Archiv für Mai 2006

Billig!

Mittwoch, 17. Mai 2006

Dieser Artikel in der Zeit über zu billige Lebensmittel beginnt zunächst wie das zyklische Lamento über den gewissenlos gierigen Konsumenten (das ich selbst nicht müde werde anzustimmen, fast schon ohn’ Unterlass, als Bordun meines politischen Bewusstseins). Doch dann wird’s richtig gut. Zum Beispiel:

Und mag es auch befremdlich wirken, dass Kühltransporter täglich riesige Mengen Schweinefleisch in die Supermärkte karren: Ein paar Lastwagen verbrauchen allemal weniger Sprit, als wenn Hunderte Großstädter selbst mit ihren Autos die Hofläden im Umland abklappern, um sich einzelne Schnitzel aus der Hausschlachtung zu besorgen.

Dann gibt’s gute Vorschläge, zum Beispiel:

Ferner müsste ein unfairer Wettbewerbsvorteil für konventionell erzeugte Lebensmittel beseitigt werden: Sie sind nämlich auch deswegen bis zur Hälfte billiger als ökologische Ware, weil sie einen Teil ihrer Produktionskosten der Allgemeinheit aufbürden, zum Beispiel Umweltschäden.

Und kommt mir nicht mit: Du kannst es Dir halt leisten, beim Basitsch einzukaufen. Das ist in erster Linie eine Frage von Prioritäten. Ich leiste mir zwar einen Bratgockel für 15 Euro (und was war der lecker!). Dafür habe ich kein Auto, meine Stereoanlage ist 17 Jahre alt, meine Wohnungseinrichtung besteht zu 50 Prozent aus abgelegten Möbeln der Verwandtschaft.

Das hört für mich nicht bei Lebensmitteln auf: Letzthin habe ich ein Windlicht nicht gekauft, weil es zu billig war. Geschliffenes Glas, schön bearbeitetes Metall, es standen rund ein Dutzend in diesem Einrichtungshaus im Regal. Preis: 2,99 Euro pro Stück. Nee, sorry, irgend jemand hat da massiv draufgezahlt, und der wurde vorher sicher nicht gefragt.

Auf meinem Weg in die Arbeit (36): Ufop, Mitpendlerinnen

Mittwoch, 17. Mai 2006

Am Kleiderhaken neben dem ICE-Fenster hängt ein druckfrisch riechendes Magazin: Es heißt Rapsmagazin und wird veröffentlicht von einem Verein mit der schönen Abkürzung Ufop. Mag vielleicht jemand ihren Sohn so nennen? Wenn es doch auch Geschichten von Leuten gibt, die ihr Kind Üffes rufen? Die Geschichte von Üffes, die Frau Dasnuf mal aufschrieb, habe ich schon sehr oft weiter erzählt – immer mit dem Problem der Quellenangabe („Ich hab da mal im Internet gelesen“ klingt schon arg lahm). Aber vielleicht habe ich mir die Geschichte heimlich selbst mit Dasnuf als Autorin ausgedacht, denn auch nach einer halbstündigen Suche finde ich sie nicht mehr bei ihr. Hier die Geschichte von Üffes (danke, Uwe!).
Ufop ist die „Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e.V.“ und will im Rapsmagazin mit Hochglanzbildern, dominantem Gelb, Rezepten und der Behauptung, die Kreter kochten traditionellerweise mit Rapsöl und Margarine, weshalb sie auch besonders alt würden, über Rapsöl aufklären und dafür werben.

Gegenüber an meinem Vierertisch sitzen zwei Frauen, die ich regelmäßig in diesem Zug sehe, wohl Pendlerinnen wie ich. Sie blättern gemeinsam in einer Mittelklasse-Frauenzeitschrift und lesen einander kommentiert die Werbung vor: „Mit Faltenbügeleffekt. Moanst, des macht meine Falten aa weg?“ – „Frosch Weichspüler.“ – „G’schminkt schaung mir aa besser aus.“
Dann diskutieren sie die Arbeitskollegin, die letzthin in der Mittagspause zu Kartenlegerin gegangen ist. Die aufgefordert worden sei, ihre Pläne weiterzuverfolgen, sich selbständig zu machen. Dass alles gut werde. Auffallend: Wenn sie die Kartenlegerin zitiert, wechselt die Erzählerin von breitem Bayrisch in angestrengtes Hochdeutsch.

Car Talk

Dienstag, 16. Mai 2006

Car Talk kennt ja hoffentlich jeder. Nein? Na kommSe, diese legendäre amerikanische Radioshow, in der zwei Brüder italienischer Abstammung, gelernte Automechaniker, telefonisch Zuhörer beraten, die Probleme mit ihren Fahrzeugen haben. Wobei die Anfrager schon auch mal die merkwürdigen Brummgeräusche des Motors am Telefon vormachen müssen. Kann man heutzutage online anhören oder aufgenommen kaufen. Ganz dringende Empfehlung, vor allem auch, wenn nicht ganz besonders oder trotzdem an technisch Uninteressierte.

Gibt’s auch in schriftlich:

„Dear Tom and Ray:
I am considering the purchase of a 1926 Buick that appears to be in very good condition. I am not a mechanic, so I am a little doubtful. Does this seem like a stupid idea? I know my wife thinks it is! What are the pitfalls? — Ray”


Ich komm ja auch nur drauf, weil ich beim Lesen dieser Geschichte von ste sehr daran denken musste.

Wie Paranoia beginnt

Dienstag, 16. Mai 2006

Es ist noch nicht mal acht, ich sitze im Business-Kostümchen auf einem Kunstlederstuhl in einem winzigen, unmodernen Behandlungszimmer einer proktologischen Praxis und warte auf den Arzt.
Aus dem Nebenbehandlungszimmer klingen dumpf und unverständlich die Stimmen von Doktor und Patient herüber. Ein Lautsprecher unter der Decke beschallt mich energisch mit österreichischen Schunkelliedern, während ich das Interview mit David Lynch über „transzendentale Meditation“ in der jüngsten Wochenendbeilage der SZ lese.
Und plötzlich frage ich mich, ob ich gerade Teil einer unglaubwürdig grotesken Inszenierung bin.

Familienalbum -18: Ein polnischer Sonntag in den 30ern

Sonntag, 14. Mai 2006

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Zu den Fotos, die wir im Nachlass meiner polnischen Oma fanden, gehörte auch dieses. Weder meine Mutter – also ihre ältere Tochter -, noch die jüngere Schwester meiner Mutter konnten irgend etwas damit anfangen. Wir vermuten, dass es Ende der 30er in der Heimatstadt meiner Oma aufgenommen wurde, im südost-polnischen Klimontov, dem Aufzug der Abgebildeten nach an einem Sommersonntag. Meine Oma könnte die zweite Frau von links sein.

Es gibt also nicht etwa eine Familiengeschichte zu diesem Bild; ich finde es einfach nur (die Hüte! die Schuhe! die Handschuhe!) herzerweichend.

In einer Woche um diese Zeit sitze ich bereits in einem Reisebus und starte eine zweiwöchige Rundreise durch Polen. Ich fahre mit meiner Mutter, die zwar polnische Eltern hat, aber noch nie dort war (ich habe ihr eine Chortournee durch Nordpolen Ende der 80er voraus).

Muttertag 2006 in München Schwabing

Sonntag, 14. Mai 2006

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Illustrierte Reisebeobachtungen

Samstag, 13. Mai 2006

Reisen strengt eigentümlich an. Lange habe ich mich darüber gewundert, dass in Filmen und Romanen Reisende nach Ankunft gerne aufgefordert wurden, sich erst mal auszuruhen. Weil sie doch, so dachte ich, eben erst viele Stunden nichts getan hatten als sich fahren zu lassen. Aber es ist tatsächlich so: Bewegung durch Raum und Zeit erschöpft.

Meine Woche begann mit fast drei Tagen Berlin, zum ersten Mal sommerlich. Auch wenn ich wenig rumkam, schließlich war ich zur Schulung da und nicht zum Spaß, fühlte ich mich wieder mal umgehend wohl. Sofort sehe ich mich gezwungen, das damit zu erklären, dass ich schließlich immer nur die mir angenehmen Gebiete Berlins zum Aufenthalt wähle, aber das tue ich in meiner Wohnstadt München schließlich auch.

In den Galeries Lafayette hörte ich das Pendant zu den Englisch radebrechenden ICE-Zugchefs: Ein Franzose, der Durchsagen in einer Sprache machte, die er für Deutsch hielt. Was er da sagte, konnte ich als Deutsch-Muttersprachlerin nur mit höchster Konzentration verstehen, und dann auch nur in Bruchstücken. Er erinnerte mich sehr an Julio Iglesias oder Nat King Cole, die beide unter anderem in Sprachen sangen, die sie überhaupt nicht konnten (JI Deutsch, NKC Spanisch).

Auf der Zugrückreise hinter Hildesheim einen Jogger im Grünen entlang dem Bahndamm gesehen, der in der einen Hand einen sehr kleinen Hund an der Leine führte, mit der anderen Handyfonierte. Im Lauf. Mit sehr kurzen Hosen. Was muss ein ICE auch so schnell fahren.

Pünktlich um 18 Uhr in München angelangt, dadurch hatte ich die Möglichkeit, am selben Tag morgens in einer berliner Muckibude einen zu heben und abends an der Münchner Isar wegzulaufen. Muss man sich mal vorstellen. Sehr cool.
Dabei zum ersten Mal einer verschleierten Joggerin begegnet. Auf Höhe der Münchner Stadtgärtnerei kam mir eine junge Frau mit Brille entgegengetrabt, die eine weite, schwarze 7/8-Hose trug, darüber ein langes, tailliertes schwarzes Hemd, ihr Kopf und Hals waren fest in ein graues Tuch gewickelt, das zu den anthrazitfarbenen Laufschuhen passte. Meine Phantasie schoss sofort los und spielte mit Ideen, wer die Frau wohl war. Doch diese meine Phantasie bedient sich ja doch bloß aller zur Verfügung stehenden Klischees: Als mir wenige hundert Meter weiter ein dicker, alter Jogger auffiel, weil er in normaler Straßenkleidung, mit Lederschnürschuhen und einem Trenchcoat überm Arm joggte, dachte ich sofort: „Und das ist der Vater der Kopftuch-Joggerin, der auf sie aufpasst.“ Dabei hat es dem Mann vielleicht einfach nur pressiert.

Zudem sah ich die neueste Steckerl-Sportart:
Angefangen hat es, wir erinnern uns, mit Skilanglauf. Ganz früher gab es in dieser Bewegungsform zum einen Rentner, die freundlich genug waren, uns jungen Bergab-Skifahrern die Pisten zu überlassen, und die dennoch nicht auf Bewegung im Schnee verzichten mussten. Zum anderen gab es Profi-Skilangläufer, die wir aus dem Fernsehen kannten, die Behle hießen, und die sich manchmal vom Schnellfahren erholten, indem Sie sich bäuchlings in den Schnee warfen, um dann mit einem mitgebrachten Schießgewehr zu schießen. Sonstige Sportler außerhalb von Vereinen brauchten damals, ganz früher, keine Steckerl. Doch dann fand jemand raus, dass gerade Alte und Angebrechliche sich beim Bergwandern leichter taten, vor allem bergab, wenn Sie sich mit Steckerln abstützten. Diese „Teleskopstöcke“ (durch die man keineswegs den Sternenhimmel beobachten konnte) sah ich noch ein, spätestens als ich meine von Knieverschleiß geplagte aber bergfexige Mutter jubeln hörte. Ich konnte ja nicht ahnen, wohin das alles führen würde. Denn plötzlich spazierten immer mehr Menschen auch ohne Berge mit Skistöcken. Selbst mitten in der Stadt. In Herden. Dass es bald eine offizielle Bezeichnung mit der unausweichlichen Endung auf –ing dafür gab, half nicht gerade. Als grotesk empfand ich den Anblick solcher Nordicwalkingerinnen letzten Winter im Schnee: Sie sahen definitiv aus, als hätten sie ihre Ski verloren.
Nicht mehr gewundert habe ich mich dann über die regelmäßige Begegnung mit wohltrainierten Rollschuhfahrern, die ihr Affentempo auf dem Radweg durch den Einsatz zweier sehr langer Steckerl erhöhten. Doch letzte Woche konnte ich dann wieder lachen: Mir kam an der Isar ein Jogger entgegen, der es ziemlich eilig zu haben schien – und zwei Langlaufstöcke in seinem Bewegungsablauf unterbrachte. Beim Joggen. Sakratie.

Ebenfalls letzte Woche festgestellt: Ein Flug um 6:30 Uhr ist Mord. Vor lauter Arbeit vor Ort kam ich zudem erst so kurz vor Rückflug zurück an den Flughafen Kopenhagen, dass ich das dortige Einkaufszentrum nicht, wie geplant, ordentlich leerkaufen konnte. Da das meine vermutlich letzte Geschäftsreise nach Kopenhagen war, traf mich das wirklich. Im Rückflieger eine dänische Kabinenchefin mittleren Alters mit blondem Pagenkopf, die derart große und hervorspringende Wangenknochen über eingefallenen Wangen hatte, dass ich mich völlig fasziniert fragte, ob die nicht ihr Sehfeld beschränken. Ich werde ja schon fuchtig, wenn ein Hautfetzen oben auf meinen unausgeprägten Wangenknochen im Blick ist.

Und dann würde es mich wirklich und tatsächlich interessieren, welche Menschen das sind, die am Flughafen einchecken, ihr Gepäck aufgeben – und dann nicht im Flieger auftauchen. Diesmal war sowohl beim Hin- als auch beim Rückflug einer dabei, mit der bekannten Folge, dass alles Gepäck ausgeladen werden musste, um den Koffer des No-Show auszusortieren, dann wieder eingeladen (ging überraschend flott). Mich interessiert ehrlich, welche Geschichten jeweils dahinter steckten. Weiß das hier jemand?

Hier noch ein paar Illustrationen:
(mehr …)


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