Archiv für Februar 2004

Lob des Spießertums

Mittwoch, 11. Februar 2004

Es liegt vermutlich an meinem Naturell, dass ich mich dem Spießertum schon immer recht verbunden gefühlt habe. Als meine Altersgenossen bereits so richtig wilde Sachen machten (Schule schwänzen! In Diskotheken gehen! Haschisch rauchen!), sang ich im Jugendchor und vergnügte mich mit meinen Mit-Pfadfinderinnen bei selbst gekochten afrikanischen Speisen, die wir mit den Fingern und auf dem Boden aßen (oho!). Und ich hatte nicht mal das Gefühl, irgendwas zu verpassen, wenn ich auf den Knutsch-Partys, in die selbst ich das eine oder andere Mal aus Versehen geriet, ungeknutscht übrig blieb – versunken in philosophische Diskussionen mit dem einen Burschen, den zu knutschen sich keines der Mädchen herabgelassen hatte.

Noch dazu bin ich in einer Stadt groß geworden, deren Spießertum und Borniertheit bereits Künstlerinnen zu großen Dramen inspiriert hat.

Und, ZACK!, machen sich letzten Freitag die Münchener des SZ-Magazins über Leute wie mich Gedanken!
“Unsere kleine Welt” lautet der Titel des Artikels (leider nur mit Anmeldung zugänglich, und das auch nur noch bis Donnerstag kostenlos), die Unterzeile “Früher konnte man herrlich auf die deutschen Spießer schimpfen. Heute geht das nicht mehr: Viele müssten sich selbst beschimpfen.”

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es für die coolen, trendy People ein Schock ist, wenn sie an sich oder in ihrer coolen, trendy Gesellschaftsschicht Symptome des Spießertums feststellen. Wenn man sich nicht langfristig darauf vorbereitet hat, ist es schwer damit zu leben, dass man zum Beispiel gerne früh aufsteht.

Ich selbst hatte es da immer erheblich leichter. Ausgestattet mit oben beschriebenem Naturspießertum, entdeckte ich im Lauf der Jahre am Spießerdasein immer mehr gute Seiten. Vor allem im Vergleich zur Trends settenden Schicht. In meinen Studienzeiten hörten diese Leute “Independent” und kleideten sich in England ein, will heißen in Manchester und London. War interessant anzuschauen und anzuhören (mit ein paar Meter Platz zwischen Klangquelle und Ohr). Nur dass die Herrschaften in Gesellschaft ungeheuer unnahbar und freudlos wirkten, zudem gegenüber Andersgläubigen enorm intolerant waren.
Da lobte ich mir doch die Besucher von Dorfdiscos mit Namen wie Wigwam, Lollipop oder Circus. Modisch und musikalisch allesamt keine Inspiration – aber freundlich und offen. Es war vor allem die Toleranz der Spießer, die ich immer mehr zu schätzen lernte: „Nun ja, wenn’s ihm gefällt.“

Wichtig auch: Reaktionär ist was Anderes. Das impliziert Aktion und Planung. Wir Spießer aber sind dazu viel zu bequem. Neues ist schön – wenn wir neugierig genug sind und es nicht anstrengt. Aber warum nicht auch mal das Neue im Alten finden?

Das Werbe- und Marketingblatt Horizont hält sich als Kolumnisten einen „Spießer Alfons“. Bezeichnenderweise ist seine Funktion, wie das Kind aus dem Märchen auf den aufgeblähten Kaiser zu deuten und „der hat ja gar nichts an!“ zu rufen.

Ich gebe allerdings zu, dass ich zusätzlich die Postmoderne in meinem Gen-Code habe; mein Faible für Gummibäume und Perserteppiche mag also durchaus ironisch sein.

Kaltmamsell übt Haiku

Mittwoch, 11. Februar 2004

Riesige Scheinwerfer,
die das Rathaus anstrahlen:
Ballsaal für Schneeflocken.

Fremde Sprachen

Dienstag, 10. Februar 2004

“Oder wie die Spanier sagen: ‘Bis später’.”

(aus eher betagtem Frauenmund auf dem Flughafen von Palma de Mallorca)

Teufelsrad

Dienstag, 10. Februar 2004

Sich verachten und hassen. Gleichzeitig aber so intelligent und reflektiert sein, dass man die Grundlosigkeit und Lächerlichkeit dieser Selbstsicht erkennt. Sich deshalb gleich noch mehr verachten.

Gutes Buch

Montag, 9. Februar 2004

LifeofPi (5k image)

Yann Martel, Life of Pi

Nature can put on a thrilling show. The stage is vast, the lighting is dramatic, the extras are innumerable, and the budget for special effects is absolutely unlimited.

Der Pi des Buchtitels ist ein 16jähriger indischer Bursche, Sohn eines Zooverwalters, der in den 70er Jahren auf der Überfahrt nach Kanada Schiffbruch erleidet. Yann Martel schreibt seine Geschichte auf (Ecos „Natürlich, eine alte Handschrift“). Denn nach dem Schiffbruch findet sich Pi in einem Rettungsboot wieder, das er mit einem bengalischen Königstiger teilt.

Der Roman hat drei “Parts”:
“Part One – Toronto and Pondicherry” erzählt von der Begegnung des Autors mit der Hauptperson Pi in Kanada und von Pis Kindheit und Jugend bis zum Schiffbruch,
“Part Two – The Pacific Ocean” ist der längste Teil; er deckt die Zeit im Rettungsboot ab,
“Part Three – Benito Juárez Infirmary, Tomatlán, Mexico” besteht aus dem Protokoll des Gesprächs zwischen zwei Vertretern des japanischen Transportministeriums (das gekenterte Schiff war japanisch) und dem Schiffbrüchigen nach seiner Rettung.

Der Rahmen für die Geschichte ist wunderbar subtil konstruiert, das Schiffbruch-Thema greift augenzwinkernd die Vorfahren des Genres auf, und in der oft traurigen Geschichte gibt es viel zu lachen. Eines der Highlights ist die ausführliche Anleitung, wie in dieser Situation (in einem Rettungsboot mitten im Pazifik) ein Tiger zu dressieren ist, in neun Punkten. Der erste davon lautet:
1. Choose a day when the waves are small but regular. You want a sea that will put on a good show when your lifeboat is broadside to it, though without capsizing your boat.

Life of Pi hat 2002 den Booker Prize bekommen.

Reise-Fragmente

Montag, 9. Februar 2004

Seit ein paar Jahren bin ich vor allem beruflich mit Flugzeugen unterwegs. Und Urlaub mache ich anscheinend in Gegenden, die nicht in erster Linie Urlaubsziele sind. Das wurde mir bewusst, als ich vor und während des Fluges nach Mallorca von waschechten Touristen umgeben war, 85 Prozent davon ganz eindeutig im Rentenalter und aus der Kegelclub-Klasse. (Auch in Deutschland gibt es nämlich ein Klassensystem. Es ist nicht so zementiert wie in England, nicht so alt und nicht so bestimmend – aber es existiert.)

Eine gute halbe Stunde vor Abflug lümmel ich in ein Buch vertieft im Innenbereich des Münchener Flughafens. Es beugt sich eine hyperton rotblau-gesichtige Frau jenseits der 60 und mit Blumenkohl-Frisur zu mir herüber: „Entschuldigung, wissen Sie, wann’s weitergeht?“ Ich hebe fragend die Augenbrauen. „Mit dem Flieger“, (eigentlich sagt sie „Fliesche“) „nach Mallorca.“ Ich nenne ihr die Abflugzeit, die auf dem Ticket steht. „Ah ja, danke.“
Sofort tippt mich von hinter mir eine gepflegte dunkelhaarige Dame in ähnlichem Alter an: „Und mit welchem Flugzeug?“ – „Äh, mit dem, das da draußen steht?“, sage ich und deute Richtung Rollfeld. Die Dame steht auf und geht zur verglasten Gebäudefront.

Ich beginne mich gründlicher umzusehen. Rechts von mir zeigen sich biedere Rentnerinnen gegenseitig ihre geschwollenen Knöchel in Stützstrümpfen. Eine Sitzreihe weiter dreht sich ein Gespräch im Kreis. „Ist es schon zehn nach?“ „Wieso zehn nach?“ „Hat’se doch gesagt, da.“ „So?“ „Steht doch auch drauf.“ „Wo?“ „Auf dem Zettel.“
Neben mich hat sich ein alter Mann gesetzt. In einer Geste tiefster Betrübung hat er den Kopf in die Hände gelegt und sagt alle halbe Minute: „Oh je.“

Bereits zehn Minuten vor dem Boarding-Termin (übrigens: zehn nach) stehen zwei Drittel der Passagiere vor der Theke mit der hübschen uniformierten Flughafen-Angestellten. Hinter mir, mit Unruhe in der Stimme: „Guck, die stehn schon!“ „Sollma?“ Als über Lautsprecher schließlich zum Einstieg gebeten wird, werden aber zunächst nur die hinteren Sitzreihen aufgerufen. Unruhe, Rascheln und Schieben im Menschenknäuel vor der Theke, bis die noch nicht Aufgerufenen nach hinten rücken.

Und einsam bleibt ein denkwürdiger Satz zwischen den Sitzreihen zurück: „Isch bin schon so viel gefloge, da reiß isch nix ab.“

(Ach ja, Fluglinie war gexx oder Germania: In den sechs Wochen seit der Buchung wurden die Flugzeiten drei Mal verschoben, jeweils um mehrere Stunden. Nur zweimal bekam ich Bescheid. Und die Verpflegung im Flieger muss sich jeder selbst mitbringen oder dort kaufen. So billig finde ich dann 160 Euro für Mallo hin und zurück auch wieder nicht. Ich rate ab.)

Mallo (57k image)

Besagte Finca

M_Lamm (37k image)

Besagtes Lamm

Bis dann!

Freitag, 6. Februar 2004

Ich flieg übers Wochenende nach Mallorca auf ‘ne Party.
(Nee, hört sich nicht cool genug an.)

Ich muss mal kurz nach Mallorca – Gerhard hat Lamm für acht Personen auf dem Feuer.
(Auch nix, klingt so gewollt.)

Freitag und Montag hab ich mir frei genommen: Ich treffe mich mit ein paar Leuten von meiner liebsten Mailingliste.
(Hm, ich sollte dem Drang zum Understatement nicht immer nachgeben.)

Treffen sich ein Apotheker, eine Schustermeisterin, ein Ingenieur, eine Ärztin und eine Grafikerin auf einer Urlaubsinsel. Sagt die Schusterin:”….
(Montag komm’ ich wieder, hoffentlich mit der Pointe.)