: @DancerOnFilm mit täglichen Tanzschnipseln aus Filmen – Balsam für die bittere Timeline.

Gestern zum Beispiel mit Sara Montiel und ihrem “Los Piconeros” aus dem Film CARMEN LA DE RONDA von 1959. Olé.

(Und die Kleider/Röcke aus den 20er- bis 40er-Musicals will ich eigentlich alle haben.) (Welche Farben würden Sie zum Beispiel für dieses von Ruby Keeler vorschlagen?)

die Kaltmamsell

Journal Donnerstag, 10. März 2022 – Yoga-Tempi

Freitag, 11. März 2022 um 6:36

Diesmal wieder eine zerhackte Nacht, wir sind ja hier nicht im Paradies.

Der Tag startete strahlend und sonnig. Ich genoss den Marsch in die Arbeit, auch wenn es weiterhin knackig frostig war.

Straffer Arbeitsrhythmus am Vormittag, ich gewann ein paar kleinere Kämpfe mit dem neuen IT-System.

Mittags gab es restliche Falaffel vom Vorabendessen, außerdem einen Kopf Radiccio frisch geschnippelt mit Balsamico-Dressing.

Die sonnige Wolkenlosigkeit hielt den ganzen Tag an. Bei aller Kälte und aller Frühlingssehnsucht ist mir sehr bewusst, wie lange es schon nicht mehr geregnet hat. Auch während der Stürme gabe es ja lediglich ein paar Duscher, der Boden braucht aber viele Tage sanften Landregen (meine landwirtschaftlichen Vorfahren – wie sie jede statistisch hat, mal näher, mal ferner – schlagen brutal durch).

Amüsement des Tages: Wie schon am Vortag eine Anruferin auf meinem Privat-Handy, die sich auf Englisch als “Europol” meldete. Meine “German ID” sei gestohlen worden und ich müsse jetzt Dinge tun (auf Tasten drücken). Gestern von einer anderen Telefonnummer als am Vortag – mir fällt auf die Schnelle nicht ein, welcher Scam das sein könnte.

Recht pünktlicher Feierabend, denn ich hatte einen Friseurtermin, wieder absichtlich vor die Phase “Oh Gott ich brauche dringend einen Friseur” gelegt. Ich spazierte in sinkender Sonne durchs Westend und über die Hackerbrücke an den Stiglmaierplatz, ließ mir die Haare ratzekurz schneiden. (Vielleicht fällt mir auch mal wieder etwas anderes ein, aber jetzt halt erst mal nicht.)

Dennoch war ich früh genug für eine Runde Yoga daheim. Ich hatte mir eine Rundum-Folge des 30-Tage-Programms Breath von Anfang 2021 ausgesucht – und war überrascht, wie viel ruhiger und langsamer Adriene hier turnt. Während ich bei Move immer wieder vermisst hatte, auch mal eine Bewegung oder Haltung auskosten zu können, weil es gar so sportlich zuging, war mir dieses Tempo jetzt viel zu langsam, ich ließ die letzten Minuten sogar aus Ungeduld weg.

Nachtmahl von Herrn Kaltmamsell: Das Glas Ratatouille aus dem vorwochentlichen Ernteanteil erhitzt und serviert mit Spiegeleiern, dazu machte ich den Postelein-Salat aus gestern geholtem Ernteanteil an. Nachtisch Süßigkeiten, Abendunterhaltung die nächste Folge Beforeigners, dann gucke ich die Staffel halt durch.

Der Krieg in der Ukraine taucht hier praktisch nicht auf. Nicht, weil er mich nicht beschäftigen würde (ich informiere mich zum Beispiel deutlich aktiver als Herr Kaltmamsell). Sondern weil ich a) keine Ahnung davon habe, weder vom Krieg dort noch vom Fliehen, und b) komplett hilflos und gelähmt bin. Aktueller Status: Die russischen Streitkräfte attackieren die Städte weiter, Zerstörung und Opferzahlen sind hoch, allein nach Polen sind bereits anderthalb Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen.

die Kaltmamsell

Journal Mittwoch, 9. März 2022 – Unterkunftjagd

Donnerstag, 10. März 2022 um 6:32

Wieder ein ERST?! Mittwoch.

ABER! Ich hatte hervorragend geschlafen; als mich der Wecker weckte und ich erst mal vom Bett aus in den Himmel mit erster Ahnung von Licht schaute, wurde mir klar, dass ich durchgeschlafen hatte, ohne ein einziges Aufwachen. (Offensichtlich nur ein temporärer Aussetzer des Östrogenschwankens, schon ab Vormittag war im Büro wieder Temperatur-Achterbahn.)

Klarer, sonniger Morgen, immer noch KALT. Bockig trug ich meine Drinnen-Schuhe auch auf dem Weg in die Arbeit und kam mit eisigen Zehen im Büro an.

Erst mal ruhige Arbeit, viele Abstimmungen. Mehr hätte ich auch nicht geschafft, meine Konzentrationsfähigkeit war die eines fünfmonatigen Welpen.

Mittags gab es einen Rest Weißkraut mit Nudeln vom Vorabend, Banane, Orange.

Der Nachmittag wurde ein wenig anstrengend, mit eh schon schlechter Laune noch anstrengender, denn: Auch die zweite reservierte Unterkunft in Berlin machte einen Rückzieher.

Nach Feierabend ging ich auf direktem Weg über die Theresienwiese nach Hause; während ich beim Verlassen des Bürogebäudes eine Ahnung von Frühling im Abendlicht gerochen hatte, biss mich dort wieder der Wind in die Wangen.

Daheim suchte ich auf verschiedenen Ferienwohnungsplattformen weiter nach Unterkunft in Berlin und schickte nach Absprache mit Herrn Kaltmemsell die dritte Anfrage. Auf Yoga hatte ich keine Lust, statt dessen flickte ich einen Unterziehpulli (nach 15 Jahren löste sich eine Halsnaht, Unverschämtheit), bevor ich unser Abendessen bestellte: Ernteanteil war aufgegessen, ich holte etwas von Servus Habibi.

Falaffel unten, Labneh und Brotfladen für mich, Aubergine mit Rinderhack oben, Labneh und Brotfladen für Herrn Kaltmamsell.

Erleichterung noch vor der Tagesschau: Die Bestätigung der Wohnungsbuchung traf ein, wir kommen im Juni also in Berlin Friedrichshain unter.

Abendunterhaltung war Folge 3 von Beforeigners, dann versuchte ich mal eine andere Bildbearbeitungs-Software (nämlich die mitgelieferte meines MacBooks), um das Qualitätsproblem nach Verkleinerung zu lösen.

§

Schuhauszieh- und Schuhanbehalt-Wohnungen: Fürs kosmische Gleichgewicht hier die Polemik einer vehementen Auszieherin. (Wobei ich von Anfang an Kulturen mit integralen Schuhgebräuchen aus der Überlegung ausgeklammert hatte – selbstverständlich berücksichtige ich die jederzeit und richte auch mein Styling als Gast darauf aus.) (Und ich würde mich über Fotos eines Cocktail-Abends im Haus der Auntie Chih-Mei der Autorin freuen: Cocktailkleid an house slippers.)
“Here’s why your shoes will be staying the hell out of my house”.
Vielleicht liegt der Schlüssel der Unterteilung in der Art der Einladungen, die für diese Wohnungen ausgesprochen werden? Wer zu großen Familienfeiern, zu Dinner Parties, Cocktailpartys einläd, hat eher eine Schuhanbehalt-Wohnung?

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 8. März 2022 – Arztpraxis-GmbHs

Mittwoch, 9. März 2022 um 6:48

Etwas mehr Luft am Morgen für Bloggen und Herrichten, weil ich um acht erst mal zur nahe gelegenen Hausarztpraxis für mein Rezept spazierte (sonst gehe ich meist vor halb acht los in die Arbeit). Dort machte die Backoffice-Organisation schon mal einen guten Eindruck, die Angestellten wirkten sympathisch und fröhlich (alle mit FFP2-Masken statt der eigentlich nur vorgeschriebenen magisch antiviralen Plexiglas-Scheibe), einen der am Schild angeschriebenen Ärzte sah ich auf dem Gang vorbeilaufen (werden die immer jünger? bitte nicht antworten).

Die Praxis ist Teil einer GmbH, die sechs Praxen in München betreibt. Den ganzen Tag ging mir dieses eher neue System niedergelassener Ärzt*innen im Kopf herum. Mir als Laie erscheint das ausgesprochen praktisch, dass sich medizinisches Personal nicht mit Unternehmertum und wenig mit Verwaltung befassen muss, für das es nicht wirklich ausgebildet ist, sondern dass das zentral von einer Firma übernommen wird, die sich sehr wahrscheinlich auch um die Ausstattung der Praxen kümmert, inklusive Software und Wartung (diese konkreten Praxen haben eine wirklich geschickte Online-Terminverwaltung, die ich mir hatte erklären lassen), um Personalmanagement, Patientenorganisation etc. Dass sich das medizinische Personal auf die Medizin konzentrieren kann. Ärzt*innen müssen sich nicht zwischen einem Berufsweg in einem Krankenhaus (brutale Arbeitszeiten) und dem mühevollen Führen oder gar Aufbauen einer eigenen Praxis entscheiden, sondern können das Arbeiten in einer Praxis mit Anstellung kombinieren. Vielleicht ist das die eine positive Seite unserer sonst besorgniserregenden geschäftlichen Entwicklung im Gesundheitswesen? Allerdings kann ich mich nicht in die ärztliche Sicht auf dieses Konstrukt hineindenken. Privat kenne ich nur einen Kardiologen, der nach Jahrzehnten als Klinik-Arzt jetzt Teilzeit in solch einer Praxis arbeitet und das System super findet, weil es ihm so viel Freiheit gibt.

Durch weiterhin beißende Kälte marschierte ich ins Büro. Vormittags folgte eine Online-Besprechung auf die andere, dazwischen Live-Abstimmungen – ich kam nicht mal zu meinem Vormittags-Cappuccino.

Mittags schoss ich kurz raus, um mein Rezept einzulösen und bei der Gelegenheit weitere Medikamente zu besorgen – ich komme in das Alter, wo Apothekenbesuche unter “Shopping” fallen.

Bei dieser Gelegenheit ein kleines Kind getragen, war dann gar nicht schlimm. (Die Mutter kämpfte auf der U-Bahn-Treppe mit einem Kinderwagen, ich bot Hilfe an, sie drückte mir den Kinderwageninhalt in den Arm und trug den Wagen hoch.)

Zu essen gab es mittags Äpfel, außerdem ein Stück Kartoffel-Lauch-Quiche vom Vorabend.

Auch der Nachmittag im Büro hatte eine hohe Schlagzahl, ich musst mich zu Hochkonzentration und zum Durchhalten zwingen. Das geht schon mal, aber ich weiß, wie schnell und sehr es mich das als länger andauernder Zustand kaputt macht. Genauer: Gemacht hat, ein paar Mal zu oft davon gehörten zu den Faktoren, die mich zum Abbruch meines Berufswegs gebracht haben.

Heimweg nach Feierabend über einen ausführlichen Lebensmittel-Einkauf beim Vollcorner, es war etwas weniger kalt geworden. Daheim die letzte Folge Yoga des 30-Tage-Programms Move von Adriene, wie alle ihre letzten Folgen ohne Ansagen, nur mit Vormachen. Ging ganz gut, aber vom Asana Halbmond bin ich weiterhin weit entfernt.

Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl das Weißkraut aus Ernteanteil gebraten mit Nudeln, gut, warm und sättigend. Nachtisch Schokolade.

Die Buchung der Unterkunft in Berlin hatte nicht funktioniert, ich musste neu suchen. Hoffentlich klappt dieser zweite Versuch.

Abendunterhaltung eine weitere Folge Beforeigners. Ich merke, dass mein Interesse erlahmt; in der ersten Staffel war das für mich Spannendste das world bulding, also das geschickte Erzählen und Darlegen dieser fiktionalen Welt mit Zeitmigration. Das wird jetzt ja vorausgesetzt.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 7. März 2020 – Ärztliche Treulosigkeit, Beifang aus dem Internetz

Dienstag, 8. März 2022 um 6:46

Ordentliche Nacht, nur wenige Male aufgewacht.

Als Herr Kaltmamsell fast zeitgleich mit mir aus seinem Zimmer kam, winkte er mich herein und zeigte mir: In den Kastanien vorm Fenster übernachtete ein großer Krähenschwarm; er hatte ihn entdeckt, als gerade ein Dutzend wegflog.

Ein grauer Tag. Auf dem Weg in die Arbeit schwebte alle paar hundert Meter eine Schneeflocke herab, so langsam, dass sie in der Luft zu stehen schienen – es war KALT.

Vormittags eine unangenehme Überraschung: Meine langjährige und geschätzte Hausärztin hat ihre kassenärztliche Zulassung abgegeben und behandelt nur noch Privatpatient*innen und Selbstzahlende. Das erfuhr ich, als ich turnusmäßig in der Praxis anrief, um meinen Bedarf nach einem Rezept anzukündigen. Die Praxis-Website, auf die ich für Hintergründe verwiesen wurde, nennt einen allgemeinärztlichen Übernehmer der Patientenkartei, den ich gleich anrief: “Grüß Gott, mein Name ist Kaltmamsell, ich war bis vor zwei Minuten Patientin bei Frau Allgemeinärztin.” Dass die Angestellte am Telefon daraufhin lachte, macht diese Praxis ja schon mal sympathisch. Dienstagmorgen gehe ich hin, stimme der Übernahme meiner Daten zu und bekomme hoffentlich das Rezept (knapp kalkuliert, für Mittwoch habe ich schon nichts mehr – künftig rechne ich solche Verzögerungen zur Sicherheit ein).

Mittags gab’s Äpfel (aus Ernteanteil und besonders köstlich: mit Kirscharoma!) und eine Kürbiskernsemmel, die vom samstäglichen Frühstück übrig war.

Uuuuuund wieder lustiges Jacke-an-Jacke-aus/Fenster-auf-Fenster-zu-Ballett auf der klimakterischen Körpertemperatur-Achterbahn. Mein Körper gaslighted mich.

Über den Tag immer wieder Sonne, der Büroturm am Heimeranplatz entwickelt sich. (Und das Sheraton am Heimeranplatz gibt es wohl nicht mehr: Ich entdeckte schon vor Wochen, dass das stattliche rote Logo entfernt worden war, die Fenster sind dunkel.)

Der Heimweg war wieder beißend kalt, ich merke, dass ich langsam ungehalten werde über die Notwendigkeit von Wintermantel, dicker Mütze und dicken Handschuhen. Einkaufsabstecher im Drogeriemarkt.

Zu Hause sortierte ich mal wieder anderthalb Meter Bücher aus – so schön! Es gibt so viele Bücher, die ich noch lesen möchte, da ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass ich Märchenbücher aus Kinderzeit, die gesamten Dörrie-Romane und -Kurzgeschichten oder Dumas’ Graf von Monte Christo in der gebrauchten Buchclub-Ausgabe vom Flohmarkt vermissen werde.

Nochmal die Runde Yoga vom Sonntag, wieder interessant.

Herr Kaltmamsell hatte fürs Nachtmahl restliche Kartoffeln und Lauch aus Ernteanteil in eine wundervolle Quiche verwandelt.

Abendunterhaltung: Die zweite Staffel Beforeigners ist da, Herr Kaltmamsell hatte sie am Wochenende gleich mal gesichert. Wir guckten die erste Folge.

§

CNN berichtet, wie die Redaktion Bilder und Videos von Social Media prüft, die angeblich aus dem Ukraine-Krieg kommen – an einem konkreten Beispiel (so machen das praktisch alle seriösen Redaktionen):
“How CNN geolocates and verifies social media footage from Ukraine”.

via @stedtenh0pp1A

§

Simon Borowiak musste von 2000 bis 2005 um die Behandlung seiner Transiden­tität kämpfen. In der taz schreibt er drüber – ziemlich lustig und mit überraschenden Details.
“Aus dem Leben eines trans Mannes”.

via @vonhorst

Abgesehen von der extremen Erleichterung durch die körperliche Anpassung kann ich endlich tun, was mir bisher verwehrt wurde. Zum Beispiel zur Wahl bei „Deutschlands unbegehrtester Junggeselle“ antreten. Und: Transsein ist bewusstseinserweiternd. Weil ich jahrzehntelang im inner circle von Frauen lebte und mit diesem Geheimwissen nun im inner circle von Männern – da lernt man beiderlei interne Sozialgesetzgebung kennen und die jeweiligen Mätzchen zu durchschauen.

Man bekommt einen Röntgenblick auf den Geschlechterzirkus. Auch fit haltend: Es kommt vor, dass ich mit meinem Status quo ante und der jetzigen Außenwirkung inkongruent bin. Zum Beispiel verlor ich früher in Disputen gern die Geduld. Und war mein Gegenüber männlich und unsympathisch, beendete ich das Gespräch mit einem aggressiven: „Wollen wir vor die Tür?“

Das war schon ernst gemeint, aber ich konnte mich ja darauf verlassen, dass schlimmstenfalls gelacht wurde. Dieses alte Wutmuster ist mir jüngst noch mal unterlaufen; erst als sich mein schrankgroßes Gegenüber erhob, wurde mir klar, dass ich da etwas vergessen hatte.

§

Mal ein ganz anderer Handwerker-Besuch, nämlich bei Gaga Nielsen:
“23. Februar 2022”.

§

Ein herrliches Portrait der 90-jährigen Rita Moreno mit Interview:
“Rita Moreno is Just Getting Started”.

Achtung, West Side Story-Spoiler – aber die Fotos! Wieder ein schönes Beispiel, dass Jugendlichkeit keine Bedingung für Schönheit ist. Aber unbedingt auch die alten Life-Fotos anklicken.

§

Der eigentliche Sündenfall. Naturwissenschaftlich betrachtet.

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https://youtu.be/TnLdO3PYZHM

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 6. März 2022 – Schwiegerfamilienzusammenkunft

Montag, 7. März 2022 um 6:23

Nach dem späten Vorabend zu früh aufgewacht, aber ich hatte zwischen einigen Aufwachen mehrere Stunden am Stück geschlafen.

Gemütlicher Morgen, draußen war es hell und trocken. Vormittags machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof: Wir waren wieder von Schwiegers in Augsburg eingeladen, diesmal mit allen ihren Söhnen und deren Familien.

Unterwegs entdeckte ich, dass das Münchner Bahnhofsviertel auch einen ortsspezifischen Fetisch bedient.

Wie diese Bedienung im Detail aussieht, mochte ich mir nicht ausmalen.

In Augsburg wurden wir wieder abgeholt und zum italienischen Restaurant vom Vorsonntag gefahren. Ich freute mich sehr, die Schwagerfamilien nach langer Corona-Pause mal wieder zu sehen, alle wohlauf.

Hier wird Respekt für Technik gezeigt: Die ausgemusterte Espressomaschine bekommt ihr Gnadenbrot als Deko im Keller des Restaurants.

Nach Aperitif (ein Erdbeer-Campari-Spritz) und sehr gutem Brot mit Olivenöl aß ich hausgemachte Ravioli mit Butter und Salbei. Bei den Schwiegers daheim gab’s Kaffeeundkuchen (ich beließ es bei Tee) zu mehr Spaß und Geschichten. Herr Schwieger drapierte alle aufs Sofa zu einem Gruppenfoto mit Selbstauslöser – eine sehr gute Idee, erfahrungsgemäß sind es genau diese Bilder, die später am häufigsten rumgereicht werden, die man gemeinsam ansieht.

Auch zur Rückfahrt wurden wir am späteren Nachmittag an den Bahnhof gefahren. Wir hatten noch ein wenig Zeit, bis unser Zug kam, und drehten eine kleine Runde durch den benachbarten Protestantischen Friedhof – historisch interessant (gegründet 1534, mit den Gräbern von Stadtwerkmeister Elias Holl, Angehörigen der Familien Schaezler, Riedinger, Klaucke, Firnhaber, den Eltern von Bert Brecht sowie von Anna Barbara von Stetten), aber bis heute für Beerdigungen genutzt. Es war weiterhin unangenehm kalt.

Zurück daheim in München stellte ich fest, dass einer der beiden neuen Ohrringe, die ich gestern zum ersten Mal getragen hatte, weg war – ich hatte ihn vermutlich bei einem Maskenaufsetzen oder -abnehmen erwischt. Ach Männo.

Geknickt absolvierte ich umfassende Pedi- und Maniküre (Augenroll-Emoji), damit hatte ich mir eine Runde Yoga verdient (diese vorletzte Folge der 30-Tage-Serie Move mache ich nochmal).

Fürs Abendessen hatte ich wieder genug Hunger, es gab gewurstetes Rührei und Käse, danach Süßigkeiten. Auf Fernsehen hatten wir beide keine Lust. Statt dessen buchte ich endlich eine Unterkunft in Berlin zur nächsten re:publica im Juni, daraus wird eine ganze Woche Berlin-Urlaub werden. Auf die ich mich ab sofort freuen kann!

die Kaltmamsell