Journal Donnerstag, 27. Juni 2019 – Verschiedene Seiten von Utrecht
Freitag, 28. Juni 2019 um 7:48Das mit den Wettervorhersagen müssen wir hier aber erst noch üben: Die angekündigten 26 Grad für Mittwoch wurden niemals erreicht, dafür war der gestrige als dauerbewölkt und höchstens 21 Grad frisch angekündigte Donnerstag von morgens an sonnig und wurde immer wärmer bis heiß.
Resultat: Am Mittwoch fröstelte ich im Sommerkleidchen, gestern waren die langen Ärmel zu warm, außerdem verbrannte mich die Sonne ein wenig (ausgerechnet der welke Ausschnitt).
Früh ausgeschlafen aufgewacht. Bloggen dauerte ein Weilchen wegen all der Bilder.
Verabredung auf Morgenkaffee, existenzielle Gesprächsthemen. Ach, ich wünschte, manche hätten es einfacher.
Diesmal hatte ich früher Frühstückshunger: Schon um halb zwölf holte ich mir bei Stach ein Stück Carrot Cake und einen Haferkeks mit Cranberrys, nach ein paar Mitbringseleinkäufen aß ich beides im Hotelzimmer – eher enttäuscht, weil die Gebäcke abgestanden schmeckten (und noch ein paar Stunden aufstießen).
Mein Plan war, das Rietveld Schröderhuis zu besichtigen, das mir die Gastgeber als Klapphaus mit vielen Überraschungen beschrieben hatten. Man kann nur mit einer Führung hinein, die Karten dafür holt man sich im Centraal Museum.
Wieder genoss ich den Spaziergang entlang der Oudegracht.
Im Centraal Museum allerdings die Enttäuschung: Die gestrigen Führungen waren bereits alle ausgebucht. Man bot mir eine für Freitag an, aber da bin ich ja schon wieder weg.
Ich beschloss, trotzdem zum Haus zu wandern, damit ich es wenigstens von außen sehen konnte.
So sind weite Teile des Utrechter Altstadtrings angelegt: Zwei Spuren für Fahrräder, ein Auto breit Autostraße.
Das Rietveld Schröderhuis von 1924, gebaut im Geist von De Stijl (von Rietveld kennt man diesen Stuhl):
Die Klappfunktionen und anderes kann man sich schön auf der Website zum Haus zeigen lassen.
Auf dem Rückweg sah ich noch mehr interessante Architektur:
Kurze Pause am Stadtwall, ich las mein Granta aus. Ich hatte die Jubiläumszusammenstellung aus Geschichten von 40 Jahren interessiert und angeregt gelesen, vermisste aber den einen oder anderen Favoriten. Eine Geschichte, an die ich bis heute immer wieder denke, ist “Alive, Alive-Oh!” von Diana Athill aus Granta 85 aus dem Jahr 2010. Netterweise steht sie online zur Verfügung, beim Wiederlesen bemerkte ich, wie viel ich ganz anders im Gedächtnis hatte. (Vielleicht denke ich nur so oft an die Geschichte, weil ich das Lied dazu sofort im Ohr habe.)
Spaziergang entlang der Nieuwegracht (schmaler, fast keine Läden oder Cafés, aber auch hier werden die Kellergewölbe genutzt).
An einer Stelle wurde die Nieuwegracht gerade renoviert: Hier sah man die Struktur des Untergrunds.
Der Stadtgraben wurde rege bepaddelt.
Zurück ging ich wieder an der Oudegracht. Mittlerweile hatte ich Hunger, im Supermarkt holte ich mir Joghurt, Nektarinen, Salznüsse und machte im Zimmer Brotzeit.
Im Lauf des Tages hatte ich festgestellt, dass ich nachts für ein paar Mücken ein Festmahl war – dabei hatte ich sogar Autan dabei gehabt, allerdings nicht angewendet.
Den ganzen Tag hatte ich schon Visionen von Salat gehabt, genauer: von griechischem Salat. Zum Abendessen ging ich dann auch zum nächstgelegenen.
Der Wirt kümmerte sich rührend darum, mir einen schönen Platz zu verschaffen. Die studentische Bedienung war nicht so ganz fit und hatte meine Bestellung “with pita bread” wohl nicht verstanden. War trotzdem ok. Wahrscheinlich Zufall: Die Lokale, in denen ich während meiner drei Tage hier aß, boten keine Salate an (selbst die fleischlastigste bayerische Boaz führt inzwischen mindestens “Salat mit Putenbruststreifen” auf der Speisenkarte). Allerdings stelle ich immer wieder fest, dass es mir auf Reisen schwer fällt, meinen Gemüsebedarf zu decken, wenn ich keine Ferienwohnung mit Küche habe.
Zum Nachtisch noch ein Steckerleis aus dem Supermarkt (an der automatischen Kasse musste mir ein junger Mann helfen, die Maestrokarte richtig einzustecken, ich fühlte mich hundertausend Jahre alt).
Domtoren auch mal in Postkartenformat und von außen.
Grachthund.
§
“Mordfall Lübcke: Diese Menschen machen die Arbeit, die der Verfassungsschutz nicht macht”.
Sie heißen “Exif”, “Recherche Nord”, “der rechte rand” oder “NSU-Watch”. Zusammen bilden diese Plattformen so etwas wie das Gedächtnis der Antifa. Und dieses Gedächtnis ist ziemlich gut: Mittlerweile haben sie so viel Wissen über die rechtsextreme Szene in Deutschland gesammelt, dass sogar der Verfassungsschutz bei ihnen abschreibt. Und das, obwohl praktisch alle, die diese Informationen zusammentragen, das auf freiwilliger Basis tun.
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Mit dem Theodor-Wolff-Preis des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) ausgezeichnet, in der Kategorie „Reportage lokal“:
Maris Hubschmid, “Die Trinker vom Kreuzberger Herrenwohnheim”.
Weil Alkoholismus nunmal eine Krankheit ist. Manchmal unheilbar.
Der Haken: Alkohol wird in unserer Gesellschaft mit Genuss, Geselligkeit und Freizeit verbunden. Ich kann gut nachvollziehen, wenn Menschen auf ein Projekt wie das beschriebene mit Bitterkeit reagieren – weil es sich für sie wie bezahltes Feiern anfühlt.
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“Meet the young tailor who dresses like a Regency gentleman, every day”.
Ich habe den Herrn gleich mal auf instagram gesucht; hier beantwortet er ein paar häufige Fragen (“No, I’m not hot in this”).