Archiv für August 2008

Statt Sonntagszeitung

Sonntag, 31. August 2008

Das interessanteste deutschsprachige Blog, auf das ich in den vergangenen beiden Jahren gestoßen bin, ist das Tagesschau-Blog: Chefredakteure machen transparent, wie sie Themen auswählen und priorisieren, wie es – unter anderem technisch – zu dem kommt, was wir als Nachrichten im 1. Programm sehen. Hin und wieder erzählen auch Redakteurinnen und Mitarbeiter von ihrem Arbeitsalltag. Das hat meinen Blick auf Fernseh-Nachrichten tatsächlich verändert.

Die Kommentare (werden moderiert, naheliegenderweise) zu den Blogeinträgen lese ich fast nie. Nicht nur ergänzen sie die Inhalte im seltensten Fall, sie sind auch noch sehr oft von Leuten geschrieben, die die Tagesschau-Redaktion für DAS ÖFFENTLICH-RECHTLICHE FERNSEHEN halten und sie ständig wegen der GEZ-Gebühren annörgeln.

Heute allerdings empfehle ich genau das: Lesen Sie den Eintrag zum Putin-Interview und die Kommentare dazu. Einige Kommentatoren verstehen Russisch, haben sich das Interview in Gänze im russischen Fernsehen oder auf der Website der russischen Regierung angesehen und mit dem verglichen, was die ARD daraus gemacht hat – teilweise durch Abgleich von Wortlaut. Ihre Schlussfolgerungen lassen Thomas Roth, Studioleiter ARD Moskau, ganz schön schlecht aussehen: Nach dem Urteil einiger Kommentatoren wurden Putins Aussagen sinnentstellend gekürzt, waren viele Übersetzungen fragwürdig. (Bitte ignorieren Sie das Geschreibe von „Zensur“ oder die naive Forderung, alle Interviews müssten in ganzer Länge ausgestrahlt werden. Fast putzig ist der Vorwurf, die Pressefreiheit sei verletzt worden – weil sich die Journalisten die Freiheit genommen haben, das Interview so zu senden, wie sie es für richtig hielten.)

Gerade die vielen sauber belegten Kritikpunkte werten allerdings das Tagesschau-Blog erst recht auf: Die Redaktion stellt sich wirklich der Öffentlichkeit, verschafft Zuschauern / Lesern eine Plattform, die anscheinend die Kompetenz haben, ihre Arbeit zu beurteilen. Ich bin gespannt, ob die Chefredaktion oder Thomas Roth es schafft, sachlich Stellung zu nehmen.

Nachtrag 2.9.: Thomas Roth äußert sich heute allgemein zum Entstehen des Interviews und zum Umstand des Kürzens, nicht aber zum konkreten Vorwurf der manipulativen Auswahl und Übersetzung.

Designdesign

Freitag, 29. August 2008

Ah, heute wieder das jährliche Themenheft „Design“ des Süddeutschen Magazins. Bereits der Überblick auf Seite 3 jagt meine Augenbrauen Richtung Haaransatz: Er kündigt Luftbilder an, die zeigen sollen, „wie menschlicher Gestaltungswille eine ehemals intakte Umwelt verändern“. Ohne Mensch ist die Welt „intakt“, dann kommt der Mensch und denaturiert sie. Wenige Zeilen darüber ist von „ausgesuchte Designerbrille“ die Rede – was mich ins Grübeln bringt, welche Eigenschaften eine Brille zur „Designerbrille“ machen. Ich bin ganz sicher, dass jedes heute angebotene Brillenmodell von jemandem gestaltet wurde und nicht das Zufallsprodukt eines – sagen wir mal: Vulkanausbruchs ist. Wird sie zur Designerbrille, wenn der Name der Designerin bekannt ist? Gerade auf so genannten Designerbrillen ist doch aber meist der Name der Herstellermarke vermerkt, niemand kennt die Frau oder den Mann, die sich diese spezielle Form ausgedacht haben. Oder muss eine Designerbrille vielmehr ein Einzelstück sein? Unwahrscheinlich: Designfans schätzen individuelles Handwerkertum meist wenig, ihnen ist die Erkennbarkeit der Herkunft viel mehr wert.

Ist „Design“ einfach das Marketing-Etikett eines grundmenschlichen Phänomens? Der Mensch sieht überall Strukturen, findet Muster auch in dem, was er als von der Natur selbst geformt bezeichnet. Er ist so gestrickt, dass er überall Gestaltung wahrnimmt; nach dieser Erkenntnis wurde ja die Gestalttheorie benannt. Oder braucht Gestaltung Reflexion, um zu Design zu werden?

Zwar kokettiere ich gerne damit, meine Wohnung sei design-freie Zone. Doch ich weiß, das das gar nicht geht. Mein Einfluss auf meine Wohnung ist Gestaltung, ist bereits Design.

Man kann nicht
nicht gestalten.

„Katia hat wieder einen Blogger geknetet!“

Donnerstag, 28. August 2008

In dem Moment, in dem ich das über meinen Büro-Bildschirm hinweg ausrief, ging mir auf, wie ungeheuer seltsam dieser Satz für meine Arbeitsumgebung klingen muss. Egal.

Bitte gehen Sie hierhin und sehen Sie sich eine weitere Folge von Katia Kelms Bloggerpotraits an. Zusätzlich gibt es dort Gedanken der Künstlerin zu Comics. Das Ergebnis ist …. Superlative sprengend.

Nachträglich

Mittwoch, 27. August 2008

Ich bin wirklich nicht gut mit Geburtstagen. So habe ich verpasst, dass dieses Blog am Sonntag sein Fünfjähriges hätte feiern können. Hier fing es am 24. August 2003 an, mit einem anderen System, auf einem anderen Server – aber schon damals als Vorspeisenplatte.

Das Blog ist schnell ein fester Bestandteil meines Lebens geworden, die Kaltmamsell bekam flugs ein munteres Eigenleben. Die Vorspeisenplatte hat meine Welt um ein Vielfaches größer gemacht, mir Themen und Menschen nahe gebracht, auf die ich sonst im Leben nicht gestoßen wäre; sie ist eine der größten Bereicherungen meiner 41 Lebensjahre. Dafür danke ich von Herzen – den Leserinnen und Lesern, Kommentatoren und allen Menschen, die mir über dieses Blog die Hand gereicht haben. Bleiben Sie mir gewogen.

Zeitschriftenfrauen – 2

Mittwoch, 27. August 2008

Hier die erste Folge.

Bunte, Nr. 35, 21.8.2008

Wie schon bei InStyle stößt mich dieses Promiklatsch-Magazin auf das Problem, dass ich kaum Prominente als solche erkenne: Sie könnten mir Serafina Enzinger aus Großmehring als Berühmtheit vor die Nase halten – ich würde es Ihnen glauben. Unterschied der Bunte zur InStyle: Die Berühmtheiten schauen meistens scheiße aus, weil hauptsächlich heimlich aufgenommene Schnappschüsse von ihnen gezeigt werden. Das macht es erheblich einfacher, Reklame zu erkennen: Das sind tendenziell die Seiten, auf denen die Abgebildeten schön ausssehen.
Die Zielgruppe ist wohl auch älter: Es gibt Gesundheitsseiten.

Themen: Prominente – das Inhaltsverzeichnis reiht fast nur Namen auf, unterteilt in die Betätigungsfelder der behandelten Menschen, also Leute, Politik, Kultur, Film/TV, Sport, Schicksal. Außerdem gibt es Lebensart, hauptsächlich, aber nicht nur anhand von Prominenten, sowie die bereits erwähnten Gesundheitsseiten.

Packt die Leserinnen an ihren niedrigsten Instinkten und liefert in erster Linie Material zum Lästern und sich über Berühmtheiten lustig zu machen – die Reichen und Schönen dadurch auf gefühlte Augenhöhe herunterzuholen. Womit Chefredakteurin Patricia Riekel den eigenen Anspruch ja erfüllt hätte:
„Frauen möchten Geschichten, mit denen sie sich identifizieren. Nach dem Motto: Was würde ich tun, wenn mir das geschehen würde?“

(Hervorstechendes Zitat konnte ich keines mehr nachblättern: Das Blatt war über Nacht von der Großraumbürotheke verschwunden; gratuliere, Frau Riekel.)

Elle, September 2008

NOCH mehr Reklameseiten vor der Inhaltsangabe – da gibt es doch einen Wettstreit unter den Anzeigenverkäuferinnen, wetten? (21 Seiten Reklame, Impressum, 19 Seiten Reklame, Inhaltsverzeichnis, 2 Seiten Reklame, Editorial, 15 Seiten Reklame, Mitarbeiterportrait, 11 Seiten Reklame – der erste Artikel beginnt nach 59 Seiten Reklame, Reschpekt)

Themen: Frisuren (scheinen flavour of the month zu sein), schöne Accessoires, schöner Schmuck, schöne Autos, Hollywood-Schauspielerinnen und -Schauspieler, Plädoyer für Schönheitsfehler (wenige Seiten weiter allerdings Tipps für Frisuren, die von einer großen Nase „ablenken“ sollen – und die Propagierung von „makellosem Teint“), neue technische Gadgets (kein Fitzelchen rosa!), Mode nach Alter der Trägerin (bis 60), Kunst (Künstler und Künstlerinnen, Stiftungen, Design-Trends, Innenarchitektur), Kosmetik, Medizin (frauenspezifische Herzrisiken), Mode (auch britische Klamotten scheinen Thema des Monats zu sein), Mode (60er, Einflüsse von Architektur, Metallschmuck),

Hosenanzüge
Endlich sind sie wieder da!

(Jahaha, und Sie Nulpe hatten nicht mal mitbekommen, dass sie weg waren – geben Sie’s doch zu!)
schicke Partys.

Texte von teilweise überraschend hoher Qualität, manchmal sogar Ausrutscher nach oben ins Feuilletonistische, deshalb hervorstechendes Zitat: „Was Robbie Williams mit Goethes Faust verbindet. Und warum Paris Hilton eine Figur von Beaumarchais sein könnte.“

Elle ist eine positive Überraschung: Mehr als nur stereotype Themen, Frauen wird ganz offensichtlich sogar Hirn und intellektueller Anspruch zugetraut. Zwei Modethemen und ein Promi-Thema weniger, statt dessen das eine oder andere Wirtschaftsthema auf brandeins-Niveau sowie ein sauberer Technikartikel – und ich würde tatsächlich hin und wieder freiwillig reinschauen.

Foodbloggen, Sonderausgabe

Dienstag, 26. August 2008

Schöne Geschichte in der FTD: Essen nach dem Verfallsdatum – ein Redakteur im Selbsttest. Darin: Wie alt und wie gammlig muss ein Lebensmittel werden, um der Gesundheit zu schaden? (via Shopblogger)

Das Thema gefällt mir ohnehin: Wegwerfen will bedacht sein. Weswegen mich Andrea Dieners Geschichte der erfolgreichen Weigerung, ein Auto wegzuwerfen, ganz besonders rührt.

Weitere Altersgebrechen

Dienstag, 26. August 2008

Ich habe acht Jahre über einer Kneipe gewohnt, mit Fenstern raus auf deren Außengastronomie. Das Grundrauschen des Wirtsbetriebs störte mich nie, selbst wenn es zur Faschingszeit zu einem Grundtosen anschwoll. Die wenigen Male, die diese Nachbarschaft Einfluss auf meinen Schlaf hatte, waren die warmen Nächte, in denen wenig Betrieb in der Kneipe war: Vor der vergleichsweisen Ruhe schreckten mich einzelne Lacher oder Rufe von Biergartengästen aus dem Schlaf.

Momentan muss ich viel an diese Zeiten denken. Ich wohne in einer sehr ruhigen Gegend ohne nächtliches Gewerbe oder auch nur Durchgangsverkehr. Meine Nachbarn sind vor allem greise Witwen, ansonsten Leute mit vergleichbarer Geräuscherzeugung. Seit einigen Wochen bin ich dennoch um meinen Schlaf gebracht: Junge Leute aus einem Nebenhaus (ich vermute die zu Jugendlichen geworden Kinder der dortigen Bewohner) nutzen ein Garagendach für nächtliche Geselligkeit. Nicht etwa für lärmende Partys mit Musik: Sie unterhalten sich in Pausenhoflautstärke, trinken etwas, lachen viel und bis weit über Mitternacht hinaus. Nur dass diese Geräusche vor dem Hintergrund der sonstige Ruhe wie Schreckschüsse wirken und mich immer wieder aus dem Schlaf reißen – schließlich habe ich nachts gerne das Fenster weit auf. Besser: hatte ich, denn Durchschlafen kann ich eben nur noch mit geschlossenem Fenster, wenn auch ohne frische Luft.

Mal sehen, ob ich meine Hemmungen überwinde, wie eine alte, zickige Spielverderberin zu wirken, und heute Nacht im Morgenrock rausgehe, um die jungen Leute um Ruhe zu bitten. Vielleicht regnet es ja statt dessen.