Archiv für Juli 2005

Das Wochenende

Montag, 4. Juli 2005

Bildungsfernsehen: Musik

Samstag, 2. Juli 2005

Return of the Live Aid, dachte ich mir, könnte mir einen Eindruck über zeitgenössische Populärmusik verschaffen. Nun:

Die Herren Toten Hosen machen immer noch die Musik von vor 20 Jahren. Wenn ich immer noch dieselbe Arbeit wie vor 20 Jahren machte, schriebe ich auch heute auf der Basis des Polizeiberichts Meldungen für die Lokalseiten eines Provinzblattes. Wär vielleicht kein Schaden.

Coldplay sind also die wohlgeraten Söhne von Barclay James Harvest, süß. (Der Trommler trägt ein T-Shirt mit dem Cover der Kraftwerk-Platte Radioactivity; hey, das gehört MEINER Generation!)

Das London-Lied von Richard Ashcroft kann ich ab der Hälfte mitsingen. Ist das nun gut oder schlecht? Vielleicht mag ihm jemand einen dritten Akkord spendieren?

Bei Gitarren-Geschraddel wie von Good Charlotte schalten meine Ohren auf Durchzug, merke ich gerade.

McFly (Marty?) wiederum klingt, als wäre die Musik speziell für unjunge Leute wie mich gemacht. Hieß die Gruppe möglicherweise früher Kelly Family?

Elton John IST einer von diesen unjungen Leuten, wenn nicht sogar die Elterngeneration derselben. „Schmissig“ nannte man solche Musik damals, glaube ich. Wann wird der Werbspot eingeblendet, nach dessen Untermalung sie klingt? Für eine von diesen anti-erwachsenen Automarken vielleicht?

Duran Duran, rührend. Mit einem konservativeren Haarschnitt fiele der Herr Sänger im Vorstandsbüro 20 Meter rechts von meinem nicht auf. Den Gitarristen müsste er aber daheim lassen. Dieses Lied haben sie doch beim ersten Live Aid auch schon gebracht, oder? Ja, der Mann mit den rostroten Strähnchen hat es gerade zugegeben. Und jetzt singen sie auch noch “Wild Boys”! Uuuuh, Herr Sänger versucht, wild und böse zu schauen. Ganz lieb.

Dido (ich nehme an, das ist die weiße Frau und nicht der dunkle Mann) singt auf irische Volksliedweise – spricht dann aber überraschenderweise gar nicht mit irischem Akzent.

Green Day – Gitarren-Geschraddel mit Pausen mittendrin. Muss ja auch anstrengend sein für den Schraddler. Guckt auch ganz angestrengt.

Aus Johannisburg nur ein Querschnitt von Musik (mit vielen schönen dicken Frauen), die dort bislang gespielt wurde. Na ja, ist ja nur Afrika, interessiert doch eh niemanden. Halt, um welchen Kontinent geht es heute nochmal?

R.E.M, und der Sänger hat sich einen zwölf Zentimeter breiten blauen Balken über die Augenpartie gemalt – ist das vielleicht sein Markenzeichen? Ein jüngerer Schreihals vorhin hatte sich allerdings schwarze Waschbäraugen gemalt. Die Musik kenne ich aus dem Radio, R.E.M. sind wohl sehr populär.

18.30 Uhr
Habe leider den Namen der rappenden Band nicht mitbekommen, sie singen hübsch flotte Weisen. Sehr lustig ist allerdings, dass die einzige Dame auf der Bühne streckenweise zu den lasziven Bewegungen ansetzt, die weibliche Rap-Musikerinnen in Musikvideos als ausschließliche Bewegungsform präsentieren. Zumal die Männer ganz eindeutig mehr mit Musikmachen beschäftigt sind als mit Reaktionen auf ihre Balzshow.

19.45 Uhr
Annie Lennox sieht tatsächlich Else Buschheuer ähnlich. Else habe ich zwar lesen, aber nie singen hören; Sangeskünste kann ich daher nicht vergleichen. Frau Lennox höre ich sehr gerne singen. Was auch immer.
Schöner,altmodischer Rock. Und dann „Sweet Dreams“, hat sich gut gehalten. Das ist meine Party.

Bon Jovi, den kenne ich auch. Bombasto-Rock hat man also immer noch. Sängerisch ja `ne echte Leistung. Ohne saubere Stütze und Atmung hielte jemand wie Herr Jovi das nie ein Konzert lang durch. (Habe ich zumindest in den 80ern ständig über diese Sorte Band gehört, also Scorpions, Bonfire etc.)

Destiny’s Child verdeutlichen das Anliegen der Konzerte, indem sie eine Dame mitsingen lassen, die selbst vom Hungertod bedroht zu sein scheint. Auch diese Musik kenne ich aus dem Radio, ist also sehr breitenpopulär.

20.45 Uhr
Madonna fragt wiederholt: „Are you ready for the revolution?“ Ganz schön gewagt: I’m afraid you would be one of the first up against the wall, ma’m. So als Schlossbesitzerin und Multimillionärin.
Aber sie kann tatsächlich singen, kräftig und richtig.
„Music makes the people come together“, so so. Das ist also das amerikanische “Wo man singt, da lass dich ruhig nieder”?

Coco Mbassi – eben wollte ich bemerken, wie schön und fein die Musik ist, da war sie schon wieder weg. Ah, wir sind wieder im uninteressanten Südafrika.

Snoop Doggs Obersänger trägt zwei Zöpfchen, vermutlich symbolisieren sie die Hundeöhrchen des Bandnamens. Soul und Rap gemischt, nicht schlecht. Im nächsten Stück ist der Soulanteil fast verschwunden, jetzt wird’s beliebig. Vermutlich kommt’s mehr auf den Text an als auf die Musik. Ist mir aber zu anstrengend, mir den rauszuhören. Und dann kommt’s doch wieder soulig, das gefällt mir.

21.15 Uhr
Brian Wilson – oh Gott, lasst den armen alten Mann doch in Ruhe. Oder stellt zumindest sein Mikrophon ab. Er klatscht nicht mal im Rhythmus. Für die Sache alter Menschen können wir doch ganz einfach eine eigene Aktion machen, nein? Nein, das ist weit jenseits von rührend.

Kanye West hat Geigen, Celli und eine Harfe auf der Bühne. Gibt’s keine guten Synthesizer mehr? Oder ist das die Grand-Prix-de-la-Eurovision-Note? Ausgerechnet in Philadelpha? Wieder ganz viel Sprechgesang, ist mir wieder zu anstrengend rauszufinden, was dem jungen Mann so wichtig ist.

Shakira, die kenne ich! Das Lied kannte ich auch vom Hören, jetzt weiß ich, dass es von Shakira ist. Die shaket aber ihre Hips, was!

Ahas Sänger hat sich gut gehalten, aber seine Kollegen hören sich selbst beim Singen offensichtlich nicht – hat da jemand den Mischer geärgert? Oder hätt’mer’s dann doch lieber eine Terz tiefer nehmen sollen, hm?

Kandidat für „unser Inder“

Samstag, 2. Juli 2005

Gestern Abend mit meinem Mitbewohner bei einem Inder essen gewesen, den ich auserkoren habe, „unser Inder“ zu werden. Das liegt in erster Linie daran, dass die Gerichte dort ausgezeichnet schmecken: genau der Reichtum an Gewürzen und Geschmacksrichtungen, den ich an der indischen Küche so liebe und nur von dort kenne, deutliche Unterschiede in den verschiedenen Gerichten, Aroma-Explosionen, stundenlanger Nachhall im Mund. Dazu kommen die Nähe zu meiner Wohnung und der Geheimtipp-Charakter, weil das winzige Restaurant mitten in der scheußlichsten Touristengegend Münchens liegt, dort wiederum in einer unauffälligen Nebenstraße, weil es zudem wenig und das eher geschmacklos dekoriert ist, nicht wirklich gemütlich und ein wenig dilettantisch geführt.

Gestern ging es dort hektisch zu; ob eine ausführliche Empfehlung angebracht ist, entscheide ich also erst nach den nächsten Besuchen. Denn gestern gab es weder Cobra- noch Kingfisher-Bier (der Kellner entschuldigte sich unter Verbeugungen, es sei aus und man hätte vergessen, rechtzeitig nachzubestellen), der Beilagenreis war blank weiß und nicht wie bei vorherigen Bestellungen mit Kurkuma gegelbt und mit Kardamon sowie anderen Gewürzen aromatisiert.

Einer der Kellner (vielleicht ist es sogar der Wirt?) sieht entschieden chinesisch aus, hat auch einen Akzent, den ich sonst nur aus chinesischen Karikaturen kenne. Ebenfalls nur aus Karikaturen kannte ich bislang das Klischee, dass Chinesen vorstehende Schneidezähne haben (als erstes fallen mir die Chinesen bei Lucky Luke ein) – was ich mir nie erklären konnte. Doch dieser sehr freundlich und höfliche Herr hat sie tatsächlich. Ich musste mich sehr anstrengen, nicht ständig darauf zu starren.

Möglichkeiten

Freitag, 1. Juli 2005

Wie lebendig mir immer noch die kindliche Annahme ist, mit reinem Ausdenken einer Situation genau diese zu verhindern. Als könne die Phantasie ein schützendes Amulett spinnen: Wenn ich mir vorstelle, dass ich in der nächsten Arbeitsstelle die allerunbeliebteste Kollegin bin, kann es schon nicht mehr passieren.

Ist ja die Kehrseite eines anderen kindlichen Aberglaubens: Dass schöne Dinge nur überraschend kommen können, weil sie doch den Großteil ihrer Schönheit aus dem Überraschungsmoment schöpfen. Und dass man sich deshalb durch reines Ausdenken einer ersehnten Situation die Chance nimmt, sie tatsächlich zu erleben: Wenn ich mir vorstelle, dass ich in Hamburg W. begegne, wird es nie passieren.
Als Kind habe ich deshalb aufsteigende Phantasieszenarien immer wieder unterdrückt, um ihnen nicht die Möglichkeit zu nehmen, wirklich zu werden.