Fremd

Freitag, 30. Juli 2004 um 7:57

„Äh, Entschuldigung…“
Ich krame gerade in meiner Aktentasche nach dem Schlüssel für die Haustür und blicke auf.
„Hätten Sie vielleicht Lust, mit mir eine Tasse Kaffee zu trinken?“
Der bärtige Herr steht ein paar Meter vor mir, lächelt und wippt verlegen auf den Fußballen. Mit einer Hand fährt er sich, noch verlegener, über die hohe Stirn.
Ich lächle zurück: „Oh, äh, ach wissen Sie…“
Er wiegelt sofort ab: „Ist schon spät für einen Kaffee, nicht?“
„Ja, und…“
„Aber vielleicht, dass wir später…?“
„Ahm, eigentlich, ich…“
„Ah ja, dann, ok., hm, schöne Zeit…“
„Danke, ahm, nett, Wiederseh’n.“

Es passiert mir höchstens alle zwei Jahre, dass mich wildfremde Männer ansprechen (Gott ja, der Betrunkene auf dem Moritzplatz ist tatsächlich schon zwei Jahre her). Ich habe bislang immer freundlich und höflich, aber ablehnend reagiert. Annehmen könnte ich gar nicht – aber kann das überhaupt jemand? Bei einem komplett wildfremden Mann?

die Kaltmamsell

22 Kommentare zu „Fremd“

  1. meike meint:

    ich kenne diesen reflex, SOFORT auf ablehnung zu schalten. sind doch die hartnäckigsten typen meist die, die ihre frauen zuhause verschleiern. allerdings habe ich in den letzten jahren immer öfter festgestellt, dass MEIN blick verschleiert war und ich das angebot reflexartig ablehnte, OHNE hinschauen. seit dem ich mir vorgenommen habe hinzuschauen – es könnte ja mr. wüstenrot dabei sein – hat leider keiner gefragt. verflixt.

  2. fragmente meint:

    Ich bin mal mit jemand ausgegangen, der mich im Supermarkt angesprochen hat. Es war das schlimmste Date meines Lebens. Er steckte gerade in der Scheidung, erzählte mir, daß er einen Rapsöldieselmotor in sein Auto einbauen möchte, wollte mir nichst über seine Arbeit erzählen und meinte auf meine Frage, was er denn für Musik hören würde: "Dazu kann ich nichts sagen."
    Als ich nach ein bis zwei Stunden äußerst anstrengendem small talk gehen wollte, wurde er zornig und widerrief seine Einladung, meinen Drink zu bezahlen.

  3. Lu meint:

    ich bin auch immer (haha, als wenn das jeden tag vorkäme) direkt auf abwehr, finde das "komisch", wenn da einer mal eben in meinen dunstkreis platzt und trinken/reden/zeit möchte.
    im nachhinein tut mir besonders eine geschichte leid … ich stehe musikhörend (also mit stöpseln im ohr)an der haltestelle und warte auf die uBahn, und erst als mich dieser adrette anzugmann anspricht bemerke ich, dass er vorab kreise um mich zog. er wirkte sehr verlegen, fragte auch nach einem gemeinsamen kaffee, und ich batzte ihn mit einem "neee, danke" an. als wenn ich null kinderstube hätte und nur mit mühe ein ausspucken des kaugummis unterdrücken könnte. hörte dann weiter musik, dachte darüber nach, wie dieser anzugträger grad auf MICH kommt und nach der bahnfahrt mit vielen gedanken fand ich ihn mutig, immerhin war ich durch die kopfhörer abgeschottet und generell und na aben. ausserdem habe ich glück, was den klamotten-code in meiner firma angeht, und er vielleicht nicht. vielleicht einen mutigen kerl zu einem schüchternen gemacht, der jetzt zu seinen kumpels sagt "da hab ich mich mal getraut und werde angepampt, das mach ich nicht mehr"

    reumütig. ich.

  4. Mike meint:

    Neulich im Zug zwischen Frankfurt und Köln: Mir gegenüber sitzt eine junge Dame, vielleicht Studentin. Sie liest in einem Buch das ich kenne und das ich sehr schätze. Aus ihrem Rucksack ist ein Stück einer Zeitung zu sehen, es ist "Die Zeit", die ich ebenfalls abonniert habe.

    Zu allem Überfluß ist sie auch noch nett und sieht hübsch aus. Vielleicht sollte ich sie fragen wie ihr das Buch gefällt. Das interessiert mich tatsächlich. Vielleicht geht sie mit mir in den Speisewagen auf einen Kaffee, denke ich. Und dann: Lieber nicht. Sie fühlt sich bestimmt belästigt. Außerdem sieht sie nicht aus wie Eine, die sich von einem Anzugträger wie mir einen Kaffee ausgeben lässt.

  5. tom meint:

    ähem, tja … also: Nun, das ist so. Vorrausgesetzt jemand hat keine kriminellen oder perversen Absichten, na, dann ist es für manche Menschen (z. B. mich) eine heftige Überwindung des eigenen Superfeiglings eine andere Person anzusprechen um sie kennen zu lernen. Wer keinen Partner hat und von seinem Gegenüber so positiv angetan ist um diese – etwa einen kleinen halben Kilometer hohe – Hürde mal zu übergehen, hat schon etwas mehr als ein "neeee, danke" verdient. Mit dem Spruch vor der Nase trollt es sich noch schlimmer zurück in die Höhle.

    Ich habe das schon sehr häufig gehört und noch häufiger durch "Ansprechverzicht" vermieden. Nun bin ich seit 14 Jahren verheiratet und damit ist der ganze Stress vorbei. Nur mein Mitleid mit dem Davonziehenden ist noch geblieben. Nu isses raus, puh.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Gibt es nicht irgendwo Zahlen, die die Wirkungslosigkeit von Kaltakquise belegen?

    Ein Gespräch über ein Buch anfangen – hört sich gut an. Selbst im Supermarkt angesprochen werden ("Würden Sie eher Reis oder eher Nudeln zu Gulasch machen?"), kann sehr nett sein.
    Aber "Ich möchte Sie kennenlernen" oder "Wollen Sie mit mir Kaffee trinken?" als allererster Einstieg ist mir zu viel zu plötzlich.
    Auch wenn ich Respekt vor dem Mut habe.

  7. Londo meint:

    @fragmente: Sind Sie sicher, dass Ihr Date ein menschliches Wesen war? So wie der sich benommen hat, war er entweder ein Außerirdischer oder ein Höhlentroll…

  8. Lu meint:

    jeojeh mike … ich immer mit meinen blöden anzumännern-storys hier. :)
    nimms nicht krumm, es gibt auch ganz viele nette, nur bleiben die schlechten beispiele länger im hirn-speicher.
    der kaffee-frager war sicherlich ein netter, und hätte er mich auf mein buch ( oder den krach aus den stöpseln ) angesprochen, hätt er sich ein gespräch mit mir eingefangen. aber kaffee als einstieg : zu verbindlich.

    wie ticken frauen ? schalten sie ein, klicken sie sich durch, bei der kaltmamsell wird ihnen geholfen. :)

  9. fragmente meint:

    Die Lu hat recht. Man(n) muß irgendwie einen gemeinsamen Nenner finden.
    Der Supermarktmann hat mich im übrigen nicht auf meine Einkäufe angesprochen, sondern plump gefragt, "ob ich heute abend schon was vorhätte". Höhlenmensch, ich weiß nicht, aber er war sicher verzweifelt, wollte eine neue Partnerschaft oder ein Abenteuer, ohne irgendwas zu investieren.

    Wodurch erregt man die Aufmerksamkeit eines Ansprechers? Sind es Hinweise auf die Persönlichkeit, also ein Buch, eine Zeitung, der Musikgeschmack oder ein cooler Spruch in der Öffentlichkeit, dann stehen die Chancen wohl gut, daß man einen kurzweiligen Abend miteinander verbringt. Verwundert bin ich immer, wenn ich aufgrund meines Aussehens angesprochen werde: ich bin nicht besonders schön und zudem füllig. Was sehen die Männer in mir? Wo sehen sie ihren Vorteil? Es bleibt mir ein Rätsel.

  10. Lyssa meint:

    Vermutlich oute ich mich jetzt als hemmungsloses Kaffeehausluder, wenn ich zugebe, daß ich solche Einladungen schon angenommen habe und wieder annehmen würde. Natürlich abhängig von der Art der Frage und dem Ergebnis der erste optischen Überprüfung.
    Ich bin damit schon mal fürchterlich auf die Nase gefallen (Bernd war unerträglich humorlos und selbstverliebt und verfolgte mich noch Wochen), hatte aber auch schon sehr nette Stunden, bei denen wir uns gegenseitig bis nach Mitternacht (nachdem wir vom Café ins Restaurant gewechselt hatten) Reisegeschichten erzählten.

  11. die Kaltmamsell meint:

    AHA! Dann weiche ich künftig einfach aus: "Oh danke, eher nicht. Aber ich kenne da jemanden in Hamburg, bei der könnten Sie es mal versuchen."
    ("Kaffeehausluder" ist hinreißend)

  12. Lu meint:

    liebe frau fragmente… wo haben sie die fehlinformation her, dass füllig nicht attraktiv und gefragt ist ?
    ich persönlich kenne männer, die auf mollig stehen, und mich "mit wenig dran" nicht so doll fanden. damals, als wirklich noch nix dran war *guckt auf ihre nutellahüfte*

  13. fragmente meint:

    "Attraktiv" kann verschieden definiert werden. Letzte Woche habe ich ein paar meiner Freunde und Freundinnen gefragt, wie sie meine Attraktivität im Zusammenhang mit meiner Körperfülle einschätzen würden. Unabhängig voneinander fiel es ihnen schwer, darauf eine Antwort zu finden. Sie mögen mich, deshalb finden sie, daß ich ein ansehlicher Mensch bin.

    Ich schließe daraus, daß ich attraktiv wirken kann, wenn mich jemand kennt, wenn man auf der selben Wellenlänge ist, wenn der andere empfänglich ist für meinen Charme.
    Attraktivität im Sinne von "Männer pfeifen einen auf der Straße hinterher" bin ich jedoch nicht, was ja vielleicht auch ein Segen sein kann.

  14. meike meint:

    toll. ich habe wieder was gelernt. danke. es ist genau dieses "zu viel"-gefühl, wenn sofort eine einladung kommt. dabei ist eine einladung eigentlich zweckmäßig, denn es geht doch genau darum, dass man ein paar minuten miteinander verbringt, um zu schaun, ob es stunden oder tage werden. der ablehnreflex kommt dann eher vom mißtrauen ("wieso ich? was finde der an mir?") oder vom genervt sein ("wieso immer ich, ich werde mal wieder auf mein äußeres reduziert…") und schlägt wahllos um sich.

    schade. ich finde es ganz reizend, wenn männer sich trauen avancen zu machen, anzusprechen, einzuladen etc. da bin ich altmodisch und wie schade, wenn sie es lassen, nur weil wir reflexartig reagieren statt einmal durchzuatmen, zu lächeln zu schauen und dann eine gute antwort zu geben.

    mein vorsatz: durchatmen und lächeln. mein appell: lasst euch nicht abschrecken liebe männer.

    p.s. ich stehe ja auf anzugträger.

  15. roland meint:

    eine umfrage zur kaltaquisse isses zwar nicht, sondern schon deutlich was direkteres und den wahrheitsgehalt bezweifle ich:

    http://www.sofastar.at/archiv/2004/march/kurts_ungewoehnliche_geschichte.php

    falls das irgendjemanden interessiert:
    never ever hab ich irgendwann in fremden kontexten mir fremde frauen angesprochen. für mich wäre die hürde so auf mt. everest-höhe.

    es gibt das ja – viel seltener vermutlich – auch umgekehrt, also, das frauen männer auf der straße etc. ansprechen-.

    kann ich zwar im eigenen fall auch nur an einer hand abzählen, dass das vorkam. ich fand das dann immer recht schmeichelhaft, aber nicht wirklich weiter entwickelbar. 1. als einstieg mir immer ein kompliment gemacht wurde, und damit kam ich schwer zurecht, weil gleich verlegen, 2. ich im small-talk von 0 auf irgendwas sehr schlecht bin.

  16. ntropie meint:

    Ich trinke lieber Tee. Das Leben is hart.

  17. die Kaltmamsell meint:

    roland, ich bin überzeugt, dass die Wirksamkeit von Kaltakquise im Berufsleben nicht höher ist als im beschriebenen Fall.

    ntropie, das wäre ja noch schlimmer: "Wollen Sie mit mir eine Tasse Tee trinken?" Denn ich muss vermuten, dass ich entweder in einem Teeladen auf dem Teppich sitzend lande (im Business-Kostümchen – bitte hass mich nicht, Lu), oder in seine WG-Küche geführt werde. Obwohl ich selbst auch lieber Tee trinke.

  18. ntropie meint:

    Es ist ein böswilliges Gerücht, dass es auf Teeladen-Teppichen oder in WG-Küchen (Gott schütze uns!) Tee gäbe. Das sind bloß heiße Aufgussgetränke :)
    Und natürlich ist die Frage nach Kaffee oder Tee in jedem Fall blöde, weil man in Wahrheit mit dem Gegenüber ja lieber reden oder sonstwas (Gott schütze uns!) möchte.

  19. Lu meint:

    dich hassen ? wie könnte ich! :)

  20. fry meint:

    Vor ungefähr drei Jahren habe ich, nach einer durchzechten Nacht also in recht eigentlich unansehnlichem Zustand, die Probe aufs Exempel gemacht. Morgens um sechs am Hackeschen Markt, statt mit der S-Bahn nach Hause zu fahren, sprach ich Frauen an. Die Erste, eine ihr Fahrrad schiebende Mittvierzigerin war auf dem Weg zur Arbeit und wimmelte mich ab. Die zweite, Mitte 20, blond und hübsch, musste auch zur Arbeit, erlaubte mir aber sie zu begleiten. Wir fuhren zusammen S-Bahn bis zum Zoo und unterhielten uns. Dort tranken wir noch einen Kaffee an der Bar. Als sie gegangen war, sprach ich die Frau neben mir an, eine Anfang 30er dpa-Fotografin, die sehr cool war. Zu cool um gleich abzublocken, aber auch zu cool, um sich wirklich drauf einzulassen. Nach einer halben Stunde musste sie auch weg und ich lief durch die Bahnhofshalle, suchend. Gleich die zweite, die ich ansprach, ließ sich auf einen Kaffee einladen (mein dritter diesen Morgen, langsam wurde ich zappelig)und wir kamen sehr nett und angeregt ins Gespräch. Es war ein wirklich sehr schöner Morgen, leider habe ich seitdem nie wieder den Mut für so etwas aufgebracht.

  21. kid37 meint:

    Alles klar. Ich spreche nie mehr eine an. Dabei war ich sogar schon mal mit Frau Lyssa einen Kaffee trinken. Aber das zählt nicht so richtig, wir kannten uns bereits ein wenig. Ich habe da gerade so eine Elektrofachmarktverkäuferin im Auge. Aber bislang habe ich wohl immer die falschen CDs bei ihr gekauft. Nun traue ich mich gleich gar nicht mehr… ;-)

  22. die Kaltmamsell meint:

    kid, Sie gehen jetzt bitte sofort hin und sprechen die Elektronikerin an. Für die sind Sie ja nicht mehr wildfremd! Und die Einstiegsfrage haben Sie ja schon: "Kannst Du Dich erinnern, welche CDs ich schon bei Dir gekauft habe?"

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