Einmal im Leben hatte ich einen richtigen Freundeskreis – im Gegensatz zu einzelnen, voneinander unabhängigen Freunden. Das war während meines Studiums, und er setzte sich hauptsächlich aus Kommilitonen zusammen (dazu kamen eine Musikerin und eine Kauffrau).
Wir waren die Sorte fachlich engagierter Studenten, die in Seminaren mit ihren leidenschaftlichen Diskussionen genau diejenigen Kursteilnehmer zum Augenrollen brachten, die hier einfach nur einen Schein haben wollten und ebensogut in jeder anderen nicht allzu anstrengenden Fachrichtung hätten sitzen können.
Eigentlich waren wir recht unterschiedliche Menschen aus verscheidenen Teilen Deutschlands. Uns verband die Altersgruppe, das Studium geisteswissenschaftlicher Fächer und vielleicht, dass die meisten aus einfachen Verhältnissen kamen.
In der Cafete (heißt eine Uni-Cafeteria überall „Cafete“?) wurde es schon mal laut, weil wir völlig selbstvergessen die Diskussion des Seminars mit den Freunden aus anderen Fachrichtungen weiterführten – oft sehr verkürzt Bezug nehmend zu vorher schon beredeten Themen. Für hysterische Heiterkeit genügte oft ein kürzester Kommentar, der viel implizierte. Gleichzeitig waren die Gespräche oft hitzig: Lassen Sie mal einen leidenschaftlichen transformationsgrammatischen Sprachwissenschaftler und eine leidenschaftliche Reader-Response-Literaturwissenschaftlerin aufeinander los und die Existenzberechtigung ihrer Fachgebiete verteidigen.
Was war die Folge? Dass wir als arrogant galten, als ein hermetischer Zirkel, der sich für etwas Besseres hielt als die anderen Studentinnen und Studenten. Dass es hieß, wir wären diese Wichtigtuer, die sich nur miteinander beschäftigten. Zunächst war ich getroffen und hatte reflexartig ein schlechtes Gewissen. Dann fragte ich mich aber, wie die Alternative aussähe, um nicht wie ein hermetischer Zirkel zu wirken: Sollte ich mich nach besonders lautem Gelächter zum unbekannten Studenten am Nebentisch wenden und ihm den Witz erklären? (Autsch, das war arrogant.) Oder die grimmige Gruppe drei Tische weiter höflich fragen, ob wir sie mit unserer Fröhlichkeit belästigen? Hätten wir Freundinnen und Freunde uns besser nie gemeinsam in der Öffentlichkeit sehen lassen?
Wenn ich heute durch ähnliches Gemaule an diese Attacken erinnert werde, komme ich zu dem Schluss, dass manche Menschen sich Angriffen aussetzen, wenn sie einfach nur authentisch sind. Zwar würden die meisten Mauler Authentizität sogar als hohes Ziel der Menschwerdung bezeichnen – verleihen dann aber nur der Demut, der Bescheidenheit und der Selbstzerknirschung die Authentizitätserlaubnis.
Neid schien mir als Erklärung immer zu einfach. Die Mauler und Stichler wollten keineswegs sein wie wir: Sie störten sich eher an dem Umstand, dass es auf der Welt Leute wie uns überhaupt gab, also leidenschaftliche Denkerinnen, nur schwer frustrierbare Macher, und sie wurden darob böse.
Andererseit ist es vielleicht doch so, wie es sich der Haltungsturner einst über sein Blog schrieb: Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz.