Sprachheimat

Sonntag, 9. Dezember 2007 um 8:25

„Sammeyn Sie de Herzn‘n?“ fragt mich hinter der Supermarkt-Kasse am Packtisch eine alte Frau, einen Streifen mit herzförmigen Rabattmarken in der Hand. „Naa“, antworte ich, „i aa ned.“ Sie schaut ein wenig ratlos. Ich rege an: „I lass hoit do lieg‘n, iagndwea wead‘s scho braucha kenna.“

Und mir wird bewusst, wie sehr Daheim für mich mit Sprache verbunden ist.
Ich erinnere mich daran, wie warm ums Herz mir nach zehn Jahren im Gehörkrebs erzeugenden Bayerisch-Schwaben wurde, als ich eine Stelle in München antrat und die Haidhauser Bäckerin mich jeden Morgen in meinem Heimatdialekt ansprach. Ich denke daran, wie sehr es eine Konversation beschleunigt, dass die Arbeitskollegin, die mir gegenüber sitzt, selbst meine spezifischsten Dialektbrocken versteht. (Wenn allerdings sie, die aus einem 30 Kilometer nördlich gelegenen Dorf stammt, mit ihren Eltern telefoniert, verstehe ich nur etwa 80 Prozent.)

Werde ich beim Träumen vom großen Umzug im Hinterkopf behalten.

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Sprachheimat“

  1. Susanne meint:

    Ja, das macht wirklich einen enormen Unterschied. Jetzt lebe ich schon länger in München als ich je irgendwo anders gelebt habe und bin immer noch “zugereist”. Und mir geht bei Ostwestfälisch immer noch das Herz auf. – Und das ist ein ausgesprochen unschöner Dialekt.

  2. croco meint:

    Dialekte sind nicht schön oder unschön. Wenn es die Sprache ist, die man kennt, berührt sie die Seele. Je weiter weg ein Dialekt von der eigenen Gewohnheit ist, desto merkwürdiger erscheint er einem, das geht bis zur Abneigung.
    Durch meine Rumzieherei in Deutschland sind mir die Aversíonen abhanden gekommen, und ich höre unglaublich gerne den alten Leuten zu wie sie miteinander sprechen, egal wo. So verstehe ich mittlerweile das ganze Mittelgebirgsplatt und sogar das Plattdeutsch der Friesen.
    Und trotzdem geht mir beim Bodenseeschwäbisch/allemanisch meiner Oma das Herz auf, immer und immer wieder.

  3. Tim meint:

    Friesen sprechen kein Plattdeutsch sondern friesisch. Eine eigene Sprache. Niederdeutsch (“Plattdeutsch”) ist streng genommen auch kein Dialekt, sondern die einzige vom Europarat anerkannte Regionalsprache in Deutschland.

    Folgen: Z.B sind in Schleswig-Holstein die Behörden verpflichtet, Anfragen und Anträge auf „Plattdeutsch” zu bearbeiten, und berechtigt, auch auf „Plattdeutsch” zu beantworten. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass auch Patentanträge beim Bundespatentamt in München auf Plattdeutsch gestellt werden können, diese werden allerdings als “nicht in deutscher Sprache abgefasst” angesehen, bedürfen also einer Übersetzung. In einigen Schulen gibt es Niederdeutsch als Fach und an der Uni Oldenburg eine Professur.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Und, Tim, haben Sie sich davon gelöst oder fühlen Sie sich dort am daheimsten?

  5. walküre meint:

    Interessantes Thema für mich, besonders angesichts meines bevorstehenden Wohnsitzwechsels …

    Die meisten der österreichischen und bayrischen Dialekte kenne ich aufgrund meiner beruflichen Laufbahn, und eigentlich ist immer ein bissl vom jeweiligen Dialekt jener Region hängengeblieben, in der ich mich eine Zeitlang aufgehalten habe. Die herkömmliche Innviertler Mundart hat mir von jeher nur wenig zugesagt, und das auch schon zu einer Zeit, in welcher ich noch gerne hier gelebt habe – die Sprache ist mir zu langsam und mitunter schwerfällig bis zur Plumpheit, was für einen Menschen wie mich, der in manchen Situationen in MG-Geschwindigkeit spricht, einem Alptraum gleichkommt. Wenn die Sprache hier zudem oftmals seltsam und streckenweise profillos anmutet, liegt es wahrscheinlich zu einem Gutteil auch daran, dass nach der abrupten Trennung des Innviertels von Bayern den Kindern in der Schule jegliche bayrischen Idiome buchstäblich herausgeprügelt wurden. Die scharfe Trennung der beiden Regionen hat sich erst nach dem 2. Weltkrieg langsam aufgelöst, und seitdem beginnen im Grenzgebiet die Dialekte wieder ineinander zu fließen.

    Sie, Frau Kaltmamsell, reflektieren ja auf Berlin, wenn ich Ihre Zeilen nicht etliche Male falsch interpretiert habe; die sprachliche Kluft zwischen München und Berlin ist alleine schon aufgrund der Distanz natürlich eine ungleich größere als zwischen dem Innviertel und Wien. Ich für meinen Teil sehe solche Dinge allerdings eher von der pragmatischen Seite: Was nützt mir die schönste/liebste/am meisten vertraute Sprache, wenn ich in einer Gegend – aus welchen Gründen auch immer – nicht (mehr) zuhause bin ?

  6. Tim meint:

    Plattdeutsch habe ich vor Hochdeutsch gelernt. So eine Art Muttersprache. Da kann man sich nicht von lösen.

  7. nevesita meint:

    Croco, ich sehe das ähnlich: Dialekte sind nicht schön oder unschön. Aber sie werden von den Menschen unterschiedlich beurteilt und meiner ist anscheinend der zweitunbeliebteste Dialekt in Deutschland. ;-) Wenn ich unser Landesoberhaupt Herrn Oettinger im Fernsehen höre, kann ich das auch niemandem verübeln. Aber wenn ich Menschen höre, die wie meine Oma reden, dann geht mir auch das Herz auf und ich rede gerne mit alten Leuten richtiges Schwäbisch.
    Schade, dass es in manchen Zusammenhängen schlecht ankommt. Ich kann mich zum Beispiel noch an einen Prof erinnern, der mich nach einem meiner ersten Referate im Studium gerügt hat, weil ich anscheinend zu schwäbisch sprach. Der hätte mal meine Oma reden hören sollen, die hätte er wahrscheinlich gar nicht verstanden!

  8. cdv! meint:

    Nach viel Herumreiserei: Heimat ist da, wo ich bin. Mit ostfriesischen und sauerländischen Wurzeln kokettiere ich heute auf der Ostalb, dass ich nicht viel kann, aber hochdeutsch. Des Plattdeutschen noch immer mächtig wehre ich mich aber sehr gegen das Schwäbische. Gelingt auch. Also: Ich rede lieber als dass i schwätz.

  9. croco meint:

    Im Schwäbischen braucht man halt kein Hochdeutsch, deswegen lernt man es auch nicht. Es ist keineswegs despektierlich, wenn man Dialekt spricht. Anderswo ist es die Sprache der unteren Schichten, da nicht, alle reden es, sogar an der Uni, im Landtag. Und wenn Fremde sich beschweren: So what….
    Die Schweiz ist da noch viel sturer. Da erwartet man von den Zugezogenen die Annahme der Sprache. Wenn man das nicht tut, gilt man als arrogant.

  10. tania meint:

    ich kann mir einen anderen wohnort innerhalb deutschlands (bin aus berlin) schwerer vorstellen, als im ausland zu bleiben (lebe jetzt seit eineinhalb jahren in italien). es fällt mir sehr viel schwerer, mich mit “halb-verstehen”, “nicht ganz zu hause fühlen” zu arrangieren, wenn es um meine muttersprache geht. bis jetzt bilde ich mir ein, heimatgefühle sind für mich nicht an sprache gebunden. aber das kann sich sicherlich noch entwickeln. ich spreche weder das alemannische (ich weiß nicht mal, wie es geschrieben wird) meiner mutter, noch den berliner dialekt meines vaters “richtig”, vielleicht mit ein grund, dass sich heimatgefühl für mich weniger an sprache knüpft.

    ein komisches gefühl finde ich dagegen die vorstellung, dass meine kinder – sollten sie in italien aufwachsen – als erste sprache nicht meine muttersprache haben werden.

  11. Nicky meint:

    Oh ja, Sie sprechen mir mal wieder aus der Seele! Meinen Heimat-Dialekt (Oberpfälzerisch – ja, ich weiß…) habe ich allerdings scheinbar für besondere Anläße konserviert – ich höre immer wieder Sätze wie “oh, das hört man Dir ja gar nicht an…”. Hab ich aber meinen Großpapa am Telefon, dann gibt’s kein Halten mehr ;)

  12. maike meint:

    Ich bin gerade von München (6 Jahre) nach Oldenburg (Oldb) gezogen, und bin froh und glücklich wieder in der Heimat zu sein (auch wenn Mutters Töpfe noch 70 km weiter oben stehen).
    Mir geht am Morgen das Herz auf, wenn ich ins Büro komme und Moin über den Flur rufe. Und wenn zwei Damen auf der Straße miteinander stehen bleiben und die eine zur anderen sagt: Und? und die andere darauf antwortet: Och, ja.
    Es ist die Melodie. Es ist die Wortwahl. Es ist ein absolutes Gefühl von zu Hause. Ein Gefühl, das sich in München nie eingestellt hat. Im Handy steht die Nummer in München mit ‘daheim’ und die von der Küste mit ‘Zu Hause’.

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