Linguistische Zeugen Jehovas

Freitag, 12. November 2004 um 11:28

Sie kennen Apokalyptiker und Integrierte von Umberto Eco? Ich finde diese Klassifizierung sehr nützlich und weiß, dass Integrierte mir immer die lieberen sein werden. Skeptische Integrierte am allerliebsten.

Genau deswegen habe ich mich heute unverhältnismäßig über das “Streiflicht” der Süddeutschen Zeitung amüsiert:

“(…) Eine der enervierendsten Vereinigungen in diesem Land ist die Gesellschaft für deutsche Sprache. Das sind diese linguistischen Zeugen Jehovas, deren Mitglieder in Sack und Asche durch die Straßen laufen, weil das Deutsch dauernd kaputt geht. Sie wählen das Unwort des Jahres, verwalten den deutschen Sprachschatz und überziehen einen mit Anrufen und Leserbriefen des Inhalts, dass doch unser aller Muttersprache schon längst in Agonie liege. Allein schon die Werbung, Englisch allerorten, quengel, quengel, quengel. (…)”

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Linguistische Zeugen Jehovas“

  1. Thuner meint:

    Jawohl!

    Ich sag’ nur “Rechtschreibreform”.
    Obwohl, eigentlich müssten wir ja “-reförmchen” sagen.
    Als prinzipiell zurückgebliebener Schweizer (schliesslich haben wir schon die letzte Lautverschiebung nicht mitgemacht) habe ich eh ein gestörtes Verhältnis zu wortgläubigen Dudenlesern. Aber da es bei uns sogar Mitbürgerinnen und -bürger gibt, die schon die vorletzte Lautverschiebung als zu revolutionär abgetan haben (die Walliser), kann ich durchaus verstehen, dass man (Frauen gibt’s zum Glück in dieser Gemeinschaft nicht…) der Ansicht ist, dass die Welt gleich untergeht, wenn das #*!ç (frei nach Asterix für das Doppel-äss, welches ich auf meiner Tastatur nicht habe) durch zwei ganz normale S ersetzt wird. Und dass uns als “gutes” Beispiel immer das Original-Englische vorgehalten wird. Doch, äh, wie hiess schon wieder dieser Vizepräsident in den USA, der nicht wusste, wie man korrekt potato schreibt????

  2. die Kaltmamsell meint:

    Ich seh die Rechtschreibreform eher sportlich. Sprache wird nie logisch sein (was paradox ist, da logos ja Wort heißt), das ist sie durch die reformierte Rechtschreibung auch nicht geworden. Mir wäre eine weiter reichende Reform lieber gewesen, aber jetzt haben wir nun mal die. Ich finde es spannend, die neuen Regeln zu lernen und zu beherrschen – und mich gruselt bei der Information (wieder SZ), dass fast alle neuen Schulbücher fehlerhaft sind.
    Schlampige Ausdrucksweise, schiefe Argumentation, und – zugegeben – Grammatikhämmer regen mich wirklich auf.

    Am scharfen S hänge ich. Durch die Rechtschreibrefom hat es eine klare Funktion bekommen, und ich mag nun mal landesspezifische Eigenheiten. Ich lasse den Nordlichtern ja auch ihr durchgestrichenes o, den Polen ihr durchgestrichenes l etc.
    Und ich finde es schön, dass ich einen Schweizer Text gleich am Fehlen des ß erkenne.

  3. Lila meint:

    Ich gebe zu, ich finde es absurd, dass ich in Deutschland keine Fahrkarte mehr kaufen kann, sondern nur noch ein Ticket. Die Bahn hat ueberhaupt ein total vermurkstes und dem Englischen nur entfernt aehnliches Bahn-lingo erfunden (bald werden sie sich German Iron Trail oder so nennen).

    Dass Deutsche keine Kinder mehr haben, sondern nur noch “Kids”, dass es keine Jugendlichen mehr gibt, sondern nur noch “Teens” oder “Teenies”, dass viele Leute, die meinem Mann den einfachsten Satz auf Englisch nicht sagen koennen, ihr Deutsch mit trendy klingenden Pseudo-Anglizismen verzieren – das finde ich ja soo uncool. Wenn man kein Englisch kann, sollte man von Anglizismen die Finger lassen…

    Am aller-absurdesten waren die Spassvoegel, die als Protest gegen den um sich greifenden Amerikanismus vorschlugen, doch FRANZOESISCHE Worte zu benutzen. Erinnert Ihr Euch? Das war wirklich eine Klasse Idee, statt okay d’accord sagen… da gab’s so richtige Listen. Als ich das las:

    (http://www.sprache-in-der-politik.de/aktuelles.htm wenn man ein bisschen runterscrollt) (kostenpflichtig – aber Beweis dafuer, dass mein Gedaechtnis funktioniert: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,243705,00.html)

    habe ich herzlich gelacht. Ist die deutsche Sprache wirklich so armselig, dass der staerkste linguistische Protest die Ersetzung von Anglizismen durch Gallizismen ist? Sollen wir uns etwa auch vor den Franzosen blamieren?

    Das peinlichste Beispiel fuer die Maltraetierung des Englischen durch die Deutschen ist das Wort Handy. http://www.kosara.net/thoughts/german.html
    Ausserdem die Nutzung des Apostrophs fuer Genitiv oder sogar Plural! (Gaby’s Wollstuebchen) Da wird mir schlecht.

    Ich bin also vielleicht doch eine Puristin?

  4. Lila meint:

    Ich Wurst, Naknik. Hier ist der beste Link zu den Gallizismen:
    http://www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/sprache-in-der-politik.shtml

    D’accord?

  5. die Kaltmamsell meint:

    Argh, “d’accord” kenne ich ausgerechnet aus der gespreizten Münchener Agentur-Welt. Meine kindische Rebellion war ein Nachäffen auf Bayerisch “dakoha”.

    Das mit dem Genitiv kriegen ja nicht mal die Engländer oder die Amis hin, ich muss regelmäßig die Texte meiner englischen Kollegen verbessern. Aber wenn sich die Genitiv-Bildung im Deutschen richtung Apostroph entwickelt – ja mei, dann ist das halt so.

    Mir ist lieber, die Bahn schreibt “Ticket” als “Beförderungsberechtigungsnachweis”. Und es wäre mir ein Geräuel, gäbe es ein deutsches Pendant zu den französischen und spanischen Sprachvorschriftsbehörden (real academia).

    Gallizismen wären sehr hübsch, auch wenn hier eh keiner bye bye sagt, sonder Tschao, gerne auch Tschauie.

    Es bleibt spannend.

  6. Lila meint:

    Wir sagen yalla bye…

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