Journal Mittwoch, 3. Januar 2018 – Sturm, E-Mobilität, die bessere Kindheit

Donnerstag, 4. Januar 2018 um 8:18

Für gestern war heftiger Sturm angesagt, umso verwunderter saß ich bis in den Vormittag bei mildestem Windlein im Büro, schaltete mal das Licht an, dann wieder aus, ließ die Rollos mal runter, um auf dem Bildschirm überhaupt etwas lesen zu können, zog sie wieder hoch. Aber er kam schon noch der Sturm, brachte waagrechten heftigen Regen mit und ließ das Bürogebäude ächzen.

Bis Feierabend hatte sich das Wetter zum Glück beruhigt, ich kam trocken nach Hause. Unterwegs kaufte ich noch Obst ein; unter anderem hielt ich der Obsttandlerin eine seltsame Frucht hin: “Was ist das?” Es war eine Mangostin, von der ich zwei zum Probieren mitnahm, trotz der Warnung: “Schmeckt gut, ist aber teuer!”

Nach dem köstlichen Nachtmahl, das Herr Kaltmamsell servierte, kosteten wir.

Sie schmeckte mir ausgesprochen gut (die zweite Frucht war leider zur Hälfte faulig).

§

Gehört, als ich hinter einem jungen Mann und einer jungen Frau herging:
“Deine Mutter hat ja gesagt, dass ich ganz schön dominant bin.”
(Jetzt raten Sie mal, ob das von der Frau oder dem Mann kam.)

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Mein pet peeve Automobilindustrie und das komplett verzerrte Thema Elektromobilität (hat eigentlich schon mal eine Journalistin durchgerechnet, wie viel öffentliche Fördergelder diese Branche zu Forschung und Entwicklung Elektromobilität in den vergangenen Jahrzehnten bekommen hat?): brandeins hat mit dem Soziologieprofessor und Verkehrsforscher Andreas Knie gesprochen.
“‘Die wollen keinen Neustart'”.

Knie thematisiert endliche einen Punkt, der meiner Überzeugung zu wenig bedacht wird: Die Stellung des Privat-Pkw als Konsumgut statt Investitionsgut.

Wie könnte man Ihrer Einschätzung nach einen sinnvollen Neustart gestalten?

Indem man zuerst noch einmal in die Vergangenheit schaut und sich fragt, wie wir eigentlich in die heutige Situation gekommen sind. Und da ist festzustellen, dass wir seit Ende der Zwanzigerjahre in Deutschland – also seit mehr als 90 Jahren – alles dafür getan haben, dass die Menschen ihr privates Auto bekommen. Angefangen bei der Stadt- und Infrastrukturplanung über das Verkehrsrecht bis hin zur Bauplanung. Das Auto war und ist der ganz elementare Teil vom privaten Glück. Das fing mit der gelockerten, gegliederten Stadt an, in der die Distanzen nur mit einem Automobil überbrückt werden konnten. Autobahnen wurden gebaut, ohne dass die Bevölkerung anfangs Autos hatte. Die konnte sich kaum jemand leisten. Damit sich das ändert, hat man eine Steuergesetzgebung eingeführt, bei der die Rückerstattung höher war als die tatsächlichen Kosten für ein Auto. Die Reichsgaragen-Ordnung wurde zu großen Teilen bis heute weitergeführt, sodass überall Stellplätze für Autos gebaut werden mussten. Diese gesamte Mechanik, die dem Volk das Auto als privates Glück verkauft, existiert bis heute ungebrochen weiter. In den vergangenen Jahren ist die Fahrzeugflotte immer weiter gewachsen, wir lagen immer zwischen 0,8 und 2,5 Prozent jährlichem Plus, selbst in der Wirtschaftskrise 2009. Heute haben wir etwas mehr als 45 Millionen Pkw im Land. Und davon müssen wir unbedingt runter.

Denn, und das sagt Knie nicht: Es ist aus verschiedenen Gründen unmöglich und unsinnig, die bestehende Flotte an privaten Verbrennungsmotor-Pkw durch Elektroautos zu ersetzen. Unmöglich unter anderem: E-Autos werden sehr wahrscheinlich nicht so billig sein können wie die heutigen, weil die Rohstoffe für die Batterien deutlich knapper und teurer sind. Unsinnig unter anderem: Schon jetzt ist seit Jahren der Verkehrskollaps der Städte deutlich, mit Abstand in erster Linie verursacht durch Privat-Pkw.

Ausgespart wird in Knies Vorschlägen auch die Versorgungssituation in Nicht-Städten: Home Office statt Pendeln schön und gut – aber dann braucht es in den Wohndörfern (statt zwischen ihnen und nur mit dem Auto erreichbar) endlich auch wieder Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Buchläden, Arztpraxen.

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Gestern gingen die Ergebnisse einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen durch die Medien, nach denen junge Flüchtlinge vor allem aus Nordafrika deutlich mehr Gewalttaten begehen als schon lange einheimische. Die gute Nachricht ging dabei leider unter.

Kinder wachsen heute reichlich anders auf als wir um die 50 seinerzeit aufgewachsen sind. Auch wenn ich den Impuls habe, Abweichungen von der einen oder anderen Härte der eigenen Kindheit als Verweichlichung zu sehen und mich mit Vergnügen über die Auswüchse überidentifizierter Eltern lustig mache (“Wir haben’s jetzt ja doch aufs Gymnasium geschafft.” “Unsere Lehrerin hat über die Ferien eine Recherche aufgegeben, aber meine Tochter soll sich auch mal ausruhen, deshalb rufe ich bei Ihnen an: Haben Sie Informationen zu XY?”): Im Durchschnitt läuft heute einiges erheblich besser als seinerzeit.

  • Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist die Jugendkriminalität in Deutschland von 2007 bis 2015 um die Hälfte zurückgegangen.
  • Auch die Brutalität bei Straftaten nimmt laut einer Studie aus Bayern ab.
  • Als Ursache für den Trend sehen die Forscher den Rückgang der Gewalt in Familien und geringere Arbeitslosigkeit.

Ganzer Artikel aus der Süddeutschen:
“‘Mehr Liebe, weniger Hiebe'”.
via @spreeblick

Durchaus mit einem Caveat:

Wenn es um gesellschaftliche Entwicklungen wie die Jugendkriminalität geht, lassen sich Kausalitäten nie im strikten Sinne belegen. Dazu müssten Forscher Versuchsanordnungen aufbauen. Sie müssten experimentieren, Kontrollgruppen bilden, manche Probanden etwa bewusst elterlichen Misshandlungen aussetzen, andere nicht. Weil das nicht geht, können die Kriminologen nur interessante Korrelationen herausarbeiten, mehr nicht. Und man kann gegen ihre 68er-These auch einwenden: Für die Generation des Kriminologen Christian Pfeiffer, Jahrgang 1944 und SPD-Mitglied seit 1969, liegt es nahe, jenen Wandel, den sie selbst einst mit erkämpft haben, heute zum Dreh- und Angelpunkt einer Gesellschaftsbetrachtung zu machen.

Trotzdem spricht viel für ihre These. Forscher auch anderer Couleur und in anderen Ländern beobachten diesen Zusammenhang seit Jahren: Der größte gemeinsame Nenner unter Gewalttätern ist, statistisch gesehen, dass sie in ihrer Kindheit geschlagen wurden. Hunderte Studien weisen darauf hin. Dieses biografische Merkmal korreliert am stärksten mit gewalttätigem Verhalten; stärker als Religion, Herkunft, Wohlstand oder Bildung.

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Sensationelle Bilder:
“If Birds Left Tracks in the Sky, They’d Look Like This”.

via @maxplanckpress

In Wirklichkeit wurden dadurch endlich die geheimen Chemtrails der Vögel sichtbar gemacht. Be afraid, be very afraid.

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 3. Januar 2018 – Sturm, E-Mobilität, die bessere Kindheit“

  1. jongleurin meint:

    Sehr interessant, fürwahr. Wobei ich jetzt ja tippen würde, dass innerfamiliäre Gewalt oft auch mit Religion, Herkunft, Wohlstand oder Bildung korreliert. Ist aber wirklich nur eine gefühlte Wahrheit und hängt auch mit der Definition von Gewalt ab. Meine Schwester arbeitet in der Jugendpsychiatrie und berichtet oft, dass sehr viele ihrer PatientInnen Kinder aus wohlhabenden Akademikerfamilien sind – denen wird auf den ersten Blick nichts angetan. Sie sind aber stark emotional vernachlässigt, wenn sie auf der Station landen, weil sie sich selber etwas angetan haben.

    Und zur Frage der Dominanz tippe ich darauf, dass dies eine Frau zum Mann gesagt hat.

  2. kecks meint:

    mh, ad vorkommentar: man muss emotional vernachlässigt sein, um sich selbst was anzutun? diese logik erschließt sich mir nicht. selbstverletztendes verhalten kann eine menge von ursachen haben, emotionale vernachlässigung durch primäre bezugspersonen ist nur eine davon.

  3. lihabiboun meint:

    Ha ha ha, Männer sind nicht dominant, sondern durchsetzungsstark, ist doch klar. Nur Frauen sind dominant – und das sollten sie mal besser lassen. Nämlich.

  4. Hauptschulblues meint:

    Hauptschulblues denkt auch, dass die Aussage ein Mann getroffen hat.
    @kecks: Ja, emotionale Vernachlässigung spielt die größte, wenn auch nicht nicht die einzige Rolle. Hauptschulblues hat darüber Buch geführt, darf aber nichts ausplaudern.

  5. Eine Leserin meint:

    Danke Frau Kaltmamsell!
    Finde Ihr peeve gar nicht so pet, als stadtplanende Landschaftsarchitektin organisierte ich schon viele Lebensjahre Raum für meist stehende teure Blechobjekte…

    Danke für Ihre wertvollen Anregungen zum Weiterlesen, Ihre Links bilden mich sehr.

  6. vered meint:

    Mir erschloss sich nicht, was der Ausdruck “pet peeve” in diesem Kontext bedeuten könnte. “Google translation wird´s wissen”. O ja. Die Antwort Pet peeve = Haustier ärgern made my day. Gscheiter bin ich nicht geworden, wohl aber vergnügter.

    Ebenfalls zur E-Mobilität: Sind eigentlich Hybrid-Wagen (autarke, deren Akkus sich im Fahren selbst aufladen) auch in D eine Option? Mehrere meiner Bekannten haben welche geleast und sind in jeder Beziehung damit zufrieden.

  7. die Kaltmamsell meint:

    “Pet peeve” lässt sich tatsächlich nicht übersetzen, vered, deswegen musste ich aufs Englische zurückgreifen. Die Erklärung: Etwas, was einen immer wieder ärgert/nervt (peeve), so dass man sich bereits besonders damit befasst, es überall wahrnimmt, es einem im Grunde bereits ans Herz gewachsen ist (pet).

    Hybrid-Antrieb mit Rekuperation kenne ich nur von Stadtbussen, die aus dem Bremsen Energie rückgewinnen (mag mit meiner beruflichen Vergangenheit zu tun haben), ansonsten habe ich in der deutschen Automobilindustrie davon nichts gehört oder gelesen.

  8. Andrea meint:

    pet peeve wäre, wenn auch unzulänglich, mit “Lieblingsreizthema” zu übersetzen. Frau Kaltmamsell hat es natürlich weitaus besser erklärt.

  9. Sabine meint:

    Wir haben vor vier Jahren erstmals ein eigenes Auto angeschafft, aus nur mittelguten Gründen, vor allem, um den bis dahin verwendeten Dienstwagen zu ersetzen. Übergangsweise schlugen wir uns mit den herumstehenden Leihautos durch, was ausgesprochen gut ging. Jetzt haben wir das Auto, sind aber zu durchschnittlich 75% überzeugt, dass es das letzte eigene sein wird – mein Mann zu 60%, ich zu 90%. Als Städter sind wir da natürlich privilegiert…

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