Wochenausblick
Sonntag, 7. Mai 2006Bin bis Freitag geschäftlich unterwegs. Mal sehn, ob das hier herein schwappt.
Bin bis Freitag geschäftlich unterwegs. Mal sehn, ob das hier herein schwappt.
Eine Naturspießerin packt aus
Heute vor zehn Jahren war ich mit dem Mitbewohner auf dem Standesamt (wie das war, steht hier). Und obwohl dieser Verwaltungsakt bei Weitem nicht das Einschneidendste in unserer Beziehung war (der Mitbewohner meint mittlerweile sogar, für mich sei die Verheiratung in erster Linie eine Racheakt an der Institution Ehe gewesen), finde ich dieses Zehnjährige bemerkenswert.
Nun werden meine lieben Leserinnen und Leser sagen: „Oh Kaltmamsell, dann bist du ja nicht nur Expertin im Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, und weißt dazu alles besser, als wir auch nur ahnen könnten! Sondern du bist auch die ultimative Instanz in Ehefragen! Bitte, liebe Kaltmamsell“, so werden sie sagen, meine lieben Leserinnen und Leser, „bitte lehre uns, was die Geheimnisse einer guten Ehe sind!“ Nach sekundenkurzem Zögern lasse ich mich breitschlagen. Dass meine Lehre den meisten Frauenzeitschrifttipps und rosaroten Lebenshilfebüchern widerspricht, ist mir klar. Unerlässlich für eine gute Ehe sind (in absteigender Reihenfolge):
1. Treffende Partnerwahl
Wählen Sie einen Menschen, mit dem Sie sich verstehen. Von dem Sie sich verstanden fühlen, den Sie auch dann verstehen, wenn er gegenteiliger Meinung ist. Das bedeutet nicht, dass dieser Mensch keine Überraschungen bietet – er muss Ihnen seine / ihre überraschenden Seiten lediglich verständlich machen können. Das geht idealerweise einher mit einem ähnlichen Wertesystem und kompatiblen Zukunftserwartungen.
Die innere Klage „Er versteht mich nicht“ wird übrigens keineswegs durch den Seufzer „Er ist halt ein Mann“ aufgehoben: Vergessen Sie in diesem Fall das Ganze lieber.
2. Respekt
Ich fürchte, das kann man sich nicht anerziehen: Der gegenseitige Respekt ist da oder er ist nicht da. Eigenheiten und Bedürfnisse des anderen respektieren, ihn für einige davon vielleicht sogar bewundern. Wenn dieser Respekt fehlt, einer den anderen gar verachtet, wird daraus vielleicht Stoff für Filme, aber keine gute Ehe.
3. Höflichkeit
Folgt direkt aus 2. und trägt massiv zum angenehmen Zusammenleben bei. Grüßen, „bitte“ und „danke“ sagen – auch dafür, dass er Sie zum 76. Mal zum Flughafen gefahren hat oder nach Ihrer Rückkehr von der Geschäftsreise trotz eigener Verpflichtungen für einen vollen Kühlschrank gesorgt hat.
4. Eigenständigkeit
Wenn jeder ein eigenes Stück Leben hat, kann er das Leben des anderen damit bereichern. Zudem braucht selbst der zweisamkeitssüchtigste Mensch irgendwann einen Moment für sich. Wenn das aber nach fünf Jahren zum ersten Mal passiert, wirkt es wie Zurückweisung und Kränkung. „Ich kann sehr wohl ohne dich leben – allerdings sehr ungern“, ist schon wieder kein Material für Hollywood-Märchen, aber die Basis für eine gute Ehe.
5. Liebe
Gerne in Verbindung mit Verliebtheit und Leidenschaft, aber ohne das eine mit dem anderen zu verwechseln. Die Belastbarkeit der Liebe, die eine gute Ehe ermöglicht, misst sich nicht an der Intensität eines momentanen Gefühls. Weil manche Menschen aber genau diesem Irrtum erliegen, sehen sie den Schmerz des Verletzt- und Zurückgewiesenwerdens oder die Qualen der Eifersucht als Beweis für die Tiefe ihrer Liebe. Der Kick des Liebesschmerzes kann süchtig machen; nur so erkläre ich mir die zahllosen Partnerschaften, in denen die Beteiligten sich mit wenigen Unterbrechungen verletzen und einander das Leben zur Hölle machen – nur um zu betonen: „Aber ich liebe ihn doch!“ Aber solche Beziehungen würde vermutlich niemand als gute Ehe bezeichnen.
Die Liebe, die ich meine, enthält das Bedürfnis, dem anderen Gutes zu tun und ihm gut zu sein.
Sie finden, das liest sich alles schrecklich langweilig? Dann entscheiden Sie sich halt statt für eine gute Ehe für stürmische Affären und heiße Liebschaften. Das geht ja auch.
Wie auf Bestellung gestern Abend bei der Einfahrt in den Hauptbahnhof München: Eine bayrische Männerstimme liest in der ICE-Durchsage erst die zahlreiche Anschlusszüge vor, dann kämpft er sich durch eine stark verkürzte englische Version. Die, und das ist mein Kritikpunkt, Nicht-Deutschen überhaupt nichts bringt, wenn sie in Wort und Aussprache unverständlich ist. Seine letzten Worte allerdings waren unmissverständlich:
“The train stops now. Please go out.”
Müde öffne ich gleich das erste ICE-Abteil, in dem ich freien Platz sehe: „Hallo. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Die beiden Passagiere nicken freundlich und machen Grußgeräusche: ein Mann mittleren Alters am Fenster in Fahrtrichtung, eine junge Frau am Gang gegen Fahrtrichtung. Angenehme, entspannte Mitfahrer. In dieser Atmosphäre und vor diesem glühenden Sonnenuntergang fällt das halbe Gewicht des Tages ab, das mir auf die Schultern drückt.
Ich lasse mich neben die Frau auf dem Mittelsitz nieder und taste nach einem Hebel, mit dem ich die Rückenlehne gerade stellen kann – vergeblich. Der Mann sieht auf und bietet durch ein Lächeln Hilfe an. Auch die Frau blickt auf und hilft suchen. Gemeinsam entdecken wir den Hebel, der wie bei einem Autosessel unter der Sitzfläche liegt; dieses System kannte ich von Bahnfahrten noch nicht.
Als der Mann das Abteil verlässt, wohl Richtung Klo, bittet er: „Passen Sie auf meine Brieftasche auf?“ Er ist kaum draußen, als ich der Frau neben mir zuraune: „Halbe Halbe?“ – „Nur, wenn sich’s lohnt.“ Wir grinsen uns an.
Der Mann kommt zurück, setzt sich. Er bemerkt, wie die Frau neben mir ihre Strickjacke anzieht, bietet an: „Wir können gerne die Heizung ein wenig höher stellen.“ Sie lächelt, lehnt aber ab.
Wir fahren in München ein, die Frau ist samt Gepäck schon zur Zugtür gegangen. Beim Aufstehen weist mich der Mann darauf hin, dass noch ein schwarzer Mantel neben mir hängt. Die junge Frau hat ihn wohl vergessen, ich bringe ihn ihr. Sie dankt mir, schenkt mir noch ein Lächeln.
Wir haben kaum mehr als eine halbe Stunde miteinander verbracht, wir drei. Doch ich habe mich selten so sehr als Teil einer liebevoll fürsorglichen Gemeinschaft gefühlt wie in diesen Minuten.
Gibt es in Deutschland neben der für deutsche auch eine Gesellschaft für ausländische Sprache? Wenn, dann möchte ich die deutsche Bahn bitte bei ihr anschwärzen. Seit einigen Wochen zwingt dieses Unternehmen die Durchsagenmacher seiner Fernzüge dazu, Ansagen nicht nur auf Deutsch zu sprechen (tun sich viele ja schon damit schwer), sondern auch auf etwas, was die Sprecher vermutlich für Englisch halten. Das aber zu 70 Prozent alles unterbietet, was ich in meinem internationalen Berufsleben bislang an vermeintlichem Englisch erleiden musste.
Die schlauesten unter den Zugchefs und Zugchefinnen verkürzen die Sache ohnehin auf die essentiellen Inhalte. Dann wird aus deutsch „Sehr geehrte Damen und Herren. In Kürze erreichen wir unseren Zielbahnhof München Hauptbahnhof. Der Zug endet hier, bitte alles aussteigen. Sie erreichen alle planmäßigen Anschlusszüge. Wir bedanken uns für Ihre Reise mit der deutschen Bahn und freuen uns darauf, Sie bald wieder begrüßen zu dürfen.“ Die Bavarian-English-Version: „Lädies än Tschentlmän. Schoatli wie araif tu München Hauptbahnhof. Sänk ju foa träwälling wis Deutsche Bahn.“
Die Ambitionierteren aber setzen alles daran, ihren deutschen Text vollständig und 1:1 ins Lexikon-Englisch zu heben, koste es was es wolle. Selbst die korrekten Fragmente dieses Fleißes helfen einem Nichtdeutschsprachler allerdings kaum weiter, weil die Aussprache eher eine grönländische Fassung vermuten lässt.
Deshalb: Liebe Gesellschaft für ausländische Sprache. Wenn es dich gibt, dann red doch mit der Frau Bahn und sag ihr, dass sie entweder den Zugchefs und -chefinnen einen Sprachkurs spendiert, oder sie von der Übersetzungspflicht entbindet. Sänk ju.
Letzten Samstagabend nach sehr langer Zeit mal wieder gepokert. Macht immer noch viel Spaß, begeistert mich aber bei Weitem nicht mehr so wie in den Zeiten, in denen die Pokernächte vor lauter Aufgeregtheit und Nicht-Aufhören-Können („man nannte sie Lady, die gemeinste Stud-Spielerin westlich des Mississippi“) nie vor Sonnenaufgang endeten. Lustig dabei: Am Tisch saß als Neuling ein Zauberer, nicht hauptberuflich, aber so richtig mit Zaubererprüfung und allem Pipapo. Seine Spezialität: Kartentricks. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Mann in Unterhosen und Socken gespielt, vorsichtshalber. Aber der Rest der Runde sah kein Problem und verließ sich auf seinen treuherzigen niederbayrischen Blick, mit dem er beteuerte, dass er ganzganz sicher nicht schummeln werde.
Beim Laufen an der Isar habe ich seit Frühlingsausbruch eine Menge Gesellschaft. Unglaublich, wie viele Jogger / Walkerinnen / Steckerlgeherinnen / Spaziergänger auf so einen Uferweg passen. Unter den Spazierern eigentlich jedes Mal jemand Ungewöhnliches, zuletzt ein sehr dünner, sehr junger Mann in dunklem Dreiteiler und Wintermantel, mit Herrenhut und Lederhandschuhen, ganz in sich gekehrt, an dem ich eigentlich zur Abrundung einen Spazierstock vermutet hätte.
FÜÜÜÜÜSSSEEEE! Mai ist der grausamste Monat, aber voll. Die Flut nackter fremder Füße, die mein Sichtfeld schutzlos einfängt, sobald die 15-Grad-Grenze bei Sonnenschein überschritten ist, macht mich jedes Jahr fertig. Ich brauche ein paar Wochen, bis ich all die Badeschlappenfüße, Sandalenfüße, Barfüße aus der Wahrnehmung filtern kann und nicht mehr als aufdringliche Intimität registriere.
… kommt nämlich von einer verschwundenen Bedeutung des Wortes „Letzt“ (die): veraltet für „Abschiedsmahl“. Laut Duden (1996) sagt man sonst noch in Österreich mundartlich „auf die Letzt“ für „schließlich“, habe ich aber noch nie gehört.