Journal Mittwoch, 3. Juli 2019 – Rehawörter

Donnerstag, 4. Juli 2019 um 7:18

Mal sehen, wann das hier mit wirklich sportlicher Bewegung losgeht – selbst an normalen Bürotagen bewege ich mich so viel wie hier in den vergangenen beiden Tagen. (Das ist ein sehr detaillierter Post, weil ich zwischen allen Tagesordnungspunkten Zeit zum Aufschreiben hatte.)

Gestern war das Sporthindernis, dass weiter eingeführt wurde. Der Tag begann um 6.45 Uhr mit Blutabnahme, Übergabe des Therapieplans für die nächsten Tage und “Bufettschulung” – letzteres bekam sofort einen Platz unter meinen Lieblingswörtern, bedeutete aber lediglich, dass Grundsätzliches zu Mengen, Bestandteilen und Kaloriengehalt der angebotenenen Speisen gesagt wurde. Anschließend theoretisch Frühstück, das halt auch hier viele Stunden vor Einsetzen meines Appetits liegt. Die eine Chance, die ich dem Kaffee gab, bleibt die letzte, am Donnerstag probiere ich Schwarztee. Die harten grünen Birnen, die das einzige angebotene Frischobst waren (im Juli), ließ ich liegen.

Blick aus meinem Zimmerfenster.

Ruhe-EKG, dann die erste Einführung: Hier gibt es keine Menschen für Massagen, sondern eine Maschine, die “Brain light” heißt (ich erfinde nichts). Sie besteht aus einem gigantischen Lederfernsehsessel, in dem man Kopfhörer und eine Brille aufsetzt: Je nach gewähltem Programm (es gibt ca. 30) kommen aus dem Kopfhörer aufmunternde Worte und Musik oder nur Musik; die Brille, so hieß es, machte therapeutische Farben, Blitze, Funken. Die Maschine sah sehr teuer aus, ist aber sicher immer noch günstiger als ein Mensch – der ja eine aufwändige Ausbildung braucht, um sich, anders als die Maschine, auf jeden Patienten einstellen zu können. Am Freitag habe ich den ersten Anwendungstermin dafür.

Hausdurchsage über Lautsprecher: Heute werden die Klinik mit einer Drohne gefilmt, man möge zwischen 8.30 und 10.30 Uhr die Zimmerfenster schließen und die Jalousinen oben lassen.

Zweite Einführung: Vortrag “Grad der Behinderung”. Eine Expertin erläuterte Gesetzeslage, bürokratische Abläufe und alle Formulare, die es für den Antrag auf Schwerbehinderung braucht, inklusive Formulierungs- und Terminierungstricks. Ich war ein wenig verstört über Satzanfänge wie “wer das Glück hat, 50 Prozent zu bekommen”, weil ich bislang davon ausgegangen war, dass eine Schwerbehinderung weder ein Lottogewinn noch ein Karriereschritt ist.

Obwohl mein Kopfweh fast weg war, fühlte ich mich matschig und enegielos, die Pause bis zur nächsten Einführung nutzte ich also nicht für Ortserkundung, sondern Rumlungern und nach Öffnung der Cafeteria für einen Vollautomaten-Cappuccino.

Die nächste Gruppeneinführung war eine Anleitung Ergometer – mein erstes Mal auf dem klassischen Trimmdich-Rad. Nein, das wird nichts für mich, mir tat der Po schon nach wenigen Minuten weh, meine Lendenwirbelsäule jammerte, und Konditionstraining im Sitzen fühlte sich albern an. ABER! Das erste Mal Schwitzen seit Ankunft.

Mittagessen um halb zwölf, jetzt hatte ich Hunger. Salätchen, Rindergulasch (die vegetarische Alternative wäre Pizza gewesen), eine überraschend aromatische Banane.

Ein Stündchen Sitzen und Lesen im Freien, dann das sportliche Highlight des Tages: “Anleitung Trainingstherapie” stellte sich als Geräteeinweisung im Maschinenraum heraus. Natürlich genoss ich die Erkenntnis der Trainerin, dass sie es mit einer erfahrenen und recht kräftigen Patientin zu tun hatte – und es freute mich, dass sie auf dieser Basis die eine oder andere Erschwernis in meinen Trainingsplan einbaute (Wackelkissen!). Woran ich mich wohl gewöhnen muss: So kurz nach dem Mittagessen machte sich beim Sport der Mageninhalt bemerkbar. Zur Erinnerung: Ich kann nur mit wirklich leerem Magen unbeschwert hüpfen, schwimmen, heben. Das ist bei einem Bewegungsprogramm verteilt über den Tag zwischen acht Uhr morgens und vier Uhr nachmittags nicht durchzuhalten.

Während der Eingangsuntersuchung hatte der Arzt den Kopf darüber geschüttelt, dass ich als Schwimmstil Kraul angab, das sei nicht gut für die Lendenwirbelsäule (ich wollte nicht renitent sein und nachbohren, ob er mich denn schon mal habe kraulschwimmen sehen und mir erklären könne, was an dieser stabilen Wasserlage ohne Hohlkreuz und mit minimalem Beinschlag – beides im Gegensatz zu Brustschwimmen – bitte schlecht für die LWS ist), ich müsse rückenschwimmen. Ok, witterte ich meine Chance, aber dann müsse ich das mal systematisch beigebracht bekommen. Seine Miene hellte sich auf: Das könne man im Therapieplan eintragen. Und so ging ich gestern Nachmittag in Badeanzug und Bademantel zu “Therapeutisches Rückenschwimmen”.

Im Schwimmbecken die große Enttäuschung: Man brachte mir und vier weiteren Patientinnen keineswegs Rückenkraulen bei. Kennen sie diese Schwimmbahnen blockierenden Menschen, die auf dem Rücken im Wasser liegend vage mit Armen und Beinen wedeln? Das ist therapeutisches Rückenschwimmen. Es wurde mir als Entspannungstechnik erklärt, dezidiert keine Sportart. Weiß ich das also auch, zudem dass es sehr, sehr langweilig ist, wenn man es 40 Minuten im Kreis machen muss. Hoffentlich war das ein einmaliger Programmpunkt.

Abschluss des Reha-Tags waren zwei Vorträge der Klinikleitung. Der des medizinischen Leiters lautete “Einführung in die Rehabilitation”, war interessant und diente am ehesten dem Erwartungsmanagement: Was kann eine Reha hier im Haus und was nicht. Unter anderem erwähnte er die aktuelle Forschung zur Rolle der Faszien (wohl für die Beweglichkeit bis vor Kurzem stark unterschätzt, hingegen verabschiedet man sich auf der Basis von Evidenz gerade vom flächendeckenden Einsatz der Faszienrollen) und wies darauf hin, dass man bei chronischen Schmerzen den Schmerz ruhig auch mal ignorieren kann, wenn er sportlicher Bewegung im Weg steht. HA! Joggen, du hast mich wieder. Kann ich halt danach ein bis zwei Tage nicht aufrecht gehen, egal. (Zudem weiß ich jetzt, warum man mit meiner CD mit MRT-Bildern nichts anfangen konnte: Externe Datenträger dürfen aus Sicherheitsgründen nicht gelesen werden.)

Der kaufmännische Leiter erzählte rund um die Klinik, erklärte Hausregeln und ihre Gründe – es ist sicher nicht einfach, solch einen Laden zu managen. Und er warnte davor, in Social Media (er nannte konkret Facebook) Fotos von vergnüglichen Seiten der Reha zu posten, z.B. von Kaffee und Torte aus einem Bad Stebener Café: Er deutete an, dann könnten sich böswillige Kollegen oder die vergnatzte, weil allein gelassene Familie in der ablehnenden Haltung einer Reha gegenüber bestätigt sehen. Auch das hatten wir nicht kommen sehen, als wir das Web vor 20 Jahren mit “Everybody has a voice!” bejubelten.

Nach dem Abendessen fühlte ich mich munter genug zu einer Ortsbesichtigung (außerdem fehlte mir Draußenbewegung).

Musikpavillon im Kurpark.

Kurtheater.

Bad Steben verfügt nicht nur über auffallend viele Bäckereien/Konditoreien, sonder auch über zahlreiche offensichtlich handwerkliche Metzger – Franken halt. Im großen Edeka am Bahnhof holte ich mir ein Steckerleis. Rechtzeitig für die Tagesschau war ich wieder auf meinem Zimmer.
Temperaturen insgesamt sehr angenehm, es war schön sonnig, aber nicht heiß.

§

Ich lese begeistern Ondaatjes The English Patient, möglicherweise zum ersten Mal. Der Mann schreibt auch hier derart atmosphärisch dicht, ohne zu überfrachten – drei Sätze, und er hat mich in eine andere Zeit und in ein anderes Land mitgenommen. Insgesamt vorwärts, aber nicht linear chronologisch erzählt, wechselnde Innensichten – umso mehr fällt die bislang fehlende auf.

die Kaltmamsell

Journal Dienstag, 2. Juli 2019 – Anreise zur Reha und erste Schritte

Mittwoch, 3. Juli 2019 um 6:36

Die Reha-Unterlagen hatten ein Reiseformular enthalten, das ich mit gewünschter Ankunftszeit an die Bahn schicken sollte. Das tat ich. Die Bahn schickte mir eine Fahrkarte für Abfahrt in München kurz vor sieben zurück, ich würde also knapp drei Stunden vor gewünschter Ankunftszeit eintreffen.

In München hatte es nachts immer wieder geregnet, auch morgens gab es Gewitter. Ich genoss ein letztes Mal guten Milchkaffee und rollkofferte im Regen zum Bahnhof.

Ereignislose Zugfahrt mit Umsteigen in Nürnberg und Hof, ich las vier liegen gebliebene Süddeutsche.

Den Kilometer vom Bahnhof zur Klinik ging ich zu Fuß, um wenigstens etwas Bewegung zu bekommen.

Bis mein Zimmer fertig war und ich zum Aufnahmegespräch in die Station konnte, war noch ein wenig Zeit, ich setzte mich in den Klinikgarten.

Ob auf Station oder bei der Aufnahmeuntersuchung: Formulare alle auf Papier, ich wurde viele Dinge mehrfach gefragt. Die mitgebrachte CD mit den jüngsten MRT-Aufnahmen wurde schulterzuckend zur Seite gelegt: “CD geht nicht”. Ob ich nicht den Befund des Röntgenologen (auf Papier) dabei hätte? Nein, hatte ich nicht. Allerdings bin ich sicher, dass mein Orthopäde, der die Reha beantragt hat, dem Antrag Befunde begelegt hat – anscheinend waren sie nicht bis in die Klinik gelangt. Zumindest meinen BMI durfte der Computer ausrechnen.

Die sehr herzliche Stationsschwester schnaufte: Aus Datenschutzgründen dürfe man Patienten ja nicht mehr namentlich ausrufen (ein neues Beispiel für die DSGVO-Apokalypse von @kattascha?), deshalb bat sie mich um meine Mobiltelefonnummer. Werde ich also mein Telefon immer bei mir tragen müssen.

Ich warte noch die morgigen Untersuchungen und den angekündigten Therapieplan ab, dann habe ich mal wieder was fürs Techniktagebuch. Vor allem Abwesenheit von Technik.

Sonst kennen ich es ja, dass allein die Anwesenheit einer Ärztin oder die Wartezimmerumgebung Beschwerden verschwinden lassen; gestern hatte ich nach der Untersuchung Schmerzen wie zuletzt nach dem Joggen. Und dann auch noch böse Kopfschmerzen – Hinlegen half nicht, Ibu half nicht.

Mittags hatte ich im Garten nur meine restliche Brotzeit gegessen (Breze mit Sonnenblumenkernen, ein paar Aprikosen), also wartete ich richtig rentnermäßig mit Sehnsucht auf den Abendessenbeginn um 17.30 Uhr – wie offensichtlich alle anderen auch, Abendessen ist nämlich nur bis 18.15 Uhr. Mir wurde ein fester Platz an einem Tisch zugewiesen, früher oder später werde ich mich mit den anderen festen Menschen dort unterhalten müssen (es wurden bereits Namen ausgetauscht, man duzt). Es gab ein wenig Rohkost, Wurst, Käse, Antipasti-Gemüse, Brot.

Ich stellte fest: Von meinem Zimmer aus höre ich einen Hahn krähen.

Um halb acht gab es für die Neuankömmlinge eine Führung durchs Haus, doch orientiert bin ich noch lange nicht. Highlight: “Hinten rechts ist Internet, das ist kostenlos.” (WLAN hingegen kostet, und zwar 1,80 Euro pro Tag, da ist Fernsehen allerdins drin. Funktioniert übrigens tadellos.)

Mehr Technik: Ich habe für die drei Wochen Reha mein Süddeutsche-Abo auf digital umgestellt – weil mir eine Freundin so davon vorgeschwärmt hatte, die sich während einer längeren Krankheitspause so wieder mit einem Tageszeitungsabo angefreundet hatte. Ich verstehe ihre Begeisterung: War ich ja schon bei meinem ersten Test vor ein paar Jahren angenehm überrascht von der Digital-Version der SZ gewesen, wurde die Funktionalität jetzt weiter für meine Ansprüche verbessert, ich habe mehr das seitenweise Lesegefühl wie bei der Papierzeitung.

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Wie Sie ja mitbekommen haben, habe ich den diesjährigen Bachmannpreis nicht mitbekommen. Auf Twitter las ich Live-Kommentare, vor allem waren alle meine Befolgten höchst angetan von Clemens Setz’ Rede zur Literatur. Die las ich endlich hinterher und folgte der Angetanheit:
“KAYFABE UND LITERATUR”.

die Kaltmamsell

Journal Montag, 1. Juli 2019 – Endspurt zur Reha, Hochsommerende

Dienstag, 2. Juli 2019 um 5:43

Unruhiger Schlaf, zu früh aufgewacht.
Haushaltliche Geschäftigkeit (Spülmaschine ausgeräumt, Wäsche aufgehängt – ausnahmsweise auf dem Balkon, um dem Putzmann nichts in den Weg zu stellen, Pflanzen gegossen), dann erst Morgenkaffee.

Abschied von der Theresienwiese als Wiese. Bereits vor acht war es heiß.

Ein heftiger Arbeitstag – es war eine gute Idee gewesen, für diesen einen Tag ins Büro zu gehen, ich konnte einiges wegschaffen, was mich in drei Wochen in Panik versetzt hätte und mit einer Kollegin Geburtstag feiern.

Schon kurz nach Mittag zog ein Gewitter auf, ich dachte mit Bangen an meine Wäsche auf dem Balkon: Diese Kleidung wollte ich ja in die Reha mitnehmen. Als Herr Kaltmamsell heimkam, stellte er fest, dass der Wäscheständer in den Wohnzimmer gestellt worden war, vermutlich vom lieben Putzmann.

Später Feierabend, auf dem Heimweg wieder ein Gewitter, aber mit nur wenigen Regentropfen. Ich kaufte Proviant für die Reha – ich rechne mit drei Wochen höchstens mäßigem Essen, wenigstens gute Schokolade und Röstnüsschen sollen mich bei Laune halten. Ein wenig Sorge bereitete mir, dass der Atemwegsinfekt, der noch nicht zu hundert Prozent kuriert war, von Neuem die Luftröhre zu attackieren scheint.

Daheim roch es bereits fantastisch, Herr Kaltmamsell kochte aus Ernteanteil-Blumenkohl und -Koriander Alu Gobi. Ich bügelte restliche Wäsche, nach dem Abendessen packte ich für Temperaturen zwischen 15 und 35 Grad.

Im Bett las ich einen Kinderbuchklassiker (?) aus: Ponzl guckt schon wieder von Dagmar Chidolue. Mit seiner Erzählperspektive ganz konzentriert auf die Hauptperson Laura gut gemacht, dadurch auch kunstfertig indirekt erzählt, ungewohnte Themen für ein Kinderbuch (u.a. alleinerziehende Mutter, Büroarbeitswelt), ohne dass es auf erwachsene Leser hin thematisiert würde. Nun kenne ich mich auf dem Kinderbuchmarkt der vergangenen 40 Jahre wirklich nicht aus, doch das hier scheint mir ein besonderes Buch zu sein.

die Kaltmamsell

Journal Sonntag, 30. Juni 2019 – Heiße Generalversammlung Kartoffelkombinat

Montag, 1. Juli 2019 um 11:13

Vor dem Wecker aufgewacht, den ich gestellt hatte, um morgens vor der diesjährigen Generalversammlung des Kartoffelkombinats noch Dinge tun zu können. Erst mal den Rahmkartoffelsalat fürs zugehörige Buffet fertiggestellt.

Morgenkaffee auf dem Balkon, bevor die große Hitze kam. Und die kam: Nachdem wir wieder alle Fenster der Wohnung geschlossen und die Rollläden heruntergelassen hatten, radelten wir zum Leonrodplatz, auf jedem unbeschatteten Abschnitt erschlagen von der Sonne.

Die diesjährige Generalversammlung war ein Einschnitt in der Geschichte des Kartoffelkombinats: Sowohl an der Spitze des Aufsichtsrats als auch im Vorstand gab es den ersten Wechsel. Während der erstere lange angekündigt war, ergab sich der zweite aus einigen Entscheidungen, die mit vielen Diskussionen und grundsätzlichen Überlegungen verbunden waren. Diesmal führte durch die Versammlung also der neue Aufsichtsratsvorsitzende Rauno Fuchs (schon immer Mitglied des Aufsichtsrats), und im Vorstand war dem Gründungsvorstand Simon Scholl Vorständin Teresa Lukaschik gefolgt. Teresa kommt von außerhalb der Genossenschaft und ist die erste studierte Landwirtin in der Führung des Kartoffelkombinats. Sie stellte sich mit dem Statusbericht zu Genossenschaft und Gärtnerei vor – und beeindruckte mich gleich mal sehr: Nicht nur war ihr Bericht sehr sorgfältig vorbereitet und sprachlich ausgearbeitet; Teresa äußerte viel Bewunderung fürs Projekt, spendete detailliertes und herzliches Lob für den Weg, den wir bislang gegangen sind. Sehr kompetent gab sie aber auch vorsichtige Hinweise, dass nach dem schnellen Wachstum auf heute 1600 Ernteanteile das eine oder andere an Prozessen und Abläufen überdacht und verbessert werden muss – auch zum Besten des mittlerweile beachtlich angewachsenen fest angestellten Teams. Unter anderem erklärte sie so, warum der Bau der neuen Lagerhalle, deren Planung wir 2018 beschlossen hatten, besser auf nächstes Jahr verschoben werden sollte. (Das war die beste Antrittsansprache eines neuen Vorstandsmitglieds, die ich bislang – sonst ja immer beruflich – erlebt habe.)

Was wir auch aus dem Lagebericht 2018 und dem Statusbericht erfuhren: Der Gärtnerei geht es gut, wir blieben bislang von Unglücken verschont (der Hagel im Mai hätte unsere gesamte Einrichtung und Ernte zerstören können – wie es einer befreundeten Gärtnerei passierte). Wir lernen immer mehr über den Boden, der ja bis zu unserem Kauf eine konventionelle Baumschule war, das Team freut sich über das neue Gewächshaus, das mit Folien statt Glas sehr gut funktioniert. Auch über Bewässerung wird dazugelernt, Teresa deutete an, dass hier grundsätzlich und langfristig an einem System gearbeitet wird.

Weitere übliche Tagesordnungspunkte: Feststellung des Jahresabschlusses, Beschlussfassung über die Ergebnisverwendung, Entlastung des Vorstands, Entlastung des Aufsichtsrates, zwei Anträge. Alles wurde sehr ausführlich diskutiert. Ich hatte den Verdacht, dass so manche unerwartet bohrende Nachfrage einer Unkenntnis von Grundbegriffen entsprang (z.B. “Jahresabschluss”, der eine rein finanzielle Sache bezeichnet). Deshalb werde ich vorschlagen, der nächsten Einladung zur Generalversammlung ein Glossar beizulegen – ich erinnere mich noch gut, wie in meiner ersten Generalversammlung des Kartoffelkombinats manche sogar über den Begriff “Entlastung” stolperten.

Sehr spannend fand ich auch den Bericht zum Kartoffelkombinat-Verein. Nachdem ich lange nicht so recht fassen konnte, worin Sinn und Zweck bestanden, richtet ihn jetzt der vormalige Genossenschaftsvorstand Simon aus: Der Verein soll die Grundideen des Kartoffelkombinats und die bisherigen Erfahrungen weitertragen und nutzbar machen, als Open-Source-Projekt.

Die Teilnahme an der Generalversammlung schien mir ein wenig reger als vergangenes Jahr, aber ich kann das nicht durch Zahlen belegen. In der Mittagspause viele vegetarische Salate, Gebäck, Kuchen – alle wurden zufrieden satt.

Als Herr Kaltmamsell und ich um halb vier aus der – ohnehin warmen – Versammlungshalle traten, wurden wir auch im Schatten von der Hitze erschlagen. Wie betäubt radelten wir heim. Die Verdunklung hatte gewirkt, in der kühlen Wohnung kam ich langsam wieder zu mir. Doch eigentlich war ich für den Nachmittag zum Eisessen verabredet: Ich fasste mir ein Herz und sagte ab, in diese Hitze wolle ich nicht nochmal raus – wie sich herausstellte, ging es meiner Verabredung auch so. Zudem stresste mich die nahende Abreise zur Reha. Jetzt hatte ich Zeit, im verdunkelten Wohnzimmer die Aufnahmeformulare der Reha-Klinik auszufüllen und einen Schwung Kleidung zu bügeln.

Nach sieben traute ich mich mit Herr Kaltmamsell doch nochmal vor die Tür und spazierte zum Flaucher-Biergarten. Hier war es deutlich angenehmer als in der Stadt, und da man an diesen Biergarten halt nicht mit dem Auto kommt, gab es weder an Essens- noch an Getränkeausgabe Schlangen.

Nach Wurstsalaten, Brezen und Radlermaßen spazierten wir zurück durch Flanierende, Badende, Radelnde, Ruhende.

Heimweg in der Dämmerung. Je näher wir den Häusern kamen, desto wärmer wurde es. Noch ein Ballabeni-Eis beim Jessas in der Baumstraße (Joghurt-Heidelbeer fand ich ganz ausgezeichnet), daheim räumen und machen in Vorbereitung der Reha-Reise.

die Kaltmamsell

Lieblingstweets Juni 2019

Sonntag, 30. Juni 2019 um 18:57

die Kaltmamsell

Journal Samstag, 29. Juni 2019 – Der erste 18. Familiengeburtstag der nächsten Generation

Sonntag, 30. Juni 2019 um 8:07

Unruhige Nacht, unter anderem wegen mehrerer dringender Tamponwechseln und eines Hochschreckens um vier durch heftiges Hämmern an eine Nachbarhaustüre (?) gefolgt von AUFMACHEN! POLIZEI!

Reha-Koffer 1 fertig gepackt (mich gezwungen, auch etwas Nichthochsommer-Kleidung dazu zu legen – auch wenn ich es mir derzeit nicht vorstellen kann, ist ein Kälteeinbruch oder auch nur Ende der Hitze möglich), Adressschilder dafür gebastelt und befestigt. Zwischen 8 und 18 Uhr sollte er abgeholt werden, ich hatte also nicht für die nachmittägliche Familiengeburtstagsfeier von Neffe 1 zusagen können.

Dazwischen Balkonkaffee mit Bloggen. Endlich fühlte ich mich wieder gesund genug für eine Runde Kraftttraining und stellte fest, dass meine Schwäche bei den vorherigen beiden Versuchen sehr wahrscheinlich dem Atemwegsinfekt geschuldet war: Ich hielt alle Übungen gut durch und fühlte mich stark. Schwitzte allerdings auch ganz schön.

Noch vor eins klingelte es: Der Koffertransport. Das war sehr großartig, denn so blieb Zeit für die Geburtstagsfeier. Ich füllte noch eine Waschmaschine (letzte dunkle Wäsche vor der Reha), holte Frühstückssemmeln, und nach dem Frühstück nahmen wir einen wohlklimatisierten Regionalzug durch Sommerlandschaft nach Ingolstadt.

Bei Bruderfamilie gab es KaffeeundKuchen, Neffe 1 war am Vortag 18 geworden und hatte sein Abiturzeugnis entgegen genommen.

Die Abizeitung hatte er layoutet, ich ließ mir anhand der Einträge erzählen.

Zurück in München war es immer noch sehr warm, aber erträglich. Ich kochte Kartoffeln, hängte Wäsche auf, bevor wir Abendessen im Freien suchten. Da das angesteuerte griechische Lokal bis elf Uhr nachts ausgebucht war, spazierten wir weiter zum Paulaner Bräuhaus.

Ich bin weiterhin unentspannt, weil bis zur Reha-Abfahrt Dienstagmorgen noch so viel ansteht.

§

Auf der Zugfahrt Wochenend-SZ gelesen. Heribert Prantl brachte mir den Paragraph 18 des Grundgesetzes nahe:

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

“Die Ultima Ratio der wehrhaften Demokratie”.

Prantl erläutert gut nachvollziehbar, warum die Väter und Mütter der bundesdeutschen Verfassung diesen Selbstschutzmechanismus einbauten – und warum er noch nie angewendet wurde.

§

Ich möchte daran erinnern, dass ich eine große Freundin des Bahnfahrens und der Deutschen Bahn bin. Wenn auch ich zugestehen muss, dass sich das Bahnfahren in Deutschland immer weiter verschlechtert, ist das tendenziell nicht Vorurteilen geschuldet.

Karl-Markus Gauß beschreibt die marode Infrastruktur:
“Deutschland, Du armes Land der Reichen”.

Nach und nach begriff ich, dass die meisten Reisenden das, was sie an Unbill erlebten, nicht für den skandalösen Einzelfall hielten, sondern für etwas, mit dem man als Zugreisender in der Ära des digitalen Fortschritts eben zu rechnen habe. Sie schienen keine Erinnerung mehr daran zu besitzen, dass diese Form der Fortbewegung einmal auch etwas anderes bedeutet hatte. Zum Beispiel, dass man seine Uhr sprichwörtlich nach der Eisenbahn stellen konnte!

Letzteres ging bei der Wiedervereinigung verloren – woran aber wirklich nicht die Wiedervereinigung schuld ist, sondern der Prozess des Zusammenschließens zweier Deutschen Bahnen (in einer Zeit, als die Bahn schick für einen Börsengang gemacht werden sollte).

§

Ein schönes Fotoprojekt:
„Warum gelten Merkmale, die 90 Prozent aller Frauen aufweisen, als ,Schönheitsfehler‘?“

§

Wie schön! Nach Langem mal wieder ein Blogpost von Christiane Link:
“Woran man Verbündete behinderter Menschen erkennt (und wie man eine/r wird)”.

die Kaltmamsell

Journal Freitag, 28. Juni 2019 – Rückreise von Utrecht in die Hitze und Hektik

Samstag, 29. Juni 2019 um 9:53

Noch vor dem Wecker aufgewacht, Wasser getrunken, geduscht, gepackt, vorbereiteten Blogpost nochmal geprüft und veröffentlicht.

Ich hatte mich für die in München angekündigte Hitze gekleidet (kurze Hose, kurze Ärmel), in Utrecht war mir damit kalt, ich zerrte ein zusätzliches T-Shirt aus dem Koffer. Am Bahnhof Kaffee bei Starbucks, weil das hier der einzige Kaffeeladen war, der wenigstens fürs Trinken im Lokal keine Pappbecher verwendete. Brotzeit geholt bei Pret A Manger (Zimtschnecke und ein ein belegtes Vollkornbaguette, dass sich als besonders köstlich herausstellte: Avocado, angeschmorte Tomaten, geröstete Pinienkerne, etwas Tapenade, ein wenig Ruccola, Babyspinat, frischer Basilikum).

Der ICE nach Frankfurt fuhr mit nur einem statt zwei Zugeteilen ein, Menschen und Gepäck pressten sich in alle Gänge. Doch diesmal war die Stimmung entspannt (ich war sofort bereit, das auf den hohen Anteil Niederländer und Niederländerinnen zurückzuführen), man half mir und meinem Koffer zum reservierten Platz – und beglückwünschte mich freundlich zu meiner Reservierung.

Der Zug fuhr Stop-and-go, die durchsagende Schaffnerin betonte ein ums andere Mal, das sei plangemäß und liege an den Baustellen auf der Strecke. Ich hatte keine Gelegenheit sie zu fragen, woher dann die wachsende Verspätung kam, die schon bald ein Erreichen meines Anschlusszugs in Frankfurt unmöglich machte.

Statt mit 25 Minuten Umsteigezeit erreichten wir Frankfurt zehn Minuten nach Abfahrt meines Anschlusszugs, der den Bahnhof laut DB-App pünktlich verlassen hatte. Da ich jetzt fast eine Stunde bis zur nächsten Verbindung Zeit hatte, sah ich erst mal am geplanten Abfahrtgleis vorbei – und jetzt profitierte ich vom Unglück anderer: Der Anschlusszug stand noch am Gleis. Weil auch er nur halb so lang war wie geplant und auch er dadurch völlig überfüllt, versuchte der Zugchef Passagiere bis zum nächsten Halt Aschaffenburg zum Wechsel in alternative Züge dorthin zu überreden. Mein Glück: Der Wagon mit meiner Reservierung war da, ich kam an einen Platz.

Als wir endlich fuhren, wünschte ein hörbar erschöpfter Zugchef: „So weit es geht, wünsche ich eine angenehme Reise. Ich kann Ihren Unmut zu 100 Prozent verstehen.“ Und er appellierte, den Unmut nicht am Team auszulassen, sie seien ebenfalls Opfer und nicht Verursacher der Umstände. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie sehr die Unbillen, über die wir Reisende maulen, bei den Bahnbeschäftigten ankommen, die als Personal jeden Tag ICE fahren – als wüsste ich an keinem Arbeitstag, ob mein Büro überhaupt steht, in welchen Zustand es sein wird, wie lange ich im Einsatz sein werde. Und das mit der Aussicht, es nur mit verärgerten und übel gelaunten Kunden zu tun zu haben. Doch auch gestern war die Schaffnerin, die unsere Tickets kontrollierte, sichtlich verschwitzt und angestrengt, freundlich und geduldig, lächelte sogar. Meine Bewunderung.

Tausch von drei Wochen PMS-Brustschmerzen gegen Uteruskrämpfe. Plus Springflutmenstruation – in Kombination mit schwankendem ICE kann das dazu führen, dass jemand ein eh nicht mehr besonders appetitliches Zugklo mit angefeuchteten Papiertüchern von Blutspritzern befreien muss. (Too much information? Stellen Sie sich mal vor, wie viel ungewollte Information der Mensch in der Kloschlange nach mir bekommen hätte, hätte ich nicht mit zusammengebissenen Zähnen geputzt.)

Ich las für unsere Leserunde Jakob Arjouni, Kismet, fühlte mich 20 Jahre in die Vergangenheit transportiert.

Endlich Heimatanblick.

In München war es heiß, doch Herr Kaltmamsell hatte durch Verdunkelung und geschicktes Lüften für angenehme Wohnungstemperatur gesorgt.

Für Ausruhen war keine Zeit: Am nächsten Tag zwischen 8 und 18 Uhr würde mein Gepäck für die Reha abgeholt, ich musste also alles zusammenstellen, was ich bereits abschicken konnte (und vorher in den Unterlagen nachlesen, was ich mitbringen sollte). Das war vor allem Sportausstattung, aber auch der erste Schwung Kleidung. Den Rest bringe ich selbst nächsten Dienstag mit.

Abends kam Herr Kaltmamsell von der Abiturfeier seiner Schule zurück und kochte uns Abendessen (Orecchiette mit Tomaten-Gemüse-Sugo, von mir kam der Salat mit Orangensaft-Tahini-Knoblauch-Dressing).

Wir erzählten einander ein wenig von unseren vergangenen Tagen. (Das hätte besser geklappt, wenn wir auswärts Essen gegangen wären, doch wir waren beide zu erschöpft, um das Haus nochmal verlassen zu wollen.)

§

Die taz hat sich mit der legendären Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen unterhalten:
„’Ich war die einzige Frau’“.

Fragwürdige Überschrift, hochinteressantes Gespräch. Unter anderem unterstreicht Friedrichsen, was für mich zu den wichtigsten Erkenntnissen meiner wenigen Schöffinneneinsätze gehört, selbst wenn es nur um kleine Amtsgerichtsfälle ging:1

Vor Gericht spielt sich ein Theaterstück ab, dessen Ausgang niemand kennt. Eingebettet in ein Zeremoniell, werden eine Vorgeschichte, die Tat als Höhepunkt und die Geschichte danach erzählt und dann ist da ja auch noch der Prozess selbst, der ein äußerst dynamisches Geschehen ist. Vor Gericht entfaltet sich ein Entwicklungsroman mit realen Personen, der Einblick in Milieus bietet, zu denen man normalerweise keinen Zugang hat, von der Deutschen Bank bis zum obdachlosen Junkie.

Warum lesen Sie nicht einfach einen spannenden Krimi?

Was mich immer fasziniert hat: Das Recht ist ein scheinbar starres Gebilde aus Paragrafen, Regeln und geregelten Ausnahmen. Und dann erleben Sie die Geschichten der Angeklagten, Zeugen und Opfer und denken: Dafür kann es doch gar keinen Paragrafen geben. Aber das Recht ist in der Lage, das alles so zu sezieren und zu analysieren, dass am Ende meist ein Urteil ergeht, das gar nicht so verkehrt ist.

Geht es vor Gericht um Gerechtigkeit?

Jeder versteht darunter etwas anderes. Wenn es um das Urteil geht, sollte man besser von Verhältnismäßigkeit oder Angemessenheit sprechen.

  1. In Torbergs Tante Jolesch kommt der Begriff “Bassenaprozess” vor, an den ich oft denken musste. []
die Kaltmamsell