Archiv für Juli 2006

Werbung: Moda polska

Samstag, 22. Juli 2006

Meinen Polenaufenthalt nutzte ich für den sonst so ungeliebten Kleidungskauf (meine begleitende Mutter sorgte dafür, dass ich passende Kleidungsstücke nicht mit einem “ach, im Grunde brauche ich das doch gar nicht” zurückhängte, sondern zur Kasse trug). Allein schon die Vielzahl an Stoffgeschäften wies darauf hin, dass Schneiderkenntnisse hier noch weit verbreitet waren, und schließlich war meine polnische Großmutter selbst gelernte Schneiderin.
Wenn ich schon mal da war, wollte ich also bei polnischen Herstellern einkaufen (warum Reisende in Dubai Prada kaufen, will mir nicht recht einleuchten). Es stellte sich heraus, dass Polen an Boutiquenmode einiges zu bieten hat: schöne Materialien, saubere Schnitte und – das weiß ich jetzt nach mehrfachem Tragen und Waschen meiner Einkäufe – sehr gute Verarbeitung.

Gemerkt habe ich mir zwei Marken:
Reserved. Vertrieb ausschließlich in Osteuropa. Sollten Sie also mal in Polen, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, Ukraine, Ungarn, Russland sein, empfehle ich sehr den Besuch einer der Läden.
Vielleicht mögen Sie mal die Damenkollektion hier gucken.
Tatuum, sehe ich gerade, ist kürzlich auch nach Deutschland gegangen, erst mal nach Berlin und Leipzig. Das Design erinnert an Zara, Stoffqualität und Verarbeitung liegen Meilen drüber.
Zum Beispiel weiß ich jetzt endlich, was mit dem „edlen Knittern“ von Leinen gemeint ist: Ich trage Leinen gerne, aber jetzt habe ich erstmals ein Leinen-Kleidungsstück, das nicht nach ein paar Stunden Tragen Ähnlichkeit mit einem Putzlappen hat, sondern schön und in Form fällt.
Schaun Sie sich mal dieses Stöffchen an: Daraus habe ich eine Tunika und eine Hose mit weitem Bein.

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(„Ich bügle nur schnell was für einen Blogeintrag“ gehört wohl zu den selteneren Erklärungen, warum der Milchkaffee noch etwas dauert.)

Hitzeschäden bahnseitig

Freitag, 21. Juli 2006

Zwar: Der Kollege, der mit mir in der Abendhitze im Café sitzt, schwärmt von seinem Auto, einem amerikanischen 70er-Jahr-Cabrio in Leuchtendrot (“lass ich aber noch umspritzen, ist mir zu porno”). Wie er sich immer darauf freue, darin mit offenem Verdeck heimzufahren. Nee, sorry: Ich glaube, meine Freude, abends in einen klimatisierten ICE zu steigen und nach Hause gefahren zu werden, ist größer.

Aber: Wenn ich abends um 22 Uhr eine Stunde am Bahnhof festhänge für eine Fahrt von gerade mal 70 Kilometer, weil sich wieder ein suizidales Arschloch auf die Schienen schmeißen musste und der nächste ICE durch einen sommerlichen Böschungsbrand aufgehalten wird – dann frage ich mich schon, wofür wir eigentlich all diesen teuren Abhör- und Überwachungsmethoden finanzieren (ja, solche irrationalen Gedankensprünge hat man halt im Zorn). In dieser Hitzewelle häufen sich die Verzögerungen im sonst zuverlässigen Fernverkehr. Mein Wecker piepst mich trotzdem jeden Morgen um 5.35 Uhr wach.

Andererseits hätte ich als Autofahrerin diese vier Erdbeermargaritas nicht trinken können, die mir jetzt beim Warten auf den verspäteten Zug nach Hause die schönsten Irrbilder vorgaukeln: Seit wann hat die DB solche blassgelben, breiten Lokomotiven, wie sie gerade einsam an mir vorbei zieht?

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(Der Herr ist lediglich durch Verzerrung unkenntlich gemacht, kein Bedauern nötig.)

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Coals to Newcashl

Donnerstag, 20. Juli 2006

Von ausländischen Akzenten im Deutschen, die den regionalen Heimatdialekt übertragen, hatte ich es ja schon. Ein weiteres Kapitel ist die Mischung nicht-deutscher Akzente mit regionalen deutschen Dialekten. So spricht mein spanischer Vater eindeutig Bayrisch – mit heftigem spanischen Akzent. Bei meiner polnischen Oma war es eine polnisch-schwäbische Akzentmischung. Oder vielleicht kennen Sie den Münchner Albert C. Humphrey, den „Blues-Bertl“? Der spricht amerikanisches Bayrisch. Sicher gibt es auch türkisches Berlinerisch, vietnamesisches Sächsisch – italienisches Hessisch will ich mir erst gar nicht vorstellen.

Doch jetzt höre ich seit einiger Zeit regelmäßig einen Stuttgarter mit nordenglischem Migrationshintergrund. Ich weiß nicht, ob so viele Sch gesund sind.

Familienalbum – 19: Am Baggersee

Dienstag, 18. Juli 2006

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Große Ferien, und das Wetter ist schön. Noch vor neun hat meine Mutter Schnitzel paniert und gebraten; in Plastikdosen verstaut sie sie im Picknickkorb, neben der Schüssel mit Kartoffelsalat, den Tomaten mit Salzfässchen, Tellern, Besteck, Servietten. In die Kühltasche hat sie zwei große Flaschen selbst angerührten Instant-Zitronentee gepackt, zwei kleine Flaschen Bier, die Sarotti Sommerschokolade mit Waffel- und Pfefferminzfüllung, Pfirsiche und natürlich die Kühlelemente aus dem Gefrierfach. Dazu kommt die stoffene Badetasche, darin Handtücher, Badetücher, Badehosen zum Wechseln, der weite Schlauch aus Vorhangstoff mit Gummizug an einem Ende als Umkleidekabine, die Canastakarten, Spielzeug für meinen kleinen Bruder, die aktuelle Brigitte zum Lesen für Mama, ein bis zwei Bücher aus der Pfarrbibliothek zum Lesen für mich. In einem optimistischen Impuls steckt sie auch ihr Häkelzeug ein – vielleicht wird die Tagesdecke, für die sie seit Jahren kleine Quadrate zum späteren Zusammennähen herstellt, doch noch mal fertig.
Sie weist mich an, kurz auf meinen kleinen Bruder aufzupassen, und trägt die Taschen auf den großen Parkplatz vor dem Wohnblock, auf dem unser Auto steht. Gar nicht erst ausgeladen seit dem letzten Tag am Baggersee, befinden sich im Kofferraum bereits die zusammengeklappte Sonnenliege und die kratzige Decke, die für uns Kinder auf dem Boden ausgebreitet wird.

Wir sind noch vor zehn Uhr draußen am Baggersee und können das Auto auf dem von riesigen Eichen beschatteten Parkplatz ideal abstellen. Auf dem Weg zu unserem Stammplatz begegnen wir noch wenigen unserer Seebekanntschaften, zu meinem Bedauern sind keine potenziellen Spielkameraden da. Noch reicht die Morgenfrische, einen Aufenthalt in der Sonne angenehm zu machen; meine Mutter baut ihre Liege bräunungstauglich auf. Wir ziehen uns aus und vertreiben uns die Zeit mit Planschen, Eincremen, Sonnen, Schwimmen, Umkleiden („dass du doch nicht verkühlst!“), Sandspielen mit den dann doch noch aufgetauchten Spielkameraden, Lesen, Wickeln, Streitschlichten.

Gegen drei kommt mein Vater von der Frühschicht aus der Fabrik angeradelt. Auf der kratzigen Decke gibt es Mittagessen („nein, du hattest schon genug Kartoffelsalat!“). Papa legt sich in der Sonne auf den Bauch, den Kopf im Schatten und hält ein Schläfchen. Nachdem er mit einem Schnauben aufwacht, geht er mit mir ins Wasser; in seiner Begleitung darf ich weit hinaus schwimmen, bis zu einem im Seeboden verankerten Holzkreuz, auf dem sich herrlich spielen lässt. Wieder am Ufer („lass dich noch mal eincremen!“) ist die Auswahl an Spielkameraden noch größer geworden, es kommt eine Runde Canasta zustande.

Noch mal in den Sandkasten, noch mal ins Wasser. Die Schatten der Bäume sind lang geworden, die Sonne wärmt die seekühle Haut nur noch wenig. Die Eltern sind schon am Packen, schnell im Vorhangstoffschlauch umgezogen. Papa hilft noch beim Einladen in den Kofferraum und schwingt sich dann aufs Rad. Daheim gibt es zum Abendbrot Brot, Wurst, Radieschen und Essiggurken.

Wie’s in Israel grad so zugeht

Dienstag, 18. Juli 2006

Wen der Nahost-Konflikt von Nahem interessiert, dem sei die tägliche Lektüre des Blogs Letters from Rungholt empfohlen. Die deutsche Kibbutznik Lila, Kunsthistorikerin und Mutter von vier Kindern, bloggt klug und gründlich internationale Medienrundschauen mit dem Schwerpunkt auf isrealischer Berichterstattung, sowie israelischen Alltag. Hilft immens gegen gängige Vorurteile, auch außerhalb von Krisen.

Neue Wunder der Warenwelt

Montag, 17. Juli 2006

Ersatzknöpfe sind ja inzwischen selbst beim billigsten Kleidungsstück aus chinesischer Produktion Standard (wobei ich nach anfänglicher Begeisterung nicht weiß, was ich mit all den gleichförmigen Scheinperlmuttknöpfen anfangen soll, die – jeder in einem eigenen Plastikbeutelchen oder an einem Wäschezeichen – aus meinem Nähkästchen quellen). Doch bei einer ausgefallenen Farbe gleich noch den passenden Faden mitgeliefert zu bekommen, empfinde ich als wirklich Kundenfreundlich.

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Frühstückslektüre: Interview mit Kathrin Passig

Sonntag, 16. Juli 2006

In Wirklichkeit ist es natürlich so: Ich suche mir meine Bekanntschaften nur danach aus, ob ich mit ihnen angeben kann. Durch die Bloggerei ist die Suche erheblich einfacher geworden. Zum Beispiel: Jetzt kann ich sagen, dass ich schon mal mit jemandem spazieren war, die schon mal mit der aktuellen Bachmannpreisträgerin in den Urlaub gefahren ist. Dadurch spare ich mir die Mühe, selbst etwas Ruhmreiches zu produzieren.

Bei Herrn ix habe ich den Link zu einem Interview mit dieser Bachmannpreisträgerin, Kathrin Passig, gefunden. Das ist herzerfrischend und deshalb genau das Richtige für den Sonntagmorgen. Vielleicht mögen Sie ja die Brandenburgischen Konzerte dazu auflegen.

Interview Teil 1
Interview Teil 2
Interview Teil 3

Meine Lieblinsstellen:

8 Wofür steht Klagenfurt?
Früher habe ich mir Klagenfurt immer als etwas Altes und Staubiges vorgestellt und mir deshalb auch nie einen der Wettbewerbe im Fernsehen angesehen. (…) 2005 bin ich schließlich hingefahren und war überrascht, dass das eine extrem unterhaltsame Veranstaltung ist. (…)
Im Fernsehen merkt man das nicht, vor allem, wenn man es sich alleine ansieht. Aber als soziales Ereignis und als Mischung aus Badeurlaub und Literaturveranstaltung ist das toll.

12 Bleiben Sie jetzt bei der Literatur?
Muss ich ja. Die Verlage fordern das, weil sich die Bücher offensichtlich gut verkaufen, wenn vorne «Bachmann-Preisträgerin» draufsteht. (…)
Ich fühle mich außerdem ein wenig verpflichtet. 25.000 Euro Preishonorar sind viel Geld. Ich fände es unanständig, das Geld zu nehmen und dann zu sagen: «Das war’s – Literatur geht mich jetzt nichts mehr an.»

27 Das Aufnahmegerät muckt ein bisschen. Mache es mal aus und wieder an. So, Band läuft wieder…
Sie sind der erste Journalist, der hier mit einem Aufnahmegerät aufläuft, das auf der Höhe der Zeit ist. Das freut mich.
(…)
Was ich mit Technik verbinde, ist Weltverbesserung. Ich glaube sehr fest und gerne daran, dass es für jedes soziale Problem eine technische Lösung gibt. Und die Suche nach diesen Lösungen interessiert mich.

32 Je genauer man sich Ihre Texte anschaut, desto häufiger begegnen einem Begriffe wie Wissen, Halbwissen, Unwissen. Was bedeutet Ihnen Wissen?
(…) Ich bin so eine Art Wissensstaubsauger und schnorchle jeden Tag in den Internet-Fundstücken. Irgendwann kann man sie wieder gebrauchen und manchmal lassen sie sich sogar zusammenfügen.

36 Hat Literatur etwas mit Wissen zu tun?
Mir hat es Spaß gemacht, in «Sie befinden sich hier» lauter falsche Dinge rein zu schreiben. Einfach als Entspannung nach den vielen vorangegangenen Sachtexten. In der «Riesenmaschine» ist es mir oft unangenehm, wenn da was Falsches steht, obwohl zehn Leute den Text gelesen haben. Wegen des Bachmanntextes bekomme ich jetzt Zuschriften wie «Frau Lehrer, ich hab da jetzt nen Fehler gefunden!» Lustig, denn das ist ja alles Absicht. Das war zur Abwechslung mal ganz schön.

Die allerschönste Passage am Schluss lasse ich Sie aber selbst entdecken.