Archiv für Februar 2004

Mit Genuss und Belehrung gelesen

Dienstag, 24. Februar 2004

Willi Winkler ist einer der SZ-Schreiber, von denen ich alles lese. Die Geschichte über Fredl Fesl auf der heutigen Seite 3 der Süddeutschen Zeitung kommt in mein Archiv von vorbildichen Zeitungsartikeln, Abteilung Features. Allein der Aufbau: Die Geschichte hat einen Anfang, einen Mittelteil, ein Ende – scheint banal, ist aber selten. Sie tritt ihrem Gegenstand offen und mit Wohlwollen entgegen, will erzählen und informiert dabei. Mit Genuss und Belehrung gelesen.
Kurt Kister ist auch so einer, von dem ich alles lese, zu seinen Lebzeiten auch Herbert Riehl-Heyse selig.

Sofort muss ich aber auch an die Geschichten denken, die nie eine Chance hatten, weil sie tot redigiert wurden. Letzten Mittwoch stand ebenfalls auf der Seite 3 der SZ ein Artikel über den englischen Koch Jamie Oliver, die vermutlich ursprünglich gut war – Einstieg und Schluss lassen es erahnen. Doch alles dazwischen stinkt nach Kürzungen, Kürzungen Kürzungen – bis das Resultat nur noch dazu dient, das Viertel unter der Hauptreportage zu zu machen. Ganz schade.

Kann man lernen, gute Zeitungsartikel zu schreiben? Versucht überhaupt jemand, das dem Nachwuchs beizubringen?

Was man im Journalistik-Studium lernt, weiß ich nicht. Selbst habe ich mit 19 ein Volontariat bei einer kleinen Tageszeitung angefangen und einfach losgelegt. (Ich hatte derart wenig Ahnung vom Alltag in einer Zeitungsredaktion, dass ich mir in den Monaten davor glaubte Schreibmaschineschreiben beibringen zu müssen – vergeblich. An meinem ersten Arbeitstag war ich bodenlos erleichtert, als ich sah, wie so richtig erwachsene Redakteure mit zwei Fingern auf ihre Tastaturen einhämmerten.) Journalistikstudenten begegnete ich nur bei ihren Praktika in der Redaktion. Sie schwankten fast immer zwischen Melancholie und Überheblichkeit, weil sie keinen besseren, also prestigeträchtigeren Praktikumsplatz bekommen hatten, und konnten dem Charme einer Popelredaktion nichts abgewinnen. Die wenigsten davon waren nach vier Semestern Studium in der Lage, auch nur für die simpelsten Meldungen Überschriften zu machen. Einen Teil meines Volontariats verbrachte ich dann auch noch in einer Kleinststadt mit Uni inklusive Journalistik-Lehrstuhl. Mehrfach erlebte ich Journalistik-Studenten, die uns Käsblatt-Redakteure panisch um Unterstützung bei ihren Recherchen baten: „Ich muss den Artikel schon in ZWEI WOCHEN abgeben!!!“ (Die Kriegsgeschichten der Tagesaktualität hebe ich mir für einen sentimentalen Anfall auf.)

Ich glaube nicht, dass man mir im Volontariat ausdrücklich Schreiben beibrachte, aber ich weiß, dass sich zu dieser Zeit mein Sprachgefühl entwickelte. Redigieren schult sehr – allerdings wohl nur bei entsprechender Begabung. Mich trieb dieses Sprachgefühl letztendlich in die Arme der Literaturwissenschaft.

Der Schule wird es zumindest sehr schwer gemacht, gutes Schreiben zu lehren. Denn Noten gibt es auf Schulaufgaben-Texte, die zu vorgeschriebenem Zeitpunkt und in begrenzter Zeit zu fertigen sind. Die jungen Leute müssen ihr Können also unter Voraussetzungen beweisen, unter denen sonst nur Agenturmeldungen oder tagesaktuelle Berichte entstehen. Verlangt aber werden die Qualitäten eines Essays, über den man sinniert, dessen Gedankengang Tage der Entstehung braucht, mindestens eine Nacht Ruhen, dann Wiederlesen und Überarbeiten.

Von Lokalredakteuren höre ich übrigens in letzter Zeit, dass die Schreibfertigkeiten freier Mitarbeiter besser werden. Eine Erklärung könnte die weite Verbreitung von häuslichen PCs sein: Die Leute schreiben mehr und haben dadurch schlichtweg mehr Übung.

Schwimmen

Sonntag, 22. Februar 2004

Badeanzug (36k image)

Nach über zweijähriger Abstinenz war ich heute Schwimmen.
Ergebnisse:

– Brustschwimmen gehört immer noch zu den Bewegungsformen, die mich nicht zu ermüden scheinen. Ich bin gut 1.600 Meter zu Brust spazieren geschwommen, und habe – wie schon früher – nur deshalb aufgehört, weil mir langweilig wurde.

– Der 50er-Jahre Badeanzug (siehe Foto), original und doch fabrikneu bei Ebay ersteigert, taugt halbwegs zum Schwimmen. Ich hatte ihn eigentlich vergangenen August für den Strand von Brighton gekauft, mir meinen original südenglischen Sonnenbrand dann aber doch lieber auf einem Deckchair und beim Wandern geholt. Angesichts des Low-Tech-Materials hatte ich befürchtet, dass mir das Ding nach Kontakt mit Wasser zentnerschwer um die Knie baumeln würde.

– Schwimmbrillen sind auf meinen Augenhöhlen entweder nicht wasserdicht, oder ich muss sie so eng schnüren, dass ich davon Kopfweh bekomme. Ich entschied mich heute für Kopfweh und rote Augenringe.

– Die Zusammensetzung der Menschen, die sich im Schwimmbecken eines Familienbades aufhalten, besteht weiterhin zu 30 Prozent aus Nichtschwimmern. Ein Drittel davon WILL nicht schwimmen und beweist durch Vorwärtskommen scheinbar ohne jede Bewegung, dass es auch in Schwimmbecken Strömung gibt. Das letzte Drittel KANN nicht schwimmen – weiß das aber nicht. Der Anblick unter Wasser (wofür trage ich schließlich eine Schwimmbrille) ist herzerweichend: Ohne Koordination schlagen und baumeln Beine im Wasser, wühlen Arme vor sich hin; ich bewundere den Mut dieser Leute, sich überhaupt vom Rand eines Beckens zu entfernen, in dem sie nicht stehen könnten. Richtig gefährlich wiederum sind die Nichtschwimmer, die Kraul als Bewegungsform wählen.
Nicht angetroffen habe ich zwei weitere Erscheinungen, die ich in Schwimmbädern zu hassen gelernt habe:
1. Formationsschwimmer: Setzen sich aus mindestens drei bewegungsarmen Schwimmern im Rentneralter zusammen, die nicht nur nicht schwimmen, sondern dabei auch in Gespräche vertieft sind. Das Umschwimmen dieser Formationen kann eine Bahn um mehr als 20 Prozent verlängern.
2. Knutschbojen: Ineinander verschlungene Pärchen, die selbstvergessen am Beckenrand hängen und mir damit Platz für schwungvolles Wenden wegnehmen.

– Ich hatte bereits vergessen, wie gut es sich an einem Sonntag anfühlt, bereits vor Mittag etwas erlebt zu haben.

Schwimmen konnte ich schon früh; ich habe es immer geliebt, mich im Wasser so leicht zu fühlen. Sonntagvormittags ist mein Vater oft mit meinem Bruder und mir ins Hallenbad gegangen, meine Mutter war nur manchmal dabei. (Beim Haarefönen im Keller des Hallenbades gab es immer Kakao aus dem Automaten – hmm!) Ich vergnügte mich lediglich im Wasser, während mein Vater es lieber gesehen hätte, wenn ich wie er Bahnen gezogen hätte. Am Schwimmen als Sport fand ich aber erst mit etwa 16 Jahren Gefallen, ausschließlich Brust. Später als Studentin war ich viele Jahre lang mindestens zweimal die Woche beim Schwimmen; immer Donnerstag am späten Nachmittag und Sonntagmorgens, da das Schwimmbad meiner Wahl einen „Hubboden“ hatte, der nur an diesen beiden Terminen gesenkt war.
Während meines Studienjahres in Wales ging ich mindestens jeden zweiten Tag. Selbst als ich nach meiner Rückkehr das Schwimmen durch immer exzessiveres Aerobic ersetzte, genoss ich von Zeit zu Zeit das fast schwerelose Gleiten durchs Wasser, das langsame, kräftige und rhythmische Atmen, mit dem ich oft meine Gedanken sortieren konnte.

Mal sehen, ob ich wieder am Schwimmen Freude finde. Uncool genug wäre es schon mal.

Sweet home, Chicago

Sonntag, 22. Februar 2004

Es ist durchaus möglich, dass ich Blues Brothers seit dem ersten Mal damals im Kino erst einmal wiedergesehen habe. Zumindest bekam ich gestern beim Fernsehen den Verdacht (John Candy hatte ich zum Beispiel völlig vergessen). Macht nichts: Ich konnte den Text trotzdem zur Hälfte mitsprechen – deutsch und englisch.

Dafür hat hauptsächlich Frank gesorgt. Zwar gab es in meiner Jugend eigentlich keine Party, auf der nicht der Soundtrack gespielt wurde (neben dem Soundtrack der Rocky Horror Picture Show – ich erwähnte, dass ich praktisch uncool GEBOREN wurde?). Doch Frank war der Spezialist für Spezialkassetten: für jedes Thema und jede Gelegenheit, mit Musik – überwiegend aus Filmen – und Dialogschnipseln. Dazu gehörte mindestens eine Kassette mit zahlreichen Blues Brothers-Ausschnitten, die er mir mal aufgenommen hatte.

Frank fuhr zu unseren gemeinsamen Studienzeiten einen roten Citroën 2CV, und aus der darin mit Klebeband befestigten Stereoanlage gab es für jede Strecke und Situation die passende Musik. Er schaffte es sogar, die Titelmusik von Back to the Future beim Autofahren so zu timen, dass die Hauptfanfare genau in dem Moment wieder einsetzte, in der die Ampel auf Grün schaltete. Bei einem gemeinsamen Urlaub in Spanien stellten wir fest, dass James-Bond-Soundtracks zu wirklich jeder Situation und zu jeder Landschaft passen.

Frank verbrachte ein Studienjahr in den USA. Über Weihnachten und Neujahr besuchte ich ihn, und wir machten uns mit seinem Mitbewohner im Auto von Ohio auf nach Chicago. Für die letzten 90 Minuten der Fahrt hatte Frank natürlich die passende Musik zusammengestellt: Grundgerüst war der Blues Brothers-Soundtrack. Chicago ist mir in sehr guten Erinnerung geblieben: Über Franks amerikanische Freundin lernte ich eine Kunsthistorikerin kennen, die mir Architektur-Führungen gab und mir eine Digest-Besichtigung aus allen Museen verschaffte.

Frank wiederum sorgte dafür, dass wir eine Vorführung im Second City sahen. Wie der Zufall es wollte, war dieser Abend für ein scheidendes Ensemble-Mitglied die Abschiedsvorstellung, es war ein wenig Party angekündigt. Und so schlurfte nach dem eigentlichen Programm ein Herr im Anzug auf die Bühne, rückwärts und den Boden kehrend. Ein Ensemlemitglied sprach ihn an, der Herr drehte sich um: James Belushi gab sich die Ehre.

Ich habe mir sagen lassen, dass es noch heute kein Kostümfest unter jungen Leuten gibt, auf dem nicht mindest einmal zwei Gestalten auftauchen, die schwarze Anzüge mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte tragen, Ray-Ban-Sonnenbrillen und kleine schwarze Hüte. Das gibt mir Hoffnung.

Gelber Himmel über München

Samstag, 21. Februar 2004

Erst als ich bei Irene davon las, glaubte ich meiner Wahrnehmung: Heute war der Himmel über München gelb. Das wäre ja noch gegangen, doch das Licht, das dadurch entstand, war einfach gruslig. Wie durch eine Brille mit gelben Gläsern. Als hätte man eine Farbglaskuppel über München gestülpt. Wie in The Day After.
Dieses seltsame Licht infizierte auch alle Innenräume. Ich bilde mir ein, selbst meine Pflanzen sahen aus, als hielten sie den Atem an.

Mittlerweile ist das Phänomen geklärt: Sahara-Sand. Bilder und Infos gibts zum Beispiel bei der Netzeitung und beim Trierischen Volksfreund.

Geständnis

Samstag, 21. Februar 2004

Packungsaufschriftlektüre“ schreibt er scheinbar unschuldig.

Da scheint ja noch so ein Zwangsleser zu bloggen.
Ich lese IMMER. Außer ich schreibe gerade – und selbst dann lese ich ja, was ich selbst gerade schreibe. Kein Buchstabe ist vor meinen lesenden Augen sicher. Sitze ich in einem Café, mag es für einen Außenstehenden aussehen, als ruhe mein Blick versonnen im Nichts. Irrtum! Anschließend bin ich ohne Anstrengung in der Lage, die Aufschrift auf den Zuckertütchen wiederzugeben, oder den ungefähren Inhalt der Liste kleiner Mahlzeiten auf der Rückseite der Speisekarte. Dabei habe ich keineswegs ein fotografisches Gedächtnis – im Gegenteil, mit Auswendiglernen tue ich mich besonders hart.

Ich kenne die schriftlichen Bezeichnungen für Orangensaft in verschiedenen Sprachen, nur weil Orangensaft-Tüten regelmäßig auf Esstischen herumstehen. Das Kleingedruckte auf Video-Kassetten, türkisch-deutsche Ladenbeschilderung, Urlaubskarten an fremden Bürowänden, Warnungen und Hinweise am Wiesenrand – alles gelesen. Weswegen fremde Schriften mich in den mittleren Wahnsinn treiben können: Am schlimmsten in Griechenland, weil sich meine Augen vor meinem altphilologischen Hintergrund einbilden, das müssten sie doch lesen können. Hat mich sicher ein Drittel meines Kreta-Urlaubs gekostet.

Antike Perry-Mason-Cover (5)

Donnerstag, 19. Februar 2004

GRINNINGGORILLA (33k image)

Wenn ich mich recht entsinne, war das einer der besten.

Ideale

Donnerstag, 19. Februar 2004

Die Gäste unterhielten sich nach Geschlechtern getrennt. Diesem Rollenbild folgend schlossen wir uns den Müttern an, die sich mit überfüllten Nudelsalattellern kauend und schmatzend zunächst über meine Schlüsselbeine, dann Arme, Schultern und schließlich Taille und Hüfte hermachten. Ich ließ dies ruhig über mich ergehen, garantiere aber für nichts, sollte in den kommenden Monaten irgendjemand erwähnen, daß Männer eigentlich ja gerne etwas zum Zupacken haben wollen. Die Bemerkung, daß das Auge mitessen würde und an den richtigen Stellen durchaus etwas zum Anfassen vorhanden sei, habe ich mir gespart. Ich pickte Nudelsalat und achtete darauf, daß mein von den Rundungen gehaltenes Bandeau diese betonte.
bei Marie

So gerne ich auch lieber dies glauben würde (“Hungerhaken sind out”), sagt meine gut 36jährige Lebenserfahrung, dass Männer mehrheitlich auf Models stehen, so lange genug Busen und Po dran sind.

Womit ich mir lediglich großräumig die Erlaubnis freischaufeln wollte, mich mit so einer Figur rechtschaffen scheiße zu fühlen.


Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen