Wiedersehen, einseitig

Mittwoch, 6. Oktober 2004 um 15:19

Gestern beim Fernsehen an einem Anblick hängen geblieben: Moment, das ist doch. Ist das nicht? Aber ja, das ist sie! Und schon tut sich die Pandora-Büchse mit Erinnerungen auf.

Sie war 1986 der jüngste Neuzugang im Ensemble des Stadttheaters, frisch von der Schauspielschule in Graz, und ich konnte mich von ihrem Anblick kaum losreißen. Anfang 20, sehr schlank mit breiten Schultern, großem Gesicht, klaren Augen und scharfem Blick, langem und enorm vielem dunkelblonden Haar. Sie strahlte ungeheure Kraft und Jugend aus, war für mich eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen hatte.

Ich war nach dem Abitur frisch Zeitungsvolontärin geworden, bekam mein erstes Monatsgehalt, wohnte in der ersten eigenen Wohnung, hatte eine Liebesbeziehung, fühlte mich wie die Königin der Welt. Wir begegneten uns hin und wieder im Theater-Umfeld und stellten fest, dass ihr Anfängerinnen-Verdienst am Theater nicht höher lag als mein Volontärsgehalt. Ich sah sie auf Proben und in mindestens drei Aufführungen der Inszenierung von Lorcas Bernarda Alba von Frank Helmund. Sie spielte die Adela, so atemlos und trotzig und jung.

Doch ich stellte fest, dass ich das Theater nur vom Zuschauerraum aus lieben konnte, ging studieren, verlor sie aus den Augen. Hin und wieder dachte ich an ihr Leuchten und ihre Kraft. Vor ein paar Jahren recherchierte ich nach ihrem Verbleib, fand wenige Spuren an Theatern.

Und gestern, fast 20 Jahre nachdem ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie auf dem Fernseh-Bildschirm: Ulrike Knospe. In der Rolle der gestörten Ehefrau eines plastischen Chirurgen in einer fragwürdigen RTL-Fernsehserie (also eher Martirio als Adela). Älter, die Haare schulterlang und rötlich gefärbt. Erst als kurz ihre kraftvollen Hände ins Bild kamen, erkannte ich sie wirklich wieder. Dann weiß ich ja, wo ich sie Dienstagabends anschauen kann.

die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Wiedersehen, einseitig“

  1. OWeh meint:

    Tja, nachdem ich vor knapp zwei Jahren mein kleines “Glötzchen” in einem – im Prinzip immer noch andauenden – Anfall von Medienhaß verschenkt habe, bin Abendunterhaltungsparia.

    Machmal wünsche ich mir einen Sonntagabendunterschlupf. Für den Münchner “Tatort” und “Zimmer frei”, oder so. Wem man da alles begegnen könnte…

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